Als 2003 Songs wie "Right Thurr" oder "Holidae Inn" bei uns einschlugen wie Bomben und aus der täglichen Radio- und Fernsehrotation nicht mehr wegzudenken waren, konnte man vielleicht schon vorausahnen, dass mit Hip Hop aus dem Süden der USA zu rechnen ist. Auch wenn Chingy selbst darauf besteht, aus "Midwest" zu sein, hat er doch mitgeholfen, den Grundstein für den Siegeszug eines Subgenres namens "Dirty South" zu legen.
Wie bei vielen Hip Hop Künstlern folgten daraufhin auch bei Chingy jahrelange Label-Querelen. Erst hatte er sich mit Disturbing Tha Peace-Boss Ludacris heillos zerstritten, dann floppte auch noch sein über sein eigenes Label veröffentlichtes drittes Album. Zurück in der Gegenwart, hat der Mann aus St. Louis seinen Frieden sowohl mit Kumpel Ludacris als auch mit den Labels gefunden und möchte nun auf seinem neuen Album „Hate It Or Love It“ mit ernsteren Inhalten glänzen – eine löbliche Entwicklung, wenn es denn stimmt. rap.de ging der Sache auf den Grund und hatte da ein paar Fragen…
rap.de: In ein paar Tagen kommt ja „Hate It Or Love It“ raus. Was genau können wir erwarten?
Chingy: Yo, es wird wieder ein paar Clubbanger darauf geben, ein paar härtere Sachen, so eher streetmäßige Tracks und dann auch einiges mit Message. Da ist dieser eine Song, „Lovely Ladies“, weißt du, viele Politker und Leute sagen, dass Hip Hop Künstler Frauen erniedrigen. Um ihnen zu zeigen, dass es nicht so ist, habe ich „Lovely Ladies“ gemacht. Ich mache darin klar, dass wir Frauen wirklich wertschätzen sollten, weil es das weibliche Geschlecht ist, dass Leben gebiert und Leben erst möglich macht. Deswegen sind wir überhaupt erst hier.
rap.de: Ja, Hip Hop hat aber schon immer ein eher negatives Frauenbild transportiert, bist du älter und reifer geworden? Ich meine, du hast zwei Kinder…
Chingy: Naja, ich habe nie wirklich etwas gemacht, was Frauen erniedrigt hätte, aber man muss begreifen, es gibt Frauen und es gibt Ladies in der Welt. Und natürlich, je älter man wird, hat man schon die eine oder andere Frau getroffen – ich meine, es ist Realtität, manche Frauen sind Bitches, aber das gibt einem nicht das Recht, rumzulaufen und jede Lady eine Ho zu nennen. Das ist nicht mein Ding.
rap.de: Es fällt auf, dass du ziemlich viele RnB Sänger auf deinen Hooks hast. Hast du ein besonderes Verhältnis zu RnB Gesang?
Chingy: RnB ist gute Musik, auf jeden Fall, es bringt einfach nochmal einen anderen Vibe rein, weißt du? Und natürlich hab ich nicht ausschließlich RnB Sänger wie Bobby Valentino oder Amerie auf meinen Hooks, bei mehr als die Hälfte sind es dann doch Rapper, zum Beispiel Ludacris oder Trey Songz. Ich denke, es ist eine gute Mischung an Talenten zu hören.
rap.de: Auf dem Album ist auch ein Song namens „They Don’t Know“ mit Anthony Hamilton, auf dem du über das Versagen der Politik in den USA redest. Können wir mehr politische Lyrics erwarten?
Chingy: Auf jeden Fall, ja, denn die Leute, die Hip Hop für alles beschuldigen, schauen überhaupt nicht, was in der Welt vor sich geht. Sie kümmern sich nicht um die Angelegenheiten, die wichtig wären. Sie sollten darauf schauen, was in unserem eigenen Land abgeht. Es gibt hier Leute, die hungern, denen es in den ärmeren Gegenden richtig schlecht geht. Und dann gehen die [Politiker] hin und geben Milliarden Dollar für einen Krieg in Übersee aus, Geld das hier dringend gebraucht würde. Stattdessen töten wir andere Menschen im Irak, das ist absurd.
rap.de: Okay, wir haben so viel darüber gehört, das Hip Hop tot sein soll, wie siehst du die Zukunft dieser Musik?
Chingy: Ich glaube nicht daran, dass Hip Hop tot ist. Aber man kann schon sagen, dass das Musik Business allgemein einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat. Mit dem Internet kamen halt Dinge wie iTunes oder YouTube, die ganz klar die Verkaufszahlen von Musik herunterdrücken. Ich glaube, das ist das größte Problem und die größte Herausforderung in unserer gegnwärtigen Situation.
rap.de: Glaubst du nicht, dass es auch ein Problem sein könnte, dass man die letzten Jahre versucht hat, bestimmte Fake Images zu kreieren, weil sich das zu verkaufen schien? Sollte man nicht wieder dazu zurückkehren, über wichtige Dinge zu sprechen, anstatt nur über Sex, Mord und Gangstertum?
Chingy: So lange man es aus der richtigen und einer realistischen Perspektive sieht und unmissverständlich das rüberbringt, was man meint, kann man über alles sprechen. Aber ja, ich glaube, wir brauchen mehr Messages und mehr Songs, die eine transportieren. Ein anderes Ding, was Gangsta-Lyrics angeht: niemand sagt den Leuten, sie sollen rausgehen und Leute schlagen oder umbringen. Es ist einfach blind das wörtlich zu nehmen und nachzumachen. Es handelt sich hier immer noch um Entertainment, Musik, weißt du.
rap.de: Man sagt, du seiest sehr gut mit 50 Cent befreundet. Was hältst du von seiner Idee, sich mit Kanye West um Verkaufszahlen zu battlen?
Chingy: Ach, ich denke, es war einfach nur eine nette kleine Marketingidee und es scheint funktioniert zu haben. Und ich finde, beide haben Großartiges geleistet. Sie hätten es aber zusammen als großen Tag für Hip Hop feiern sollen, statt zu sagen: ich oder er, ich gegen ihn! Weißt du, ungefähr so: „Das ist einer der größten Tage für Hip Hop, geht und holt euch beide Alben!“
rap.de: Ok, anderes Thema. Gehen wir ein paar Jahre zurück. War der plötzliche Erfolg von „Jackpot“, deinem ersten Album, eine Überraschung für dich? Wie hat es dein Leben verändert?
Chingy: Ja, dieser Erfolg kam schon sehr überraschend für mich und hat auch definitiv mein Leben verändert, weil da plötzlich ganz viele Dinge waren, die ich machen konnte, ja machen musste – und plötzlich hatte ich einiges mehr an Geld, also im Verhältnis zu meinem Background. Ich war davor nicht reich, aber ich war auch kein Penner oder ständig pleite oder so. Der Erfolg brachte natürlich Veränderungen mit sich. Bevor ich in diesem Business tätig war, bin ich kaum gereist. Jetzt bin ich in der ganzen Welt unterwegs, sehe die verschiedensten Dinge, bin in Japan oder Australien. Und plötzlich bin ich sexy. (lacht)
rap.de: Denkst du, dass Leute wie du, die schon kommerziellen Erfolg mit dieser Musik hatten, auch eine bestimmte Verantwortung für das Erbe von Hip Hop tragen?
Chingy: Ja schon. Ich denke, man sollte einfach weitermachen, gute Musik zu machen und seine Meinung offen zu sagen und ich glaube, das ist ja irgendwo auch das Erbe dieser Musik.
rap.de: Warum hatte „Hoodstar“, das über dein eigenes Label heraukam, nicht so einen großen Erfolg wie „Jackpot“ oder „Powerballin“?
Chingy: Capitol, der Mutterkonzern meines Labels, konnte es einfach nicht genug promoten, denn zu der Zeit als „Hoodstar“ released werden sollte, hatten sie einige Probleme zu bewältigen und irgendwie bin ich da mit hinein geraten.
rap.de: Kannst du uns die Umstände verraten, die dich dazu bewegt haben, wieder zu Ludacris‘ Disturbing Tha Peace Records zurückzukehren?
Chingy: Hm, da gab es irgendwie gar keine besonderen Umstände. Wir haben uns eben zusammen hingesetzt und bestimmte Dinge ausdiskutiert, sie ins Verhältnis gesetzt und wir sind damit vorangekommen. Nun bin ich halt wieder bei DTP.
rap.de: Was geht mit deiner Schauspielerei? Hast du nicht ein wenig Angst, nicht ernst genommen zu werden, weil das jeder zweite Rapper probiert?
Chingy: Ach, ich mag Schauspielerei einfach. Wenn die richtige Rolle kommt, etwas was ich wirklich mag, dann mach ich es. Ich schreibe tatsächlich auch Drehbücher selber, mal sehen wie diese Seite des Business so ist, aber Schauspielerei ist definitiv was, auf das ich mich sehr freue und mehr machen will.
rap.de: Du rappst, seit du zehn Jahre alt bist. Wer waren und sind deine musikalischen Vorbilder?
Chingy: Leute wie Ice Cube oder Master P; Leute, die gleichzeitig auch noch Unternehmer sind. Die sind eine große Inspiration für mich. Ich habe aber jetzt niemanden, zu dem ich absolut aufschaue und als meinen Helden feiere. Ich lasse mich lieber inspirieren und sage dann, sowas will ich auch machen, lass es mich versuchen!
rap.de: Ich habe gehört, Luther Vandross wäre ein großer Einfluss gewesen…
Chingy: Ja, ich bin mit Luther Vandross aufgewachsen. Meine Eltern haben ihn viel gehört und so hab ich damals schon viel von der Musik gelernt, sie hat mich geprägt und ich höre ihn auch heute noch sehr gerne.
rap.de: Warum war Südstaaten-Rap so erfolgreich die letzten Jahre? Was macht diese Musik so attraktiv für die Leute?
Chingy: Ich mache keinen Südstaaten-Rap in dem Sinne. Ich bin aus dem Mittleren Westen, St. Louis, weißt du. Ich mache meine eigene Musik, die sich nicht einordnen lässt. Bei meiner Musik ist immer viel Persönliches drin, sehr viel Realismus, Dinge mit denen ich zu tun habe, viel von meiner Vergangenheit, viel von der Gegenwart.
rap.de: Vielen Dank für das Interview. Hast du noch eine kleine Message ans deutsche Publikum?
Chingy: Kauft alle „Hate It Or Love It“! Ich freue mich wahnsinnig wieder nach Deutschland auf Tour zu kommen!