Lunafrow

Nach zehn Jahren im Rap-Geschäft hat so mancher Rapper bereits sein erstes „Best Of“-Album veröffentlicht. Andere hingegen waren vielleicht nicht weniger präsent, doch haben aus welchen Gründen auch immer keine Alben gedroppt. Zur zweiten Kategorie zählte unlängst auch noch der einstige Warheit-MC Lunafrow, der nichtsdestotrotz auf ein umfangreiches Repertoire an Raps zurückblicken kann. Mit Features bei u.a. den legendären Asiatic Warriors, Roey Marquis, Kool Savas, Nico Suave bis hin zu Xavier Naidoo hat sich JimLunafrowSengendo im Laufe einer Dekade zweifelsohne einen Namen gemacht, sodass sein am 14. September erscheinendes Debütalbum „Psychotreibhaus 78“ mit Spannung erwartet wird. Einen Vorgeschmack auf sein Debütalbum „Psychotreibhaus 78“ bot das vor zwei Jahren mit DJ Brisk Fingaz aufgenommene Street-Tape „Innere Konflikte“, auf dem der Frankfurter seinen thematischen Schwerpunkt bereits grob absteckte. Neben gelegentlichen Party- und Battle-Tracks liegt dieser seit jeher vor allem auf der Reflexion seines, gelinde gesagt, turbulenten Lebens; man erinnere sich nur seiner erfolgreichen Maxi-Veröffentlichung „Psychose“ aus dem Jahr 2001. Mit „Psychotreibhaus 78“ geht der 29-jährige seinem Werdegang einmal mehr gewissenhaft auf den Grund und fördert dabei ebenso nachdenkliche und wütende wie auch fröhliche und liebevolle Tracks zutage. Nicht minder vielseitig ist das folgende Interview, in dem Lunafrow aus seinem Leben erzählt von Kampala (Uganda) bis Frankfurt am Main, von Kenny Rogers bis Hip-Hop, von Battle- bis Conscious-Rap, sowie von den Asiatic Warriors bis hin zu „Psychotreibhaus 78“


rap.de: Auf Platte rappst du schon seit 1997, angefangen bei den Asiatic Warriors. Schon wenige Jahre später erschien mit „Psychose“ deine erste Maxi. Nach zwei Jahren Wartezeit wird nun auch endlich dein Album, „Psychotreibhaus 78“, veröffentlicht. Was bedeutet dir dein Debütalbum nach zehn Jahren am Mic?

Lunafrow: Im Endeffekt ist es gut, dass es noch nicht früher rausgekommen ist, weil ich mich sehr in Independentstrukturen bewege, sprich: die Strukturen waren noch nicht reif. Jetzt ist alles anders, weil wir seither viel ausgetestet haben. Die Produktionsstätte hat einiges gemacht, was die Soundqualität betrifft. Man hat neue Software, neue Gerätschaften, neue Erkenntnisse gewonnen, was das ganze Produkt natürlich qualitativ deutlich aufgewertet hat. Auch Beat-technisch habe ich lange mit mir gehadert. Schließlich hatte ich schon vorab CDs an Labels rausgegeben, wo die Beats aber einfach noch nicht adäquat waren und das Ganze noch nicht abgestimmt war auf das, was ich so musizieren will. Jetzt stimmt das alles, was natürlich nicht bedeutet, dass damit der Endstand erreicht ist bzw. dass das jetzt das Nonplusultra ist. Doch es ist reif um auf den Markt geschickt zu werden und gute Resonanzen einzuholen. In der Entwicklung geht es natürlich immer weiter.

rap.de: Und was bedeutet dir persönlich dieses Album?

Lunafrow: Ich rappe seit 14, 15 Jahren, und seit ich rappe, gibt es natürlich den Wunsch, ein Album zu machen. Veröffentlichungen gibt es seit ich 18 war, „Strength“ mit Asiatic Warriors war die erste. Die Strukturen für ein Album waren allerdings nie gegeben. Abgesehen davon, dass ich 1996/97 natürlich auch noch gar nicht weit genug war, um ein Album zu machen. Das ist alles ne Entwicklungssache. Was mir „Psychotreibhaus 78“ bedeutet, hört man ganz deutlich raus, weil in diesem Album ist vieles von mir zusammengefasst… Meine Art der Verarbeitung von Dingen, die einem jeden Menschen im Leben widerfahren. Es ist teilweise also sehr autobiografisch, zeigt verschiedene Facetten von Aggression, von Erfahrungs- und Erlebniswelten auf. Es bedeutet mir sehr viel, weil es mein erstes Album ist und darauf zeig ich, glaub ich, am Meisten von mir selbst.

rap.de: Um noch mal an deine Anfangsphase anzuknüpfen: Wie und wann bist du das erste Mal mit Hip-Hop in Berührung gekommen?

Lunafrow: Durch meinen Cousin. Er hat mich an die ganze Hip-Hop-Geschichte herangeführt als ich sieben Jahre alt war, sprich: seitdem ich in Deutschland lebe…

rap.de: Das war 1985.

Lunafrow: Genau. Mein Cousin hat damals gebreakt und war sehr enthusiastisch bei der Sache mit Boogie, Electro-Dance, dem ganzen Sound, den’s damals eben gab in der Blütezeit des Breakdance. Da hab ich das alles schon mitgekriegt. Ich selbst hab erstmal nur Kassetten gehört, die ich als Kind zufällig gefunden hab, z.B. Kenny Rogers, so’n Country-Sänger aus den Staaten (lacht). Und eine meiner Tanten hat die ganze Zeit Bob Marley gehört. Das war so die Musik, zu der ich Zugang hatte, weil es im Grunde das einzige war, das ich zu hören bekam, oder auch Modern Talking! Zu Hip-Hop hatte ich also nur über meinen Cousin Zugang, was aber sehr prägend war. Angefangen von, wie gesagt, Electro-Boogie bis hin zu 2 Live Crew, NWA und so weiter. Das waren die ersten Einflüsse. Alles was mein Cousin gehört hat, habe ich auch gehört. Mittlerweile ist mein Cousin 33. Er wiederum bekam Zugang zu Hip-Hop durch die Medien. Außerdem war er schon als Kind in Afrika Musiker…

rap.de: Mit elf!?

Lunafrow: Ja, er hat immer irgendwelche Instrumente gespielt. Nicht basierend auf irgendwelchen schulischen Erkenntnissen. Der hat einfach drauf los getrommelt und die ganzen Leute im Dorf wussten: „Da kommt er und mit ihm die rhythmischen Klänge!“ Der hat’s halt total im Blut, was Musik betrifft. Und als er in Deutschland war, hat er erstmal seine Identität gesucht und die hat er dann über die Medien im Hip-Hop gefunden. Das war’s, was ihn am meisten berührt hat, was ich dann natürlich auch mitgekriegt hab, zumal ich mich bis dahin nur für Fußball und Sport interessiert hatte.

rap.de: Und was hat dich an Hip-Hop so angefixt?

Lunafrow: Damals hat mich alles angefixt. Ich habe auf der Straße oder in unserer Wohnung, vielleicht als Hinterlassenschaft unseres Vormieters, ne Kenny Rogers-Kassette gefunden, sie gehört und hab die Musik genossen. Wenn besagte Tante Bob Marley gehört hat, hab auch ich die Musik gehört und genossen. Mein Cousin hat Hip-Hop gehört, ich hab’s gehört und hab’s genossen. Ich war also sehr empfänglich für fast alles, vielleicht weil Kinder das generell sind.

rap.de: Welche Künstler, du hast jetzt schon ein paar genannt, haben dich langfristig, sei es aus Rap oder aus anderer Musik, besonders beeinflusst?    

Lunafrow: Auf jeden Fall Bob Marley. Im Laufe der Zeit 2 Live Crew, die mich auf gewisse Art und Weise an Hip-Hop herangeführt haben. NWA, Ice Cube, Eazy E, Dr. Dre, damals in der Formation von NWA… Später dann Black Moon mit ihrem ersten Album „Enta Da Stage“, Musik direkt in die Fresse…

rap.de: „How many MC’s must get dissed!

Lunafrow: „How many MC’s must get dissed“. Das ganze Album! „Enta Da Stage“, das war einfach unfassbar für mich damals. Ich hab das `93 im CD-Laden gesehen, reingehört und war total fasziniert. Ich hör das heute noch! Unfassbar, die ganze Verpackung, Buckshots Art zu flowen, die Aggression. Der hat zwar auch seine Art, Dinge smooth rüberzubringen, aber in den Texten selbst steckt sehr viel Aggression, seine Erfahrungswelt aus Brooklyn. Das hat mich beeinflusst. Auch was später noch alles kam von Boot Camp Click, Smif-N-Wessun, OGC. Dann hat mich Jeru the Damaja bis zu einem gewissen Punkt sehr beeinflusst. Wer hat mich noch geprägt? Pharcyde haben mich auch sehr geflasht, weil die ja auch wieder mit was ganz anderem kamen. Tupac hat mich auch auf eine gewisse Art und Weise beeinflusst.

rap.de: Der frühe oder späte Tupac?

Lunafrow: Tupac? Immer wieder. Zum Beispiel ganz am Anfang mit „Brenda’s got a baby“ oder als er noch in Atlanta gelebt hat, da ist er auch noch ne andere Schiene gefahren. Später fand ich’s nicht mehr so besonders. Aber dann nach seinem Tod hab ich wieder Zugang zu der Musik gefunden, die ich zu seinen Lebzeiten nicht so toll fand, z.B. als er mit Dr. Dre die Gangsta-Rap-Schiene gefahren ist. Aber um das mal zum Ende zu bringen, am meisten beeinflusst hat mich eigentlich Subconscious, weil er für mich der Rapper oder der Songwriter schlechthin ist, mit dem am meisten beeindruckenden Bewusstsein, das fasziniert mich. Was er mit der Sprache anstellt und was er für Bilder manifestiert, was für Dinge er in die Umlaufbahn setzt. Er ist der Rapper, der mich von allen am meisten geprägt und beeinflusst hat, sowohl vor, während und nach meinen psychotischen Zeiten. Ich höre heute noch „Pushin` Orbits“, die Single, die 1999 rausgekommen ist, so als hätte ich sie erst gestern gekauft, das ist, was die Qualität der Musik angeht, höchst wertvoll. Und lyrisch erst! Es gibt keinen, der an den rankommt: Subconscious.

rap.de: Musstest du dir schon häufig den ja recht schmeichelhaften Vergleich mit Group Homes Lil Dap gefallen lassen? Eure Stimmen sind sich ja recht ähnlich teilweise.

Lunafrow: Oh ja, und beeinflusst haben mich Group Home auch, besonders Lil Dap, weil er einfach so ne faszinierende Stimme hat… Und ja, die Stimmen sind sich einfach sehr ähnlich. Meine Stimme muss man aber auch etwas differenzierter betrachten, denke ich, weil sie schließlich auch einen Wandel durchlebt hat und folglich auch meine Art zu rappen. Vor fünf Jahren habe ich noch in einer sehr hohen Stimmlage mit einem bestimmten Ausdruck gerappt, was wahrscheinlich auch meine damalige Lebenssituation widergespiegelte. Ich war damals noch nicht dort angelangt, wo ich heute bin, ohne zu sagen, dass das das Ende der Fahnenstange ist.

rap.de: Die Stimme ist Ausdruck deiner Entwicklung.

Lunafrow: Nein (lacht), das meine ich nicht. Die Stimme bringt ganz einfach bestimmte Dinge zum Ausdruck, die mein Leben zu der Zeit bestimmt haben. Ich hatte vielleicht noch nicht richtig zu mir selbst gefunden und somit auch nicht zu meiner eigenen Stimme, weil die klang ja schon sehr gepresst, auch sehr gezwungen. Zwar hätte ich damals auch schon anders rappen können, doch hatte ich nicht das Bewusstsein dazu, verstehste!? Und das ist, glaub ich, der Unterschied zwischen der Stimme heute und der Stimme damals. Das hört vielleicht nicht jeder raus. Aber ich weiß, dass meine Stimme damals einfach Ausdruck meiner damaligen  Lebenssituation war.


rap.de: Wie hast du 1996 noch vor deinem Umzug nach Frankfurt so schnell Anschluss an die Frankfurter Hip-Hop-Welt gefunden?

Lunafrow: Das war Zufall bzw. Schicksal, dass man den Anschluss gefunden hat. Das hat sich einfach ergeben. Meine Brücke zur Frankfurter Hip-Hop-Welt war D-Flame, dem ich damals an Weihnachten in der Bude eines Freundes zum ersten Mal begegnet bin. Man hat sich unterhalten und einander ähnelnde Welten feststellen können, weshalb man zueinander gefunden hat bzw. es zu Kooperationen kam und damit die Brücke geschlagen wurde zur Frankfurter Hip-Hop-Welt.  

rap.de: Vor kurzem erschien das Debüt-Album von Warheit, der du auch lange angehört hast. In der Backspin sagte Azad neulich auf die Frage, wie sich die Gruppe Warheit im Laufe der Jahre umstrukturiert hat, dass du nicht mehr dabei wärst, weil du dich dort nicht wohl gefühlt hättest. Der kommerzielle Erfolg des Albums stand in Anbetracht von Azads Etablierung im Geschäft unter keinem schlechten Stern. Bereust du es da, die Gruppe verlassen zu haben?

Lunafrow: Ich habe die Gruppe verlassen aufgrund einer Stimmung, die ich hatte, aufgrund des Gefühls, dort nicht reinzupassen. Diese Entscheidung fiel nicht rational, sondern rein emotional. Pragmatisch gesehen, wär’s intelligenter gewesen, dort zu bleiben, was später für mich auch noch mal zur Diskussion stand. Aber im Nachhinein bereu ich’s nicht, weil es einfach nicht das Gefilde war, wo ich mich hätte ausleben können. Ich habe für mich etwas anderes gesehen, einen anderen Weg, nicht diesen.

rap.de: Deine Texte zeichnen sich durch eine besondere Themenvielfalt aus. Dazu gehören neben den tiefsinnigeren Tracks aber auch immer wieder Battle-Raps. Besonders deutlich wird dieser Kontrast meiner Meinung nach auf dem 2005 mit DJ Brisk Fingaz aufgenommenen Street-Tape, auf dem die erste Hälfte sehr Battle-lastig ist, die zweite tiefgründiger ausfällt. Ein Battle zwischen Battle-Rap und conscious Rap?

Lunafrow: Gar nicht. Das ist einfach ein Battle zwischen den verschiedenen Stimmungen, denen ein jeder Mensch ausgesetzt ist. Das Street-Tape ist sehr unkonventionell entstanden und besteht aus  reinen Momentaufnahmen von Stimmungen oder Gefühlen zu bestimmten Thematiken. Außerdem ist es ein sehr ehrliches, offenes Ding an sich. Natürlich hätte man das konzeptionell alles noch besser machen können, besonders was die Produktion betrifft.

rap.de: Was bedeutet Battle-Rap für dich?

Lunafrow: Ich hab das für mich nicht definiert. Ich hab ne Assoziation dazu. Wenn ich den Begriff „Battle-Rap“ höre, dann denk ich an Aggression, an Beef, an Ausdruckmöglichkeiten von Unstimmigkeiten in sich oder in Wechselwirkung mit anderen Leuten, daran, einen Kampf verbal auszutragen. Aber ich will mich jetzt nicht festnageln lassen auf diese Definition, weil man kann das auch anders sehen.

rap.de: Was macht für dich einen guten Rap aus?

Lunafrow: Ooh! Das hab ich auch nicht definiert.

rap.de: Gefühlsmäßig.

Lunafrow: Ja, das ist genau der Konflikt… Also ein guter Rap ist für mich, wenn er auf mich wirkt, ich ihn fühle und gut finde. Diese Stimmung kann ich nicht definieren, verstehste, weil es gibt so viele verschiedene Raps, die ich gut finde, die aber in völlig verschiedene Richtungen gehen. Da würde ich fehlschlagen mit irgendeiner bestimmten Definition. Man kann natürlich Beispiele nennen, wie Nas’ erstes Album „Illmatic“, ein unfassbarer Meilenstein, den er da gesetzt hat, besonders mit Liedern, wie „Life’s a Bitch“ mit AZ. Oder das erste Album von AZDoe or Die”, das sind unfassbare Sachen. Dann gibt’s natürlich viele andere Sachen, wie gesagt.

rap.de: Wie wichtig sind dir politische Themen in Rap?

Lunafrow: Politisch bedeutet für mich nicht immer gleich, dass man Politiker oder soziale Umstände kritisiert. Im Endeffekt ist Rap immer Politik, es ist alles Politik, was man zum Ausdruck bringt, und es ist halt nur die Frage, ab wann es dann als politisch erachtet wird. Generell ist es wichtig, in seinen Raps Stellung zu beziehen zu bestimmten Dingen, sonst ist es halt einfach nur… Ich weiß nicht, es fällt mir schwer, ein Beispiel zu nennen, das keine Politik beinhaltet. Aber wenn du zum Beispiel Public Enemy nimmst, die mich auch sehr geprägt haben (schmunzelt), so war diese Art der Politik damals für mich wahrscheinlich auch wichtiger als sie heute ist. Das Problem ist auch, dass Politik heutzutage ganz anders geführt wird, also auch gerade in der „offiziellen Politik“. Man führt mehr eine Politik der Deeskalation als ne Politik der Polarisierung, was bei näherer Betrachtung mit Sicherheit auch nicht mehr stimmt. Und ich glaube, das spiegelt sich auch `n bisschen im Rap wieder. Wenn man sieht, was in letzter Zeit an Politik passiert ist im Hip-Hop, an Battle-Rap, an Gangster-Images und dies und das… Dann ist Politik verdammt notwendig, nämlich die Politik der Deeskalation, abweichend vom Ganster-Rap natürlich. Um einmal mehr auf Subconscious zurückzukommen: der macht immer Politik mit seinen Texten, aber mehr im lyrischen, im poetischen Sinne.

rap.de: Was gefällt dir so an Subconscious?

Lunafrow: Seine unkonventionelle Art zu rappen. Und in Bezug auf Politik, dass er die Dinge nicht so engstirnig sieht, er betrachtet die Dinge nicht mikrokosmisch, sondern mehr makrokosmisch. Er würde jetzt zum Beispiel nicht einfach nur sagen: „Fuck George Bush!“ Er würde vielleicht etwas sagen, wie: „The world is trapped in the clutches of evil simulation / George Bush’s, Condoleezza’s and Sarkozy’s presentation“. Verstehste, er würde so was ganz anders zum Ausdruck bringen und würde dem Zuhörer viel mehr Raum für Interpretation lassen. Er ist nicht so plakativ, was ja auch so’n Trend ist, sondern er würde das viel differenzierter in nur einem Satz zum Ausdruck bringen. Dieser Typ ist reine Poesie, Lyrik, und die ist halt nicht definiert.

 

rap.de: Wie bereits angedeutet, nahm deine Rap-Karriere einen eindrucksvollen Anfang. Nach Features bei Azad & Co folgten bald deine erste Single und Gastauftritte bei z.B. und sogar Kool SavasXavier Naidoo. Wodurch wurde dieser so positiv anmutende Lauf der Dinge unterbrochen?

Lunafrow: Nun, ich habe mich halt in einem Kreis befunden, der kommerziell erfolgreich war. Unterbrochen wurde dieser Lauf der Dinge vielleicht durch meine eigene Unzulänglichkeit oder mangelnde Bissigkeit in diesem Geschäft voranzukommen, aber auch durch Lebensumstände. Auch durch fehlenden Support, fehlende Struktur. Da gab’s mit Sicherheit viele Gründe. Ich mein, ich bin da ja kein Einzelbeispiel. Wie viele Leute haben da noch viel intensiver und hoffnungsvoller angefangen und es zu „nichts“ gebracht, verstehste!? Die haben wahrscheinlich mit ähnlichen Dingen zu kämpfen.

rap.de: Du hast die psychotischen Phasen schon erwähnt. In „Psychose“ deutest du an, dass viele „gesunde“ Menschen auf deine psychische Erkrankung mit Distanz reagierten oder sich darüber lustig machten: „Denn da draußen warten Fetischisten…“

Lunafrow: „…die dich betrachten als Gedissten“.

rap.de: Danke. Umso mutiger, darüber einen Song zu machen, erst recht für die deutsche Rap-Szene, die, oberflächlich betrachtet, zurzeit ja propagiert, man dürfe nicht das geringste Anzeichen von Verwundbarkeit zeigen, was ja Quatsch ist, schließlich ist jeder Mensch verwundbar. Und das hast du schon 2000 in einem ganzen Song dargelegt.

Lunafrow: Da habe ich gar nicht drüber nachgedacht. Ich habe einfach gehandelt, zumal ich mich sowieso immer in meinen Raps widergespiegelt hab, ohne mir jedes Mal Gedanken darüber zu machen, dass das alles im Rahmen einer Präsentation für die Öffentlichkeit sein muss. Das hab ich so nicht gesehen, ganz einfach. Ich hätte es sehen können, natürlich, aber ich hab’s halt für nichtig erachtet und einfach gemacht und Emotionen zum Ausdruck gebracht, eben weil das meine Interpretation von Rap ist.

rap.de: In deiner Vita ist auch zu lesen, dass dir in der schwierigen Zeit der Psychosen klar geworden sei, wie wenig integriert du in die Gesellschaft gewesen bist. Wodurch wurde das deutlich und worauf führst du das zurück?

Lunafrow: Ich glaube, einem jeden Menschen, der Psychotisches durchlebt, fällt erst mal auf, dass er nicht wirklich integriert ist. Ich glaub, dass ist so ein Merkmal, so würde ich das interpretieren, von Leuten, die halt an den Rand einer Gesellschaft geraten. Das resultiert ja aus nicht Integriert-sein. Worauf ich das nicht Integriert-sein bei mir zurückführe, ist, dass man als Schwarzer in Deutschland noch mal ne Minderheit unter den Minderheiten darstellt und man oft nur schwer Anschluss findet, erst recht zu anderen Minderheiten. Weil die sich ja auch wieder von anderen Minderheiten absondern und in ihrer eigenen Kommune bleiben. Man ist halt irgendwo. Und dass ich persönlich nicht so integriert war oder an den Rande der Gesellschaft gedrückt wurde, rührt vielleicht auch daher, dass ich nie lange in festen Strukturen geblieben bin, sei es durch Umzüge, aber auch durch eine Eigenart.

rap.de: Vor kurzem lief der erfolgreiche Kinofilm „Der letzte König von Schottland“, in dem Forest Whitaker den ugandischen Tyrannen Idi Amin spielt. Hast du den Film gesehen?

Lunafrow: Ja.

rap.de: Was hältst du von dem Film?

Lunafrow: Der Film ist ein Statement und auch Entertainment. Aber viel interessanter finde ich, dass man das Thema noch einmal aufgegriffen hat. Der Film handelt von einem Ereignis in der Weltpolitik, das global in den letzten Jahren nicht mehr angesprochen wurde, das heißt es gibt wenig fundierte Quellen über diesen Teil der Geschichte. Das macht es schwer, den Film einzuordnen. Es ist schließlich nicht so wie bei Hitler, über den man einen Film macht, und viele was dazu sagen können bzw. ordentlich Kritik an dem Film üben können. Hier macht man einen Film über Idi Amin und die Leute haben den Namen vorher noch nie aufm Schirm gehabt, schon gar nicht die jüngere Generationen. Trotzdem reden sie darüber, dabei können sie das eigentlich gar nicht, weil sie nicht genug darüber wissen, genauso wenig wie ich, weil diese Geschichte halt kaum aufgearbeitet wurde und auch kaum auftaucht, wenn es um „Geschichte“ geht. Dabei ist das ein Extrembeispiel für das, was sich in der Weltpolitik abspielt… Lange Rede ohne Sinn,  ich kann den Film wirklich schwer einordnen.

rap.de: Hat Idi Amin in deiner Geschichte noch eine Rolle gespielt?

Lunafrow: Natürlich! Idi Amin ist meine Geschichte. Auch wenn es keinen Idi Amin und keinen Bürgerkrieg gegeben hätte, wäre ich vielleicht trotzdem hier, weil anstelle Idi Amins vielleicht jemand anders gewesen wäre. Aber es war nun mal er und deswegen bin ich hier gelandet und deswegen ist es auch meine Geschichte.

rap.de: Aber Idi Amin wurde ja 1979 gestürzt…

Lunafrow: Genau.

rap.de: …und geflohen aus Uganda bist du 1985.

Lunafrow: Genau, der Bürgerkrieg ging ja weiter bis Anfang der 90er.

rap.de: Aber Idi Amin war doch dann zu deiner Zeit eigentlich gar nicht mehr präsent.

Lunafrow: Aber seine Milizen und die Folgererscheinungen seiner Präsenz. Wie gesagt, an seiner Stelle hätte auch ein anderer sein können. Es geht hier nur um die Geschichte, welche sich ja ständig, besonders in afrikanischen Bürgerkriegen, immer wiederholt.

rap.de: Was für einen Bezug hast du heute zu Uganda?

Lunafrow: Der Bezug, den ich zu Uganda hab, ist Herkunft und Heimat – immer noch.

rap.de: Um wieder die Brücke zum Rap zu schlagen: Aus fast allen afrikanischen Ländern melden sich mittlerweile Rapper zu Wort. Kriegst du mit, was Hip-Hop-mäßig in Uganda abgeht?

Lunafrow: Als ich zu Besuch dort war, hab ich was mitgekriegt, aber man hat dort nicht diese Definition von Hip-Hop. Man wird auch einfach durch durch die Medien beeinflusst. Im Fernsehen laufen auch schon den ganzen Tag Puffy, Jay-Z und so weiter. Aber deren eigener Hip-Hop geht häufig so in die Ragga-Richtung. Aber viel mehr weiß ich auch nicht darüber.

rap.de: Hättest du Interesse daran, eines Tages mit Rappern aus Uganda zusammenzuarbeiten? Ich meine, du kannst ja wahrscheinlich auch noch Suaheli!?

Lunafrow: Nee, Suaheli konnt ich nie, nur Luganda. Das ist eine der Hauptsprachen neben Suaheli und der Amtssprache Englisch. Aber Suaheli und Luganda sind die meistverbreiteten afrikanischen Sprachen in dem Land. Interesse? Mit Sicherheit. Aber natürlich müssten mir die Beats gefallen und die Rapper. Da bin ich ganz deutsch.


rap.de: Eine zeitlang hast du dich auch als Student versucht…

Lunafrow: (Lacht) Anders kann man das nicht sagen!

rap.de: (Lacht) …in „Träume“ zum Beispiel hört man dich rappen: „Bin Uni-mäßig eingeschrieben, doch ich kann`s nich leben“. Wieso war das Studentenleben nichts für dich?

Lunafrow: Natürlich wäre auch das Studentenleben was für mich gewesen, nur hatte ich wahrscheinlich nicht die richtige Einstellung dazu und die richtigen Ziele vor Augen. Ich konnte auch nicht den richtigen Fleiß an den Tag legen. Das ist wahrscheinlich so die einzige ehrliche Antwort.

rap.de: In „Träume“ scheinst du dir ja sowieso wirklich was von der Seele geredet zu haben, kann das sein?

Lunafrow: Ja, den Track bereue ich auch etwas, weil der einfach zu persönlich ausgefallen ist. Mittlerweile bin ich der Meinung, dass man nicht immer alles von sich preisgeben muss. Alles gebe ich mit Sicherheit nicht preis, aber man muss sich auch nicht unbedingt entkleiden.

rap.de: Einen wesentlichen Wendepunkt zum Positiven in deinem Leben markiert 2005 offenbar die Geburt deines Sohnes, der ja auch immer wieder in deinen Texten auftaucht…

Lunafrow: Ja, definitiv, aber den Wendepunkt muss ich mir selber noch beweisen. Ich bin noch dabei, mich zu wenden und ihm gerecht zu werden.

rap.de: Um auf dein Album zu sprechen zu kommen: Was bedeutet der Titel „Psychotreibhaus 78“?

Lunafrow: „Psychotreibhaus 78“, auf den Titel bin ich durch eine Freundin gekommen, die sich einmal in einem solchen Psychotreibhaus befand. Dort gibt es Therapiemaßnahmen für psychisch erkrankte bzw. labile Menschen. Das ist ein Kurort, an dem die einzelnen Häuser als Psychotreibhäuser betrachtet werden. Dieser Begriff ist mir im Gedächtnis geblieben, weil ich viel mit ihm assoziierte, zum Beispiel meine Herkunft. Der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, war halt einfach „psycho“ in Anbetracht dessen, was dort vor sich ging. Ein Treibhaus menschlicher Attribute. Daher halt die Zusammensetzung aus „Psycho“ und „Treibhaus“, Psychotreibhaus. Die Zahl 78, weil ich im Jahre 1978 geboren bin. Außerdem beschreibt „Psychotreibhaus 78“ natürlich auch mein Leben bzw. meinen „Kasten“, in dem ich mich befinde, also mein Bewusstsein, vom Anfang bis heute. Das ist ja ein Treibhaus in sich, man entwickelt sich in eine bestimmte Richtung, man treibt wo hin.

rap.de: Was erwartet die Hörer bei „Psychotreibhaus 78“ thematisch?

Lunafrow: Bei „Psychotreibhaus 78“ erwartet die Leute, wie gesagt, sehr viel Autobiografisches, sehr viele Momentaufnahmen, verschiedene Facetten von Hip-Hop. Ich beschreibe mich selbst und drücke mich durch dieses Medium aus.

rap.de: Und was wird musikalisch geboten?

Lunafrow: Musikalisch, das ist schwierig, weil ich würde mir nicht anmaßen, mich als Musiker zu bezeichnen. Verschiedene Produzenten haben mit verschiedenen Herangehensweisen an dem Album gearbeitet. Verschiedene Rapper werden geboten und damit auch verschiedene Stile und Ausdrucksformen. Lyrik und Prosa in Rap und Gesang. Beat-technisch gibt’s viel kreativen Hip-Hop. Es gibt aber auch schwerer Einzuordnendes, also Genre-überschreitendes, besonders in einem Song.

rap.de: Was mir auffiel beim ersten Durchhören deines Albums, war der Track „Mein Leben“, wo du auf einem Dreiviertel-Takt rappst, was sehr ungewöhnlich ist für Rap. Manchem Rapper ist es schier unmöglich, darauf zu rappen. Wie hat sich das ergeben und wie schwierig war es für dich auf den Beat zu rappen?

Lunafrow: Dieser Beat wurde von Geis von den 34ers produziert. Der Beat ist mittlerweile schon vier Jahre alt, der Track selbst dreieinhalb. Der Beat lag lange bei seiner Crew rum, aber keiner hat sich seiner angenommen. Irgendwann hab ich dann mal den Beat gehört und er hat mir sofort gefallen, hat auf mich eingewirkt, mich gepackt, also hab ich einfach drauflos  geschrieben.

rap.de: Du warst also gar nicht mit dem Problem, das mancher da haben könnte, konfrontiert.

Lunafrow: Nee, ich hab einfach versucht, den Flow herauszufinden, hab ihn gefunden und so ist der Track entstanden, es hat gepasst. Pal One war damals noch ein engerer Weggefährte von mir als heute… Er hat dann die Hook gemacht. Er hat sich sehr gut auf dem Beat eingefunden, hat die Hook super rund gemacht, einfach pervers und somit stimmt der Song in sich.

rap.de: Dein Album, wie dein Rap allgemein, fällt sehr persönlich aus. Hat das Rappen auch eine therapeutische Wirkung für dich?

Lunafrow: Ja, hat es immer gehabt! Weil ich Hip-Hop immer als Ventil genutzt hab, um mir überhaupt Luft zu verschaffen von den Dingen, die mich einengen, bedrücken, oder auch um mal zu fluchen, wenn es sein muss und Gefühle mitzuteilen, weil ich das im Zwischenmenschlichen oft nicht schaffe.

rap.de: Mal angenommen, du hättest jetzt auf diesem Album einen Großteil persönlicher Themen verarbeitet, was käme dann?

Lunafrow: Das geht immer weiter. Man bleibt ja nie stehen, und es entwickeln sich immer wieder neue Probleme…

rap.de: Alte Probleme werden gelöst, neue entstehen.

Lunafrow: Ja, das heißt alte Probleme werden teilweise auch nicht gelöst. Die Therapie geht weiter, auf alle Fälle. Es werden weiter persönliche Sachen passieren. Auch musikalisch wird noch eine Entwicklung stattfinden. Dieses erste Album musste gemacht werden, um ein gewisses Kapitel zu ende zu bringen. Aber Persönliches wird’s weiterhin geben. Es wird halt anders verpackt werden, musikalisch wird sich noch vieles tun. Und die Agenda ist ganz einfach, etwas Neues zu machen, was vielleicht auch etwas anmaßend ist, von sich zu behaupten, aber das ist meine Agenda.

rap.de: Das nächste Projekt, das schon kurz nach deinem Album im Spätherbst veröffentlicht werden soll, ist „The Monks of the Unbroken Flower“. Vielleicht kannst du dazu noch ein paar Worte verlieren.

Lunafrow: Das ist ein Projekt, das Roey Marquis ins Leben gerufen hat und das aus Profan, einer meiner Lieblingsrapper, der mich auch geprägt hat und einer meiner engsten Freunde ist, Absztrakkt, Roey eben und mir besteht. Das Ding ist dabei einfach, dass verschiedene Leben bzw. verschiedene Charaktere in einem Projekt zueinander gefunden haben und wir all unsere Stile darin zusammenpacken. Mit Profan würde ich zukünftig gerne noch viel mehr machen wollen, wenn es sich ergibt. Manchmal ist das eben ein bisschen schwierig. Aber es kommen noch weitere Projekte, die vielleicht noch nicht spruchreif sind

rap.de: Das hört sich gut an. Danke für das Interview!

Lunafrow: Ich danke dir!