Früher hat ein Rapper gerappt und man glaubte ihm jedes Wort. Ironie war in Deutschlands Rapszene zeitweilig ein Fremdwort. Dann kam Kool Savas und alles wurde ein wenig anders. Etwas später kam Sido mit seinem Block und seinem Album und alles veränderte sich noch mehr. Doch gerade für Rapfans gehören Veränderungen ja dazu. Just als sich die deutschen Rap Hörer und die schreibende Zunft nun an Sidos Zweideutigkeit gewöhnt haben, die der seit dem letzten Album auch nicht mehr ganz so radikal vertritt und man vor allem -Dank einer immer größer werdenden Schaar von Gangsterrappen, wieder vermehrt Rap zu hören bekommt, bei dem es nichts falsch zu verstehen gibt, kommen Morlockk Dilemma und V-Mann, bringen ein Album auf den Markt und wieder ist der ein oder andere ziemlich verwirrt. Kranke Geschichten, Drogenexzesse, Gewalt gegen Alles, was sich Rap-Konkurrenz oder Mitmensch nennt. Sind der charismatische Berliner und der Punchlinekönig aus Leipzig am Ende Imagerapper, Satiriker oder doch nur zwei gescheiterte Existenzen? Sieht Sex, Drugs and Rock’n Roll 2007 so aus? Und wenn Rap nicht nett ist, wie sieht es dann mit den zwei Rappern aus, die das postulieren?
„Wir haben in Interviews schon jede Menge komische Fragen bekommen,“ erklärt Dilemma im lockeren Gespräch in den Heilbronner Wortsportstudios nach ihrem Gig bei der KuckHearTour. Ein heiserer V-Mann nickt dazu heftig. "Er wolle seine Stimme schonen" flüsterte mir der Berliner MC noch vor dem Interview zu, Dilemma solle mal bisschen mehr erzählen. Doch dazu wird es nicht wirklich kommen. Ob zweideutig oder nicht, Rap ist und bleibt nur eines der Sprachrohre der beiden MCs (und Produzenten). V-Mann und Dilemma haben auch außerhalb der Booth etwas zu sagen (So klischeehaft das klingen mag).Da gibt es keine Zurückhaltung. Wer zwei pöbelnde Harz 4-Rapper erwartet hat, sieht sich getäuscht. Die beiden MCs geben sich umgänglich, smart und höchstens was Sprüche angeht mit einem Hang zu Dramatik.
Im Gespräch ist und bleibt vor allem ein Thema für den MC vom Berg zentral: Die Veränderung seines Viertels durch Kommerz, Hippies und Schwaben. Ironisch erzählt er vom großen Biomarkt, der von jungen Müttern mit Kinderwagen bevölkerten ist und durch den man sich samstags mühevoll den Weg bahnen muss. Wer sein mittlerweile fast schon legendäres Album „Fragmente“ jemals gehört hat, wird wissen, wovon die Rede ist.
Wer nun aber vermutet, dass Dilemma und V-Mann auf ihrem Album Anti-System-Rap betrieben, liegt weit neben der Spur. „Das Album heißt nicht umsonst Hang zur Dramatik, darüber sollten sich die Leute schon Gedanken machen“ antwortet Dilemma auf die Frage, nach dem Sinn des Albumtitels und dem Inhalt. So läuft Beispielsweise in der Beziehung der beiden MCS, egal ob zu Groupies oder zur Freundin, so einiges anders, als man das sonst aus Raptracks gewöhnt ist. Groupies als Fluch und die Freundin als albtraumhaftes Frauenbild jeder Alice Schwarzer dieser Welt. Wer Ironie und Sarkasmus nicht versteht, sollte das Album unbeachtet lassen. Doch es wäre schlicht falsch, zu glauben, dass mit all den kranken Geschichten und Battlephrasen nur das Ziel verfolgt werde, lediglich zu entertainen. "Natürlich ist ein Lied wie "Für die Kids" ironisch" erklärt Dilemma. Warum das kaum jemand versteht? "Ironie ist eben ein dürres Pflänzchen in Germania."
Aber nicht nur ein gewisser Hang zur Dramatik in ihren Texten verbinden die beiden Ostler. Auch der Rapstil, irgendwo zwischen Ill Bill und Ghostface verwirrt den ein oder anderen an Rap interessierten Zeitgenossen. Wer ist wer und was hat er gesagt? In der Tat erfordern die Stakkato-Flows der beiden MCs ein konzentriertes Zuhören. Doch dafür wird man belohnt.
Zwischen gnadenlos unterhaltsamen Punchlines, überaus hinterhältigen Geschichten und Ironie und Sarkasmus im Überfluss, steckt mehr dahinter als hinter so mancher offensichtlichen System- oder Rapkritischen Aussage der Konkurrenz. Zwar nimmt Dilemma für sich in Anspruch, alle Texte des Albums geschrieben zu haben, was V-Mann mit dem Hinweis auf schlaffe Drums des Kollegen, die er neu programmieren musste, aber durchaus zu kontern versteht. Doch wer auch immer was geschrieben und wer auch immer die Beats gepimpt haben mag: Das Album klingt wie aus einem Guss und ist kompromisslos eigenständig.
Diese Eigenständigkeit wurde bei V-Mann schon auf dem legendären „Fragmente" Album (über 10000 Downloads) deutlich und auch bei Dilemmas umjubelten „Index Finest“ (u.a. Juice Demo des Monats) wurde ein Teil dieser Handschrift deutlich. Über ihre Zusammenarbeit sagt V-Mann trocken „das Gute war, dass ich so weniger schreiben musste, da reichte ein 16“ und Dilemma schweigt und grinst. Eigentlich wäre ein Konter zu erwarten gewesen, aber diesmal nicht. Sollen sich doch Historiker und Theologen mit ihrer Kolaboration beschäftigen.