Chaoze One

Chaoze One ist der MC der „Conscious-Rap auf ein neues Level hebt.“ Einigen dürfte der 26-Jährige noch als der linksradikale Rapper aus Mannheim bekannt sein, dessen Alben über ein Punk-Label erscheinen. Nun legt Chaoze One sein drittes Album „fame“ (ital. für Hunger) vor, auf dem er zwar politisch gemäßigt, doch immer noch konstruktiv motzend und technisch dabei sehr abwechslungsreich daher kommt. Wir hatten die Möglichkeit uns ein wenig länger mit ihm über Conscious-Rap, das Deutsch-Sein, über Gewalt und Revolution und die immer währende Kluft zwischen Ideal und Realität zu unterhalten. Für dieses Interview sollte der Leser also ein wenig Zeit mitbringen.

rap.de: Zu Beginn erst einmal ein paar Fragen, damit ich dich ein wenig besser einschätzen kann. Genießt du dein Leben?

Chaoze One: Oh ja.

rap.de: Und wie sieht der Genuss aus?

Chaoze One: Viel durch die Gegend fahren und Musik machen. Viele Gespräche mit vielen Menschen führen. Dann noch nette Abende mit guten Freunden. Ich höre auch sehr viel Musik, egal wo. Baden und Kaffee trinken. Also zu 80% genieße ich mein Leben.

rap.de: Gibt es irgendwelche Schwächen, die du dir erlaubst?

Chaoze One: (überlegt lange) Hm, also ganz unabhängig von dem MC-Ding, erlaube ich mir in der Öffentlichkeit Emotionen zu zeigen. Und ich denke mehr als andere, was mich ziemlich angreifbar macht. Ich kann die Unsicherheit, die manchmal in mir herrscht, schlecht überspielen. Ich wickel mich nicht in einen Panzer und gebe dann den Coolen. Aber diese Unsicherheit erlaube ich mir, weils sie mich ein Stück weit menschlicher macht.

rap.de: Bist du eher Pesimist oder Optimist?

Chaoze One: Das frag ich mich auch immer mal wieder. Ich glaube aber, dass ich Realist bin, obwohl mir die Menschen manchmal unrealistischen Optimismus oder unrealistischen Pessimismus unterstellen. Ich weiß es selber nicht so genau. Kommt wahrscheinlich auch auf den Tag drauf an. (lacht)

rap.de: Ok, soweit erst einmal. Fangen wir richtig an. Was glaubst du, wie kriegst du als Conscious-Rapper deine Hörer dazu den Arsch hochzukriegen und für ihre Sachen einzustehen und zu kämpfen?

Chaoze One: Also ich versuche als Person und als Rapper vorzuleben, was ich sage. Also wie man trotz all der Scheiße ein positives Leben führen kann, und dabei aber nicht unbewusst vor sich hin zu dümpeln. Also man kann sein Hirn benutzen und trotzdem jede Menge Spaß haben. Das geht nämlich tatsächlich. (lacht) Ich lebe das lieber vor, denn ich habe wirklich keinen Bock mich mit dem Zeigefinger hinzustellen, obwohl mir das recht häufig vorgeworfen wird. Also wenn ich sage, dass ich kein Fleisch esse, dann esse ich halt keins, und niemand der welches isst, ist ein schlechterer Mensch vor dem ich gleich weglaufe oder dem ich die Freundschaft aufkündige. Ich hoffe einfach, dass dadurch, dass ich so bin wie ich bin, die Leute im Kontakt mit mir einen anderen Blickwinkel auf ihr eigenes Leben kriegen und sich zum Beispiel ein Scheibchen Solidarität abschneiden, weil sie merken, dass es ihnen danach nicht unbedingt selbst schlechter gehen muss.

rap.de: Wie löst du diesen Konflikt auf zwischen den Gutmenschen vorleben wollen, aber trotzdem nicht mit dem Zeigefinger wedeln. Denn das liegt doch wirklich schon sehr dicht bei einander und Kritiker können dich ganz schnell mal darauf reduzieren.

Chaoze One: Im Grunde ist es wie mit konstruktiver Kritik. Du kannst dich beleidigt und herabgesetzt fühlen, oder du kannst zumindest darüber nachdenken. Vielleicht kann ich den Konflikt gar nicht auflösen und es werden sich immer welche auf den Schlips getreten fühlen, aber ich gebe mein Bestes.

rap.de: Und im Rückblick betrachtet? Funktioniert das System? Nehmen sich Leute an deinem Leben ein Vorbild?

Chaoze One: Ja, ich sehe schon auch konkrete Ergebnisse. Teils habe ich bei 14- oder 15-jährigen Hörern das Gefühl, das ich die an gewissen Punkten erreiche. Die feiern die Platten ab, geben mir Feedback und ich merke definitv, dass ich die beeinflusse. Und das wird ja jeder selber wissen, wie ihn die Musik in dem Alter beeinflusst hat. Und dann sehe ich es auch ganz konkret an einigen Rappern. Die haben das Netzwerk HipHop-Partisan.de besucht, das ich auch mitbegründet habe und das leider den Bach runter gegangen ist. Und die haben vorher auch homophob und sexistisch gerappt und sind da in einen Denkprozess geraten und haben das danach weggelassen. Und das ist für mich schon ein Erfolg.

rap.de: Wirst du auch weiterhin der Meckerer und Motzerer bleiben? Viele resignieren ja auch daran, dass an ihnen und dem System, in dem sie sich eingelebt haben, ständig herum gemeckert wird. Auf „Was Positives“ auf deinem neuen Album machst du ja zum ersten Mal einen Schritt in die lobend motivierende Richtung. Wie wirst du deine Texte in Zukunft angehen?

Chaoze One: Wohl auf beide Arten und Weisen. Ich werde weiterhin motzen, aber das eben konstruktiver. Ich werde versuchen nicht alles einfach immer nur Scheiße zu finden, weil zuviel Negativität einen tatsächlich einfach nur runterzieht und im Endeffekt nichts bewirkt. Daraus ist auch der Track entstanden. Ich wollte zeigen, dass es auch viele Dinge gibt, die ich wirklich gut finde. Bei der ganzen Sexismusdebatte geht oft unter, dass ich Sex wirklich gerne praktiziere und schönen Frauen auch gerne hinterher gucke. Und generell schaue ich gerne schöne Menschen an. Das ist völlig natürlich.

rap.de: Es ist zwar die Standardfrage an HipHopper, aber bei dir scheint sie mir besonders interessant zu sein: Wie bist du zum Rap gekommen?

Chaoze One: Also ich habe früher viel Reggae- und Punkmusik gehört und gemacht. Ich war vor 13 Jahren Gitarrist in einer Punkband und habe schon immer alles gehört, was politisch war und habe dabei keine Musikrichtung ausgelassen. Daher waren auch KrsOne und Anarchist Academy immer in meinem Dunstkreis. Das war für mich eigentlich der Ur-HipHop. Solche Bands wie Fanta 4 habe ich überhaupt nicht unter dem Thema wahrgenommen. Und dann gab es da Gentleman, der mir die Brücke gebaut hat von Jack Radics oder den Skatelites zu Freundeskreis. Und dann war der Schritt nicht mehr so weit zu mehr Rap. Anfangs war es jedoch zum größten Teil die Musik, die mich angesprochen hat. Der Rest kam dann stetig in den letzten zehn Jahren.

rap.de: Und dann hast du auch angefangen zu texten?

Chaoze One: Naja, sehr langsam. Bis ich gewusst habe, was Doppelreime sind hat es schon ziemlich lange gedauert. Ich habe mich damit wenig auseinandergesetzt und auch wenig in der Szene bewegt. Die Szene fokussierte sich zu der Zeit sehr auf die technischen Aspekte des Rap und auf Leute wie Kool Savas. Also es gab vier Rapper in meinem Kaff und drei wollten sein wie Kool Savas und haben auch tatsächlich so gerappt. Und wenn es dann eine Jam gab, wurde da wirklich jedesmal von genau diesen Dreien der gleiche Film gefahren. Das war dann immer diese Battle-Geschichte und da fehlte mir einfach der Reiz. Somit hatte ich mit der HipHop-Szene eigentlich nichts zu tun.

rap.de: Und wie wichtig ist dir die Technik heute? Dein Flow hat sich in den letzten Jahren ja stark zum Positiven entwickelt.

Chaoze One: (lacht) Ja, das kann man so sagen. Früher war ich stark auf Inhalt, Charakter und Atmosphäre des Tracks als Ganzes fokussiert. Inzwischen habe ich aber erkannt, dass es wichtig ist, auch mit Flow und Technik zu beeindrucken, weil ich einfach auch selber beeindruckt bin von MC’s, die wirklich gut sind. Es bringt einfach mehr Spaß Leute zu hören, die nicht nach 08/15 klingen. Man kann ruhig auf allen Ebenen 100% geben. Deshalb habe ich auch stark daran gefeilt in den letzten Jahren. Und ich hoffe, das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.


rap.de: Wie funktioniert eigentlich deine Samplewahl. Nach den etwas düsteren Scheiben „Rapression“ und „Koppstoff“ hat mich auf der neuen Scheibe vor allem das Al Green-Sample überrascht.

Chaoze One: Hm, also das Al Green-Sample habe ich bei einem Kumpel gehört und musste das einfach haben. Und generell habe ich, das kennt bestimmt jeder Produzent, ein Sampleohr. Und dann muss man gucken, ob man darauf rappen kann. Der Rapstil beeinflusst also auch die Wahl des Samples, womit kommst du klar, und womit nicht. Und wenn du mit deinem Rapstil weiter bist, dann erweitert sich auch dein Samplehorizont. Und so sammeln sich über Jahre Loops und Notizen auf meinen Rechner, die da teilweise auch wirklich jahrelang drin schlummern bis ich sie benutze. Das Sample für den rap.de-Exclusiv-Song zum Beispiel hab ich schon seit vier Jahren und hab da auch immer mal was drauf geschrieben, aber dann immer wieder verworfen. Und jetzt war ich erst wirklich zufrieden mit dem Ergebnis.

rap.de: Was hat dir HipHop und Rap am Anfang genau gegeben?

Chaoze One: Sehr viel. Also wenn ich vorhin gesagt habe, das ich es mir erlaube Schwäche zu zeigen, dann gehören HipHop und gerade Rap sicherlich zu den Dingen, die mir dahingehend die nötige Kraft gebracht haben und auch das nötige Selbstbewusstsein. Durch Rap habe ich die Begabung ausarbeiten können zu beobachten, also in der Bahn zu sitzen und Welt und Menschen zu beobachten und das dann hinterher auch noch zu Papier zu bringen. Das hat mir wirklich erst Rap gegeben. Da hat auch mein Deutschlehrer nicht viel zu beigetragen mit dem Aufsatzschreiben und so. Das waren vorrangig die Raptexte. Außerdem habe ich viel von den Freundschaften auf den Jams gezehrt. Ich habe wirklich viel gelernt.

rap.de: Und heute? Die Szene hat sich in den letzten Jahren ja stark verändert.

Chaoze One: Also Rap hat sich in den letzten Jahren auf jeden Fall wahnsinnig verändert. Rap bedeutet den Menschen heute nicht mehr das Gleiche wie noch vor einigen Jahren. Nicht zuletzt auch aufgrund der Kommerzialisierung, und das jetzt mal ganz ohne Wertung. Das ist einfach ein Fakt. Die Wahrnehmung hat sich verändert. Leute, die außerhalb der Rap-Szene stehen, reagieren immer ganz schockiert und irritiert, wenn ich sage, dass ich im HipHop und in der Rapmusik verwurzelt bin. Dann fangen die an mir aufzuzählen, was an der Rapmusik schlecht ist, was sie Scheiße finden. Das stimmt sicherlich teilweise was die Videos angeht und so weiter, aber ich muss ihnen dann immer erklären, dass das nur die Spitze des Eisberges ist. Für mich persönlich macht das dann aber doch  keinen großen Unterschied, ich fahre immer noch mit der Bahn durch Lande und treffe Leute, die ich nur alle sechs Monate treffe und mache mit denen Musik. Ich lebe das noch genauso wie am Anfang.


rap.de: Was genau verbindet dich mit der heutigen Deutschrap-Szene? Was hörst du so?

Chaoze One: Ich höre eigentlich alles, um eben auch über das, was ich Scheiße finde bescheid zu wissen. Ich kann aufgrund der Menge natürlich nicht alles hören, aber ich klammere nichts von Vornherein aus, nur weil mir der Style eventuell nicht gefällt. Ich mag zum Beispiel Prinz Pi. Eigentlich geht’s mit allen MC’s so, dass sie mich textlich mal mehr und mal weniger ansprechen. Den Rest entscheiden dann Beat und Flow. Das ist bei mir selbst auch der Fall. Einige alte Sachen würde ich so nicht mehr machen, die mag ich nicht mehr.

rap.de: Und wie kategorisierst du deine eigene Musik? Was machst du für Rap?

Chaoze One: Ich würde sagen, ich mache deutschsprachigen Rap und keinen Deutschrap. Mit dem Begriff fühle ich mich nicht so wohl. Ich kann es auch nicht leiden, wenn man mich einen Politrapper nennt. Das war vielleicht mal so, ist es heute aber nicht mehr, dass ich mich hinsetze und ganz bewusst eine Anti-Irgendwas-Track schreibe. Ich schreibe heute etwas über meine letzte Beziehung und morgen was darüber, dass ich den Fascho Scheiße finde. Oder es gibt aktuelle Bezüge, wie bei uns damals ein Brandanschlag, worüber ich dann den „Panther“ geschrieben habe. Also oft brauche ich reale Begebenheiten, Konzepte-Songs funktionieren bei mir nicht ganz so gut. Ich bin also kein Politrapper, hab aber auch keinen Bock nur Belangloses zu schreiben.

rap.de: Du machst ja deine Beats, deine Texte, deine Cover, deine Internetpräsenz und alles selbst. Wie wichtig ist dir Unabhängigkeit?

Chaoze One: Ja, da lege ich sehr viel Wert. Aber da sind wir direkt wieder bei der Kluft zwischen Wunsch und Realität. Finanzielle Unabhängigkeit wünscht sich glaube ich jeder. Das ist ja auch das aktuellste Thema, glaube ich. Davon hängt eigentlich alles ab: Alter, Gesundheit und all die Themen, die uns gerade beschäftigen. Im Idealfall musst du fast nichts machen, was dir nicht gefällt und kriegst dafür richtig viel Geld, und wenn es nach dem alten Marx gehen würde, bräuchte auch nur jeder zwei Stunden die Woche arbeiten und könnte den Rest der Zeit mit rappen verbringen. Insofern passe ich mich schon an die Bedingungen an, und es macht auch keinen Sinn auf jedem Album einen Revolution-Track zu machen. Man muss auch realistisch bleiben und gucken, wie es einem aktuell wirklich besser gehen kann.

rap.de: Und wenn du dich in deinen Texten jetzt gegen reinen Battlerap oder übersteigerten, evtl. gefaketen Gangstarap positionierst, möchtest du dann trotzdem, dass sich die Fans dieser Rapper auch mit deinen Texten und deiner Musik auseinandersetzen? Wie glaubst du kannst du das erreichen?

Chaoze One: Hm, vielleicht gar nicht. Also ich bin der Meinung, dass, wenn wir von den Sachen gesättigt sind, auch der Conscious-Rap wieder kommt. Und ich habe echt eine Abneigung gegen Ökos im klassischen Sinne, also so Hippies und so, naja, wie jeder sich so einen Hippie eben vorstellt. Und wenn Curse als ein Ökorapper dargestellt wird, von diversen Künstlern und deren Fans, dann bin ich aufgrund der offensichtlichen Einfachheit der Denkstrukturen nicht mehr willens mir unter denen dann noch eine größere Hörerschaft zu erschließen.

rap.de: Du hast dich in einem Interview aus dem Jahre 2003 mal als linksradikalen Rapper bezeichnet. Wenn du jetzt sagst, dass du kein Politrapper mehr sein möchtest,  was bist du dann heute: mehr linksradikal oder mehr Rapper?

Chaoze One: Also ich mache schon politische Sachen, möchte aber kein Politrapper sein, verstehst du? Ich schneide die Politik immer wieder an, weil die Themen aus mir rauskommen, nicht weil ich einen politisch aktivistischen Song machen will und der Politrapper Chaoze One bin. Als Person bin ich ziemlich linksradikal, und zwar nicht nur so, dass mich CDUler so bezeichnen würden, und ich bin Rapper. Also ja, (überlegt) man kann, glaube ich, schon sagen, ich bin ein linksradikaler Rapper, auch wenn meine Themen nicht überwiegend linksradikal sind. Das sind einfach zwei Teile, die gleichermaßen zu mir gehören.

rap.de: Das war auch mein Eindruck. Das neue Album klingt für mich, und nimm mir das bitte nicht krumm, denn das ist bestimmt das Schlimmste, was man einem Linksradikalen sagen kann, gemäßigt.

Chaoze One:  (lacht) Ja, das finde ich auch. Es ist gemäßigt, was die Aussagen angeht. Es macht für mich aber keinen Sinn einen Song zweimal zu machen. Wenn ich ein Thema bearbeitet habe, und ausgedrückt habe, was ich sagen wollte, dann ist das für mich erledigt. Solche Songs wie Revolution spiele ich heute immer noch live, aber erstmal ist das Thema abgearbeitet. Vielleicht mach ich in fünf Jahren nochmal so einen Song.

rap.de: Inwieweit verwendest du als links denkender Musiker auch massenkompatible linke Codes in deiner Musik, auch um die Musik an möglichst viele Hörer zu bringen? Ich erinnere da an den Anarchiestern auf der CD, die Sturmmasken auf der Bühne und die Straßenschlachten in den Videos. Denn aus deinen Texten ist schon ein gewisser Konflikt zwischen Ideal und Realität herauszuhören.

Chaoze One: Also den Konflikt zwischen Ideal und Realität hast du immer, wenn du dir wünscht, dass etwas besser werden könnte. Und wenn du dir nur wünschst, dass diese Demokratie hier noch ein bißchen demokratischer ist, dann bist du schon in einem Konflikt aus Realität und Wunschvorstellung. Dazu musst du noch nicht einmal eine Revolution fordern. Und mit meinen Hasskappen und den Anarchiesternen mache ich mir ja eher Hörer kaputt, denn meiner Meinung nach ist der klassische heutige Rap-Hörer von so etwas eher abgeschreckt.

rap.de: Auf den klassischen Rap-Hörer hattest du es ja am Anfang aber auch gar nicht abgesehen, oder?

Chaoze One: Ich hatte es auf niemanden wirklich abgesehen. Meine erstes Album gab es nur im Internet zum Downloaden und da fehlt einem ja völlig die Kontrolle, wer das runterlädt. Ich habe jetzt beim Schreiben keinen bestimmten Hörer vor Augen, für den die Musik dann sein könnte. Beworben haben wir die Musik eigentlich immer bei allen gängigen Magazinen, mehr oder minder erfolgreich. Bemustert worden sind sie von denen aber alle.Wir haben nie von Anfang an gesagt, dass das nur Rap-ähnliche Musik für Linksradikale sei. (lacht)

rap.de: Was unterscheidet dich denn von allen anderen im Mittelstand Aufgewachsenen? Woher kommt deine Wut und deine Aggression und das offene Auge für vorrangig die Probleme der Gesellschaft?

Chaoze One: Hm. (überlegt lange) Ich glaube das ist eine Mischung aus Erziehung und Erfahrung. Ich komme schon aus dem Mittelstand, dem Bildungsbürgertum, aber einem sehr linksliberalen. Ich wurde dazu erzogen, solidarisch zu sein und mich sozial zu verhalten. Und dazu kam, dass ich auch Erfahrungen gemacht habe, was es heißt von heute auf morgen der gegängelte Außenseiter, der Buhmann zu sein. Ich habe ein Jahr im Norden gewohnt und dieses Jahr in der neuen Klasse war schon sehr schwer für mich. Es hat mir aber auch gezeigt wie die Menschen sein können. Das klingt zwar jetzt ales sehr dramatisch, aber diese Erfahrungen vergisst man so schnell nicht. Nach diesem Jahr, zurück in der alten Schule, war dann wieder alles in Ordnung, aber ich wusste wie es auf der anderen Seite aussieht.

rap.de: Und was meinst du, inwieweit ähnelt die von dir dargestellte Welt der Welt, die im Straßenrap, der deutschen Rapper mit Migrantenhintergund dargestellt wird?

Chaoze One: Also wenn ich Azad höre oder D-Flame, dann sind das völlig andere Ansätze, aber die rappen über genau das Gleiche wie ich, die gleiche Gewalt, die gleiche Kriminalität. Aber die sagen im Gegensatz zu vielen anderen Rappern nicht, dass sie den geilsten Block haben, sondern, dass sie da raus wollen. Das finde ich realistisch. Damit kann ich umgehen. Aber wenn sich da jemand hinstellt und meint, dass er den GangBang hammergeil findet, dann macht mich sowas auch aggressiv. Damit kann ich dann nicht umgehen. Ob die von mir dargestellte Welt der im deutschen „Straßenrap“ dargestellten Welt ähnelt, kann ich nicht beurteilen, denn ich weiß nicht wieviel von dem tatsächlich stimmt, was dort gesagt wird. Ich frage mich, was diese Rapper machen, wenn sie fertig sind mit beobachten. Ich kann auch in diese Viertel gehen und mir das angucken, bzw. wohne in Mannheim auch in einem sozial schwachen und armen Viertel mit hohem Migrantenanteil, das auch ab und zu zum Brennpunkt wird. Nur bin ich halt freiwillig dorthin gegangen, denn ich komme ganz woanders her. Und wenn ich in meiner Wohnung bin, dann bin ich bei mir zu Hause. Ich kann mich davon ganz gut distanzieren. Deshalb kann ich nicht wirklich sagen, ob sich die dargestellten Welten ähneln. Ich habe einen ganz anderen Background.

rap.de: Und warum ist aus deinen Texten und Videos eigentlich auch soviel Gewalt heraus zu hören und zu sehen? Hast du soviel Wut in dir? An hiphop-partisan.de kann man ja sehen, dass die Wut auch in gewaltlose, wirklich konstruktive Projekte kanalysiert werden kann.

Chaoze One: Dazu muss ich weiter ausholen. Ich fange mit der Quintessenz an: Ich finde Gewalt zum Kotzen. Gewalt in jeglicher Art und Weise zu erfahren ist wirklich übel, das brauche ich keinem zu erzählen. Ich denke aber, dass wir in einem gewalttätigen System leben. Polizisten zu verprügeln macht manchmal keinen Sinn, denn die Polizei ist nicht der Feind des Ganzen, sie ist nur ausführendes Organ. Und im Grunde sehe ich den Bäcker genau wie den Polizisten da draußen. Und es ist natürlich Quatsch den Bäcker nicht zu verprügeln, aber den Polizisten. In der Realität stehst du aber dann doch wieder dem Polizisten mit dem Schlagstock gegenüber und nicht dem Bäcker mit seinem Brötchen. Es ist also leichter seine Wut auf die Polizisten zu projezieren. Und das ist natürlich inkonsequent, da gebe ich dir Recht. Ich muss aber nochmal sagen, dass das System, in dem wir leben gewalttätig ist, und ich Deutschland, auch in der Weltpolitik, keinesfalls als einen defensiven Staat erachte. Und nicht nur durch Waffenexporte, ist Deutschland an beinahe jedem Krieg auf der Welt beteiligt. Und dieses System wirkt auf mich ein und ich denke, dass ich da mit Frieden nicht weiterkomme, und schon gar nicht mit friedlichem Protest.

rap.de: Also deine friedlichen Aktionen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Chaoze One: Naja gut, das ist die Gewalt auch. In Genua damals bei den G8-Protesten gab es einen Toten und da muss man sich schon fragen, ob sich der Protest gelohnt hat. Im Endeffekt ist jeder Protest ein Tropfen auf den heißen Stein, aber wenn nur drei oder vier Leute anfangen nachzudenken, dann ist schon viel erreicht. Also Rudi Dutschke hat das mal so schön gesagt: „Revolution ist nicht die Nacht, in der die Schüsse fallen, sondern ein langanhaltender Bewusstseinsprozess.“ Jetzt kann man sich natürlich darüber streiten, ob wir das jemals erreichen werden, also zu meinen Lebzeiten wohl nicht mehr, aber ich denke schon, dass das in organisierter Form möglich ist. Völlig struktur- und herrschaftslos kann nämlich auch das nicht funktionieren. Ich muss aber auch gestehen, dass mir DAS Konzept dazu fehlt, ansonsten würde ich es an den Start bringen.

rap.de: Musst du deinen Texten notwendig Taten folgen lassen, um sie nicht als leere Worthülsen stehen zu lassen?

Chaoze One: Auf jeden Fall. Es ist natürlich nicht leicht, wenn man jedes Wochenende unterwegs ist und Musik macht oder live auftritt, sich auch noch politisch zu engagieren, aber wenn die zeit dafür da ist, bin ich sofort dabei. Und so ganz im Öko-Rapper-Style trete ich dann auf Demos schonmal auf einem Lastwagen auf.

rap.de: Wenn du dich als antinational und heimatlos bezeichnest, fühlst du dich dann überhaupt in Deutschland zu hause, und zu irgendetwas in Deutschland zugehörig?

Chaoze One: Also zu Hause fühle ich mich hier auf jeden Fall. Ich fühle mich sehr wohl in Neustadt, wo ich aufgewachsen bin und in Hamburg. An diesen Orten bin ich emotional verwurzelt, weil ich dort ungeheuer viel erlebt habe. Da werde ich fast schon zum Lokalpatrioten. Und doch habe ich auch an diesen Orten eine immense Abneigung gegen die CDUler und SPDler und die anderen Abgeordneten, die dort in den Stadträten sitzen und die Politik machen. Ich habe auch sentimentale Erinnerungen an meine Schulzeit, obwohl ich die Schule zum Kotzen fand. Das mit dem zu Hause sein und eine Heimat und ein Vaterland zu haben muss man einfach trennen.

rap.de: Und warum bist du antinational?

Chaoze One: Was mich stört ist die Art des Nationalstolzes in Deutschland. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich letzten Sommer einer der Wenigen war, der gekotzt hat, als alle mit den Deutschlandfahnen rumgelaufen sind. Wäre das eine rein sportliche Sache, in der die Menschen eine Mannschaft pushen, wäre das alles völlig ok, aber wenn das dann benutzt wird von Leuten, die daraus Kapital schlagen wollen und ganz plötzlich wieder Nationalgefühl transportieren wollen, wie zum Beispiel ganz erwartungsgemäß die NPD und es herrschte dann eigentlich auch bei allen so ein latentes Alltags-Nationalgefühl, und das ging mir erheblich auf den Sack.

rap.de: Hattest du nicht auch das Gefühl, dass die Deutschen froh waren sich endlich nicht mehr schämen zu müssen für ihr Deutsch-Sein?

Chaoze One: Doch klar, und bei einigen war die Euphorie sicherlich auch rein sportlich und das ist ja auch ok so. Ich geh ja auch zu Kaiserslautern und zu St. Pauli und feuere die Mannschaften an, obwohl mir zum Beispiel auf St. Pauli auch vieles nicht gefällt. Aber es waren auch viele dabei, die sich eine Last von den Schultern genommen sahen, ohne sich auseinanderzusetzen mit den Gründen für diese Last, die Scham und das obligatorische schlechte deutsche Gewissen. Und diese Auseinandersetzung findet auch kaum noch statt. Der Reflex der Scham ist da, und nun gibt es viele, die da ganz aggressiv drüber gehen und das einfach Verdrängen. Die Auseinandersetzung fehlt und da jetzt mit so einem Mittel wie der WM alles wieder gerade rücken zu wollen, das kann einfach nicht funktionieren.

rap.de: Aber diese Freiheit von der Scham kann doch auch Anstoß sein, sich dieser Scham von außen her bewusst zu werden und darüber nachzudenken.

Chaoze One: Ja, kann sein. Vielleicht sogar bei einem Fußballspiel. Aber ich wage Deutschland zu unterstellen, ein ganz eigenes Nationaldenken zu haben, dass anders ist als alle anderen, und zwar genau darin, dass es schnell in so ein Herrenrassedenken umschlagen kann.

rap.de: Und da lassen bei dir auch das Wissen, das Deutschland zum Beispiel eines der besten Sozialsysteme der Welt besitzt keinerlei Nachsicht zu?

Chaoze One: Also wenn man nich ganz blind, dann muss man einsehen, dass es den Menschen in Deutschland noch mit am besten geht, vor allem auch vom sozialen System her, da bin ich realistisch, aber auch darauf darf man sich nicht ausruhen und muss einwenden, dass Deutschland im Strom von Globalisierung und neoliberaler Wirtschaft gerade dabei ist, diesen Status rasant zu verlieren. Es mag also Nuancen besser sein als bei anderen, aber wir sind in der gleichen Bewegung.

rap.de: Was ist dir denn wichtiger, dass jeder die Möglichkeit besitzt alles zu erreichen, auch wenn es schwer ist und durch die Konkurrenz der Menschen zueinander auch welche auf der Strecke bleiben, oder daß es weniger soziale Verlierer gibt, dafür aber auch die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen eingeschränkt sind?

Chaoze One: Das kann ich ganz klar sagen. Ich bin auf jeden Fall für weniger Verlierer. Es gibt eigentlich nur Gewinner auf Kosten von Verlierern. Man kann natürlich jedem zugestehen, dass, wenn er viel erreicht, er auch toll wohnen kann, aber diesen Erfolg verdankt er dann meistens der Ausbeutung Anderer. Und wenn es nicht einmal jemand hier ist, sondern jemand in den Produktionsländern. Also was ich für eine absolut geniale Idee halte, ist ein Grundeinkommen einzuführen. Das ist zwar total unrevolutionär und reformistisch und eigentlich überhaupt nicht mein Denkansatz, aber wenn ich realistisch sein will, dann wäre mir so etwas auf jeden Fall näher. Das ist zwar immer noch meilenweit von meinem Ideal weg, aber ich denke, dass es sinnvoll wäre, alles gleichmäßiger zu verteilen, sodass es weniger Verlierer und notgedrungen auch weniger Gewinner gibt.

rap.de: Fühlst du dich persönlich verantwortlich für die schwächeren Glieder der Gesellschaft?

Chaoze One: Auf jeden Fall. Gerade auch deshalb, weil ich mich selbst nicht unbedingt für so jemanden halte. Aber das kann alles so schnell gehen, wir fühlen uns da immer noch viel zu sicher.

rap.de: Glaubst du noch an eine Revolution?

Chaoze One: Ja, das tue ich. Nur denke ich nicht, dass ich sie noch erleben werde. (überlegt) Ich glaube einfach daran, dass der langanhaltende Bewusstseinsprozess durchschritten werden muss. Es kann nicht mehr lange so weiter gehen. Entweder das Ganze geht hier demnächst so heftig den Bach runter, so dass hier Bürgerkrieg ausbricht oder es irgendwie anders richtig knallt, oder wir kriegen die Kurve. Also innerhalb des kapitalistischen Systems funktioniert eigentlich alles prima. Jeder der nicht das schwächste Glied in der Kette ist, kann sich glücklich schätzen und so weitermachen wie bisher. Dieses System funktioniert vielleicht am leichtesten, aber deswegen bin ich noch lange nicht gewillt es dabei zu belassen. Es ist nicht das System, dass dem Großteil der Menschen eine hohe Lebensqualität zukommen lässt.

rap.de: Und was sind deine Ideen, deine Visionen für die Zukunft?

Chaoze One: Für mich oder für nach der Revolution? (lacht)

rap.de: (lacht ebenfalls) Beides vielleicht. Erst für die Zukunft, dann für dich.

Chaoze One: Also ich glaube, dass ich die Revolution nicht mehr erleben werde. Vielleicht bekomme ich ein Stück des Umdenkens mit, woran ich aber auch nicht wirklich glaube. Und das sage ich vielleicht nicht ganz ohne Resignation. Also ich will die Hoffnung nicht abschreiben, aber wenn ich realistisch bin und mir die Welt angucke, dann gehen wir eher weg davon. Was die Hoffnung am Leben erhält, ist, dass die Fähigkeit der Menschen zum Umdenken grundsätzlich vorhanden ist. Ich würde mich freuen, wenn die Menschen einsehen würden, dass die Probleme der Welt sie nicht immer erst angehen, wenn sie selbst davon betroffen sind. Ich persönlich studiere zwar nicht, aber ich verfolge trotzdem die Diskussion zu den Studiengebühren. Die Probleme gehen immer alle was an.

rap.de: Aber man kann auch nicht auf allen Fronten gleichzeitig kämpfen. Bei persönlichen Problemen ist sich jeder erstmal selbst der Nächste und das alltägliche Leben verlangt oft schon genug von einem ab.

Chaoze One: Ja, das ist klar. Das tägliche Leben auf die Reihe zu kriegen kostet viel Kraft und Zeit. Ich bin aber der Meinung, dass das im Kalkül des Kapitalismus auch so vorgesehen ist, dass die Menschen sich mehr mit sich selbst beschäftigen, als mit dem System. Je mehr du arbeitest, desto weniger Zeit hast du nachzudenken. Also man kann selbstverständlich nicht an allen Fronten gleichzeitig kämpfen, aber wenn ich sehe wie viele Mensche überhaupt nichts machen, dann macht mich das sauer. Wenn jeder nur ein bißchen was machen würde, sich engagieren würde, dann würden viele Sachen einfach besser laufen.

rap.de: Und was erträumst du dir für deine persönliche Zukunft?

Chaoze One: (überlegt lange) Ich träume von viel Geld und keiner Arbeit. (lacht) Wahrscheinlich werde ich aber erst einmal ganz normal arbeiten gehen und mit Musik kein Geld verdienen. Das ist unrealistisch. Das funktioniert nicht mehr heutzutage, und schon gar nicht mit meinen Texten. Ich werde außerdem weiterhin versuchen in alle möglichen Richtungen konstruktiv zu meckern. Ich bin einfach nicht gewillt mich mit „Marienhof“, „Verbotene Liebe“ und zwölf Stunden Arbeit am Tag abzugeben.

rap.de: Na dann wünschen wir dir viel Erfolg und bedanken uns für das ausführliche Interview.

Chaoze One: Ich habe zu danken für die für eine HipHop-Plattform recht untypischen Fragen.