Tommy The Clown & The HipHop Clowns

Thomas Johnson macht einen zufriedenen Eindruck, als er konzentriert, mit einem leichten Lächeln im Gesicht, die Kunsthaare seiner großen bunten Perücke zurecht streicht. Gerade er Tommy The Clown, der im bunten Anzug, mit weiten Hosen und der übergroßen Perücke, auf der Bühne herumsprang und mit seinen HipHop-Clowns die Generalprobe zur abendlichen Tanzshow im Berliner Hebbel Theater durchführte. Der Tanz, den Tommy und seine jungen Tänzer/innen Lil Tommy, Larry, Bug, Speedy, Rocco, Elmo, Smurf, Lil Tight sowie Tiny Mite, Jazz und Lil Mama darbieten, nennt sich „Clowning“ bzw. „Krumpin“ – und schwimmt momentan auf einer Welle der Begeisterung, ausgelöst durch den Film „Rize“ des Fotografen und Produzenten David LaChapelle. Aber diese „neue“ Art des Tanzens ist eigentlich gar nicht mehr so neu. Bereits 1992 hat Thomas Johnson alias Tommy The Clown, angefangen, sich als Clown zu verkleiden und auf Kindergeburtstagen zu tanzen.

Für Johnson, geboren in Detroit, aber aufgewachsen in South Central Los Angeles, hatte das Leben lange Zeit nicht viel zu bieten. Als Kind hatte er oft Ärger, und seine Nachbarschaft, in der die Gangs regierten, schien seinen weiteren Lebensweg zu prägen. Weil der mit Drogen dealte, landete Thomas schließlich im Knast. Als er wieder draußen war, hatte er wenig Perspektiven, wie es in seinem Leben weitergehen sollte. Als ein Freund ihn anrief und fragte, ob er nicht als Clown auf der Geburtagsparty seines Kindes auftreten könnte, sagte Tommy zu, ohne zu ahnen, dass dies sein Leben völlig verändern sollte.
Seine Spezialität, um die Kids zu erfreuen, waren nicht seine Witze, aber sein Tanz. Diesen Tanz nannte der „Clowning“. Mit der Zeit entwickelte er ihn immer weiter und weil sich in der Nachbarschaft inzwischen herumgesprochen hatte, was Tommy The Clown so machte, wollten viele Kids nicht nur sehen wie er tanzt, sondern auch gleich mitmachen.

Tommy sah darin eine Möglichkeit, die Kids von der Straße zu holen und ihnen mit den Tanzen eine Alternative zu den Gangs anzubieten, die das Leben vieler Jugendlicher in Sout Central Los Angeles bestimmen. So gründete er „Tommys HipHop Clown Academy“, eine kirchlich gestützte Einrichtung, wo die Kids das „Clowning“ erlernen konnten. Die Academy war ein voller Erfolg, auch wenn davon außerhalb von L.A. er mal kaum jemand Notiz nahm. Fortan traten Tommy und seine HipHop Clowns gemeinsam auf Partys auf und immer mehr Kids ahmten den Tanz nach.

Tommy beschreibt das „Clowning“ als eine Art Freestyletanz, der verschiedene Elemente von anderen Tänzen zu einem schnellen und auch aggressiven Mix zusammenfügt. Nicht alle Kids wollten sich aber als Clowns bemalen und entwickelten die noch ein wenig aggressivere Tanzform, das „Krumping“. "Krumping" wird als die Weiterführung des "Clownings" bezeichnet. Auch Tommys HipHop Clowns sprechen meistens von „Krumping“, wenn sie über ihren Tanz reden. Letztlich läuft es bei beiden Tanzstilen auf eines hinaus: den Battle. Ähnlich wie beim Breakdancing, das in den 80er Jahren den Hype durchmachte, den das "Clowning" und "Krumping" nun gerade erlebt.

Die Aggressionen, die sich bei den Kids aufladen, sollen sich nicht in Form von Waffengewalt entladen, sondern in einem Tanzwettkampf abgetragen werden. Die großen, von Tommy The Clown ins Leben gerufenen, „Battle Zones“ finden inzwischen in L.A. vor 800 bis 1500 Kids, inklusive deren Eltern, statt.
Aus der regionalen und gemeinnützigen Bewegung des "Clownings" und "Krumpings", mit der Tommy The Clown die Kids von der Straße holt, scheint sich ein internationaler Mainstreamtanz  zu entwickeln, der sich auch schon in Videos von Künstlern wie Missy Elliot, Christina Aguilera, den Chemikal Brothers oder Madonna präsentieren durfte.

Tommy The Clown sieht aber durch die Kommerzialisierung und Popularität keine Gefahr für das wichtigste Element dieser Bewegung, der sozialen Komponente: „Nein, ich mache mir überhaupt keine Sorgen. Alles, was diese Idee, dieses Movement bekannter macht, empfinde ich erst mal als sehr positiv. Ich habe damit 1992 angefangen, und nur weil der Mainstream es gerade mit trägt oder nicht, wird diese Bewegung sich in seinen Grundzügen nicht verändern."

Dabei sollte man meinen, dass Tommy, als Begründer dieser Bewegung, unter besonderem Druck steht. Kann man ihn doch als eine Art Vermittler zwischen den Tänzern aus den Ghettos von L.A. und den Interessenten aus der Medien-, Kunst-, Film- oder anderen Branchen der ganze Welt bezeichnen. Wer kann da noch unterscheiden zwischen Leuten, die den Hype nur kurz mitnehmen, ihn gar finanziell ausschlachten wollen und Leuten, die sich tatsächlich auch für das soziale Engagement interessieren und diese Idee weiterentwickeln wollen: „Ich sehe das ganz entspannt. Ich ziehe mein Ding durch und vertraue dabei auf Gott. Die Medien oder das ganze Drumherum machen mich nicht weiter nervös. Ich weiß ganz genau, was passiert, wenn du plötzlich populär wirst – und ich bin darauf vorbereitet. Ich mache das nun schon seit so vielen Jahren und immer live, ob auf einer Bühne, einer Garage, oder bei jemandem im Garten. Ich ziehe mein Ding durch. Ich wurde Schritt für Schritt bekannter. Angefangen bei den Kids und Eltern, auf deren Geburtstagsparty ich getanzt habe, weiter, bis ich regional ziemlich bekannt war, und jetzt auch in einigen Teilen der Welt. Das macht mich nicht mehr verrückt.
Okay, klar gibt es Momente, in denen ich denke: Man, dass ist ja wirklich kaum zu glauben, dass ich diese Sache losgetreten habe, aber das geht auch schnell wieder vorbei. Ich werde mich nicht ändern. Ich trete immer noch in der Hood auf, genau wie vor 13 Jahren. Ich lebe dort auch immer noch. Von uns ist noch keiner reich geworden, das kannst du mir glauben. Ich bin einfach nur glücklich und zwar hauptsächlich wegen der Kids. Die haben diese große Chance, Leuten auf der ganzen Welt zu zeigen, was sie können.“

Bisher waren Tommy und seine HipHop Clowns u.a. in Japan und auch in London unterwegs. Wie begeistert die jungen Tänzer wirklich sind, konnte man dem Tänzer Bug an den glänzenden Augen ablesen, als er klarstellte, warum es cool ist, ein Clown zu sein: „Als ich angefangen habe, konnte ich nicht mal im Traum daran denken, dass ich heute hier in Berlin stehe und auf der Bühne unsere Show tanze. Durch Tommy haben wir die Chance bekommen, all diese neuen Dinge, neue Städte usw., zu sehen. Du musst bedenken, dass wir Zuhause eigentlich nur unsere Stadt, bzw. nicht vielmehr als unser Viertel kennen. Das hier (zeigt auf die Bühne) ist doch cool. Ich meine, wenn ich mal auf mein bisheriges Leben zurückblicke, dann habe ich schon eine ganze Menge Scheiße erlebt. Das ging so weit, dass ich in der Juvenile Hall (Jugendstrafanstalt) gelandet bin und wenn ich so weiter gemacht hätte, wer weiß, wo ich dann heute wäre, oder ob ich überhaupt noch leben würde.

Das Tanzen war und ist für mich DIE Alternative, um aus dem Teufelskreis auszubrechen. Tommy hat ja selbst Einiges hinter sich und war somit ein großes Vorbild für uns dafür, wie man sein Leben positiv gestalten kann. Er ist auch immer noch ein sehr großes Vorbild für uns alle. Und noch mal zu der Sache mit der Coolness, ich kann es nur noch mal wiederholen: ich bin hier! Ich habe es geschafft raus zu kommen. Ich kann hier vor Leuten tanzen und ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Das finde ich großartig. Etwas Besseres hätte mir gar nicht passieren können.“

Wie eine große Familie sind sie, sagt Bug weiter und wagt einen Blick zu Tommy rüber, der in der Nähe steht. Als ich frage, ob Tommy denn hinter der Bühne mit eiserner Hand regiert und nur auf der Bühne den Clown gibt, bleibt Bugs Blick auf Tommy gerichtet: „Er kann natürlich auch sehr streng sein, aber dann brauchst du ihn nur zum Lachen zu bringen, dann ist alles wieder cool.“ Worauf beide auch sofort loslachen.

Trotz der Aggressivität, die dieser Tanz ausstrahlt, bleibt die Rivalität der verschiedenen Tanz-Groups sportlich, wie Tommy und Bug beteuern: „Es gibt immer noch viel Gewalt durch die Gangs. Jeden Tag. Und diese Clown– oder Krumping-Groups sind eine Alternative zu den Gangs. Etwas Positives. Es herrscht ein großer Respekt in allen Gruppen, denn Allen ist bewusst, was diese Bewegung für sie bedeutet. Wenn man anfängt richtig Gewalt anzuwenden, ist man Draußen. Und dort gibt es nur Gangs, Drogen und Gewalt. Dazwischen gibt es nichts. Das wissen alle. Und wenn sie ein Battle verlieren, gehen sie nach Hause und trainieren hart, um das nächste Mal besser zu sein.“


Das hört sich alles beinahe zu schön an, um wahr zu sein. Aber es ist Tommy nicht zu entlocken, ob es tatsächlich schon zu Handgreiflichkeiten bei diesen Battles kam. Sicherlich wird nicht immer alles so friedlich zugehen, wie die beiden es schildern, aber das ungeheure Engagement, das Tommy The Clown seit über 13 Jahren (!!!) an den Tag legt, kann hier nicht oft genug gewürdigt werden. Da ist es unwichtig, über die eine oder andere Rangelei zu reden, die überall mal vorkommt. Und wenn man bedenkt, wie vielen Kids er zumindest temporär mit seiner Academy hilft, erübrigen sich die Zweifel.

Er hat eine positive Vorbildfunktion und ist sich dessen sehr wohl bewusst. Dass das in dem Umfeld, in dem er lebt und arbeitet nicht gerade alltäglich ist, weiß er genau. Auch die Attitüden vieler Rapgrößen sieht er kritisch: „Es gibt natürlich einige negative Erscheinungen in der HipHop-Szene, wie dieses ganze Bling-Bling-Gehabe. Aber ich konzentriere mich auf mein Ding, auf dieses Movement, und versuche es voranzubringen. Ich versuche den Kids etwas beizubringen. Ich kann dabei nicht mit dem Finger auf sie zeigen und sagen: Hört auf euch mit diesem ganzen Bling-Bling-Scheiß zu beschäftigen, das ist etwas Schlechtes, denn diese Kids haben einfach nie etwas besessen. Die wachsen in Armut auf.
Mein Ziel ist es, ihnen zu vermitteln, dass sie etwas Positives machen sollen und können. Sie sollen die Schule fertig machen und sich um einen Job kümmern. Sie sollen kreativ sein! Und – das ist das Allerwichtigste – ich sage es nicht einfach nur, ich versuche mit gutem Beispiel voran zu gehen. Sie sehen, was ich geschafft habe und sollen motiviert sein, auch diesen Weg zu gehen.“

Dabei scheint Tommys Frohnatur auch schon auf Rapper abzufärben. Immerhin war kein geringerer als Snoop Dogg auf einer der großen Battle-Shows und gab einen Spontanauftritt zum Besten. Natürlich umsonst: „Ja, das kam so zustande, dass ich schon auf Geburtstagsparties von Snoops Kids getanzt habe und ihn irgendwann fragte, ob er nicht mal bei einer der großen Shows vorbeischauen möchte. Allerdings ging es dabei nicht um einen Song, den er performen sollte. Ich meine, wir nutzen ja verschiedene Rapsongs in unseren Shows – mit positiven Messages -, aber wir wollten jetzt kein Feature von ihn haben oder so etwas. Wir haben unsere eigenen Mixes und sind damit erst mal zufrieden.
Wir wollen einfach einen Schritt nach dem anderen machen. Snoop hat auf meine Frage hin sofort zugesagt, zu der Show zu kommen, und im selben Atemzug angeboten, dass wir ihm den Beat von Drop It Like It’s Hot geben sollen und er eine kleine Rapeinlage macht. Das war natürlich der Hammer! Die Kids waren begeistert: Was ihr habt Snoop für die Show gebucht?Nein, wir haben ihn nicht gebucht, er hat es aus eigenem Antrieb angeboten, einfach weil ihm unsere Arbeit gefällt. Das war ein gutes Zeichen.“

Alles in allem ist es schon erstaunlich, wie aus diesem kleinen regionalen Jugendprojekt, eine solch große Bewegung werden konnte. Dabei erfahren Tommy und seine Mitstreiter wenig bis gar keine Unterstützung von Seiten der Kalifornischen Regierung. Nicht einmal, nachdem inzwischen Leute auf der ganzen Welt wissen, dass dieses Bewegung durchaus erfolgreich ist und die Kids tatsächlich von der Straße weghält – zumindest eine Zeitlang.

Da wäre es jetzt doch die Chance, für die Politik, anzusetzen und den Kids professionelle Ausbildungen oder Ähnliches anzubieten: „Traurig aber wahr, von der Behördenseite, oder der Regierung kommt nichts. Wie gesagt, alle reden davon, etwas gegen die Gangs tun zu wollen, aber man muss den Kids dann auch etwas Besseres anbieten. Was macht denn die Politik? Die steckt Millionen Dollar in die Polizei, damit die noch härter durchgreifen kann. Das löst aber keine Probleme. Wenn du wie ich in einer Gang-Hood lebst, dann erlebst du jeden Tag, wie gut die Probleme „gelöst werden“. Ich lebe mein ganzes Leben schon in dieser Nachbarschaft und seit 1992 arbeite ich ausschließlich dort, ohne in einer Gang zu sein und habe es geschafft, viel Kids davon abzuhalten, ihr Leben weiter in einer Gang zu verbringen. Nur mit einer starken Polizeipräsenz kann man nichts dergleichen schaffen.“

Er hat es tatsächlich geschafft, zumindest für den Moment. Was die Zukunft bringt, muss abgewartet werden. Was passiert, wenn der Hype vorbei ist? Ist das Netzwerk, was Tommy sich aufgebaut hat, stark genug, um weiter machen zu können wie bisher? Haben sich die Erwartungen seiner Tänzer geändert, weil sie für kurze Zeit mal die Luft des großen Erfolges schnuppern durften?
Für Tommy steht fest, dass sich für ihn kaum etwas verändert hat, seit er vor über 13 Jahren, als Clown tanzend, vor den Kids angefangen hat und jetzt für einige wie ein zweiter Vater geworden ist: „Wirklich, es hat sich nicht so viel geändert, und wenn, dann war es eine langsame Entwicklung. Ich bin es inzwischen gewohnt, mich um Kids zu kümmern. Wir sind wie eine Familie.

Aber ich sage dir was schwierig ist und mich tatsächlich traurig macht: Schwierig wird es dann, wenn mir Kids eine E-Mail schicken und mich um Hilfe bitten, oder bei mir tanzen wollen usw. Und ich kann ihnen nicht helfen, weil sie in andern Städten wohnen. Da stoßen wir einfach an unsere Grenzen. Wir können uns nur um unser Umfeld kümmern. Mehr geht einfach nicht. Das ist das Einzige, was mich wirklich traurig macht. Ich weiß, was ich tun könnte, wenn ich die richtigen Leute hinter mir hätte, wenn die Kapazitäten vorhanden wären. Ich habe eine riesige Email Liste und es melden sich unheimlich viele Leute, viele Kids, auch über meine Webseite, aber ich kann unmöglich sagen: „Klar, kommt alle vorbei und tretet in meine Clown-Group ein.“

Wenn man sich in den Foren von Tommy The Clown oder auch dem Tänzer Tight Eyez (bekannt aus dem Film „Rize“) und seiner Krumping-Group umschaut, merkt man schnell, dass der Zuspruch dieser Bewegung sehr groß ist. Selbst wenn es sicherlich eine Illusion bleiben wird, mit "Clowning" und "Krumping" die Gewalt der Gangs zu beenden, bietet es für viele Kids eine gute Alternative, ihren Alltag positiv zu gestalten. Und allein dafür sollte man Tommy The Clown, der immer noch geduldig seine übergroße Perücke pflegt, dankbar sein. Wie viele Perücken er in den 13 Jahren seiner Karriere verbraucht hat, weiß er nicht, aber es waren mehr als eine, wie er lachend anfügt.