In unserer Interviewreihe “Rap und Literatur” geht es um das Verhältnis von HipHop-Künstlern zu Literatur und Sprache. In der dritten Folge erklärt Takt32, was ihn mit Franz Kafka verbindet, wie ihn Kendrick Lamar geprägt hat und weshalb die deutsche Musikindustrie „nazihaft“ ist.
„Den Kopf zwischen NTM, Banlieue und Kafka / lese Texte von Eminem, Bourdieu und Busta.“ Durch diese Zeilen von deinem Song „Stolz das Problem zu sein“ bin ich erst auf dich aufmerksam geworden.
In meinem Umfeld ist es nicht so, dass wir nur Rap-Musik lyrisch und textlich wahrnehmen. Ich habe halt neben den Straßenjungs auch Studenten um mich herum, die dann eben Texte von Bourdieu oder Kafka lesen. Für mich war es wichtig, diese beiden Sachen auf eine Ebene zu stellen: Rap sowie Literatur hat ja ein lyrisches Element.
Warum gerade Franz Kafka?
Bei Kafka finde ich diesen Verwandlungsprozess so spannend. Viele werden das ja auch gar nicht schnallen und das war mir von vornherein schon klar. Ich mache aber die Musik nicht nur für die Jungs, die sie im Auto laut pumpen, sondern auch für Leute, die gerne nachdenken. Und der Transformationsprozess von Kafka spielt auch bei mir als Rapper eine Rolle: vom Battle-Element hin zu mehr überlegteren Sachen.
Ist er einer deiner Lieblingsautoren?
Er ist nicht einer meiner Lieblingsautoren, aber „Die Verwandlung“ von Kafka ist ein Buch, das mich sehr geprägt hat.
Und Pierre Bourdieu?
Bei ihm geht es um die „soziale Philosophie“, die in meiner Musik auch eine wichtige Rolle spielt. Bourdieu, ein französischer Soziologe, hat herausgefunden, dass die Klassenteilung nicht nur in arm und reich funktioniert. Er weist auch darauf hin, dass es kulturelle Klassenunterschiede gibt. Das ist im Bezug zu HipHop interessant: Bestimmte Klassen haben gar kein Zugang zu bestimmten Kulturgütern und schaffen sich ihre eigene Kultur. HipHop ist halt unsere Kultur.
Woher kommen die nachdenklichen Skits auf deinem Debütalbum „Gang“?
Die habe ich selbst geschrieben. Ich wollte aber, dass es eine Frau einspricht, denn meine Aussprache ist meistens hart. Ich wollte deshalb eine weichere Aussprache haben, die den intelligenten Charakter der Skits betont.
Auf „Stolz das Problem zu sein“ rappst du auch „Wer etwas weiß, hat zehn Augen, wer nichts weiß, ist blind“.
Das ist ein altes griechisches Sprichwort. Wer seinen Geist weiterbildet, kommt weiter im Leben, hat einen größeren Überblick, hat viel mehr Möglichkeiten. Er hat halt zehn Augen. Jemand der sich nicht bildet, bleibt blind.
Zu viel Wissen kann aber auch hemmen.
Das stimmt auch, definitiv. Wenn du aber nichts weißt, dann hemmt dich das auch. Ich bin der Meinung, dass du eher vorankommst, wenn du etwas weißt. Wenn dir jegliches Wissen fehlt, dann bist du verloren. Wissen ist ja das Fundament für Innovation und Weiterentwicklung.
„Nichts zu verlieren, also bei Tippico auf Sieg wetten“, rappst du auf „Hallelujah“. Wie kam es zu dieser Zeile?
Ab und zu erwische ich mich dabei, dass ich am Novoline-Automaten sitze und 50 Euro reinschiebe. Oder ich setze bei Tippico auf irgendwelche Sportvereine, bei denen ich der festen Überzeugung bin, dass sie gewinnen. Obwohl ich von vornherein weiß, dass Glücksspiele nicht dazu ausgelegt sind, auf Dauer zu gewinnen. Wenn du aber nichts zu verlieren hast; wenn du dir denkst, ob ich diese 20 oder 30 Euro habe oder nicht, ändert an der Misere auch nichts, dann gehe ich auf volles Risiko.
Gibt es Schriftsteller, die deine Art und Weise Texte zu schreiben inspiriert haben?
Vielleicht keine Schriftsteller im klassischen Sinne, aber Musiker haben mich schon geprägt, Killer Mike oder Kendrick Lamar zum Beispiel. Die haben mir beigebracht, dass es möglich ist, komplexe Themen cool zu verpacken und zu flowen.
Was genau hast du von diesen genannten Künstlern übernommen?
Kendrick Lamar scheut sich nicht davor, Querverweise zu machen. Obwohl er weiß, dass ein Großteil seiner Hörerschaft es nicht verstehen wird. Um seine Musik wirklich zu verstehen, muss man nachschlagen. Er nutzt seine Reichweite als Künstler aus, um seine Hörer weiterzubilden – so arrogant das auch klingen mag. Bei Kendrick ist es so: Wenn du nicht afroamerikanisch Schwarz bist und in den USA lebst, dann musst du bei Rap Genius die Annotations zu seinen Texten lesen, um sie zu verstehen. Das hat mich inspiriert. Wenn das in den USA geht, wieso soll das nicht in Deutschland gehen? Es gibt einen Track, der demnächst rauskommt. Der Song heißt „Das vierte Buch“ und da habe ich das sehr stark gemacht. Der Song unterscheidet sich auch von dem, was ich auf dem Album gemacht habe. Bei diesem Song ziehe ich Vergleiche zwischen Religion und HipHop.
Du sagst gerne Ikea-Denken anstatt Schubladen-Denken.
Wir leben in einer Ikea-Gesellschaft. Ikea-Denken ist ja nur ein Synonym für Schubladen-Denken, aber es ist zum einen kreativer und zum anderen geht es nicht nur darum alles in Schubladen zu stecken. Es geht auch darum, alles einheitlich zu haben. Bei Ikea geht es ja darum, ob das nächste Möbelstück von dem Sortiment zum dem passt, das ich schon habe. Für mich ist das etwas typisch Deutsches – auch für die Musik: Passt das Album jetzt in den Deutschrap-Kontext?
Bist du auf diese Erkenntnis durch deine Jahre in den USA und in Frankreich gekommen?
Ich konnte halt vergleichen, wie das Leben dort und hier stattfindet. Hier ist es halt noch sehr nazihaft.
Inwiefern nazihaft?
Im Sinne von: Das muss jetzt dem entsprechen, damit es erfolgreich ist. Das ist auch bei den Majors so, die gerne forcieren, dass hier und da noch eine gesungene Hook aufgenommen werden muss. In den USA ist es ganz anders: Je verrückter die Sachen klingen, desto erfolgreicher sind sie. Auch hier ist das beste Beispiel Kendrick Lamar. Sein neues Album „To Pimp a Butterfly“ hebt sich vollkommen vom Rest seiner Kollegen ab: jazzig und arhythmisches Rappen, zum Beispiel.
Auf dem Lied „Jimi“ fragst du dich, was Glück ist. Hast du die Antwort gefunden?
Leider nicht. Das muss jeder für sich selbst wissen. Glück an sich ist eine Definitionsfrage und „glücklich sein“ ist etwas anders.
Was ist der Unterschied?
Glück im Sinne von „Glück haben“. Also wenn du von etwas unerwartet profitierst; wenn die Chancen gering standen. Dann gibt es noch „glücklich sein“. Das ist wiederum ein Zustand von Zufriedenheit: Bist du glücklich mit dem, was du machst und mit der Person, die du bist? Und glücklich sein würde mir sehr schwer fallen. Ich probiere mich nämlich stetig weiterzuentwickeln. Ich möchte nie stehen bleiben.
Ist glücklich sein ein Synonym für zufrieden sein?
Schwierig, das weiß ich gar nicht. Das ist eine gute Frage, über die ich länger nachdenken muss.
Ich dachte immer, dass Zufriedenheit ein langfristiger Zustand ist. Glücklich bist du aber nur für ein paar Sekunden.
Ja, das ist doch ein guter Ansatz.
Was liest du gerade?
Ich habe erst kürzlich wieder „Der Tod ist mein Beruf“ von Robert Merle gelesen. Ich hatte das vor Ewigkeiten schon gelesen, und bin wieder auf dieses Buch gestoßen. Ich finde sowieso, dass Robert Merle einen angenehmen Schreibstil hat. Was ich auch vor kurzem gelesen habe und was mich sehr gefesselt hat, war „Jenseits von Amerika“ von Keith B. Richburg. Es geht um einen afroamerikanischen Journalisten, der nach Afrika reist. Dort beschreibt er die Bürgerkriege, aber aus einer afroamerikanischen Sicht. Er kann es sich also leisten, Sachen zu schreiben, die sich ein Weißer nicht leisten könnte. Das ist ein sehr gutes Buch gewesen.
Was muss man auf alle Fälle gelesen haben?
Es gibt die Schulliteratur, die gar nicht so verkehrt ist. Goethes „Faust“ zu lesen zum Beispiel schadet bestimmt nicht.
Meinst du mit Schulliteratur die deutsche oder die französische?
Beides, also in Frankreich, wo ich mein Abi gemacht habe, hatte ich wenig Literatur, weil ich da den naturwissenschaftlichen Zweig hatte. Ich hatte aber Philosophie als Fach und habe da ein paar Grundtexte gelesen, Platon zum Beispiel. Ich kenne daher die deutsche Literatur besser. Um zurückzukommen zur Anfangsfrage: Was man gelesen haben muss, ist ein gewisses Maß an Philosophie. Vielleicht nicht in der sechsten oder siebten Klasse, aber später mal Platons „Politeia“ lesen ist sicherlich hilfreich. Das ist gut, um das kritische Denken zu erlernen.
Gab es irgendetwas, was du gelesen hast, und dein Weltbild vollkommen auf den Kopf gestellt hat?
Ich habe in der Schule, im Französisch-Unterricht, von Jean-Paul Sartre „Geschlossene Gesellschaft“ gelesen. Da gab es auch einen Film dazu. Es geht um eine Frau, die im Koma liegt und ein Mann, der gerade einen schweren Autounfall hatte. Die Zwei, die im Koma liegen, treffen sich in einem Hotel und besprechen das Leben. Zwischenzeitlich geht immer einer, und eine neue Person kommt hinzu. Was ich von Jenseits und Diesseits denke, hat dieses Buch stark geprägt. Ein anderes Buch, dass zu meinen Klassikern gehört ist „Kamikaze“ von Bohdan Arct. In dem Buch geht es um den Zweiten Weltkrieg und um einen japanischen Kamikazeflieger. Was ich sehr interessant finde, ist, dass man anhand dieses Romans Parallelen zum heutigen Bild des Terroristen ziehen kann.
Hast du einen konkreten Lieblingsschriftsteller?
Eigentlich nicht, denn mich fasziniert immer wieder etwas Neues. Ich kann nur sagen, dass ich Robert Merle sehr gerne lese. Ich mag seine Schreibweise. Wenn ich einen Schriftsteller nennen müsste, dann wäre es Robert Merle.
Was gefällt dir so sehr an seinem Schreibstil?
Es fließt einfach. Wenn Leute manchmal etwas ausführlich beschreiben wollen, benutzen sie ganz viele Worte. Die Kunst besteht, glaube ich, darin genau das treffende Wort zu finden, nicht um den heißen Brei herumzureden. Also: Das treffende Wort zu finden und den Satz fließen zu lassen. Ich achte auch sehr darauf, wenn ich etwas lese, dass es flüssig zu lesen ist. Vielleicht kommt es vom Rap, dass ich so sehr darauf achte.
Worauf achtest du persönlich, wenn du einen Text schreibst?
Die Sachen, die ich unterwegs aufgeschrieben habe, notiere ich mir erst mal in Stichpunkten. Zum einen ist Flow für mich wichtig. Mit einem guten Flow kannst du eine Botschaft besser vermitteln. Das ist ja im Gespräch genauso: Wenn ich einen Satz monoton ausspreche, hat er eine ganz andere Wirkung als wenn ich ihn gut betone. Du kannst einen fünf- oder sechsfach Reim haben, aber erst ein guter Flow bringt ihn zu Geltung. Ich achte auch darauf, dass die Wörter stark und aussagekräftig sind. Ich bin immer auf der Suche nach dem einen Wort, das genau passt.
Hemmt mangelnde Selbstdisziplin deine Schaffensphase?
Ich bin so ein Mensch, der leicht ADHS-mäßig drauf ist und sich ganz leicht ablenken lässt. Ich muss halt in so einen Modus kommen, dann geht das gut. Ich schreibe recht viel abends. Ich kann auch schon mittags schreiben, so ist das nicht. Was ich selten kann, ist unter Druck zu schreiben. Das geht zwar auch, aber es wird nie so cool, wie wenn es diesen Zeitdruck nicht gäbe. Ich liebe es aber nachts zu schreiben.
Wieso muss es abends oder nachts sein?
Ich weiß es nicht. Es gibt so ein paar Studien dazu, die besagen, dass abends die Kreativität gesteigert sei. Man sagt auch das kreative Menschen länger wach bleiben, mehr Drogen nehmen und mehr saufen und so. Da falle ich drunter (lacht). Ich finde einfach, dass abends der Vibe mehr stimmt. Schreiben hat ganz viel mit Vibe zu tun.
Bist du ein melancholischer Mensch?
Ich bin kein depressiver Mensch. Ich bin Realist und da schwimmt immer etwas Melancholie mit.
Welches Buch empfiehlst du den Lesern?
Gönnt euch mal von Robert Merle „Der Tod ist mein Beruf„. Das ist auch angesichts von Pegida ein lesenswertes Buch.