Chief XCel / Blackalicious

Als ich im April dieses Jahres zu Besuch im Accompong Compound-Studio in Oakland bin, ist Chief XCel gerade mit den letzten Arbeiten am neuen Blackalicious-Album The Craft beschäftigt. Das Tracklisting steht noch nicht zu 100% und vereinzelte Songs müssen noch gemischt werden – die nächste Mixing-Session sitzt dem Chief bereits im Nacken. Wir befinden uns im Regieraum, der in Blickrichtung der Aufnahmekabine von einem Focusrite/Digidesign-Mischpult dominiert wird, mit dem X sein Protools-System steuert. Die Listening-Session beginnt mit World Of Vibrations, das uns aus den größten Genelec-Monitoren um die Ohren gefönt wird, die ich je gesehen und gehört habe. Ich sitze rechts neben X auf einem Stuhl, auf dem einige Monate zuvor George Clinton Platz genommen hatte, und fühle mich geehrt. Trotzdem ist mir das alles etwas zuviel der Vibration, und so bitte ich den Produzenten mehrfach, den Sound ein bisschen runter zu drehen. Nachdem wir von Stadion- bei Clublautstärke angekommen sind, stellt sich bei mir ein warmes Gefühl ein: Unfassbar dick klingt das alles, was es hier zu hören gibt.

Chief XCel und sein MC – Gift Of Gab – haben viel gemeinsam, u.a. auch, dass beide keine großen Fans von Promotion und Interviews sind. Viele ihrer Antworten haben einen latent esoterischen Touch und besonders Gab sieht Interviews bestenfalls als notwendiges Übel. Als ich vor ein paar Jahren versuchte, ihm ein Statement über die Zusammenarbeit mit Gil Scott-Heron aus der Nase zu ziehen, kam wortlautidentisch das, was er nun auch über George Clinton zu sagen hatte: „Well, it was like recording with an old uncle you never met before.“ Bei Chief XCel ist das grundsätzlich schon etwas anders, und nachdem wir uns inzwischen mindestens fünf Mal getroffen haben, scheint er sich am mein Gesicht gewöhnt zu haben. Mittlerweile haben wir einige spannende und persönlichere Interviews geführt, die zur Grundlage dieses Produzentenfeatures wurden.

Chief XCel nimmt das, was er tut, auf jeden Fall sehr ernst und beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte schwarzer Musik und von Popmusik im Allgemeinen. Wenn man ihn auf Vorbilder und Einflüsse anspricht, fällt beispielsweise der Name Arif Mardin, der dem durchschnittlichen Beatbastler vermutlich nicht viel sagen wird. Dafür hat der türkisch-stämmig Producer, der seit 1969 Atlantic Records mit Ahmet Ertegün leitete, bereits Künstler wie Average White Band, Roberta Flack, Chaka Khan, Phil Collins und die Bee Gees produziert. Auch „Q: The Autobiography of Quincy Jones“ hat der Chief kürzlich gelesen und daraus für „The Craft“ mit Gab die „goosebumps-theory“ abgeleitet. Jones erzählt in dem Buch davon, für das Michael Jackson-Album „Thriller“ aus über 600 Tracks ausgewählt zu haben. Es seien nur die Songs aufs Album gekommen, die bei ihm und Jackson „goosebumps“ (Gänsehaut) ausgelöst hätten. Auch wenn Chief XCel und Gab nur aus 120 Ideen wählten, wollten sie denselben Anspruch an „The Craft“ erfüllen.

Longevity, also Langlebigkeit, ist für Chief XCel auf jeden Fall ein Ziel. Nach und nach hat er auch die Leute gefunden, mit denen er den Weg zum Ziel gehen will. Zu ihnen zählt u.a. Russel Elevado, einer der top nodge Mixing-Engineers für HipHop, der beispielsweise mit Ahmir ?uestlove große Teile meines Common Lieblings-Albums Like Water For Chocolate mischte. Seit Blazing Arrow lässt Chief XCel die Blackalicious-Alben bei Chris Gehringer von Sterling Sound in New York mastern, der früher bei Hit Factory arbeitete und bereits Platten von Nas, LL Cool J, Fat Joe, Wu Tang Clan und Mobb Deep den letzten Feinschliff verpasst hat.

Typisch für Chief XCel und Blackalicious ist auch, dass sie MC-seitig eher mit Leuten aus ihren Freundeskreisen zusammen arbeiten und sich keine Big Names an Board holen. Dafür gehen sie bei Gesangsgästen gerne eine Generation zurück und erfüllen sich Jugendträume, wie z.B. einen Auftritt von Gil Scott-Heron (The Revolution Will Not Be Televised), eine Zusammenarbeit mir Larry Saunders, der früher in der Sugar Hill House-Band spielte, oder eben einen gemeinsamen Song mit George Clinton.

rap.de: Auf „The Craft“ habt ihr für Lotus Flower mit George Clinton zusammen gearbeitet. Wie würdest du George Clinton jüngeren HipHop-Fans vorstellen?
XCel: George Clinton ist ein Pionier, der in einer Liga mit James Brown spielt. Seine Beiträge in den Genres Funk, Soul und Black Music im Allgemeinen kann man gar nicht hoch genug schätzen. Ich würde sogar fast soweit gehen, James Brown und ihn als Erfinder moderner Musik, so wie wir sie heute kennen, zu bezeichnen. Denn was sind HipHop und R&B? Auch die Tatsache, dass er bis zum heutigen Tag „on top of his craft“ ist, ist erstaunlich. Parliament und das, was er mit Funkadelic kreiert hat, waren immer Schlüsselbeispiele dafür, wie man etwas schaffen kann, das größer als ein einzelner Künstler und größer als eine Gruppe ist. Wenn man an Parliament denkt, denkt man unweigerlich an etwas, das massiv ist. So ähnlich wie vielleicht noch bei Earth, Wind & Fire.

rap.de: Wie war es, mit ihm aufzunehmen?
XCel: Mit ihm zu arbeiten, war eine erstaunliche Erfahrung. Alleine schon zu sehen, wie intensiv und schnell sich sein kreativer Prozess öffnet und entwickelt. Bevor wir ins Studio gingen, hatte Gab „Lotus Flower“ bereits geschrieben – die Hook existierte schon, und wir hatten auch schon eine Version aufgenommen, in der Gab den Chorus gesungen hat. Als George reinkam, hörte er sich das an, nickte eine Viertelstunde mit dem Kopf und geriet in eine Art Trance. Er fing an, sich selbst irgendwelche Sachen zuzumurmeln. Für mich war das ein Trip, weil ich live dabei zusehen konnte, wie er sich auf die Frequenz des Songs begab. Als er dann in die Kabine ging, und die ersten Vocals sang, dachte ich, das sei nur eine Art Entwurf. Ich löschte sie dann und meinte „Ok – bist du bereit?“. Als er sagte „Ich bin schon fertig.“, dachte ich nur „Oh shit…“. Also nahmen wir die Spur neu auf. Anschließend dachte ich die ganze Zeit „Wo will er damit hin?“, weil viele der Sachen, die er einsang, atonal oder leicht daneben waren. Als er dann aber immer mehr Layer einsang und ich das alles zusammen hörte, dachte ich nur „Damn – that shit is dope“. Ich glaube, dass er alles bereits komponiert hatte, als er in die Kabine ging. Er wusste genau, was er tun wollte und wir legten cirka 15 Vocal-Spuren übereinander, bis es schließlich dieser eine Sound wurde. Jeder Künstler, mit dem ich bisher gearbeitet habe, hatte seinen ganz eigenen Weg, seine kreative Quelle anzuzapfen – aber ihm zuzusehen, war wie in die Schule zu gehen.

rap.de: Kannst du dich noch an die erste George Clinton Platte erinnern, die du dir gekauft hast?
XCel: Die erste George Clinton-Platte habe ich mit ungefähr zehn Jahren gekauft, und es war One Nation Under A Groove. In dem Alter war ich immer sehr von Platten-Covers beeindruckt. In Berkley gab es einen Plattenladen namens Leopold’s, und das war „Der Ort“ in der Bay Area, um Black Music und vor allem Soul zu kaufen. Das war zu der Zeit, als 12-Inches gerade erstmals raus kamen, und dorthin hat mich mein Vater mitgenommen. Er meinte „Ok Sohn, das ist ein großer Tag – du wirst dir deine erste Schallplatte kaufen.“ Jetzt rate mal, was die erste Platte war, die ich mir gekauft habe?

rap.de: Keine Ahnung – irgendwas von James Brown?
XCel: Kiss! Es war Kiss, weil ich das Cover mochte – ich fand das Cover einfach dope. Mein Vater war so enttäuscht, er meinte nur „Oh my god“. Also nahmen wir die Platte mit nach Hause und er sagte „Ok son – play the record.“ Ich spielte und hasste sie, also haben wir sie zurück gebracht. Ich sah dann zwei andere Platten, die ich cool fand. Die eine war von Earth, Wind & Fire, die andere war „One Nation Under A Groove“. Ich liebte sie beide und habe sie immer noch.

rap.de: Wo war das Leopold’s?
XCel: Es war auf der Durant Avenue, die von der Telegraph abgeht. Die Telegraph Avenue ist vergleichbar mit der Haight Street in San Francisco. Es ist die Straße für Plattenläden – der Original Amoeba-Laden ist auch auf der Telegraph. Der auf der Haight Street kam erst später. Weiter die Straße runter gibt es dann noch einen anderen riesen Laden, das Rasputin’s.

rap.de: Hast du George mal darauf angesprochen, ob er sich seiner Bedeutung für HipHop eigentlich bewusst ist?
XCel: Wir haben kaum darüber gesprochen. Ich versuche, die Unterhaltung mit Künstlern, mit denen wir arbeiten, auch eher auf Aktuelles zu beschränken. Wenn du mit jemandem ins Studio gehst, kannst du nicht länger Fan sein, sondern musst versuchen, mit ihm auf Augenhöhe zu arbeiten. Wenn du an die Sache aus der Fan-Perspektive rangehst, endet das Ganze damit, dass du einen Rip-Off des Styles der Person bekommst, mit der du arbeitest. Für uns war es aber wichtig, einen echten Blackalicious-Song mit Georg Clintons Energie anstelle eines gefaketen Parliament-Songs zu machen. Also haben wir uns mehr über Musik im Allgemeinen unterhalten, über Sachen, auf die er gerade steht. Er war sehr angenehm, sehr down-to-earth. Natürlich gab es aber diese Momente, in denen ich dachte „Damn, that´s George Clinton sittin´ right there.“ Trotzdem musst du dich davon lösen und dir klar machen, was dein musikalisches Ziel ist.


rap.de: Dein Vater war offenbar ein großer Einfluss für Dich. Hat er immer verstanden, was du tust?
XCel: Ich glaube, er war skeptisch, bis ich anfing, damit Geld zu verdienen (lacht). Danach wusste er, dass es real ist. Heute spielt unsere Platten all seinen Freunden vor. Meine Mutter war da schon immer anders, sie ist ein absoluter HipHop-Head. Als ich in der Highschool war, hat sie mich und drei meiner Freunde auf ein Konzert mitgenommen, auf dem wir Public Enemy, Big Daddy Kane, Queen Latifah und Digital Underground gesehen haben. Sie hat für eine Bank gearbeitet, die eine eigene Lounge in der Halle hatte – mit besonderen Sitzen und all dem Kram. Also hat mich meine Mom zu einem Public Enemy-Konzert gefahren, das ich mir von einem Sofa aus angesehen habe. Sie hat die Ghetto Boys gehört, Compton´s Most Wanted – sie hatte all diese Tapes in ihrem Auto. Meine Mom hat das also alles schon früher verstanden. Beide kommen allerdings immer noch auf Shows, wenn wir spielen.

rap.de: Wenn dein Studio runter brennen würde und du nur ein Teil deines Equipments retten könntest – welches wäre es?
XCel: Mann… Ich würde mit meiner MPC raus rennen, weil das meine Gitarre ist. Alles, was ich mache, entsteht um dieses Gerät herum. Andererseits gibt es in Sachen Ausstattung so viel, was ich mag – vor allem, wenn es mir geholfen hat, meinen eigenen Sound zu entwickeln. Ich liebe die Empirical Labs Distressors, weil ich schätze, was man damit mit Drums machen. Ich liebe den Empirical Labs Fatso, ich liebe, was er mit dem rauen Mix macht. Die Fairchild 670s sind ein Klassiker. Ich bin ein Gear-Head, ich könnte diese Liste ewig fortsetzen. Ich denke aber, dass die Sachen, die mir immer am nächsten sein werden, meine MPCs sind.

rap.de: Wann hast du dir dein erstes Equipment gekauft?
XCel: Meinen ersten Sampler habe ich 1989 von einem Typen namens Brian Morgan gekauft.  Brian war zu dieser Zeit bei ATF/Heavy Ds Deejay-Production Company gesignt und machte eine Menge Sachen für diese Crew. Später hat er dann die SWV-Platten produziert – er war einer der ersten wirklich großen Produzenten, mit denen ich in Kontakt gekommen bin. Er war übrigens auch down mit Teddy Riley. Er hat mir mein erstes Studio-Setup verkauft, für das ich 500 Dollar bezahlt habe. Es war eine Alesis HR16-Drummachine, ein Tascam Vierspurrekorder und ein Korg DSS 1-Sampler. Der Sampler verfügte über fünf Sekunden Mono-Samplezeit bei 44 Hertz. Um einen ganzen Loop reinzubekommen, musste man das Tempo auf 45 erhöhen und anschließend wieder runterziehen. Ich habe die meisten der grundlegenden Arbeiten für Melodica auf diesem Setup gemacht. Als wir dann soweit waren, wirklich ins Studio zu müssen, um aufzunehmen, haben Shadow und ich die ganzen Samples auf die MPC 60 übertragen. Danach haben wir Melodica, A2G und NIA alle komplett auf derselben MPC 60 gemacht. Nach NIA habe ich angefangen mit der MPC 3000 zu arbeiten.


rap.de: Für „The Craft“ hast du dir ja nun das nächste Update zugelegt…
XCel: Ja, der Großteil von „The Craft“ ist auf der 4000 entstanden. Vielleicht bauen sie ja eine 6000 für unser nächstes Album. Die 4000 hat eine 80 Gigabyte-Festplatte, was ein großer Vorteil ist, denn ich kann alles in der MPC lassen und muss nichts reinladen. Wegen des Sounds der Drums, lasse ich noch viel über die 3000, manchmal sogar durch die 60 laufen, weil sie manchmal etwas besser knallen. Generell mag ich die 4000 am meisten, weil ich die Dinge viel schneller machen kann. Die 60 ist wirklich winzig, zur 4000 ist es ein Quantensprung.

rap.de: Wenn man eure Alben vergleicht, hat „The Craft“ gegenüber „Blazing Arrow“ klanglich noch mal einen Sprung gemacht, ganz zu Schweigen von „Nia“. Was hat sich technisch zwischen den Platten, abgesehen von den MPCs, geändert?
XCel: "Nia" ist straight über einen Mixer und ein kleines Behringer-Board auf A-Dat aufgenommen worden. Das ist sicher unsere am dünnsten klingende Platte. Bei Blazing Arrow sind wir dann definitiv eingestiegen, was das Kaufen von Equipment angeht. Da wurde schon alles mit Pro Tools aufgenommen und ging von dort aus dann in die MPC 3000, von dort dann in das Focusrite-Board, das ich damals schon nutzte. Auch da klang für meine Begriffe am Ende alles noch recht dünn, aber wir haben dann beim Mix noch mal viel rausgeholt. Russ [Russel Elevado] ist einfach ein analoges Genie – er besitzt Geräte, die bis in die frühen 50er zurück gehen. Den größten Unterschied, den „The Craft“ nun gegenüber allem anderen macht, ist wohl die Tatsache, dass wir extrem fettes Quellenmaterial haben. Wenn dein ursprüngliches Material fett ist, bringt dich das natürlich extrem weiter. Wir mussten diesmal nicht mehr mit irgendwelchen Störfrequenzen kämpfen. Sehr wichtig für dieses Album war auch Mike Cresswell, der als Recording Engineer mitarbeitete. Egal, ob wir Live-Sachen aufnahmen oder ich etwas mit der MPC machte – wir haben das Maximum raus-equet. Ein weiterer Unterschied zwischen „The Craft“ und „Blazing Arrow“ ist, dass wir dieses Mal Pro Tools HD benutzt haben, im Gegensatz zum TDM-System, dass wir früher benutzen. Ich kann definitiv einen Unterschied zwischen 192 Hz und 44.1 Hz hören.

rap.de: Womit nimmst du Gab auf?
XCel: Wir haben bei „The Craft“ exakt dieselbe Mikrophon-Kette benutzt, die wir auf „Blazing Arrow“ hatten. Darüber will ich aber nicht sprechen, weil die Mikrophon-Kette wirklich sehr selten ist (lacht). Dennoch habe ich noch bessere Wege gefunden, um ihn aufzunehmen.

rap.de: Du hast im Studio eine ziemlich antiquiertes Teil stehen, wegen dem du auch die Klima-Anlage runter gedreht hast. Was ist das?
XCel: Das ist eine Neve-Console, eine klassische Konsole aus den späten 60ern. Die BBC hatte damals besondere Neve-Konsolen für all ihre Übertragungs-Studios, die Melbournes genannt wurden. Ich will darüber nicht zu viele Worte verlieren, aber dieses Ding hält den Sound für mich wirklich zusammen. Alles, was ich aufnehme, läuft darüber.

 

rap.de: Hast Du auch Equipment im Studio, das mehr aus atmosphärischen Gründen da ist und eigentlich nicht mehr zum Einsatz kommt?
XCel: Ich war nie einer von diesen Typen, der Sachen nur sammelt, um dann sagen zu können, dass er sie besitzt. So gut wie jedes Stück Ausrüstung wird bei mir eingesetzt, ob es nun eine Drummachine ist, verschiedene Kompressoren oder irgendwelche Mikrophonvorverstärker. Jedes Teil fügt deinem Sound eine neue Farbe hinzu. Jedes Stück Equipment, das ich benutze, hat seine eigene Persönlichkeit und seinen eigenen Charakter. Ich interessiere mich dafür, was diese Geräte leisten können, um ein neues Bild zu malen.



rap.de: Wie wichtig ist Dir der Prozess des Masterings?
XCel: Matering ist wichtig, allerdings ist der Prozess des Mischens noch wichtiger. Mastering sollte in meinen Augen den Sound nur verbessern und nicht ändern. Wenn ich zum Mastern gehe, will ich klanglich bereits alles da haben, wo es hingehört. Es gibt zwei Mastering-Engineers, mit denen ich arbeite. Einer von ihnen ist Chris Gehringer von Sterling Sound, der andere ist John Cuniberti bei The Plant Mastering in Sausalito, California. Beide sind großartige Engineers. In der Regel packen sie aber eben nur hier und da ein Dezibel drauf. Ich will auch nicht, dass meine Sachen groß verändert werden. Der Mixing-Engineer, mit dem ich für Blackalicious zusammenarbeite, ist Russel Elevado. Wir arbeiten wirklich hart, um schon im Mix einen bestimmten Sound zu entwickeln. Bei Maroons war es Mike Cresswell. Auch wir haben alles gegeben. Wenn sich der Sound durch das Mastering nennenswert geändert hätte, hätten wir etwas falsch gemacht.

rap.de: Nenne mir bitte Deine Lieblings-HipHop-Produzenten, beginnend in den 80ern und erkläre kurz, weshalb sie die Kultur deiner Meinung nach geprägt haben.
XCel: Ich hasse diese Frage, weil ich so viele Leute mag, dass mir sofort jemand neues einfällt, wenn du gegangen bist, und ich schließlich anrufe, um zu sagen „Ich habe den und den vergessen“. In den späten 80ern gab es drei Producer, die meine Sicht auf HipHop geprägt haben. Der erste war Prince Paul. Der zweite eher eine Gruppe – Bomb Squad mit Eric Sadler, Hank Shocklee und Chuck D. Der dritte ist DJ Pooh, weil er die Person der Westküste war, die es richtig raus hatte – begonnen bei den Sachen, die er mit King Tee gemacht hat. Außerdem natürlich Dre. In den frühen 90ern war es dann Large Professor. Er hat den Aspekt des Wettbewerbs im Diggen auf die Spitze getrieben. Wenn ich Wettbewerb sage, meine ich diesen Geist, wirklich den Rohdiamanten zu finden, den niemand kennt, und das Ding zu flippen. In den Mitt-90ern mochte ich Easy Mo Bees Sachen, besonders was er für Biggie gemacht hat. Dann natürlich DJ Premier und Pete Rock. An der Westcoast erneut Dr. Dre. Dre hat die Fähigkeit, relevant zu bleiben. Mit relevant meine ich dabei gar nicht die Ebene der Musikindustrie, sondern eine klangliche Ebene. Dre hat seinen Sound immer nach vorne gebracht und blieb in der Produktion fresh, egal ob es die CIA-Sachen, die N.W.A.-Sachen oder D.O.C. waren, bis hin zu Chronic-Ära, der Eminem-Ära und der 50-Cent-Ära. Er hat immer definiert, was aktuell ist – sein Sound war immer die Definition von Gegenwart. Außerdem haben mich in den Mitt-90ern Doug Infinite und No ID aus Chicago geprägt. Die waren richtig dope. Gegenwärtig ist Jumbo von den Lifesavas  mein Lieblingsproduzent – seine Eigenschaft, einen Groove zu sehen und zu entdecken, das kann nicht jeder. Just Blaze-Sachen mag ich sehr. Jake One und Vitamin D sind dope, auch Supa Dave Wests Sachen mag ich.


rap.de: Interessant ist ja auch, wie sich die HipHop-Produktion im Laufe der Zeit änderte. Begonnen von Instrumentals, für die Ende der 70er viel eingespielt wurde, weil Sampler noch extrem teuer waren, über rein sample-basierte Sachen Ende der 80er, hin zu einer wieder entgegen gesetzten Entwicklung heute. Verfolgst du das aktiv mit?
XCel: Ich fühle mich durch die Tatsache gesegnet, mit dieser Musik groß geworden zu sein, und die Chance gehabt zu haben, sie über die verschiedenen Perioden hinweg mitzuverfolgen. Ich habe deshalb mehr Bezugspunkte für die Dinge, die ich in der Zukunft kreieren werde. Ich sehe die Dinge auch immer aus der Perspektive des Plattensammlers und betrachte Musik vor dem Hintergrund von Zeitlinien und unter geschichtlichen Gesichtspunkten. Das hat schon so einen leicht musikwissenschaftlichen Touch. Eines der schönen Dinge an dem, was wir tun, ist es, dass sich dein musikalisches Vokabular erweitert, je mehr Platten du hast und je mehr Genres du erforscht. Was HipHop angeht, ist diese Entwicklung von House-Bands, über das, was Mantronic dem Game gaben, bis hin zur Bomb Squad und der ausschließlich sample-basierten Musik, natürlich interessant. Ich denke, dass das auch etwas ist, was der gegenwärtigen und der nächsten Generation von Kids fehlt, die in HipHop hineinwachsen. Es ist schwer, die Emotion eines bestimmten Sounds wirklich zu verstehen, wenn du ihn nicht gehört hast, als er aktuell war und du aufgewachsen bist.

rap.de: Wie meinst Du das genau?
XCel: Ein Beispiel: Ich bin nicht mit James Brown groß geworden, verstehe seine Musik aber natürlich. Was mir jedoch fehlt, ist das, was zu dieser Musik als emotionales Attachment dazugehört. Mein Vater hat dagegen einen gewissen Bezugspunkt, wenn er „Say It Loud“ hört. Er kann sich daran erinnern, wo er war, als er diese Platte das erste Mal hörte und weiß noch, welches Gefühl sie bei ihm und seinen Freunden auslöste, als sie aktuell war. Ich hingegen schaue von außen drauf – ich kann den Song auf musikalischer und technischer Ebene schätzen, habe aber nicht dieselbe emotionale Verbindung.


rap.de: Welche klassischen Produzenten zählst Du zu Deinen Vorbildern?
XCel: Quincy Jones und Roy Ayers sind Leute, die ich schätze, auch weil beide sehr langlebige Karrieren hatten. Wenn man sich Quincy Jones ansieht – der Typ hat mit jedem von Frank Sinatra bis Mellie Mel gearbeitet. Leon Ware ist jemand, für den ich enormen Respekt empfinde, Gamble and Huff, Teddy Riley, David Axlrod. Unten in Brasilien gibt es einen Typen namens Lincoln Olivetti, von dem ich ein riesen Fan bin. Er schrieb einige der erstaunlichsten Arrangements, die ich in moderner Musik je gehört habe.

rap.de: Wann hast du angefangen, mit Musikern zu arbeiten?
XCel: Auf NIA begann es auf Songs wie „If I May“, „Deception“, „Sleep“ und „Shallow Days“ – das entwickelt sich mit der Zeit auf natürliche Weise. Man beginnt auch erst nach und nach, dafür die richtigen Musiker zu finden. Man kann einfach nicht mit jedem Session-Musiker perfekt zusammen arbeiten. Mein String-Arranger Vincent Segal versteht die Dinge z.B. aus einer gewissen Break-Mentalität heraus. Er kommt aus der Kultur und hat einen Oldschool-, beinahe schon einen Electro-Background. Ihm muss ich nicht langwierig erklären, welches Gefühl ich mit dem Sound erzeugen möchte. Er setzt sich einfach, spielt ein paar Sachen ein, bis wir schließlich verschiedene Optionen haben, und dann schweiße ich die Dinge zusammen. So ist es inzwischen mit allen Musikern, die ich einbeziehe. Mit RV, der die meisten Keyboard-Sachen auf Ambush eingespielt hat, ist es z.B. genauso.

 

rap.de: Gibt es für Dich irgendein Ritual oder einen sich ähnelnden Ablauf, wenn du an eine neue Produktion herangehst?
XCel: Für mich kommt die Inspiration aus dem Inneren, es gibt wenig äußeren Einfluss. Es geht darum, den Prozess natürlich ablaufen zu lassen. Ich brauche keine Bilder von Africa Bambaataa oder sonst wem an der Wand, um zu arbeiten. Ich brauche die richtigen Instrumente. Die größte Herausforderung für mich persönlich besteht darin, das, was ich in meiner Vorstellung höre, auf Band oder Protools zu übersetzen. Ich höre Dinge in meinem Kopf häufig in Strukturen, Farben und Sounds, und manchmal arbeite ich an Sachen an meiner MPC dann für Stunden, Tage oder gar Wochen und schaffe es einfach nicht, das richtige Gefühl zu erzeugen. Plötzlich stolpere ich über einen bestimmten Filter oder ein bestimmtes Pedal und in Sekunden ist alles perfekt. Für mich gibt es nicht den einen richtigen Weg.

rap.de: Wann ist es Dir das erste Mal gelungen, Deine Vorstellung unmittelbar umzusetzen?
XCel: Das erste Mal, dass ich einem Song von Anfang bis Ende so durchproduziert habe, dass ich sofort das Gefühl hatte, das ist die Emotion, die ich umsetzen will, war, als wir Lyric Fathom für „Melodica“ produzierten. Andererseits sucht man konstant nach dieser 100%-Marke des Ausdrucks und egal wie perfekt etwas wird, es liegt in meiner Natur, zurück zu sehen und zu sagen „Das hätten wir ein klein wenig anders schleifen können“. Deshalb ist es für mich schwierig, meine alten Platten zu hören. Natürlich spielen wir sie jede Nacht live, aber sich hinzusetzen und ihnen so zuzuhören, wie man den Sachen von anderen Leuten zuhören würde – das habe ich aufgegeben, das ist zu schmerzhaft. Ich kritisiere meine eigenen Sachen immer bis zur Grenze.

rap.de: Wir sprachen vorhin schon über den unterschiedlich intensiven Einsatz von Samples im HipHop. Bei vielen Produzenten hat deren Verwendung ja auch nachgelassen, weil sie zu teuer sind und man verklagt wird, wenn man sie nicht klärt. Spielen solche Erwägungen bei Dir auch eine Rolle?
XCel: Ob das gut oder schlecht ist – ich lasse die geschäftliche Seite immer völlig außen vor, wenn ich ins Studio gehe. Ich jage immer dem Sound hinterher, den ich kreieren will. Mit allem anderen Kram beschäftige ich mich später (lacht). Diese Art zu arbeiten, hat definitiv Vor- und Nachteile. Absolute Priorität hat für mich aber eben meine künstlerische Entwicklung.

rap.de: Hattet Ihr schon mal einen Rechtsstreit wegen eines Samples?
XCel: Nein. Wir sind am Ende der Produktion immer sehr sorgfältig, was die Behandlung dieser Dinge angeht. Verrückt ist allerdings, dass wir ab und zu von Leuten wegen Samples angesprochen werden, die wir definitiv nicht gesamplet haben. Wir haben z.B. auf Blazing Arrow einen Song, der auch in einem Film verwendet wird. Das Sample, das darin auftaucht, wurde mit dem Urheber geklärt. Plötzlich meldete sich dann ein Typ, der damit nichts zu tun hatte, und behauptete, er hätte das Lied geschrieben.


rap.de: Mit ist aufgefallen, dass auf der Promo-Copy von „Blazing Arrow“ damals ein Song war, der sich auf der Platte, die dann verkauft wurde, ganz anders anhörte. Was war da passiert?
XCel: Du redest von Purest Love – das ist ein Song, der im Original ein Sample hatte, das wir nicht klären konnten. Mich hat das damals sehr enttäuscht, weil das einer meiner Lieblingsbeats ist. Es war ein Leon Ware-Sample und sein gesamter Katalog wird gemeinsam von ihm und seiner Ex-Frau gehalten. Er wollte uns die Genehmigung geben, seine Ex-Frau aber nicht.

rap.de: Welche Leon Ware-Platte ist dein Lieblingsalbum?
XCel: Musical Massage, weil die Arrangements darauf einfach krass sind.

rap.de: In Berlin sind Sachen von ihm schwer zu bekommen. In einem meiner Stammplattenläden schütteln sie nur den Kopf, wenn ich Leon Ware sage…
XCel: Online kann man das auch noch auf Vinyl kaufen, wobei es natürlich schwer ist, noch ein Original zu bekommen. Aber Re-Issues sind definitiv noch erhältlich.

rap.de: Was ist Dein Ziel nach „The Craft“?
XCel: Die nächste Phase meines Traums ist es definitiv, Musik für Filme zu schreiben. Quincy Jones ist da vor allem auch im Hinblick auf seine Gesamtleistung eines meiner Idole. Ich möchte mich auf jeden Fall so lange mit Musik beschäftigen, wie ich lebe. Ansonsten konzentriere mich zurzeit darauf, mein eigenes Studio zu bekommen, das in Oakland liegen soll [das „Accompong Compound“ war im Studiokomplex „Studio 880“ untergebracht]. Die Bay Area inspiriert mich einfach. Ich habe da den Großteil meines Lebens verbracht und mag das Familiäre, das die Gegend daher für mich hat. Wir kümmern uns gerade darum, ein Gebäude dafür zu erwerben.

rap.de: A propos Film – wie hast Du Ray gefunden?
XCel: Ich mochte den Film sehr und bin auch schon lange ein Ray Charles-Fan. Es gibt sogar eine persönliche Verbindung, denn Ray Charles ist tatsächlich der Pate meiner Großmutter. Jedes Mal, wenn er durch Monterrey/ California kam, besuchte er sie. Ich bin einfach auch ein großer Technik-Fan und mag deshalb die Szenen, in denen man das Studio sieht. Ich mochte z.B. die Szene, in der er die Background-Sängerinnen raus warf und entschied, alles selbst aufzunehmen. Ich finde, dass Jamie Fox einen außergewöhnlichen Job gemacht hat.