Serafinale

„Lass uns doch an der Golden Gate Bridge treffen“, schlug Sera vor, als wir telefonisch einen Treffpunkt für das Interview ausmachten. Ja, gemeint war schon DIE Golden Gate Bridge, die rot strahlend die Bay bei San Francisco überquert. Allerdings kann man sie auch in  Berlin-Kreuzberg bewundern, wo sie an eine Hauswand gemalt ist.

Also trafen wir vor diesem Wandbild zusammen und ließen die Gedanken noch eine Weile um diese außergewöhnliche Stadt in Kalifornien kreisten. Die Realiät holte uns wieder ein, als ein Kind direkt vor unserer Nase harten Kontakt mit dem Boden aufnahm, um dann weinend seiner Mama davon zu "erzählen" und kurz darauf ein stinkendes Moped direkt an uns vorbeiknatterte, dabei mit seinen Auspuff mitten in unsere Gesichter zielte. Heul! Hust!  Wir waren also wieder zurück in Kreuzberg. Zeit, endlich das Interview mit Serafinale zu beginnen: wie er als Westberliner zum Ostblokk kam, wie es in der Berliner HipHop-Landschaft eigentlich so ausschaut, warum Boxer sich keine Namen merken können und wieso der Weg zu seinem ersten Album „Serafiniert“ so lang war. Außerdem muss geklärt werden, was eigentlich San Francisco mit der ganzen Sache zu tun hat – die Stadt, nicht das Bild auf der Wand.

rap.de: Kaum zu glauben, aber dein Album ist ja jetzt endlich draußen. Was war das ausschlaggebende Moment, das es endlich geklappt hat?

Sera: Na ja, ich hab es akrobatisch hingekriegt, mir selber in den Arsch zu beißen. Nee, irgendwie kam halt immer etwas dazwischen. Sei es für den Soundtrack zum Film (Status Yo!) oder Sachen für den „Blockk“. Aber vor ca. drei Monaten hab ich es mir dann richtig fest vorgenommen, mich nur auf das Album zu konzentrieren. Denn wenn schon ein Album, dann auch mit voller Konzentration. Und das ging halt nicht früher.

rap.de: Hast du komplett von vorne angefangen oder auch ältere Tracks eingebaut? Vielleicht in abgeänderter Fassung?

Sera: Also ältere Tracks neu aufgenommen oder so, hab ich nicht. Auf dem Album sind jetzt sechs alte Tracks drauf, glaube ich, und der Rest ist neu. Zumindest ziemlich neu.
Es war halt auch irgendwann so, dass ich angefangen habe einfach Tracks zu machen, ohne die Intention, die Mal auf ein Album zu packen. Das war dann so die Mittelphase. Zum Schluss hab ich dann aber noch fünf, sechs Tracks direkt für das Album gemacht, damit das auch einen runden Abschluss gibt. „Endlich“, der letzte Track auf „Serafiniert“, ist auch erst ganz zum Schluss entstanden.


rap.de: Ich hatte das Gefühl, dass der praktisch die Essenz aus all den anderen Tracks auf dem Album ist. Alles Wichtige noch mal auf den Punkt gebracht. Ein sehr gelungener Abschluss fürs Album.

Sera: Danke. Den Beat hatte ich schon vor etwa einem dreiviertel Jahr gehört und hab Rilla gesagt, dass er mir den unbedingt sichern soll, weil ich ihn am Ende des Albums brauche. Den Text hab ich dann auch direkt auf diesen Beat geschrieben. Als Fazit oder so. Wenn du mich jetzt noch fragen würdest, welcher Track mich am meisten widerspiegelt, dann ist es „Endlich“.

rap.de: Dann hätte der doch gereicht, warum denn dann noch die anderen? (lachen)
Was anderes. Dein Album kommt ja zu einem Zeitpunkt raus, wo Rap aus Berlin ziemlich viel Welle macht. Allerdings vornehmlich in der aggressiven Battle-Rap Variante. Siehst du es als einen Vorteil an, dass dein Album jetzt rauskommt, weil Berliner Rap eh weit oben ist – auch wenn dein Ansatz ein anderer ist – oder eher als ein Nachteil, weil es vielleicht vorschnell in eine Ecke gepackt wird? Oder ist dir das alles völlig schnuppe.

Sera: Ich glaube eigentlich nicht, dass ich davon groß profitiere, weil ich eben doch ein wenig was anderes mache, auch wenn einige Battlesachen mit dabei sind. Aber erst mal ist es so, dass es mich total freut, wie Berlin abgeht. Denn, guck mal, dass ist doch genau das, was wir früher oft gesagt haben. Pass ma´ auf Alter, hier ist soviel Potential in dieser Stadt, irgendwann startet Berlin durch. Das ist ja dann auch so passiert.
Ich würde vielleicht mehr davon profitieren wenn ich da jetzt ganz plakativ „Berlin“ draufschreiben würde, aber das fällt bei mir nur im Nebensatz. Das ist so ne Welle, die vom Strand aus ganz gut zu sehen ist, aber die ich nicht reiten kann. Ich bediene eben auch andere Leute.

rap.de: Wie siehst du als MC die Entwicklung der Sprache im deutschen Rap, bzw. der Reimstile? Wenn man sich mal Tracks von vor fünf Jahren anhört, bemerkt man ja schon einige Unterschiede in Wortwahl und Reimschema.

Sera: Auf jeden Fall. Das ist ja das tolle an Rap, das es letztlich immer auch Competition ist, dass jeder immer besser sein will als der andere. Die Folge davon ist eben auch, dass du immer wieder probierst, noch ne neue Nuance reinzubekommen und noch einen neuen Flow zu kreieren. Die Leute wollen ja auch immer was Freshes schaffen. Also zumindest einige. Es gibt natürlich auch die, die sich genau so anhören wie andere und einfach auf der Schiene mitfahren. Dann hört sich das auf einmal sehr ähnlich an. Und zwar nicht nur in Sachen Flow, sondern auch die Wortwahl ist dann auf einmal fast gleich. Ich höre natürlich auch hin, was andere so machen und versuche, so oft wie möglich Synonyme zu benutzen. Das trainiere ich richtig. Aber im Vergleich zu früher, variiert es heute schon ziemlich stark. Worte, Reimschemata, alles ist vielfältiger geworden. Man muss auch bedenken, dass es heutzutage auch viel mehr Leute gibt die rappen, so dass man auch schon was echt Krasses machen muss, um aus der Masse herauszustehen.


rap.de: Wie siehst du deine Rolle als MC, als Serafinale oder das Alter Ego Serafinanzamt und als Sera(fin), die Privatperson, machst du da einen Unterschied?

Sera: Auf jeden Fall! Sobald du am Mic stehst, bist du natürlich die Figur, die du geschaffen hast. Das wäre sonst gar nicht unter einen Hut zu bringen, denn als Privatmensch setzt man sich ja auch ganz andere Prioritäten. Und Serafinale, Serafinanzamt, Serafiniert, das sind halt einfach so Wortspiele. Der Name Serafin stammt noch aus der Zeit, als ich getaggt habe. Irgendwann haben mich alle nur noch Sera genannt. Ja, ich dachte dann Sera ist schon und gut. Aber da fehlt doch noch was. Ist dann schon „Fin“, also Ende? Dann hab ich eben rumprobiert und „Finale“ hat mir am besten gefallen. Tja, so hat sich das ergeben. Unter mein Artwork schreibe ich auch immer „Finale-Kunst“.

rap.de: Das Artwork von deinem Album hast du auch selber gemacht, oder?

Sera: Genau. Musste ich aber auch irgendwie selber machen. Wenn das jemand anderes macht, wäre es mir auch peinlich immer daneben zu stehen und es so hinzubiegen, dass ich es cool finde. Da hab ich mir gedacht, das machste selber.


rap.de: Wie war den eigentlich dein Abstecher ins Filmgewerbe. Du hattest ja die Hauptrolle bei Status Yo!. Was für Erfahrungen hast du dort gemacht? Konntest du da auch etwas für deine Musik rausziehen, oder vielleicht umgekehrt?

Sera: Ich bin schon seit frühster Kindheit jemand, der danach sucht, sich darstellen zu können. Den Clown zu machen in der Schule oder eben irgendwie aufsehen zu erregen. Ich habe dann in der Schule auch Theater gespielt, oftmals sogar die Hauptrolle, weil mir das einfach Spaß gemacht hat. Irgendwann kam dann Rap und die ganze Theatergeschichte rückte erst mal total in den Hintergrund. Obwohl ich natürlich auch beim Rap auf der Bühne stehe und Leuten versuche meine Sache rüberzubringen. Und das ist es letztlich auch, was mir am meisten Spaß macht. Das ist der Reiz, deshalb finde ich das so geil. Und weil ich so gerne auf der Bühne stehe, war der Schritt zum Film auch gar nicht so groß. Es war ja auch so, dass wir bei Status Yo! einfach nur uns selbst gespielt haben. Es gab kein richtiges Drehbuch und viel basierte auf Improvisation. Da hast du dann irgendwann einfach vergessen, dass die Kamera an war. Für mich war wichtig beides unter einen Hut zu bringen, Rap und Schauspielerei. Wobei Rap in dem Film eigentlich gar nicht so im Vordergrund stand. Einige haben ja auch gemeckert, warum die jetzt uns als Beispiel für Rap aus Berlin filmen, da gibt es doch noch so viel andere die gut sind. Aber darum sollte es ja gar nicht gehen. Das sage ich auch im letzten Track, „Endlich“: „…es ging nie um Rap aus Berlin, sondern um Homez, die ihre Spuren durch die Straße ziehen“. Mehr war das nicht.
Für mich war das cool, noch ne andere Kreativstufe mitzunehmen, eben in einem Film mitzumachen und natürlich den Soundtrack zu machen. Deshalb hat es ja auch ein wenig länger gedauert mit dem Album.

rap.de: Wann ist den eigentlich die Ostblokk Plattform entstanden?

Sera: Dazu muss ich noch mal ein wenig zurückgehen zur Pflegerlounge: Es war einfach so, dass ich keinen Bock mehr hatte, weil einfach zu wenig passiert ist. Ich hatte die Pflegerlounge ins Leben gerufen, aber irgendwann hab ich dann alle zusammengetrommelt und denen gesagt, dass sie gerne weitermachen können, aber ich bin raus. Ich möchte nicht mehr. Danach hing ich dann eine Zeit lang so ein bisschen in der Luft und hatte auch niemanden am Start der Beats macht und so. 2000 war ich dann mit Pyranja auf Deutschlandtour, wo wir die Analphabeten kennengelernt haben. Und Joe Rilla wollte ich schon immer mal treffen, bin dann einfach hin und hab ihn gefragt, ob er nicht den einen oder anderen Beat am Start hat. Er hat mich dann ins Studio eingeladen, wo ich zusammen mit Jamie (White) und Pepi hin bin und das war einfach nur geil. Rilla hat uns n Beat gegeben, wir sind dann nach Hause, um zu schreiben und dann am nächsten Morgen um acht Uhr – Joe Rilla ist einfach ein krasses Arbeitstier und manchmal auch schon morgens um sechs im Studio am machen – wieder bei Rilla eingeritten, um das Teil aufzunehmen. Wir haben dann gleich drei, vier Tage hintereinander aufgenommen. Irgendwann kamen auch Pyranja und Dra-q mit. Jeder hat an seinem Solokram gearbeitet. Das ging dann ein halbes bis dreiviertel Jahr so. Und irgendwann kam halt die Idee auf, der Sache mal einen Namen zu geben. Es sollte aber keine Crew sein, sondern eher wie ne AG aussehen.

Bei der Namenssuche kam der Dikke (Joe Rilla) irgendwann mit dem Namen Ostblokk. Ich bin der einzige von denen, der nicht aus dem Osten kommt, aber das ist auch total egal, das ist nicht wichtig. Für manche mag es sich Paradox anhören, dass ein Westberliner beim Ostblokk dabei ist. Wenn mir bei manchen Interviews die Frage danach ein wenig auf die Nerven geht antworte ich auch gerne, dass wir uns damals bei Hertha im Stadion kennengelernt haben, im Ostblock des Stadions. (lachen)
Im Endeffekt ist es ja auch nur ein Wort und es kommt darauf an, was die Leute damit assoziieren. Da gibt es tausende Möglichkeiten. Geografisch gesehen liegt Berlin ja auch im tiefsten Osten der Republik.
Seit der Ostblokk Sache höre ich aber auch genauer hin, wenn mal wieder Sprüche fallen. Irgendwann reicht es halt auch damit, das sag ich ja auch auf der Platte: „…es sind 16 Jahre und es gibt doch noch stress, überflüssiges Gehabe zwischen Ost und West.“ Langsam is ma jut jetzt! Ja, so ist der Ostblokk entstanden.

rap.de: Deine Eltern sind auch so begeistert von deiner Rapkarriere, dass du sie auf einem Track gefeatured hast?

Sera: Die Sache ist so, meine Eltern leben getrennt seit ich fünf Jahre alt war. Und, viele werden das kennen, es ist einfach schwer, beide mal wieder unter einen Hut zu kriegen. Mit diesem Track, „Unser Sohn…“, habe ich einfach die Chance gesehen, etwas mit beiden zusammen zu machen, was in gewisser Weise auch für die Ewigkeit hält. Natürlich wollte ich ihnen damit auch nahe bringen, was ich eigentlich mache und was mir am Meisten bedeutet. Und sie sollten halt auch mal ein Teil davon sein. Das war aber auch eine einmalige Sache, auf dem nächsten Album wird das keine Fortsetzung haben.

rap.de: Wie ist es eigentlich zu der Vanilla Ice verarsche „Cooler als Ice“ gekommen, wo du die erste Strophe einfach eins zu eins auf Deutsch übersetzt hast und deine Stimme hochgepitcht ist wie bei Quasimoto?

Sera: Das hab ich schon 2001 gemacht. Da hatte mich eine Freundin in ihre Sendung eingeladen, bei KissFM. Wir hatten an dem Abend einen Auftritt und ich sollte das in der Sendung ankündigen. Da diese Freundin mich auch ganz gut kennt und wusste, das ich für fast jeden Spaß zu haben bin, hat sie gesagt, dass bei KissFM morgens um 9:30 Uhr eine Sendung läuft, in der Leute 30 Sekunden lang Zeit haben zu sagen, was sie wollen. Mir ist dann erst mal nix eingefallen. Irgendwie bin ich dann auf „Ice Ice Baby“ gekommen und hab die erste Strophe dann mal ganz spontan auf Deutsch übersetzt. Da das ganze aber länger alsm die erlaubten 30 Sekunden war, schlug ich vor, die Aufnahme einfach hochzupitchen. Dann passte es.

rap.de: Sind die anderen Skitz auf dem Album ähnlich entstanden?

Sera: Die anderen hab ich mit meinem Handy aufgenommen, immer so zwischendurch. Für die nächsten vier Alben hab ich da auf jeden Fall genug Stuff für Skitz. Als ich zum Beispiel bei Stefan Raab war, hab ich mir Shoutouts von Dariusz Michalczewski geben lassen. Das war echt witzig. Er sollte mir dann ins Telefon sagen: „Hallo hier ist Dariusz Michalczewski und immer wenn ich chille, höre ich Sera.“ Als er dann anfing loszuquatschen, hatte er meinen Namen natürlich längst wieder vergessen. (lachen) Bei Axel Schulz war das genauso. Das scheint bei Boxern wohl so eine Sache zu sein, mit dem Kurzzeitgedächtnis.

rap.de: Hat anscheinend schon etwas gelitten. (lachen)

Sera: Aber die Typen waren echt super cool.

rap.de: Wie sieht es denn mit dem nächsten Album aus, hast du schon ein Konzept dafür? Vielleicht San Francisco, du bist ja, wie ich, auch Fan von der Stadt?

Sera: Warum nicht? Ich hab mich ja auch in die Stadt verknallt, als ich dort war. So viel relaxte Leute hab ich noch nie getroffen. Hammer. SF ist einfach so geil, ich hab auch schon einige Leute, die ich da kennengelernt habe, kontaktet. Die wollen mir Beats schicken und dann schauen wir mal, dass da was geht. SF wird bei meinem nächsten Album sicherlich eine Rolle spielen. Wie das genau ausschaut, muss man mal abwarten.    

rap.de: Wir sind gespannt. Danke für das Interview.