In unserer neuen Interviewreihe “Rap und Literatur” geht es um das Verhältnis von HipHop-Künstlern zu Literatur und Sprache. Dieses Mal redet Bartek über den jiddischen Humor, „50 Shades of Grey“ und Goethe. Außerdem erklärt er, wieso das Lesen von Romanen und Gedichten dich zum besseren Menschen macht.
Welches Buch begleitet dich derzeit?
Ich lese von Walter Moers „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär“ und es ist unfassbar gut. Ich lache mich sehr oft kaputt. Moers hat so viele geile Ideen, so viele Wortneuschöpfungen. Er schafft es mich durchgängig zu unterhalten. Es wird nie langweilig. Ich liebe den Typen.
Nenne mal eine dieser Wortneuschöpfungen!
Ein Gimpel. Das ist ein Sandwüstenbewohner, der die ganze Zeit eingemummt umherläuft und die Stadt Anagrom Ataf – also Fata Morgana rückwärts – sucht.
Du bist auch ein Fan des französischen Autoren Michel Houellebecq. Was schätzt du an seinem Werk?
Ich mag seine Sicht auf die Gesellschaft. In seinen Büchern geht es auch oft um Tourismus, also er befasst sich mit bestimmten Gruppen von Touristen. Das ist mir zumindest bei ihm aufgefallen. Ich habe zum Beispiel „Lanzarote“ von ihm gelesen. Dort macht der Ich-Erzähler eine Pauschalreise mit. Während dieser beobachtet er die Verhaltensweisen seiner Mitmenschen. Aus den Alltäglichkeiten der Menschen zieht er Schlüsse über ihre Charaktere. Jemand nimmt sich beispielsweise beim Buffet so und so viel Essen. Anhand dessen schafft es Houellebecq diesen Menschen zu porträtieren. Dafür habe ich große Bewunderung. (fügt nach einer kurze Pause hinzu) Manchmal aber ist er mir zu nihilistisch.
Stimmt, aber in seinem diesjährig erschienen Buch „Unterwerfung“ spielt Religion eine große Rolle. Der Protagonist des Buches widmet sein Leben Joris-Karl Huysmans, ein französischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, der sich irgendwann vollkommen dem Katholizismus hingab.
Voll, aber das ist leider nur eines der wenigen Dinge, die mir am neuen Buch gefallen. Ich meine, dass er dieses Mal im Kontrast zu seinen vorherigen Büchern der Religion eine größere Rolle zukommen lässt. Dass der Ich-Erzähler, der Literaturwissenschaftler ist, sehr viel zu Huysmans geforscht hat und es weiterhin tut hat mich sofort in den Bann gezogen. Vor ein paar Jahren habe ich nämlich Huysmans‘ „Gegen den Strich“ gelesen. Kennst du das Buch?
Ja, auf Französisch heißt es „A rebours“.
Bestes Buch von Huysmans. Und da hat mich dann Houellebecq sofort an den Eiern. Und ja das muss man ihm lassen. Das macht er ganz gut. Durch diese Auseinandersetzung mit Huysmans bietet Houellebecq den Intellektuellen Gehirnfutter. Dann geht es in seinen Büchern auch um Sex, ein Thema, das eh jeden interessiert, in „Ausweitung der Kampfzone“ zum Beispiel.
Was hältst du davon, dass Houellebecq zufolge Huysmans die meisten sexuellen Kontakte mit Prostituierten hatte?
Ich stelle mir des zu seiner Zeit als üblich vor.
Das hat dich nicht schockiert?
Nein. Apropos schockiert: Hast du von Marquis de Sade etwas gelesen, „Justine“ oder „Die Philosophie im Boudoir„? Also, wenn du so etwas gelesen hast, kann dich nichts mehr schockieren.
Also du hast dich auch mit Marquis de Sade befasst?
Ja, ich habe „Justine“ und „Die Philosophie im Boudoir“ gelesen. Wenn so etwas wie „50 Shades of Gray“ als prickelnd, spannend und obszön gilt, macht mich das sauer. Wer ein Mal Marquis de Sade gelesen hat, den kann gar nichts mehr schockieren. Da ficken zum Beispiel Hunde kleine Mädchen, alles passiert da.
Leute werden beim Sex ermordet.
Ja, genau, das auch. Also um auf Huysmans und Prostituierte zurück zu kommen: Nein, das schockiert mich überhaupt nicht.
Im ersten Kapitel von „Unterwerfung“ schreibt Houellebecq, dass ein Autor, dessen Werk du liebst, wie ein Freund für dich wird. Für den Literaturwissenschaftler im Buch ist Huysmans der beste Freund, auch wenn er schon seit Jahrzehnten tot ist. Hast du einen Schriftsteller, den du in diesem Sinne als Freund bezeichnen würdest?
Ich habe schon immer, immer gelesen. Ich habe angefangen mit Stephen King. Irgendwann hat mich mein Deutschlehrer darauf hingewiesen, dass dieser US-amerikanische Autor ganz oft nach dem gleichen Schema schreibt. Das hat mir die Augen geöffnet und Stephen King uninteressant für mich gemacht. Dann kam Hermann Hesse. „Der Steppenwolf“ muss man unbedingt gelesen haben – und „Demian„. In diesem Buch geht es um einen Jungen, der sich selbst finden muss. Dieses Buch hat mich ganz arg geprägt. „Narziß und Goldmund“ war zwar nicht mein Lieblingsbuch, aber es ist lesenswert. Max Frisch hat mich sehr geprägt. „Montauk„, „Mein Name sei Gantenbein“ und natürlich „Homo Faber„. Das musste ich aber in der Schule lesen. Das war dann zunächst nicht eines meiner Lieblingsbücher. Was man auch auf jeden Fall gelesen haben muss sind „Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe.
Ja, das ist auch mein Lieblingsbuch.
Das ist einfach das Allerbeste. Ich habe das in der Schule gelesen und bin ausgeflippt. Und ja, genau: Der Begleiter meiner letzten Jahre ist Botho Strauß. Von dem lese ich wirklich alles. Der Typ ist einfach geil. Er macht selten zusammenhängende Romane. Es sind eher so Gedankenfragmente, manchmal geht es nur eine halbe Seite, manchmal zwei Seiten. Es ist nie wirklich viel am Stück. Es ist perfekt, weil in diesen kurzen Passagen so viel Substanz steckt: Schöne Beobachtungen und alles, was im Zwischenmenschlichen passiert, kann er mit griechischer Mythologie unterlegen. Alles ist ja schon mal da gewesen. Die „Ilias“ hat so viele Passagen, die sehr aktuell sind. Ich liebe diese Parallelen zwischen heute und der Antike.
Denkst du, dass das Lesen von Romanen und Gedichten dich zum besseren Menschen macht?
Ja, das glaube ich schon. Man lernt sehr viel Zwischenmenschliches beim Lesen. Obwohl du alleine zuhause sitzt, eröffnet dir das Lesen so viele Welten. Es macht dich für so viele Sachen empfänglicher. Wenn du etwas gelesen hast und dann die Haustüre verlässt, prägt das Gelesene unterbewusst deine Beobachtungen.
Wie und wann liest du am liebsten?
Ich setze mich sehr gerne in Cafés zum Lesen. Ich brauche so ein bisschen Getuschel als mein Soundbett. Es ist ja meistens so: Du liest ein paar Seiten, machst das Buch wieder zu und beobachtest ein wenig die Leute. Ich liebe das. Ich stelle mir auch gerne vor, dass ich in meinem vorherigen Leben so wie James Joyce war. Der saß nur in Cafés und hat dort seine Bücher geschrieben. Ich liebe halt auch Kaffeehäuser, in Wien zum Beispiel; diese alte Kultur der Kaffeehäuser, in denen eben Schriftsteller saßen, dachten und schrieben. Bertolt Brecht war auch einer von ihnen. Ich war in diesem Café. Ich glaube, dass das in Augsburg war. Ich liebe die Vorstellung, in einem Café – abends und vollgepackt mit Manuskripten – zu sitzen und zu lesen oder schreiben. Ich glaube, in meinem letzten Leben war ich ein so ein Im-Kaffeehaus-Sitzer.
Vielleicht warst du James Joyce in deinem letzten Leben?
(lacht) Vielleicht war ich James Joyce, ich bin auf jedem Fall großer Fan von ihm.
Killt das Internet dein Lesepensum?
Leider ja. Das Internet hat meine Leselust noch nicht ganz getötet. Ich bin weiterhin ein Verfechter richtiger Bücher, die man im Laden kauft. Mit E-Books kann ich nicht so viel anfangen. Ich brauche das Umblättern, den Duft des Buches. Was mir durch die Omnipräsenz des Internets aufgefallen ist: Man kann nicht mehr so viele Sachen am Stück lesen. Früher habe ich gerne mal bis drei Uhr nachts fast das ganze Buch, oder das ganze, gelesen. Das schaffe ich einfach nicht mehr. Ich habe nicht mehr diese lange Aufmerksamkeitsspanne beim Lesen.
Ich habe gemerkt, dass die Zeit, die ich am intensivsten mit Lesen verbringe, die internetfreie Zeit ist.
Ja, stimmt. Auf mich trifft das auch zu. Jetzt auf Tour lese ich auch unheimlich viel.
Was sind deine Lesevorhaben für die Zukunft?
Ich möchte ein Buch über den jiddischen Humor lesen. Ich weiß noch nicht, welches Buch das genau sein wird, aber der jiddische Humor fasziniert mich. Also ich will ein Sachbuch über diesen Humor lesen, weil ich mehr darüber erfahren will. Ich bin auch großer Fan von Woody Allen.
Wie beeinflussen die vielen Bücher, die du liest, deinen eigenen Schaffensprozess?
Direkt gibt es keinen Einfluss, aber klar lass ich mich von der Art und Weise inspirieren, wie ein guter Schriftsteller eine Geschichte aufbaut und probiere, dass in meine Texte zu verarbeiten. Auch gute Metaphern oder andere Stilmittel, die es mir antun, gehen in meine Raps über.
Willst du mal selbst ein Buch schreiben?
Unbedingt.
Über was?
Das weiß ich noch nicht. Ich glaube, dass es sich in die Schule von Botho Strauß einreihen wird. Und bei seinen Büchern kann man nicht wirklich sagen, worum es geht.
Deine Botschaft an die Leser des Interviews:
Setzt euch in ein Café, nehmt Manuskripte mit und schreibt. Schreibt einfach mal, schreibt!