Die Coolen Säue

Ein reichlich skurriler Anlaß bescherte uns heute ein Wiedersehen mit Schivv das Auge und Rotzlöffel von DCS – sie feierten am Abend VOR der Wahl "Kohl ist weg" – die Jusos luden ein, und Jusos kamen, um den Machtwechsel schon vor der Realisierung zu begießen. Und mitten in der Menge: Eure aufopferungsvoll jede HipHop-Party mitnehmende rap.de-Crew. Die zwei DCS EmCees schienen dann auch ganz erfreut, daß wenigstens 2 Personen im Publikum einen Draht zu Beats & Rhymes hatten und gaben später backstage bereitwillig Antwort auf unsere Fragen.

Wir erwischen die Band gerade in einer spannenden Phase: Der Vertrag mit dem alten Major-Label ist ausgelaufen, ohne daß sich der durchschlagende kommerzielle Erfolg eingestellt hätte. "Wie war das nochmal" hatte zwar durchaus Airplay und war einfach ein guter Song, aber ich bezweifle, daß damit der finanzielle break-even geschafft wurde. Aber lest und hört selbst:

Warum spielt ihr hier? Habt ihr eine Affinität zur Sozialdemokratie?

Rotzlöffel: "Wir haben eine Affinität zu Veranstaltungen, die uns verlockend erscheinen – eigentlich ist es nicht so, daß wir uns in einen politischen Kontext einordnen lassen. Wir hatten auch einfach Bock, mal wieder in Berlin zu spielen."

Schivv: "Es geht um keine parteipolitische Zugehörigkeit, es geht um diesen Slogan als solchen. Daß der Dicke jetzt langsam durch ist, das weiß jeder, und auf den Slogan "Kohl muß weg!" konnten wir uns alle einigen." Eure letzte LP "Ungesund und teuer" ist noch bei Ariola erschienen, wie sieht’s mit dem nächsten Album aus? 

Schivv: "Unser Vertrag bei der Ariola ist ausgelaufen. Es lief einfach nicht mehr zusammen, die haben sich was anderes vorgestellt als das, was wir machen wollten. In deren Augen ging’s immer weiter in Richtung Mainstream, aber in unseren Augen sollte es immer HipHop bleiben. Wir haben zwar auch mal kommerzielle Sachen gemacht, aber es sollte trotzdem immer HipHop bleiben. Das wurde da einfach nicht mehr verstanden, und darum haben wir uns gesagt: Machen wie einen Schnitt. Unser nächstes Album machen wir bei Deck8, das ist ein Label in Dortmund, das wird Februar/März erscheinen."

Die Ariola hätte wohl gerne einen echten Hit von euch gehört…?

Schivv: "Wenn man einen Hit machen will, dann macht man meistens keinen – entweder, es passiert, oder es passiert nicht. Wir haben alles dafür getan, was man dafür tun kann, aber wenn die Plattenfirma auf der anderen Seite versagt und das nicht einordnen kann, dann ist es nicht unser Problem. Uns ist das aber auch nicht so wichtig. Um von Musik wirklich leben zu können, mußt Du so viele Platten verkaufen, das kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Wir haben mittlerweile die Einstellung gewonnen, daß wir Musik machen, weil es uns Spaß macht. Wir wollen nicht davon leben. Wir machen Musik, weil das aus uns kommt. Wir sind froh, daß es in Deutschland immer noch Labels gibt, die HipHop so verstehen, wie er ist. Dazu gehört Deck8, und es gibt auch andere Labels wie YoMama oder MZEE oder Move. Wir sind jetzt fünf Jahre den Majorweg gegangen, und das war ziemlich viel Arbeit – mehr Arbeit, als sich jemand vorstellen kann. Sobald du bei ‘nem Major-Label signest, bist du in einer Position, in der du sagen mußt: Ich bin von Beruf Rapper oder HipHop-Musiker. Das erfordert erstens viel Energie, zweitens viel Zeit und drittens Nerven…" Rotzlöffel: "…und viertens erfordert das ein Label, das 100% hinter dir steht." Schivv: "Genau. Wir haben unser Leben dafür gegeben, unsere Nerven gegeben, unsere Energie gegeben. Aber wenn jemand anderes, der eigentlich dafür verantwortlich wäre, das dann nach vorne zu bringen, es nicht tut, dann… ist man irgendwann froh, wenn man sagt: Okay, wir machen jetzt alles ein bißchen kleiner. Wir brauchen keinen Major. Wir brauchen ein Label, das Bock hat auf unser Ding." Euer DJ Lifeforce war heute leider nicht dabei, weil er Vater geworden ist. (Glückwunsch!)

Rotzlöffel: "Die Show sieht natürlich normalerweise so aus, wie es sich gehört, mit DJ und MCs. Darauf mußten wir leider heute verzichten. Ich denke, daß selbst der härteste HipHopper dafür Verständnis hat. Joel – der Sohn von DJ Lifeforce, dem besten und berühmtesten DJ des ganzen Universums. Der coolste DJ und der coolste Sohn. Wichtiger als der neue Kanzler. Der Sohn von DJ Lifeforce. Ich rede hier solange, bis mir jemand das Diktiergerät wegnim…"

Schivv: "Wir sind noch nie ohne Lifeforce aufgetreten, insofern war das schon was neues. Normalerweise stehst du vorne am Mikrofon, und du fühlst, daß hinter dir ein DJ ist. Das ist der Rücken, und so fehlte uns heute der Rücken."

Ihr nennt euch nicht mehr "Die Coolen Säue". Vertragsgründe?

Rotzlöffel: "Wir heißen DCS. Das ist wichtig. Nee, keine Vertragsgründe. Wir heißen nicht mehr "Die Coolen Säue", weil wir auf die Fragen nach dem Namen keinen Bock mehr hatten. DCS steht für ‚Die Charakterstarken‘." Ihr kickt live auch immer Freestyles. Welche Bedeutung hat das für euch?

 

Schivv: "Es gibt ja zwei Formen von Freestyle – die eine ist top-of-the-head, das heißt, du erfindest Reime. Und es gibt Reim-Routine, die du auf verschiedenen Beats improvisierst. Wir können eigentlich beides, aber aus einem guten MC wird erst ein richtig guter MC, wenn er Texte schreibt, und auch Texte schreibt, die Sinn machen. Texte, die bleiben – für länger als 2 Sekunden. Ich könnte 2 Stunden lang reimen, wie kraß ich gerade abgehe, wie laut mein Mikrophon ist und wie die Plattenspieler da stehen. Aber wichtig ist, daß du was sagst, das macht dich zu einem guten MC. Das Mißverständnis wollte ich mal aufklären. Viele, vor allem junge MCs verstehen das ein bißchen falsch." Ihr seid also nicht ständig auf jeder Jam um euch an Freestyle-Battles zu beteiligen?

Schivv: "Wir machen seit ’92 diese Musik und bewegen uns in diesem Umfeld, aber wir waren nie so, daß wir jede Jam mitgenommen haben. Es mag arrogant klingen, aber das war oft nicht unsere Welt. Wir haben HipHop und die Musik und die ganze Kultur nie gebraucht, um uns zu sozialisieren. Wir waren nie outcast und mußten uns über irgendwas definieren. Wir waren immer Persönlichkeiten und wußten, was wir machen wollten und hatten ‘ne Beziehung zu dieser Musik. Aber diese ganze Kultur, vor allem wie sie in Deutschland gehandhabt wird, war für uns nie so wichtig. Für uns war die Musik einfach wichtiger."

Rotzlöffel: "Wir lassen uns nach wie vor von keinem vorschreiben, was HipHop ist und was nicht. Wenn man ein bißchen Plan hat und auf das hört, was rauskommt, dann versteht sich das von selbst, ohne daß darüber viele Worte verloren werden müssen. Man muß nicht auf jeder Jam seine Fresse gezeigt haben, um HipHop zu sein."
Schivv: "Wir waren immer HipHop, egal wie die Verträge waren oder wie groß die Plattenfirma war. Kommerz war ein Aspekt davon, wir haben auch versucht, Lieder zu machen, die viele Leute verstehen, aber die Basis war immer HipHop. Das ist das, was für uns wichtig ist." Seht ihr euch selbst als reine MCs, oder beteiligt ihr euch auch an der Produktion und an den Beats?

 

Rotzlöffel: "Ich seh mich als reinen Lyricist."

Schivv: "Ich seh mich schon in ‘ner Rolle, in der ich die Beats auf eine gewisse Art und Weise mitsteuere. Ich weiß ziemlich genau, was ich cool finde und was ich nicht cool finde, und ich weiß vom Ansatz her auch immer, woran es liegt, wen ich was nicht cool finde. Ich kann zwar nicht die Knöpfe drücken, aber ich weiß, wie es klingen muß, damit es gut klingt. Deshalb klink‘ ich mich auch gerne bei der Produktion ein." Soviel zur aktuellen Situation von DCS… anschließend sprachen wir noch über Gott, die Welt, Moses…

Schivv: "So werden halt heutzutage LPs promotet, und Moses P. macht da keine Ausnahme. Entweder man findet ihn scheiße, oder man akzeptiert das so."
Rotzlöffel: "Aber Gewalt ist immer ein Zeichen von Schwäche. Man sollte Stefan Raab machen lassen, was er macht. Der hat mit HipHop nichts zu tun. Entweder man findet’s witzig oder man findet’s nicht witzig. Wenn man’s nicht witzig findet, dann macht man den Fernseher aus, aber den Typ sollte man überhaupt nicht in diesen HipHop-Kontext reinbringen. Das ist ‘ne ganz andere Liga."

… und Brixx:

Schivv: "Brixx war jetzt lange in New York, hat Beats gemacht mit Shawn J. Period, Nick Wiz, also die besten Leute, die Beats machen. Als gefeaturete Artists: Camp Lo, Mos Def u.s.w.u.s.f. – das ist einfach ‘ne Platte, die scheißfett ist… also RICHTIG fett ist. Das ist für Deutschland die allerneueste Ebene, und ich bin gespannt, wie das stattfindet. Das deutsche Verständnis von HipHop ist immer noch sehr konventionell. Das soll kein Dis sein und keine Kritik, aber es ist so. Ich bin mir nicht sicher, wie das bei Artists wie Brixx ist, die versuchen, über die nächste Brücke zu gehen und das ganze aufs nächste Level zu heben – ob das wirklich verstanden wird. Das ist supergeile Scheiße, das ist so weit vorne, wie es nur ganz wenige Leute in Deutschland sind. Aber ich habe die Befürchtung, daß es nicht genug Leute verstehen."

Oh ja, da bin ich allerdings auch gespannt! Vor Jahren hab ich Brixx mal als Support von Da Brat gesehen, und ich war hin- und hergerissen zwischen absoluter Begeisterung (ob des oberkorrekten Rhymeflows) und Belustigung (ob des arg pseudo-gangsta-mäßigen Gehabes). Die "The Rain"-Produktion mit Roey Marquis hat mich dann wieder aufmerken lassen, und wir werden Euch jetzt natürlich auf dem Laufenden halten… Und schließlich noch ein weiterer wichtiger Hinweis: Die erste Solosingle der DCS-Sängerin Brooke heißt "So Sweet", ist von Thomilla produziert und kommt im November in die Läden!