Orishas

HipHop ist überall. Auf den Böden aller Kontinente wird gebreakt und in bald allen Sprachen gerappt. Manchmal geht HipHop den direkten Weg, manchmal braucht er Umwege – wie im Falle der kubanischen Orishas, die in Paris leben und arbeiten. Vicente Celi traf sich mit der Speerspitze der "Revolution Cubana"… Da HipHop seinen eigenen Weg in jedes Land findet – mit seiner speziellen kulturellen Geschichte, die wiederum in den HipHop zurückfliesst -, stellt sich die Musik unserer geliebten Kultur international so schillernd dar. Nun hat Kuba eine musikalische Tradition, die auch in Europa immer beachtet wurde und zuletzt mit dem Soundtrack zu Buena Vista Social Club für breites Aufsehen sorgte. Und auch HipHop und Cuba hatten schon einige Berührungspunkte. Angefangen bei der Herkunft amerikanischer Künstler wie Tony Touch aus dem Mutterland des Rums und der Zigarre; aufgehört bei Wyclef Jeans Adaption von Fidel Castros Lieblingslied „Guantanamera“: HipHop und Cuba, da muss was gehen. Stellt sich also erst mal die Frage, wie die Kultur ins letzte Land der Revolution fand.
Ruzzo: HipHop wird als kulturelle Bewegung vom Staat akzeptiert. Seit 1980 hört man schwarze Musik in Cuba. Ab 89 gab es einen Breakdance- und Graffiti-Boom. 91 starb die Bewegung: der Sprüher hörte auf zu sprühen, der Tänzer zu tanzen und der DJ, der die Mix-Tapes zusammenstellte, hörte damit auf.
Also war es eine Mode?
Ruzzo: Am Anfang sah es so aus wie eine Mode, aber es war schon eine etablierte Bewegung. Es gab nur keine Unterstützung von den Medien. Sie sagten, es wäre die Musik des Feindes. Amerikanische Texte auf amerikanischen Beats sahen sie als was Verrücktes an. Ohne Unterstützung aber stirbt alles. 1995 sah und hörte man Rap im Fernsehen, in „Tiempo“, einer Musiksendung. Da traten geweihte Musiker mit jahrelanger Erfahrung im kulturellem Umfeld der Insel auf und wir wurden zur einer Spezialsendung eingeladen. Danach sprach es sich rum und es wurde mit heftigen Opfern ein Festival organisiert, das erste Rap-Festival. Inzwischen ist es etabliert. Auf diesem Festival fanden zum ersten Mal sehr viele Leute Gefallen an Rap. Es wurde ein Program mit drei Gruppen gemacht. Eine machte nur Rap, das waren wir. Andere Rock mit Rap und die letzten mixten Merengue mit Rap. Das waren alle Farben der Bewegung. Nach diesem Programm ging es los, die Leute kamen und tanzten und die Leute machten weiter und weiter.
Jetzt gibt es mehrere Gruppen?
Ruzzo: Jetzt gibt es mehr als 250 Gruppen auf der Insel. Zu diesem Festival kommen alle diese Gruppen, es wird eine Auswahl getroffen und es gibt einen Verein, «hermanos seis» (Brüder sechs). Die haben ein Haus in jeder Provinz in Cuba und machen das Casting für das Festival. Aber da gibt’s nichts, keine Sampling-Kultur, es gibt keine DJs, es gibt nichts um diese Musik zu machen.
Wie seid ihr aus Kuba rausgekommen?
Ruzzo: Bei einem Austausch. Roldán war Sänger einer Son-Gruppe (Son: Ein kubanischer Musikstil, Anm. d. Red.), kam nach Frankreich und jetzt hat er Frau und Kinder da. Ich hatte eine andere HipHop-Gruppe in Havana. Wir hatten einige Austauschpräsentationen in den USA und in Frankreich. Die Franzosen haben uns ein Angebot gemacht, wir sind zurück nach Cuba, und anschliessend sind wir wieder raus, um ein paar Demos zu machen.

Also bist du Son-Sänger?
Roldán: In Kuba war ich immer Son-Sänger. Ich habe auch andere Sachen gesungen, Trova, Balladen, und anderes. Professionell begann ich mit Son Cubano. Ausserdem habe ich fünf Jahre klassische Gitarre an der Universität in Kuba studiert. Diese Musikalität merkt man ihren Produktionen an. Orishas sampeln zwar, aber dies als Arbeitsgrundlage ihrer Beats. Mit den Samples wird das Material entwickelt und strukturiert, dass dann von Musikern wieder nachgespielt wird. Der Effekt sind klassische HipHop-Beats mit sehr harmo- nischem Fluss, die auch einigen Nicht-Heads ge- fallen sollten. Weite Passagen der Songs sind nicht gerappt, sondern sehnsuchtsvoll gesungen; die Rhytmik ist um latin-typische Percussion ergänzt. Wahrscheinlich zählen Orishas zu den wenigen Bands, die man auch mit seinen Eltern hören kann und die beiden Seiten gefällt.
Ruzzo: Wir wollen einen neuen Sound kreieren. Es ist etwas, das noch keiner gemacht hat. Andere haben es versucht, Tony Touch und die anderen Immigranten in den USA haben eine Fusion auf diesem Niveau versucht, aber haben nicht das Gleichgewicht gehabt.
Yotuel: Es gibt sehr viele Künstler die sagen: „Ich möchte auch in so einem Sound wie Orishas was machen.“ Wir geben den Leuten die Möglichkeit eine andere Form von Hip Hop zu hören. Die Leute haben gehört, wie Tony Touch und Mellow Man Ace die Musik mischen, aber eine Formation die 50% HipHop mit 50% Gesang vermischt, in der der Rapper die gleiche Funktion wie der Sänger hat, das ist was Neues.
Seid ihr die Entwicklung des nächsten Schrittes neuer kubanischer Musik?
Ruzzo: Die Hauptidee des Projekts ist es, die Musik der „Alten“, die verloren geht zu, zu erhalten. In Kuba hört niemand mehr traditionelle Musik; nur diejenigen die sie machen und die Spezialisten. Die meisten Rechte an der Musik haben die USA. RCA und andere – die haben es alles mitgenommen! Um eine Produktion mit internationalem Niveau zu machen, muss man raus. In Kuba gibt es nicht die Mittel.
Was haltet ihr vom Latin Boom?
Ruzzo: Es gibt Leute die den Boom ausnutzen. Sie tun so als wären sie Latinos, aber haben noch nie eine „Clave“ gespielt (Clave ist eine rhythmische Figur, die in der Karibik mit der Muttermilch eingenommen wird – wer sie nicht beherrscht, darf Latin nicht machen. Ein fast religiöses Prinzip! Anm. d. Red.) Es ist wie eine Mode und es gibt Leute, die die Hand ins Feuer legen ohne zu wissen, was sie machen und wie es funktioniert.
Yotuel: Ich teile diese Leute in zwei Gruppen auf: Die einen verantwortlich, kultiviert und mit einer Ideologie, mit einer Message ausgestattet und die anderen, die nach dem Komerziellen, Oberflächlichen, sehr Ästhetischen gehen. Beide Gruppen sorgen dafür, dass man die Musik kennen lernt. Orishas hat keinen Boom gehabt. Uns reicht der Respekt, den die Menschen vor uns haben. Wir sind mit den Verkaufszahlen nicht sehr zufrieden, weil wir dachten, dass, wenn wir neue Musik mit wertvollen Texten auf den Markt bringen, die Leute sagen würden: „Geil, das ist Musik für ewig".

Wie seht ihr die Entwickung im HipHop-Latino?
Yotuel: Wir sind selbst überrascht, dass Sen Dog und Mellow Man Ace Kubaner sind. Big P. war Kubaner, Cuban Linx sind Kubaner. Wir wussten nicht, dass so viele Latinos in der Hip Hop Bewegung fortgeschritten sind. Das Ding ist, dass die englisch singen und nicht ihre Wurzeln verteidigen. Ein ganz wichtiger Punkt, denn er weist auf eine kulturelle Lücke zwischen Kuba und den USA und ein Missverständnis der Orishas hin. So wird in den USA Alles und Jeder ethnisiert (so dass z.B. Leute hispanischer oder italienischer Abstammung nicht als „weiss“ gelten). Dass die Ethnisierten sich ihrer Gruppe dementsprechend zugehörig fühlen und für sie repräsentieren wollen, war schon früh Prinzip im HipHop. Nur ist Mellow Man Ace eben US- Bürger kubanischer Herkunft. Ich weiss nicht, ob er selbst in Kuba gelebt hat oder ob es seine (Gross-) Eltern waren, welche die Karibik verliessen. Welche Wurzeln sollen da verteidigt werden? Wenn sich also Leute wie Mellow Man Ace als Kubaner bezeichnen, beziehen sie sich damit auf den US-amerikanischen Kontext. Wenn Yotuel diese Aussage aber in Kuba hört, bezieht er sie auf seine Kultur und wundert sich, warum die kubanischen Jungs aus den amerikanischen Städten nicht „ihre Wurzeln verteidigen“, sprich: nicht auf spanisch rappen. Für’s erste war das Missverständnis aber produktiv. Orishas haben einen sehr homogenen, warmen Sound und die Flows der Raps beschwingen ebenso, wie der Gesang. Viva la revolución cubana!