Roots Manuva

BD032 lautet die Katalognummer eines Longplayers mit dem Titel "Run Come Save Me", der den Nachfolger zu einem Album namens "Brand New Second Hand" bildet, welches seinerseits vor zwei Jahren allerorten mehr oder weniger als das Comeback des britischen HipHop abgefeiert wurde. BD steht für BigDada , und dem Gründer ( Will Ashon ) dieses seit rund vier Jahren existierenden Ablegers von NinjaTune ist in den letzten Jahren gelungen, was vor ihm nur wenige andere (in den Achtzigern vielleicht DefJam, vor drei oder vier Jahren vielleicht Rawkus) erreicht haben: Ein Label ins Leben zu rufen, dessen Platten von einer wachsenden Fangemeinde gekauft werden, ohne dass ein "Reinhören" in den jeweiligen Release notwendig wäre. Voraussetzung für das Entstehen einer solch privilegierten Situation ist die Arbeit eines unbestechlichen A&Rs, der sich der fehlenden Massenkompatibilität seines für das Signing ausschließlich relevanten Geschmackes bewusst ist, und der ausreichend Atem hat, sich dem mediokren Mainstream lange genug zu widersetzen, um sich mit seiner Botschaft zu etablieren. Viele der auf BigDada erscheinenden Gruppen zeichnet eine gewisse Schwere und Kühle im Sound aus – so etwa Infesticons, New Flesh for Old oder Gamma – Bands, deren Sound auch gerne als typisch britisch bezeichnet wird. Einen deutlichen Kontrapunkt zu diesen Klängen setzte dieses Jahr TY mit seinem Album "Awkward". Rodney Smith , wie die BigDada-Ikone Roots Manuva mit bürgerlichem Namen heißt, bewegt sich nach "Run Come Save Me" wohl irgendwo dazwischen. Während sein LP-Debüt über weite Strecken noch latent-depressiv wirkte, ist BD032 deutlich zugänglicher: Mit Songs wie "Dreamy Days" erschuf er auch Tracks, die er selbst "cheesy" nennt.

Als Rodney in der loungeartigen Ecke im Berliner Knaack-Club vor seinem Gig auftaucht, sind Motorik und Stimme von entspannenden Substanzen gezeichnet. Das Gespräch rollt besorgniserregend langsam an, und wir befürchten, spätestens nach einer viertel Stunde durch zu sein. Irgendwann löst sich Rodneys Zunge dann aber doch, und wir verdoppeln die uns eingeräumten 30 Minuten Interviewzeit problemlos. Danach befragt, wie sich der Einsatz von Drogen auf sein Schaffen auswirkt, äußert er mit einem reichlich breiten Schmunzeln:

"Ich denke, es kann helfen – aber ich werde den Gebrauch von Drogen nicht öffentlich eingestehen. Wir werden alle mit der Vorstellung geboren, uns an Orte zu begeben, die von dem, was wir im Alltag tun, weit entfernt sind. Kinder haben die Antworten – seht euch die Kinder an!" .

Rodneys Eltern kamen aus Jamaika nach England – er selbst wurde im UK geboren und verbrachte einen Großteil seiner Jugend im Stadtteil Brixton in Südlondon, der für vieles bekannt ist. U.a. haben dort die Stereo MCs vor ein bis zwei Jahren ihr neues Studio im Keller eines ehemaligen illegalen Reggae-Clubs eingerichtet.

"Ich kenne sie eigentlich nicht persönlich, habe sie aber ein paar Mal getroffen. Sie sind seit dem ‚Tag Eins‘ da. Als ich ein fünfzehnjähriger Junge war, hatte ich ein Demo-Tape und versuchte, einen Deal auf ihrem Label GeeStreet zu bekommen. Inzwischen sind sie da aber wohl nicht mehr eingebunden, sie haben ihren Shit verkauft

über seine Verbindung zu BigDada spricht er äußerst nüchtern:

"Ich unterschrieb bei BigDada 1997, nachdem ich auf meinen Underground-12-Inches und einigen Feature-Tracks erschienen war. Es ist eigentlich eine ganz einfache Sache – ich habe für zwei Alben unterschrieben und präsentiere ihnen Sachen, an denen ich arbeite, und sie sagen Ja oder Nein. Manchmal sagen sie ´Nein´, und ich sage ´Auf keinen Fall – das muss drauf´. Manchmal sagen sie ´Nein´, und ich sage ´O.k. – fuck you, dann bringe ich es halt auf meinem eigenen Label heraus´".

Nach dieser Neuigkeit – ‚für zwei Alben‘ – drängt sich natürlich die Frage auf, was danach passieren wird – offensichtlich ist ihm das selbst auch noch nicht ganz klar, aber Optionen scheint es ausreichend zu geben:

"Mein Hauptanliegen ist es, mein eigenes Label zu starten. Ich denke aber, dass ich immer auf irgendeine Art und Weise bei BigDada beteiligt sein werde, vielleicht als Studio-Besitzer oder als Executive-Producer. Vielleicht auch als A&R – könnt ihr Euch das vorstellen? (Basti erwidert: ´Eindeutig nein´, was für allgemeine Heiterkeit sorgt) Sechs Jahre, nachdem ich das Roots Manuva-Ding begonnen habe, sage ich, ich werde ein A&R! Ich sehe einfach ein Bedürfnis nach einer guten Verbindung zwischen der Industrie und der Straße, und ich denke, dass ich die Glaubwürdigkeit und das Enigma mitbringe, um einen rohen Diamanten von der Straße aufzulesen und ihm zu helfen, den Übergang zur Industrie etwas leichter zu erreichen. Das ist im UK das Hauptding, das fehlt – es gibt wirklich nicht viele A&R- oder Management-Leute für HipHop. Das existiert alles eher im traditionellen Rock&Roll-Bereich."

Etwas anderes, wofür England und insbesondere London bekannt sind, sind die Piraten-Radio-Sender, auf denen der Mainstream erfolgreich unterkellert wird. Ich erzähle Rodney von einem Interview, in dem Gilles Peterson , Gründer des "Acid Jazz"-Labels und Labelmanager von "Talkin Loud", von den Pirate-Radio-Stations schwärmt. Rodney:

"Es gibt das schon so lange, wie ich denken kann, und es ist immer noch da – größer denn je. Allerdings wird die Sache nun von 2Step-Stationen dominiert, aber sie sind wirklich rauh und unprofessionell, meistens auf kriminellem Weg gegründet. Inzwischen gibt es auch ein paar leidenschaftliche HipHop-Sender. Es gibt einen, der wirklich ganz gut organisiert ist – er heißt ‚Each of em‘ mit DJ MK, der auch für mich deejayt. Ich denke, die Piratensender sind der Grund, weshalb Musik der größte Export ist – die Piratensender geben Musikliebhabern die Möglichkeit, zu spielen, was sie wollen und wann sie wollen. Wenn das Feld den legalen Stationen überlassen wäre, wäre es im Moment furchtbar."

Basti erkundigt sich daraufhin, weshalb 2Step in England so stark ist und warum HipHop diese Stellung nicht einnimmt:

"Das UK war einer Sache nie besonders treu. Man hat dort immer eine eigene Interpretation der Dinge, auch von der Kunstform HipHop. Selbst früher klang der UK-HipHop immer schon anders als der amerikanische. Wenn man sich die frühen Neunziger im englischen HipHop ansieht, dann weiß man, woher Jungle und Drum & Bass kommen, weil damals eine Menge Leute da waren, die ihre Sachen auf eine schnellere Art und Weise gemacht haben, wie z.B. Gunshot oder Silver Bullet – sie waren wirklich schnell und düster. Ich denke, der Hauptgrund ist der, dass das UK ein Ort ist, an dem herumprobiert wird. Man bleibt der Blaupause einer Musikrichtung nicht verhaftet, die Leute sind ziemlich respektlos gegenüber jeder Kunstform" , erklärt Rodney. 

Im Track "Sinny Sin Sins" erinnert er sich an die Auseinandersetzungen mit seinem Vater, der Priester war, und den er mit den Zeilen "the truth is right here – it´s written in this book – the holy bible is the key to survival… do as I say not as I do…" zitiert.
Dem Track liegt wohl zumindest teilweise eine ähnliche Haltung zugrunde wie Curse ´ "Scheinheilig", und klar ist so oder so, dass das täglich erlebte, institutionalisierte Konzept von Sünde und Vergebung nicht spurlos an einem Menschen vorbeigeht:

"Religion spielt für mich eine bedeutende Rolle. In einer Umgebung mit solchen fanatischen Christen wie meinen Eltern aufgezogen zu werden… ich meine, ich setze immer alles, was ich tue, damit gleich, entweder sündig oder unsündig zu sein. Ich habe zwischenzeitlich aber meine eigene Perspektive auf Spiritualität entwickelt und denke, dass das auch nur möglich war, weil ich Eltern hatte, die selbst so spirituell-bewusst gelebt haben. Ich kann also nicht wirklich behaupten, anti-christlich zu sein. Diese ganze Begeisterung und dieser Glaube an Dinge, die nicht greifbar da waren, und der daraus folgende Gebrauch deiner Vorstellungskraft haben mir definitv bei meiner Musik geholfen."

Man konnte in der letzten Zeit auch lesen, dass Rodney sich einen G4 gekauft hat und nun auch eine Digicam besitzt, seinen "Tätigkeitskreis" also etwas erweitern möchte: "Was ich definitiv machen werde, sind ein paar Radiosendungen, vielleicht ein paar Lo-Fi-TV-Sendungen oder Video-Magazine. Wir haben ein bisschen Filmmaterial von all den bisherigen Touren, das wir auf ein paar Shows aufgenommen haben. Vielleicht schneiden wir es zusammen und bringen es auf DVD oder CR-ROM raus. Ich habe auch Lust, ein paar andere Sachen zu mache, vielleicht ein paar Bücher." Auf unser absolut synchron rausgehauenes "About what?" äußert er: "Ein Konzept, über das ich vielleicht noch nicht reden sollte, nenne ich ´Normal Superstars´. Es geht um die Leute hinter den Dingen, über die normalerweise niemand redet. Der Ort, an dem ich lebe, ist richtig sauber, und die Leute, die dafür sorgen, dass es so ist, sind richtige Superstars. Sie sorgen dafür, dass ich mich da wohl fühle, wo ich bin. Viele der Mütter, die ich sehe, wo ich lebe, überleben und ziehen ihr Ding mit staatlicher Unterstützung durch. Sie sehen aber trotzdem verdammt gut aus, und ihre Kids sehen sauber aus – sie sind die Superstars." Gegen Ende des Gesprächs beginnen wir, auch etwas über die deutsche HipHop-Szene und deutsche Bands zu reden, und Rodney meint, er habe neulich das Video einer Gruppe gesehen, in dem die Leute alle in Pin-Stripe-Suits rumlaufen und "some synchronized dancing" zum Besten geben. Schnell einigen wir uns auf Seeed"They are funny men – are they famous? They are funny, so much humour!" , begeistert er sich. Als Basti ihm erklärt, dass sie vor ein paar Monaten ihr Debüt-Album rausgebracht hätten, klingt er reichlich erstaunt. Nachdem er seinen Blunt endlich zu Ende geraucht hat, sieht er in den Hof des Knaack-Club hinunter und meint etwas traurig "Nobody there" . Wie sich zeigen sollte, waren die Sorgen unberechtigt – das Knaack war an der Schwelle von "angenehm-bis-sehr-voll", und von uns hätte nach dem etwas schläfrigen Start unseres Interviews sicher niemand eine solche Show erwartet.

Besonderer Dank geht erneut an Oliver Killig (soloimage@gmx.net) aus Dresden, der wie schon bei diversen Features auf rap.de zuvor ( Arsonists "The Backdraft", Eins Zwo "Die Zwote" und zuletzt Promoe / Looptroop "Yes Ajah") anreiste, um für uns Fotos zu machen. Peace ins Tal der Ahnungslosen!