Smudo

rap.de : Wie seht ihr das eigentlich im Nachhinein: Ihr hattet ja, ob ihr wolltet oder nicht, ständig – im Positiven wie auch im Negativen – so eine Art Vorbildfunktion….
SMUDO : „….so nach dem Motto, so ’n Scheiß wie die machen, mach ich nicht oder den Fehler haben die schon mal gemacht, den muss ich nicht noch mal machen.“ Und so weiter und so weiter. Das liegt aber nicht unbedingt daran, dass wir in vielen Punkten einfach die Ersten waren, sondern an unserer Größe.
rap.de : Habt ihr das eigentlich jemals selbst so gesehen, dass ihr die Ersten wart die bestimmte Sachen als erste gemacht haben und somit auch als Beispiel gedient habt, wie man es machen oder eben lieber nicht machen sollte?
SMUDO : Ein bisschen. Zum Beispiel damals als wir den Plattenvertrag unterschrieben haben, da kannten wir einfach niemanden der mit deutschsprachigem HipHop einen großen Deal hatte. Und als wir damals unterschrieben haben, war einer unserer ersten Gedanken, wir werden die Ersten sein. Und immer wenn in der Zukunft jemand darüber reden würde, müsste er sagen, dass es damit anfing. Das war uns schon so ein bisschen bewusst. Wir wollten damals auch bewusst zu einem großen Label, bei dem wir auch bekannt werden würden. Der Pioniergeist, das Selbstbewusstsein, die Promigeilheit, all das waren auch damals schon Sachen, die uns getrieben haben. Aber dass man mit „4 Gewinnt“ ein Hitalbum mit Hitsingle haben würde, war eher ein Wunschgedanke von uns. Das es dann passierte, war etwas, womit wir im Leben nicht gerechnet hatten. Das war weit über unsere Vorstellungen hinaus. Oder mal mit 2 Drummern oder einer Funk&Soul-Band auf der Bühne zu stehen, das waren Träume von uns. Aber das sind auch so Sachen wo wir uns gesagt haben: Damit sind wir, zumindest in Deutschland, die Ersten. International gab es solche Sachen, denke ich mal, schon viel eher, nur kann man so etwas ja manchmal schlecht nachvollziehen. Gerade was die multikulturelle Szene in Amerika betrifft. Das war da drüben ja schon immer ein recht guter Nährboden für gute Musik. Und so etwas gibt es in Deutschland einfach nicht. Hier wird Musik immer von Bürgerlichen gemacht. Hier ist es ja z.B. nicht so, dass du auf einem Baumwollfeld deinen Rücken ausgepeitscht bekommst und deine Traurigkeit dann auf der Gitarre zum Ausdruck bringst. Und dann anschließend vom Baumwollfeld runtergesignt wirst und zum millionenschweren Majoract wirst. Bei uns wäre das Äquivalent dazu der heroinsüchtige Junkie, der zum Star wird. Und das gibt es bei uns nicht. Bei uns kommt die Musik aus dem Bürgertum. Und in diesem Aspekt finde ich auch die Realnessdiskussion echt lächerlich. Der deutsche Untergrund-HipHop, ich will damit nicht sagen, dass alle reich sind, kommt letztendlich auch nicht von ganz unten. Denn da ganz unten wird bestimmt keine Musik gemacht, weil sie da kulturell einfach nicht stattfindet. In den Staaten hingegen, findet man die Musik auch auf der untersten Ebene statt, weil die Schwarzen dort z.B. eine Oma haben, die sie jeden Sonntag mit in die Kirche schleppt. Und den Onkel, der seine „ich bin Bauer und werde auf dem Feld ausgepeitscht“- Lieder spielt, gibt es sicherlich auch noch. Schau dir nur mal James Brown an, der ist bei den Riots in N.Y. auf die Straße gegangen, hat ein Konzert gegeben, um seine Brüder und Schwestern davon abzuhalten sich gegenseitig umzubringen. Dort wird Musik sofort in Verbindung mit einer eigenständigen Kultur gebracht. Und das gibt es bei uns einfach nicht. Wir werden immer theoretisch sein und immer importieren. Musik und speziell HipHop, hat in den Staaten eine andere kulturelle Bedeutung als bei uns.

rap.de : Aber es gab doch auch in Deutschland, am Anfang mit den Türken, eine sozial schwache Schicht, die sich aber irgendwann als HipHop aus Deutschland zu deutschsprachigem HipHop wurde, abgewendet haben.
SMUDO : Das ist richtig. Aber der politisch korrekte Kulturaustausch eines jungen Türken aus unserem Land müsste doch eigentlich so aussehen, dass er auf einem Instrument, was sein Vater gespielt hat, spielen würde. Statt dessen adoptiert er die amerikanische Version einer Untergrundmusik. Und egal ob er das jetzt mit leichten Nuancen versetzt, indem er auf türkisch rappt oder eine Sitar mit reinbringt, ist es noch lange nicht das, was ich mit musikkultureller Geschichte meine, auf der das Ganze fußt. Das ist etwas ganz anderes. Er verbindet diese Musik ja nicht mit seiner Kultur.
rap.de : Aber wie hast du denn als Deutscher dieses Dilemma jetzt für dich gelöst?
SMUDO : Selbstverständlich ist unsere Musik auch nur adoptiert, aber ich beteilige mich ja auch nicht an dieser Realness-Diskussion. Grundsätzlich bin ich der Meinung, es soll sein, was gemacht wird. Die Leute machen es ja, weil es ihnen Spaß macht und sie Fans dieser Musik und der damit verbundenen Untergrund-Attitude sind. Oder weil sie dazu tanzen, mit ihren Kumpels abhängen und sich dabei wohl fühlen. Und dagegen habe ich ja auch nichts. Für mich ist diese Sache aus diesem Grund auch kein Dilemma, weil ich da einfach nicht mitdiskutiere. Ich mache was mir gefällt und nicht weil ich es für eine künstlerische Arbeit halte. Und auch bei mir hat das Ganze keine kulturhistorische Relevanz, weil auch ich aus dem Bürgertum komme. Bei mir war es z.B. nur so, dass mein Vater die Temptations gehört hat. Das war’s. Und wo wir schon mal dabei sind, wenn es um solche Relevanzen in Deutschland geht, braucht man mir gar nicht mit Volksmusik zu kommen, weil es so etwas für mich hier nicht gibt.