Spearhead

Six foot six above sea level… singt Michael Franti in seiner rauen, aber warmen Stimme ins Telefon. Und damit zitiert er nicht nur einen Zeile aus seinem neuen Album, sondern beschreibt auch seine nicht zu knapp bemessenen körperlichen Ausmaße. Damit allein lassen sich schon so manche Leute beeindrucken, doch Franti und seine Band Spearhead haben noch einiges mehr zu bieten. Michael Franti ist bereits seit den späten Achtzigern im Musikbusiness. Angefangen hat er als Bassist bei den Beatnigs, dann gründete er Anfang der neunziger Jahre die Band "Disposible Heroes of Hiphoprisy". Durch ihre sehr aggressiven, sozialpolitischen Texte erreichte die Band große Aufmerksamkeit. 1994 rief Franti dann Spearhead ins Leben, die mit "Home" im selben Jahr ihr Debütalbum rausbrachten. Textlich blieben die Ansprüche von Michael Franti auf sehr hohem Niveau. Er tourt bis heute auch als Slam Poetry-Künstler durch die Lande. Das musikalische Spektrum erweiterte sich bei Spearhead gewaltig. Sowohl bei "Home", wie auch bei den Nachfolgealbum "Chocolate Supa Highway" und der brandneuen LP "Stay Human" reicht die Palette von Soul, Funk und Reggae Vibes bis hin zu groovenden und auch mal harten HipHop-Beats. Im Interview mit Michael Franti, dem charismatischen Frontmann von Spearhead, konnten wir einiges über die Entwicklung der neuen Platte "Stay Human" und seine persönlichen Erfahrungen in der Musiklandschaft erfahren.
rap.de: Michael, ich komme gerade aus San Francisco, deiner Heimatstadt. Wie ist es möglich, dass ich da drüben nichts von der neuen Platte mitbekommen habe? Macht ihr etwa keine Promotion in den USA?
MF: Das liegt wahrscheinlich daran, dass die LP noch nicht draußen war. Wir fangen gerade erst an, sie zu promoten, und das tun wir hier in Europa. Es gibt also noch viele Leute, die noch nichts von dem neuen Album wissen. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern.
rap.de: "Stay Human" ist bereits das dritte Album von Spearhead. Warum nennt ihr euch jetzt Michael Franti und Spearhead? Willst du dich auch als Solo-Künstler herausstellen?
MF: Es ist einfach so, dass ich bei dieser Platte alles selber gemacht habe. Vom Produzieren, Abmischen, Songs schreiben usw. Einige Bandmitglieder haben zwar auch im Studio miteingespielt, waren aber dafür nicht mit auf unserer US-Tour, dafür waren andere Musiker mit auf Tour, haben aber nicht mit aufgenommen. Das ist der eine Grund. Außerdem habe ich in den letzten Monaten einige Spoken-Word-Auftritte gemacht. Auf der Bühne gab es dann nur mich mit meiner Gitarre, weshalb es sicherlich einige Leute gibt, die mich nur von daher, als Solokünstler kennen und nicht mit Band. Das waren die Gründe für die Erweiterung des Namens.
rap.de: Hast du auch in Deutschland mal die Spoken-Word-Szene erkundet?
MF: Ja, ich war auf einigen Spoken-Word-Veranstaltungen in Deutschland, und die ganze Szene kann ich nur mit einem Wort beschreiben: intellektuell. Da fehlt mir so ein bisschen die Lockerheit.
rap.de: Kommen wir auf euer neues Album "Stay Human" zu sprechen. Beschreibe uns doch bitte die Art und Weise der Produktion. Ich habe gelesen, dass es eine sehr emotionale Zeit gewesen sein soll. Was genau heißt das?
MF: Als ich Capitol Records verlassen habe, kostete es mich eine lange Zeit, aus dem Vertrag rauszukommen. Ich musste einige rechtliche Schritte einleiten, und es war wirklich sehr anstrengend. Das war eine Sache. Während dieser Zeit habe ich auch noch ein weiteres Kind, einen Sohn, bekommen, was einem natürlich viel abverlangt, außerdem hatte mein Vater einen Schlaganfall, nach dem er beinahe gestorben wäre. Es war also eine schwierige Zeit in meinem Leben. In mir kam dann plötzlich der Gedanke hoch "Was würde ich der Welt sagen wollen, wenn das die einzige Platte wäre, die ich in meinem Leben machen könnte?". Also nahm ich mir einige Zeit darüber nachzudenken, was ich der Welt mitteilen möchte. Auf dem neuen Album drücken sich genau diese Gedanken aus. Die Idee besteht darin, zu versuchen, in einer Zeit wie der heutigen menschlich zu bleiben (to stay human), und das ist sehr schwierig. Genau so wichtig waren mir Themen wie: die Todesstrafe, Rassismus, Marihuana als Medizin oder der heutige Globalismus. Über all diese Punkte spreche und singe ich auf der neuen Scheibe "Stay Human".

rap.de: Das Album basiert auf einer fiktiven Radiosendung, in deren Mittelpunkt die Hinrichtung von "Sister Fatima" steht. Was hat es damit auf sich?
MF: "Sister Fatima" ist ein Charakter, den ich für das Album erfunden habe. Ihr Charakter ist symbolisch für viele andere Menschen auf dieser Welt, die tatsächlich existieren. Sie ist ein ehemaliges Black Panther-Mitglied und eine Heilerin, die u.a. Marihuana als Medizin verwendet. Sie wurde ohne rechtmäßige Beweise wegen Mordes angeklagt und erhielt die Todesstrafe. Der Gouverneur des betreffenden Bundesstaates benutzt sie bzw. ihren Tod, um die Wahl zu gewinnen. Er suchte halt einen Sündenbock und fand ihn in Sister Fatima. Der Gouverneur wird von den Schauspieler Woody Harrelson gesprochen, ein guter Freund von mir, den ich vom "Medical-Marihuana-Movement" her kenne.
rap.de: Als Medium nutzt du das Radio. Ist das immer noch ein wichtiges Medium für dich?
MF: Ich benutze das Radio als eine Piratenstation. Wir sagen heute oft: "Mann, ich hasse die Medien!", aber Fakt ist, wir sollten eins werden mit den Medien. Internet, Radio, Zeitungen, Magazine, Platten etc., durch diese Medien haben wir die Möglichkeit, mehr als in der Vergangenheit, unsere Stimme zu erheben und den Leuten da draußen etwas mitzuteilen. Die Chance dürfen wir uns nicht nehmen lassen. 
rap.de: Kann man auf dem neuen Album auch eine musikalische Veränderung von Spearhead hören?
MF: Ich denke, wir haben es geschafft, viele Emotionen auf dem Album zu präsentieren. Du findest Lieder, die Freude oder Leid ausstrahlen, Liebe und Hass, Neid u.a.. Auf jeden Fall tauchen diese Emotionen alle im Zusammenhang mit der Todesstrafe auf. Bei dem Thema Todesstrafe sind schon automatisch eine ganze Reihe Emotionen involviert. Das ist ein sehr persönliches Thema. Mit der Musik wollte ich das alles reflektieren, der Welt meine Gefühle und meine musikalischen Erfahrungen mitteilen. Wie es vor Jahren Stevie Wonder, Marvin Gaye, Sly Stone oder Bob Marley getan haben.
rap.de: Was hältst du eigentlich von der heutige Musikszene, ganz besonders natürlich von der HipHop- und R’n’B-Szene? MF: Ich denke, dass für die meisten der Hauptgrund Geld ist, erst Geld verdienen und sich dann zur Ruhe setzen. Ich wollte Musik machen, weil es meine Leidenschaft ist – ich wollte Wahrheit in die Musik packen, auch wenn ich nicht eine Millionen Platten verkaufe. Unter diesen Bedingungen ist es wesentlich schwieriger, im Business zu überleben, als einfach nur die Mainstreamschiene zu fahren. Ich mache Musik in diesem Sinne seit 1987, und es hat bis heute funktioniert.
rap.de: Wer oder was hat dich in musikalischer Hinsicht beeinflusst?
MF: Es ist so, dass ich manchmal die Musik, aber nicht das Drumherum mag. Heute müssen in jedem Video irgendwelche halbnackten Frauen mit dem Arsch wackeln, teure Autos rumfahren usw.. Es gab eine Zeit in der Musik, als man sich einig war, dass das System "fucked up" war, und man sich noch untereinander respektiert hat und miteinander umgegangen ist anstatt gegeneinander. Heute ist es doch so: Your ego against my ego! Das finde ich sehr enttäuschend. Es gibt natürlich auch heute noch einige gute Künstler, die Consciousness und Spirit in ihre Musik mit einfließen lassen.
rap.de: Du hast das Geld im Musikbusiness angesprochen. Was denkst du über die europäische HipHop-Szene, verglichen mit den USA?
MF: Am Anfang wurde nur kopiert, aber heutzutage haben sie ihren eigenen Stil gefunden. Sie reden über ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse. Geld hat aber auch hier einen großen Einfluss. Ich will nicht sagen, dass jeder Künstler die Pflicht hat, über Politik oder das Weltgeschehen zu sprechen. Aber meiner Meinung nach gibt es die Verantwortung, gute Kunst zu machen. Und gute Kunst kann man nur machen, wenn man eine gewisse Ehrlichkeit und Individualität an den Tag legt.
rap.de: Du sprichst sehr viel über Spirit und Geist, bist du ein sehr religiöser Mensch?
MF: Religion basiert für mich in erster Linie auf meinem eigenen Bewusstsein und der bewussten Wahrnehmung meiner Umwelt. Religion ist immer das, was das Wichtigste für dich ist. Das ist deine Religion. Die Familie, Kinder, Freunde, Musik, das sind Sachen die mir wichtig sind, daraus schöpfe ich meine Kraft. Für die meisten ist leider Geld das Wichtigste. Ich praktiziere keine spezielle Religion, ich lese viel, bete, höre sehr viel Musik, daraus versuche ich Weisheit zu schöpfen.
rap.de: Was würdest du als das Beste auffassen, was dir in der Zeit, in der du Musik gemacht hast, bisher passiert ist?
MF: Das kann ich dir leicht beantworten: Reisen! Andere Kulturen und Menschen kennenlernen, neue Erfahrungen sammeln. Ich verbringe meine Zeit nicht bloß im Tourbus oder im Hotel, ich versuche, so viel zu sehen wie möglich und mich auch mit so vielen Menschen zu unterhalten wie möglich. Wer noch mehr über Micheal Franti und Spearhead erfahren will, und es lohnt sich bestimmt, der sollte mal ihre Homepage www.spearheadvibrations.com auschecken.