Blackalicious

Man kann über Blackalicious viel sagen. Völlig zu Recht z.B., dass diese beiden Typen aus der Bay Area mit ihrem zweiten Full-Length-Album "Blazing Arrow" nach dem 99er-Longplayer "NIA" erneut eine LP auf den Markt gebracht haben, die in ihrer eigenen Liga spielt. Positivbeschreibungen wie "großes Tennis" oder mein aktuelles Lieblings-Adjektiv "überamok" können dem, was auf diesen Scheiben zu hören ist, einfach nicht gerecht werden. Vielleicht sollte man sich auf "The Blackalicious Experience" einigen, weil Vergleiche da, wo es nichts Vergleichsbares gibt, eben nicht weiter helfen.

 

So beeindruckend diese Platten auch sein mögen, so sehr steht zugleich fest, dass man Blackalicious wohl erst dann richtig verstanden hat, wenn man "The Gift Of Gab" und "Chief XCel" auch mal "im Kreise ihrer Lieben" live gesehen hat. Wo andere hilflos Sachen wie "Is Berlin in the house?" oder "Say make money money" schreien, um eine Reaktion zu erhalten, sind Gab und XCel einfach da. Wie oft hat man schon dieses inhaltslose Gesabbel vom Energieaustausch zwischen Künstler und Crowd gehört, dieses Geschwafel vom "being-down-with-the-crowd". Wenn irgend jemand wirklich wissen will, was das ist, sollte er zum nächsten Blackalicious-Konzert gehen und zahlen, was es kostet. Meistens ist es durchaus bezahlbar, doch die Gelegenheiten sind rar. Das erste Mal habe ich Blackalicious im November 2000 in Berlin gesehen, als sie gemeinsam mit DJ Shadow und Latyrx auf der Solesides-/Quannum-Tour waren – ein Gig in Cologne, einer in der Hauptstadt im inzwischen geschlossenen "Maria am Ostbahnhof", das war ´s. Mein Ticket hat die Nummer 05, das weiß ich. Ich kann es im Moment nicht finden, aber ich weiß trotzdem, dass es da ist. Zugegebenermaßen waren die Erwartungen dieses Mal etwas niedriger, weil es eigentlich nur ein öffentliches Showcase aus Anlass der neuen Platte geben sollte, für das locationseitig zwischen 30 und 45 Minuten eingeplant waren. Außerdem wurde Gab von XCel wegen einer Entzündung im Fuß auch im Rollstuhl zum Interview gefahren, weshalb nicht gleich klar war, wie das an diesem Abend laufen sollte. Gab meinte dann grinsend: "Don´t worry, we are prepared. I ´m going to rap – auuf dem Schtuul." Yo – und das hat er dann gemacht, eineinhalb Stunden lang, und es ist einfach sinnlos zu beschreiben, was da passiert ist. Either you felt it – or not.

The Philosophy Of The Next Step – 100%

rap.de: Euer neues Album wird überall gefeiert und gerne wird vom "Next Level" im HipHop geredet. Die Erwartungshaltung war auch vorher schon enorm – hat euch das unter Druck gesetzt?

Gab: Ich würde weniger von Druck, als eher von Leidenschaft reden. Es geht auch nicht darum, etwas notwendigerweise "besser" machen zu wollen, als vielmehr darum, etwas Weiter-Entwickeltes zu machen, das nächste Kapitel eben. Wir empfanden schon immer eine große Leidenschaft für diese Herausforderung. Es geht immer darum, künstllerisch zu wachsen und uns selbst heraus zu fordern, und wir sehen diese Sache als eine Vision ohne Grenzen. Ich denke, dass es in keiner Art von Kunst, sei es Musik oder beispielsweise Malerei, Grenzen für das gibt, was man tun kann. Dieses Verständnis der Dinge ist wichtig – man darf sich nicht selbst im Weg stehen und muss die Kräfte walten lassen, sich zugleich pushen und versuchen, der beste Künstler zu werden, der man sein kann. XCel: Er als Lyricist und Rapper, und ich als Produzent und Komponist sind immer am Arbeiten und für mich habe ich den Eindruck, dass ich musikalisch schon wieder auf einer anderen Seite bin, als letztes Jahr während der Aufnahmen zu Blazing Arrow. Der größte Druck, den wir haben, kommt von uns selbst und liegt darin, dass wir jeden Track immer an die 100%-Grenze bringen wollen. Diese 100%-Grenze des Ausdrucks, die bedeutet, dass wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vermitteln wollen, was es war, das wir fühlten, als wir den Track planten.

 


rap.de: Wisst ihr immer von selbst, ob ihr an der 100%-Grenze seid oder lasst ihr euch da auch helfen – von Shadow z.B.?

Gab: Wir kommen immer mit allen möglichen Leuten zusammen und meistens gibt es in diesem Stadium auch eine Version jedes Tracks, die von vorneherein noch unter dem Vorbehalt steht, überarbeitet zu werden. Unser Test für uns selbst besteht meistens darin, dass wir uns in XCels Jeep setzen, die CD spielen und rumfahren. Wir versuchen dann, das ganze Ding von Anfang bis Ende als eine Erfahrung einzuatmen, und herauszubekommen, ob die Platte dich dahin führt, wohin wir dich führen wollen. Fühlst du dich, als würdest du einen Film sehen? Darum geht es. Wir überarbeiten alles mehrfach, aber wenn wir die 100%-Marke erreich haben, fühlen wir einfach, dass wir da sind.From "NIA" to "Blazing Arrow"

rap.de: Wo seht ihr denn die wesentlichen Unterschiede zwischen "NIA" und "Blazing Arrow"?
 
Gab: Das Positive an NIA war, dass sie zu einer Zeit entstand, in der wir als Künstler begriffen, dass wir da sind, um genau das zu tun, was wir tun – das wurde einfach offensichtlich. Negativ war sicherlich, dass es relativ lange dauerte, sie aufzunehmen, weil viele Dinge gleichzeitig stattfanden. Unser Independent-Label machte gerade die Transformation von Solesides zu Quannum durch, wir mussten ein paar Personalentscheidungen treffen und alte Strukturen aufbrechen. Blazing Arrow verlief dagegen sehr konzentriert – wir hatten ein Jahr, in dem wir aufstanden, frühstückten, unsere Musik machten und wieder ins Bett gingen.
XCel: Aus der technischen Perspektive war das Positive an NIA, dass ich sie hauptsächlich auf A-DAT und meiner MPC 60 aufnahm. Keine Ahnung, ob von euch jemals jemand auf einer 60 gearbeitet hat, aber sie ist viel langweiliger als eine 2000 oder 3000, und wenn deine Aufnahmemöglichkeiten unkomfortabel sind, neigst du dazu, Ehrenrunden zu drehen und dein beschränktes Equipment an den Rand zu treiben, um zu bekommen, was du möchtest. Die Belohnung liegt aber darin, dass der Shit nun für die Ewigkeit ist… Eine Vocal-Spur auf A-DAT aufzunehmen kostete uns das 8-fache der Zeit, die wir jetzt brauchen, nur wegen der Art und Weise wie das Ding arbeitet. Manchmal hast du Bandsalat und musst wieder von vorne anfangen. Diese Probleme haben wir jetzt nicht mehr und können uns nun auf unsere Kreativität und die Songs konzentrieren.

 

rap.de: Was diese 100%-Marke angeht, die ihr schon angesprochen habt – man konnte lesen, dass ihr bei "Blazing Arrow" zum ersten mal das Gefühl hattet, ein Album, so wie es euch vorschwebte, produziert zu haben, wohl auch wegen des Supports eures neuen Labels MCA. Hattet ihr bei NIA also noch keine 100%?

XCel: Das ist es nicht so sehr. Du musst dir vorstellen, dass wir mit der Aufnahme von NIA 1996 begannen, es hat also fast drei Jahre gedauert. Zu dieser Zeit waren wir einfach nicht in der finanziellen Lage, sagen zu können, o.k. – wir verbringen jede wache Minute mit Aufnehmen. Wir haben in verschiedenen Jobs gearbeitet und zur gleichen Zeit ein Independent-Label betrieben, als wir NIA aufnahmen. Der Segen war dann aber, dass wir, nachdem NIA fertig war, ab Ende 98 durch 99 hinweg nur getourt sind und fulltime Musik gemacht haben. Als NIA fertig war, traten wir also in eine neue Phase unseres Lebens ein. Außerdem haben wir die Aufnahmen zu NIA quasi unterbrochen, um an A2G [der zweiten EP] zu arbeiten. Wir hatten damals den Eindruck, dass es eine zu lange Pause zwischen Melodica und NIA geben würde, so dass wir etwas brauchten, was möglicherweise etwas kürzer, aber ein solider Punch sein würde, um diese Lücke zu überbrücken. Es ging darum, das Wachstum zwischen diesen beiden Platten einzufangen.
rap.de: Was habt ihr denn day-job-mäßig gemacht?

Gab: Ich habe alles mögliche gemacht, um Studiozeit bezahlen zu können. Das ging vom Hochziehen von Fonds für politische Aktivitäten über den Verkauf von Büromaterial. Machmal muss man eben ein paar Opfer bringen, um tun zu können, was man liebt.Blazing Arrow

rap.de: Bei "Blazing Arrow" scheint ihr mehr Instrumente eingespielt zu haben – war das so geplant?

XCel: Nicht unbedingt – der Einsatz von Instrumenten stellt sich eher als ein Resultat der Kontakte dar, die wir zu Musikern bekommen haben. Wenn du einen ?uestlove am Start hast, dann musst du ihn natürlich Drums spielen lassen, because he is the dopest drummer on the planet. Dasselbe gilt für Paul Humphry – es war ein Segen. Wir haben eine gute Balance zwischen Digging und Live-Stuff, und wir wollten uns auch auf keinem Feld beschränken.
rap.de: Bei "First In Flight" habt ihr ja Gil Scott Heron in der Hook, ein Treffen der Generationen sozusagen. Wie kam es denn dazu?

Gab: Als ich die Hook für "First In Flight" schrieb, war klar, dass ich sie singen wollte, und als ich es dann auf den Punkt brachte, meinte X "Es wurde dope klingen, wenn Gil Scott Heron den Part übernehmen würde."
X: Ich hörte es einfach durch die Tonhöhe, auf der er sang und auch in den Lyrics spürte ich den Einfluss.

 

Gab: Zum Glück kannten wir jemanden, der uns mit ihm in Kontakt bringen konnte und er hatte Lust. So sind wir nach Harlem, haben ihn abgeholt, und dann gemeinsam nach Manhattan ins Greent Street-Studio, wo wir aufgenommen aufgenommen haben. Manchmal kann ich immer noch nicht glauben, dass wir mit ihm im Studio waren – er hat das Ding in einer Stunde erledigt. Am Anfang war ich schon etwas nervös – ich meine das war Gil Scott Heron. Es war, als ob wir es mit einem Onkel gekickt hätten, den wir vorher noch nicht getroffen hatten. Er ist ein sehr bescheidener Mensch.
rap.de: Eure Tracks sind zwar meist sehr entspannt, aber doch sehr unterschiedlich, wenn man die einzelnen Tracks vergleicht, auch die Tracks in sich selbst entwickeln sich meistens stark…

XCel: Für mich soll Musik immer eine Story erzählen, jeder Track sollte einen klaren Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Das bedeutet nicht, dass jeder Track dieselbe Songstruktur haben sollte, aber er sollte dich doch auf eine Reise nehmen und wenn du damit durch bist, sollte etwas übrig sein. Ich mag es nicht, wenn ich nach sechs Takten weiß, was in den nächsten 80 Takten passieren wird. Ich war z.B. immer ein großer Fan des Pete-Rock-Sounds und der Komplexität, die sein Drum-Programming hatte. Wenn du dir "Mecca & The Soul Brother"(1992) und "All Souled Out" (1991) anhörst – ich meine, zieh dir rein, wie das gemacht ist. Alle vier Takte passiert etwas neues und das hat für mich den Standard gesetzt.

rap.de: Herausragend auf "Blazing Arrow" ist sicher auch "Release", ein Song mit Zack de la Rocha von Rage Against The Machine und Saul Williams, der acht, neun Minuten lang ist. Erklär doch mal das Konzept.

Gab: "Release" ist ein Song mit drei Teilen. Der erste basiert auf einem Atem-Muster – die Strophe ist ein einziges Ausatmen, ein Loslassen und Befreien, also ein Energie-Loswerden. Deshalb ist der Track mit Zack im Hintergrund einfach auch aggressiver … release … Lyrically geht es ums Freiwerden. Der zweite Teil mit Saul Williams, ist der Teil, in dem eingeatmet wird, also Energie, die Energie des gesamten Universums, gesammelt wird. Saul ist erstaunlich, er kommt über seine Poesie wirklich mit dem menschlichen Geist in Berührung und ich denke, dass er mit seinem Part viele Dinge angesprochen hat, die viele Leute auf unterschiedlichen Ebenen durchgemacht haben. Als er mit seiner Strophe fertig war, war jeder im Studio bewegt. Der Track ist wie eine Massage, wenn du dir anhörst, wie sich die Drums nach dem ersten Teil verändern und dann eine Melodie reinkommt. Im dritten Teil, der "Exhale/Motivate" heißt, kommt Lyrics Born rein. Wenn du erst einmal völlig losgelassen hast – Teil 1, und dann die universelle Energie aufgenommen hast – Teil 2, geht es darum, hochzukommen, dich zu motivieren, und das zu tun, woran du glaubst, v.a. auch darum, es zu genießen. Release ist ein episches Abenteuer. Für die, die annehmen, nach "Blazing Arrow" könne nicht mehr viel kommen, weil man ja bereits im Nirvana ist, halten Gab, XCel noch ein paar Dinge bereit –

XCel: "Wahrscheinlich wird es eine "Quannum Spectrum II" geben, die in Europa über Ninja Tunes kommen soll. Außerdem erleben wir bei Quannum gerade eine ziemlich aufregende Phase, weil es das erste Mal in unserer Geschichte ist, dass innerhalb einer Spanne von 12 Monaten jeder auf dem Label ein Full-Length-Album rausbringt."

So stehen in den nächsten Monaten u.a. Alben von Lyrics Born ( "Later That Day", Januar 2003), ein gemeinsames Projekt von Lateef und XCel (Album im Sommer) sowie eine Solo-Platte von Joyo Verlade an. Auch die Live Savas aus Portland/Oregon kommen im nächsten März mit einem Longplayer und the complete MC Gift Of Gab arbeitet zur Zeit an einem Solo-Projekt. Alles wird gut.