Analphabeten

1999 gegründet, haben die Analphabeten bereits einiges hinter sich: Stress, Umbesetzung, vielbeachtete Releases und Features… MC Joe Rilla und DJ Danetic, die beiden Übriggebliebenen des ehemaligen Quartetts, stehen nun kurz vor dem Release ihres Albums („1deutige 2deutigkeiten“, VÖ: 5.02.01), einem ausgereiften, musikalischen Werk,das von seinen reduziert-düsteren Beats und seinen lyrisch-assoziativen Doubletime-Flows lebt. Jan Kage unterhielt sich mit ihnen über Weltschmerz, Partyraps und Hauptstadtflavor… Wenn es in einer Band zu Beziehungsstress oder gar Trennungen kommt, ist das – wie im echten Leben auch – immer ein hochsensibles Thema. Nähert man sich nun, aufs diplomatischste natürlich, der Vergangenheit der Analphabeten und befragt sie nach den Gründen für das Ausscheiden von SMC und DJ NYCO kurz nach Erscheinen der „Wazlouz“-EP, bekommt man eine ebenso diplomatische Antwort: Unterschiedliche Zielsetzungen

Was sind sie denn, die Ziele der Analphabeten?

„Wir wollen, dass die Heads, die drauf stehen, den Shit hören. Wir wollen Bestand haben, ein gesundes Level halten und dann auch in ein, zwei Jahren die Möglichkeit haben, neue Künstler zu präsentieren. Wir sehen Analphabeten nicht nur als Crew, sondern auch als Möglichkeit, neue Künstler aufzubauen – die Alpha- Firma…“ Erfolgreiches, zielorientiertes Arbeiten, gleichzeitig aber auch einfach nur Spaß an der Musik – wer Joe Rilla schon mal beim Schreiben zugeguckt hat, erkennt darin die Leidenschaft eines Sprach-Besessenen. An einem Stück, ohne abzusetzen und mit einem gigantischen Output entstehen aus seiner Feder die deepen, teilweise abstrakten Analphabeten-Lyrics. So beschreibt er die Arbeitsteilung: „Ich bin der hektische Part der Crew, der Workaholic, der alles ganz schnell macht. Danetic ist eher der Chill-Faktor, der mich dann etwas bremst. Deswegen sind wir ein cooles Team – Yin und Yang.“
Viele der Texte erschließen sich dabei nicht mal nach dem zweiten Hören vollständig – doch das ist nicht unbeabsichtigt:

“In dem Augenblick, wo ich schreibe, fühle ich etwas, was ich ausdrücken will, was vielleicht nicht jeder versteht. Aber wenn man den Text wirklich auseinandernimmt, was natürlich nicht jeder macht, dann könnte man es schon verstehen. Wie es schon Tatwaffe von der Firma sagt: `Manchmal schreibe ich Texte, und nur Curse versteht sie…´, das sind halt Sachen, die nicht jeder diggt, aber was soll‘s? Vieles von dem, was ich schreibe, ist eigentlich ´ne Art von Eingebung, etwas, über das ich mir nicht wirklich Gedanken mache, was aber trotzdem Sinn ergibt. Darauf stehe ich. Es gab bei mir eine Zeit, wo ich Spaß daran hatte, so viele Silben wie möglich durchzuflexen, so viele Reime wie möglich in den Mund zu nehmen – momentan nehme ich mich wieder mehr zurück und schreibe geordneter.“ Der schwermütige, teilweise harmonisch recht bombastische Charakter der elektronisch angehauchten Beats legt den Verdacht nahe, dass sich die komplexe Gefühlswelt des Joe Rilla nicht nur in den Texten, sondern auch in den von ihm produzierten Beats widerspiegelt. „Ich bin jemand,der viel nachdenkt, manchmal viel zu viel. Das kann ich am besten dadurch wiedergeben, dass ich die Sachen, die ich mache, recht dramatisch halte. Ich mache mir Gedanken über Weltschmerz, über Untergangstheorien – über alles, was uns als Menschen betrifft. Dazu brauche ich einfach monumentale Playbacks, die eine Dramatik haben, die etwas spüren lassen. Es gibt Tracks, bei denen man mit dem Kopf wackelt, und es gibt Tracks, bei denen man ´ne Gänsehaut bekommt. Ich will, dass man auch die Instrumentals allein hören könnte und etwas fühlt – dass man mit geschlossenen Augen Bilder sieht.

Nicht alleine in seinen eigenen Beats findet er die nötige Schwere, auch drei Tracks von Knick Neck, sowie zwei von Busy fügen sich nahtlos in die LP ein. Natürlich könnte es im frühen dritten Jahrtausend keinen HipHop-Longplayer ohne MC-Features geben, da machen auch die Analphabeten keine Ausnahme. Bei diesen Textbeiträgen handelt es sich jedoch auf „1deutige2deutigkeiten“ erfreulicherweise niemals um reinen Selbstzweck – selbst der kritischste Zuhörer muss hier ein organisches Miteinander der Rapper bescheinigen, ganz im Gegensatz zu den oft aufgereihten VIP-Name-Droppings mancher Alben. G.E.R.M., mit einem für ihn typischen Verschwörungsszenario, Poise MC oder der upcoming Storytella Bektash vertreten die Berliner Homies – aber auch Nicht-Hauptstädter finden sich im Lineup:

“Die meisten Kollabos sind mit Leuten entstanden, die mit uns abhängen oder im Studio aufgetaucht sind, viele Berliner, aber auch MCs wie Apocalypse aus Hamburg – es war uns wichtig, eine Bandbreite von Leuten zu präsentieren, die gerade erst an den Start kommen, und nicht Features zu machen, um uns selber an den Start zu bringen. Es ging uns auch darum, Talente wie z.B. Sentence zu fördern.“

Die Reaktionen auf das deepe, aber sperrige Material der Analphabeten sind – logisch! – geteilt.

“Es gibt halt viele, die sehen im HipHop nur das Partyfeeling, und es gibt andere, die sehen mehr die sozialkritische Botschaft. Wir machen eben das kritischere Zeug. Aber die Reaktionen sind cool, ich glaube sowieso, dass es sich die Waage hält – wir haben auch Partytracks auf dem Album. Wir zeigen ein breites Spektrum von dem, was wir tun und mögen. HipHop in Deutschland wird sich früher oder später spalten. Einerseits in die Party- und Witzrap-Geschichte, wogegen ich überhaupt nichts habe, wenn die Witze cool sind, und die Independent-Szene. Ich seh‘ das fast wie in New York, wo mir die Underground-Szene viel besser gefällt als das, was on top ist. So wird das in Deutschland auch verlaufen.“ Natürlich ist es für eine Berliner Crew auch immer wichtig, sich mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen und sich den kritischen Blicken einer in der „Berlin-Frage“ polarisierten deutschen Szene zu stellen. „Die Leute reden schon seit zwei Jahren viel über Berlin. Das Ding ist, dass überhaupt noch nicht so viel aus Berlin rausgekommen ist! Mittlerweile kommen halt Leute wie KMC oder wir nach, und man merkt schon, dass die Leute erst mal skeptisch sind auf Berliner Sound – weil sie auch manchmal mit der Mentalität nicht klarkommen. Wenn du aber durch die Qualität deiner Musik überzeugst, hast du sie trotzdem. Oft ist es so, dass durch frühere Zeiten ´ne Menge Vorurteile am Start sind – von wegen dass wir aggro wären oder auf jeder Party Stress machen, was ja gar nicht mehr so ist. Bei den Jams war´s halt früher so, aber heute ist das anders – wenn du die Leute zum bouncen bringst, ist es egal, wo du herkommst.“

Und natürlich bezieht er auch Stellung zu dem Berliner MC überhaupt und dem Thema Nummer eins im HipHop zurzeit:

„Man muß Savas´ Shit eben nur auf´s Battlen beziehen, auf die Provokation. Ich sage auch `mir gefällt Torch nicht´ – weil ich auf seine Raps nicht stehe. Ich kann menschlich über ihn nichts sagen, aber ich mag seine Raps nicht. Und darum diss ich ihn – für seine Raps. Das ist nicht menschlich gemeint, das ist nur auf´s Battlen bezogen. Und deshalb ist es auch ok, wenn Savas sagt, dass er Hamburg scheiße findet. Obwohl das meiner Meinung nach zu sehr über einen Kamm geschoren ist – auch in Hamburg soll´s ja Leute geben, die Opposition zu Eimsbush etc. machen. Sogar da gibt´s MCs, die wirklich brennen. Auch in Berlin gibt’s ja nicht nur die Spezializtz oder Savas, in Berlin gibt´s 1000 Styles!“ Und so stehen auch die Analphabeten nicht für Berlin – sie stehen für sich selber. Und das reicht völlig.