Interview mit Sookee

rap.de: Aber wenn die Kinder von ihrem Elternhaus mit einem gewissen Wertekatalog ausgestattet sind, können sie auch nicht so leicht auf so etwas hereinfallen. Ich hab auch sehr viel menschenverachtende Musik gehört, N.W.A. und so weiter.

Sookee: Das hast du aber bestimmt anders verstanden. Oder bist du englischer Muttersprachler?

rap.de: Nein, aber mir war schon klar, dass die da Frauen extrem gedemütigt und beleidigt werden. Aber trotzdem hat mich das nicht inspiriert oder zum Nacheifern animiert. 

Sookee: Deswegen sage ich ja, es gibt so unterschiedliche Lesarten. Meine Lösung zu der ganzen Thematik ist, man wird diesen Rappern nicht verbieten können, diese Sprache zu benutzen. Auf der Seite kommen wir da nicht ran. Es lässt sich gut Geld damit verdienen, es gibt immer mehr Toleranz demgegenüber, deswegen funktioniert das nicht. Also müssen wir auf diejenigen gucken, die es hören. Wie können wir die mit guten Tools ausstatten, damit sie in der Lage sind, die nötige Distanz zu wahren? Und letztlich ist Rap nur ein Einfluss, ich finde zum Beispiel GNTM genauso scheiße wie Kollegah. Aber ich will mich da nicht kulturpessimistisch drauf abfucken, sondern ich will sehen, was kann ich dagegen tun. Ich bin kein Freund von Verboten – klar habe ich keinen Bock auf die NPD als demokratisch wählbare Partei.

rap.de: Ist ja auch Verarschung.

Sookee: Genau. Also muss man gucken, was verbietet man, was nicht Nazi-Rap will ich verbieten, Gangsta-Rap nicht. Ich finde auch eine Institution wie die BPjM lächerlich. Das ist ein Laden, der nur dem Selbsterhalt dient. Da will jemand seinen Job nicht verlieren. Natürlich ist es eine große gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Leute zu mündigen Medienkonsumenten zu machen. Es ist 2014, von allen Seiten sind wir überflutet mit Informationen – und das deutsche Bildungssystem holt die gleichen Kopiervorlagen wie vor 20 Jahren aus dem Schrank.

rap.de: Du willst also nicht unbedingt klügere Rapper, sondern klügere Hörer.

Sookee: Genau, so dass sich das irgendwann nicht mehr wirtschaftlich trägt. Dass irgendwann klar ist, alle Mütter sind jetzt bis zum Anschlag gefickt. Da passen keine Schwänze mehr rein.

rap.de: Apropos Schwänze: Ein interessanter Song auf „Lila Samt“ ist dieser „If I had a dick“.

Sookee: Da haben wir ja das Nicki Minaj-Sample unter die Hook gelegt. Ich will mich natürlich im Idealfall positiv auf die Frauen, die es im Rap gibt, beziehen. Aber das finde ich so schade, dass von Rapperinnen so Sachen kommen, dass sie, wenn sie erzählen wollen, wie mächtig sie sind, dass sie sich so einen Schwanz herbeiimaginieren. „If I had a dick I would pull it out and piss on ‚em“. Um auf jemand zu pissen, brauchst du keinen Schwanz, Girl.

rap.de: Mit einem Schwanz kann man aber besser zielen.

Sookee: Das ist eine Trainingsfrage. (Gelächter) Jedenfalls finde ich das schade. Deswegen erzähle ich die Geschichte von einem Schwanz, der nicht desexualisiert ist, der fickt auch, keine Frage. Aber er kann auch was anderes außer anderen Leuten durchs Gesicht zu peitschen.

rap.de: Er ist kein bloßes Machtinstrument.

Sookee: Genau. Der chillt auch mal und alles ist gut. Das ist ein bisschen eine Normalisierung, eine Entspannung. Dieses Dauererigierte ist doch voll anstrengend und auch schlecht fürs Gehirn, glaube ich. Das war so das Konzept bei dem Song und ich bin tatsächlich ein bisschen stolz, dass mir geglückt ist, einfach einen Gegenentwurf zu erzählen. Darum geht es mir letztlich: Alternativen liefern. Ich will gar nicht, dass alle so werden wie ich, ich finde es nur schön, wenn es auch andere Narrationen gibt. Das ist meine Motivation.

rap.de: Mir scheint dein neues Album verglichen mit den Vorgängern persönlicher, reflektierter, auch selbstkritischer.

Sookee: Das Album lässt mehr Verletzlichkeit zu und sagt auch, es gibt auch Momente, wo mir das alles scheißegal ist. Wenn es mir doof geht oder gut geht, kann da draußenn Kapitalismus sein oder nicht, jetzt bin ich gerade froh oder es geht mir richtig kacke. Und das hat auch manchmal nichts damit zu tun, dass die Welt ungerecht ist.

rap.de: Der Rückzug ins Private.

Sookee: Ja, obwohl das Private ja politisch ist, aber es gibt eben auch Facetten des Privaten, die tatsächlich nur privat sind.

rap.de: Hast du eigentlich von Truther-Rappern wie Bandbreite mitbekommen, die jetzt im Zuge der sogenannten Montagsdemonstrationen aufgetaucht sind?

Sookee: Klar, die gibt es ja schon seit Jahren. Das ist natürlich albern. Politisch ist das völlig indiskutabel. Ich bin kein Fan von Infokrieg, Trutherei, Montagsdemo, Aluhüten, Chemtrails. Das ist voll nicht meine Form von Politik. Alles, was sich gerne auf Verschwörungstheorien beruft – und dabei natürlich abstreitet, dass es Verschwörungstheorien sind – liegt mir politisch deswegen nicht, weil es keine politische Handlungsoption mit sich bringt. Du kannst ja nix machen, weil die alle so mächtig sind, dass du völlig ausgeliefert bist. Alles was du tun kannst, ist das richtige Wissen zu erlangen, aber es gibt dann keine Form der Praxis.

rap.de: Es ist eher eine Religion, wo Eingeweihte immer mehr vermeintliches Geheimwissen erlangen und dadurch im Rang aufsteigen.

Sookee: Ganz genau. Was du schaffen kannst: Du kannst zu einer Wissenselite gehören, die sich als Opposition sieht zu dem, was die Strippenzieher sind. Ich bin ein Fan von Analysen, die sich eher auf Strukturen beziehen als auf einzelne Personen. Es hilft halt nix, eine Reihe von Bankern an die Wand zu stellen, denn da wachsen die nächsten einfach nach. Es geht tatsächlich darum zu kucken, was hat unser eigenes Tun für einen Anteil, sonst ist es eine bloße Projektionsleistung. Nach der Analyse der Probleme muss eine Praxis irgendwie denkbar und machbar sein. Und wenn eine bestimmte Form von Kritik das gar nicht zulässt, dann bin ich da raus.

rap.de: Dann mal ganz konkret: Was ist deine Vision einer anderen Gesellschaft?

Sookee: Im Bildungssystem anzufangen wäre realpolitisch gut machbar. Ich bin dafür, den Leuten das Konkurrenzdenken abzugewöhnen, denn eine Ellbogenmentalität ist nichts, was Menschen glücklich macht. Es macht halt ein paar glücklich, die sich nach oben quetschen. Aber von da kannst du auch immer stürzen. Alles, was auf Missgunst und Neid und unlautere Methoden abzielt, finde ich einfach nicht geil. Konkret würde ich Noten abschaffen wollen, und als Alternative eine gesunde Selbsteinschätzung lehren. Kinder sollen sich vergleichen lernen, aber nicht unter dem Aspekt ‚Ich bin besser oder schlechter als du‘. Sondern, ah, das hast du so und so gemacht, das war dein Lösungsweg, ich habe es so und so gemacht. Dass sie einfach ein gesundes Bild davon bekommen, was sie können und was sie noch nicht können. Damit sie dann sagen, das möchte ich auch gerne können, nicht, um eine 1 da stehen zu haben, sondern um es gepeilt zu haben. Dieses ganze bulimische Lernen…

rap.de: …auswendig lernen und wieder vergessen…

Sookee: … das ist so furchtbar, so eine Zeitverschwendung. Ich finde es unerklärlich, warum sich das so krass hält. Stattdessen sollte man wieder mehr Kreativität zulassen, damit Leute selbstständiger zu denken lernen. Unser Schulsystem bereitet auf das Überleben im Kapitalismus vor. Und dieses System erachte ich nicht für ideal, weil es ein System der Ungleichheit ist, und damit habe ich ein Problem.

rap.de: Und das soll durch Bildung überwunden werden?

Sookee: Genau, freie Bildung ist notwendig. Ich bin auch für freie Mobilität. Um mich bilden zu können, muss ich von A nach B gelangen. Wenn Mobilität und Bildung umsonst, also frei wären, und Nahrung und Wohnraum bezahlbar, dann hätten wir schon viel für eine Gesellschaft getan. Und wenn man dann merkt, ich hab nichts von meinem ganzen Reichtum, außer dass ich Neid um mich herum spüre, ich hab was ich brauche, du hast auch was du brauchst, cool. So eine „Froh zu sein bedarf es wenig“-Mentalität finde ich schön. Und natürlich müssen alle Geschlechter anerkannt werden, es muss anerkannt werden, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, dass es unterschiedlichste Formen von Begehren gibt, nicht nur Hetero- oder Homosexualität. Und Rassismus darf kein Thema mehr sein. Ich glaube schon, dass es ums große Ganze geht, die Dinge sind miteinander lösbar. Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie, Unterdrückung nach Klasse sind Dinge, die sehr eng miteinander in Verbindung stehen. Die Frage von Verwertbarkeit und Hierarchie überdacht das alles.

rap.de: Das heißt, wenn man diese beiden Probleme löst, lösen sich die anderen automatisch?

Sookee: Aber in der Gleichzeitigkeit. Du drückst nicht einen Knopf und dann regeln sich die anderen von selbst, du musst schon an allen gleichzeitig arbeiten. Aber bestimmte Formen tauchen halt in Formen von Unterdrückung auf, und an die gilt es zu gehen. Das ist für mich eine Frage von Bewusstsein: Wenn uns klar ist, dass wir das nicht mehr brauchen, bestimmte Formen von Priveligierung – es gibt Momente, wo teilen einfach total sinnvoll ist. Und das sind schöne Momente.