rap.de: Ich stelle mir gerade vor, wie ein Rapper zu Rap am Mittwoch geht und den Rahmen völlig sprengt, indem er seinem Gegner die ganze Zeit Komplimente macht.
Sookee: Vereinzelt gibt es das ja auch, etwa, wenn Rapper sich selbst dissen.
rap.de: Aber dass jemand hergeht und seinem Kontrahenten offene Liebesbekundungen ausspricht…
Sookee: …fände ich toll! Vor allem, wenn sich daraus eine Art Phänomen entwickeln würde. Ich bin Fan von Gegenkulturen. Das hat so was subversives. Das andere ist so erwartbar, das ist vermarktbar, daraus lassen sich Formate schrauben und viel Geld verdienen. Natürlich müssen Leute Geld verdienen, Miete zahlen, Kühlschrank füllen, alles in Ordnung. Aber ich habe einfach viel mehr Freude an einem Miteinander anstatt an einem Gegeneinander. So funktioniert mein Leben und Rap steht dem natürlich immer wieder entgegen. Deswegen haben wir mit Ticktickboom versucht, einen ziemlich großen Rahmen zu schaffen. Wir sind 20 Leute, das ist ziemlich viel. Und auch noch auf vier Städte verteilt. Politisch sind wir streckenweise, auch wenn das von außen vielleicht nicht so wahrgenommen wird, nicht immer einer Meinung. Innerhalb des linken Spektrums gibt es sehr unterschiedliche Positionen. Wir sind schon sehr plural, sehr divers mit unseren Ideen und thematischen Schwerpunkten. Und trotzdem haben wir einen gemeinsamen Wertekatalog, der uns vom Mainstream-Rap abgrenzt. Dieses ganze Gewaltthema ist rund um meine Arbeit und die von meinen Kollegen ziemlich groß. Das wird unterschätzt. Ich nehme zwar zusehends Abstand davon, so ein apokalyptisches Szenario von einer verdorbenen Jugend zu malen. Das ist mir alles zu bürgerlich. Nichtsdestotrotz gibt es einfach eine Realität der sprachlichen Verschiebung, bestimmte Begriffe werden über häufige Wiederholung extrem gepusht.
rap.de: „Hurensohn“ zum Beispiel.
Sookee: Ich würde gerne eine Zeitreise machen, 15 Jahe zurück und rausfinden, was wäre gewesen, hätte sich das nicht so krass durchgesetzt. Natürlich ist es in erster Linie eine Übersetzung von ’son of a bitch‘, klar. Aber was wäre das Medium gewesen, wenn nicht Rap es selbstverständlich gemacht hätte?
rap.de: Vielleicht Gangsta-Filme. Meiner Meinung kam es ohnehin durch die Synchronisation von Filmen auf.
Sookee: Might be. Aber auch da ist natürlich ist die Frage, an welcher Identitätspolitik hängt das. Natürlich geht es da um eine männlich-heterosexuelle Perspektive, die vor allem über Macht und Gewaltausübung sich am Leben hält.
rap.de: Diese Diskrepanz zum Rest der Rap-Szene wird in deinem „Vorläufigen Abschiedsbrief“ thematisiert. Hast du mit bestimmten Teilen der Rapkultur schon abgeschlossen?
Sookee: Ja, aber eben auch nur als Ausdruck von etwas, das es anderswo auch gibt. Nur ist mir dieser kulturelle Ort HipHop so wichtig. Klar gibt es das auch anderswo. In allen möglichen Bereichen der Gesellschaft. Zum Beispiel der Sexismus. Klar, gähn, wir haben jetzt eine Kanzlerin und so, ich weiß, viele haben keinen Bock mehr darauf, diese Diskussion zu führen, aber wenn du wache Augen hast und davon betroffen bist, empfindest du das einfach anders. Es gibt einfach Geschlechterrollen, die mich einschränken, die mich nerven. Und Rap hat das einfach zu einem sehr zentralen Thema für sich gemacht. Ich verfolge ja alles, auch aus der Hoffnung heraus, dass sich schöne Entwicklungen zeigen. Ich habe keine Lust, meinen Frust damit zu füttern, das ist nicht der Grund, sich damit zu befassen. Ich hab Vertrauen, dass es auch spannende Sachen gibt, die ich nur entdecken muss.
rap.de: Hast du mitbekommen, dass Animus ausdrücklich seine homosexuellen Fans gegrüßt hat?
Sookee: Ja, selbstverständlich. Das habe ich sogar auf Facebook geteilt. Natürlich ist so etwas total wichtig. Oder das Interview mit dir auf der O-Straße, mit Silla, Fler, Jihad und Animus, wo sie über Körperkultur reden und Animus macht Silla Riesenkomplimente und sagt auch noch „Ich muss nicht ‚No homo‘ hinterher sagen“. Fler und Jihad kriegen sich gar nicht mehr ein, kichern wie die 14jährigen und wollen dieses Thema loshaben, weil sie einfach nicht damit klarkommen, dass man diesen Raum nicht absichert, indem man ‚No homo“ sagt. Das finde ich natürlich sehr erfrischend und entspannend. Nichtsdestotrotz gab es Ende letzten Jahres eine Reihe von Veröffentlichungen, wo ich einfach nur dasaß und meine innere „To kill“-Liste geschrieben habe. Wo ich dachte, was seid ihr für Menschen? Das findet ihr lustig?
rap.de: Das meiste ist doch so dermaßen überspitzt, dass man sich darüber schwerlich ernsthaft aufregen kann. Kannst du dich beispielsweise über Kollegah ärgern?
Sookee: Die Überzeichnung ist das eine, natürlich kann ich das decodieren. Aber das andere ist die Rezeption, also wie werden Inhalte verstanden, und das ist so unterschiedlich. Ich will es gar nicht am Alter festmachen, aber mit bestimmten Inhalten bist du halt überfordert. Ich weiß nicht, ob du dich noch an den ersten Hardcore-Porno erinnerst, den du gesehen hast und was das bei dir hinterlassen hat oder auch nicht. Nebenbei, ich finde Pornographie wichtig und gut, es ist nur die Frage, wie die Darstellungen funktionieren. Ich rede nicht davon, dass die am Ende heiraten sollen, sondern es geht darum, dass es möglichst wenig nach Vergewaltigung aussieht. Dass alle Beteiligten fair bezahlt sind, das Drumherum ist fair und die entstandenen Bindehautentzündungen werden von einer Krankenkasse bezahlt. Keine Ausbeutung vor und hinter der Kamera, das ist mir wichtig. Ich halte es da mit Annie Sprinkle: „Die Antwort auf schlechte Pornographie ist nicht keine, sondern gute Pornographie„. Ist ja auch ein Klischee, was Femimismus angeheftet wird.
rap.de: Nämlich Lustfeindlichkeit.
Sookee: Genau. Naja, zurück zum Thema: Ich habe mir dieses „Jung brutal gutaussehend 2“ mal angehört und bin dabei über eine Line gestolpert, in der er sagt, dass er nach dem Sex eine Zigarette auf dem Körper der Frau ausdrückt. (Pause) Das ist eine Foltermethode. Ich peile nicht, was das da verloren hat. Gerade bei Leuten, die so talentiert sind und einen großen Wortschatz haben, warum brauchen die diese Scheiße? Warum der Rückgriff auf solche Aussagen?
rap.de: Das ist doch ein ziemlich offensichtlicher, voll beabsichtigter Tabubruch.
Sookee: Aber wohin? Was kommt danach? Wo führt das hin? Was ist die Intention? Das will ich wissen. Tabubruch ist intendiert, da geht es um was. Entertainment ist der bloße Selbstzweck. Gegebenenfalls geht es darum, Geld zu generieren. Aber das sind zwei sehr verschiedene Sachen, deswegen ist die Argumentation des Tabubruchs an dieser Stelle nicht schlüssig. Und auch dieses Kunstfreiheit-Argument – ganz ehrlich, da kannst du aufhören, zu diskutieren. Dass Kunst alles dürfe, verhindert jegliche Diskussion. Da wird sich einem ernsthaften Austausch verwehrt. Ich will da keine moralische Debatte führen, sondern eine politische. Und dadurch, dass Rap bei RTL2 stattfindet, und bei YouTube sowieso, können wir nicht mehr davon ausgehen, dass es halt keine Musik für Kinder ist. Was ja lange Zeit von Rappern vorgebracht wurde: Da müssen sich halt die Eltern drum kümmern. Das ist so naiv! Welche Eltern haben denn Zeit und Lust den ganzen Tag ihren Kindern hinterzulaufen und zu gucken, wo die gerade im Internet sind?