Ich treffe mich mit Gizem, Kike und Lucia in der Night Embassy in Kreuzberg. Hier finden in den nächsten Tagen die „Sweetest Taboo“ Events statt, die die drei veranstalten. Gizem und Lucia mischen seit über zwei Jahren als DJ-Kollektiv „Hoe_Mies“ die Clubs in ganz Deutschland auf und betreuen ebenfalls ihre gleichnamige Partyreihe. Die beiden haben den Anspruch, auf ihren Veranstaltungen vor allem weibliche, queere und transgeschlechtliche DJs in den Vordergrund zu stellen. Kike legt als Kikelomo ebenfalls seit Jahren im DJ Trainee Programm „No Shade“ auf. Jetzt arbeiten alle zusammen an der Veranstaltungsreihe „Sweetest Taboo“, bei der in Workshops und Panels die Tabus des Nachtlebens thematisiert werden.
Erzählt mal: Wo habt ihr euch denn kennengelernt?
Lucia: Ich und Gizem waren als Hoe_Mies viel auf Festivals und auf Tour. Über die Musik haben wir Kike kennengelernt. Sie war auf einer unserer Partys und hat uns zu ihrer Radioshow eingeladen. Danach hat sie bei einem unserer Events aufgelegt und das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Kike: Wir haben schon länger darüber gesprochen, dass wir gern zusammen an einem Projekt arbeiten würden. Dann hat sich hier die Chance ergeben.
Wieso habt ihr euch vor allem auf die HipHop-Szene spezialisiert?
Lucia: Hoe_Mies ist tatsächlich im HipHop-Kontext verankert. No Shade hat aber auch viel experimentelle Musik, deren Angebot ist breiter als unseres. Für Sweetest Taboo haben wir einfach versucht, alles was wir feiern miteinzubringen. Wir haben HipHop-Partys, aber auch einen Mix aus Soul, Pop, Elektro und vielen anderen Elementen aus der ganzen Welt.
„Wieso gehst du dahin, wo ein Rapper in High Heels performt?“
Habt ihr die Diskussion um Prinz Pis Aussagen verfolgt? Dort hat er ja unter anderem behauptet, dass Minderheiten im HipHop eigentlich keine Ausgrenzung erfahren müssen und dass das Genre mittlerweile offen für jeden ist.
Gizem: Er hat es leicht als weißer, straighter Mann. Ihn wird wahrscheinlich keiner ausgrenzen. Aber ganz viele andere Menschen machen andere Erfahrungen. Vor zwei Wochen etwa habe ich auf einer Cypher aufgelegt und dort war unter anderem eine genderqueere Person, die gerappt hat. Diese Person hat mir im Vorfeld erzählt, dass sie sich zum ersten Mal überhaupt traut, im HipHop-Kontext ans Mic zu gehen.
Lucia: Und auch sie wurde von Kommentaren nicht verschont. Jemand hat gefilmt und dann wurde kommentiert: „Wieso gehst du dahin, wo ein Rapper in High Heels performt?“ Und so etwas muss ein Prinz Pi sich garantiert nicht anhören. Die Menschen die am wenigsten betroffen sind, sind meist die lautesten. Sie behaupten, es gäbe keine Probleme. Anscheinend hat er auch keine anders aussehenden Freunde, dass er solche Erfahrungen einmal hätte miterleben können. Vielleicht musste er sich nie eine andere Perspektive anhören, weil sein Umfeld sehr begrenzt ist. Seine Aussagen finde ich sehr ignorant.
Gizem: Er denkt wahrscheinlich, HipHop sei für jeden offen und jeder könne hier eine Stimme finden, aber so ist es leider nicht. Das merkt man allein daran, wie spät erst weibliche Artists im Rap für ihre Werke geehrt wurden. Daran sieht man doch, wo die Aufmerksamkeit hängt.
Was ist euch besonders wichtig in eurer Arbeit, wie versucht ihr die Dinge anzugehen?
Kike: Sweetest Taboo möchte Aufmerksamkeit auf die Themen lenken, die in unserer Gesellschaft tabu sind. Viele Bereiche, über die nicht gern gesprochen wird oder über die sich die Menschen einfach nicht bewusst sind. Am Mittwoch zum Beispiel haben wir den Talk „BeHindert werden im Nachtleben“. Die meisten können sich nicht vorstellen wie es ist mit Behinderungen zu leben, erst recht nicht wenn es ums Feiern geht. Wir möchten verschiedene Identitäten zu Wort kommen lassen, die im Mainstream nicht gehört werden.
Lucia: Ich möchte noch anmerken, dass solche Veranstaltungen besonders für Leute wie Prinz Pi sind, die sich ihrer Privilegien anscheinend gar nicht bewusst sind und wie wenig sie von Ausgrenzung betroffen sind. Leute müssen einfach damit in Kontakt kommen. Es sind vielleicht Themen, über die es unangenehm ist zu sprechen. Aber ich denke, es sind vor allem auch Themen, bei denen der Mehrheit gar nicht bewusst ist, dass das echte Probleme sind. Wenige Leute machen sich Gedanken, wo Menschen mit Behinderungen feiern gehen. Gehen sie überhaupt feiern? Der erste Kommentar, den man dann hört ist: ‚Die wollen doch gar nicht.‘ Aber das ist gar nicht der Fall. Ein anderes großes Thema ist Mental Health im Nightlife. Wir arbeiten alle drei im Nachtleben, sind DJs*, veranstalten Partys. Und da kommen natürlich viele Themen auf, die das betreffen. Sei es der Gebrauch oder Konsum von Alkohol und Drogen, aber auch die Probleme immer in der Nacht zu arbeiten. Es gibt also verschiedene Bereiche in dem Kontext.
Gizem: Außerdem haben wir Veranstaltungen wo es um Themen geht wie Geld. Geld ist vor allem in Deutschland ein Tabuthema, keiner möchte darüber sprechen wie viel man verdient. Grade in unseren Communities, also in Communities of Color, gibt es immer wieder die Debatte: ‚Sollten wir mit Marken zusammenarbeiten, die uns zur Schau stellen möchten, um ihre Produkte zu bewerben? Ist da Ausbeutung dahinter?‘ Weil sich diese Fragen oft gestellt werden, haben wir jetzt ein Format vorgesehen, wo sich darüber ausgetauscht werden kann, was Minderheiten für Vorteile und Nachteile von der Zusammenarbeit mit Brands haben.
„Jeder Mensch ist irgendwo privilegiert und irgendwo depriviligiert“
Wo findet ihr die Künstler und Künstlerinnen, die euch bei euren Events unterstützen?
Gizem: Ich muss ehrlich sagen, wir haben viele Events um die Leute rumgebaut, die wir cool und inspirierend finden. Mit vielen von ihnen wollten wir schon lange zusammenarbeiten. Da haben wir überlegt, wie wir Menschen einbinden können, die wir toll finden und gern dabei haben würden. Es waren etwa zur Hälfte Leute, die wir von Vornherein gut fanden. Also ein Großteil der Künstler*innen sind bereits in unserem Netzwerk.
Was ist das Ziel der Sweetest Taboo Veranstaltungen?
Lucia: Natürlich wollen wir gewisse Themen in den Vordergrund rücken, aber auch den Austausch anregen. Wir möchten Menschen gern Tools in die Hand geben, wie sie in ihrem eigenen Umfeld ebenfalls für Veränderung sorgen können. Das Ziel ist schon, dass sich diese Einsichten und das Bewusstsein weiter tragen.
Gizem: Austausch, Aufklärung… Wir sind ja auch in gewisser Hinsicht privilegiert. Jeder Mensch ist irgendwo privilegiert und irgendwo depriviligiert und wir finden es wichtig, unsere Reichweite zu nutzen, weil wir ja schon eine Weile in dem Game sind. Wir können Themen auf die Agenda setzen, für die sich die meisten Leute, die privilegierter sind, weniger interessieren, weil es sie nicht betrifft. In unseren Freundeskreisen und Netzwerken sind dies aber einfach Lebensrealitäten, die selten im Mainstream diskutiert werden.
Kike: Wir wollen Veränderung, die länger hält als zwei Wochen. Wenn wir Gespräche und Bewusstsein über Tabuthemen ins Rollen bringen, sollen sie auch nach den Sweetest Taboo Events weiter stattfinden. So, dass Veranstalter*innen auch langfristig überlegen, wenn sie eigene Partys planen. Außerdem möchten wir nächstes Jahr ein Anschlussevent ausrichten, bei dem wir unsere Veranstaltungen dieser zwei Wochen rekapitulieren und bewerten können.
Ihr habt bestimmt selbst schon Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung machen müssen. Hat sich in der Zeit etwas verbessert? Wird euch mit mehr Erfahrung auch mehr Akzeptanz entgegengebracht?
Lucia: Schwierig. Man könnte sagen, dass es durch die Presse einen Fokus auf dieser Art von Themen gibt. In der Umsetzung merken wir jedoch, dass in Wirklichkeit oft nicht das Interesse vorhanden ist. Es passiert immer noch, dass man auf Partys gebucht wird, auf denen man die Frauen in den Vordergrund stellen möchte, es trotzdem aber noch sexuelle Übergriffe gibt. Und wenn wir als DJs* dann mit dem Veranstalter sprechen, merken wir, er hat es absolut nicht verstanden. Es geht immer noch wirklich nur darum, viele Gäste zu haben und Frauen in den Laden zu ziehen.
Gizem: Manche Dinge verbessern sich, weil man mittlerweile unsere Gesichter kennt. Dann sind die Leute nett zu uns oder schaffen einen Rahmen, in dem wir uns wohlfühlen. Aber ich glaube, dass es nicht auf alle Artists ausgeweitet werden kann. Status wird mehr respektiert als tatsächliche Identitäten.
„Das sind alles unsere Babys“
Was ist euer liebstes Sweetest Taboo Event?
Kike: Das ist, als würdest du fragen, welches Kind mir am liebsten ist, es sind doch alles unsere Babys (lacht). Jede Veranstaltung zeigt eine ganz eigene Perspektive auf wichtige Themen auf. Auf manche Abende freue ich mich sehr, weil es Ähnliches vorher nie gab. Zum Beispiel unseren Sober Rave, bei dem der Fokus auf antialkoholischen Getränken liegt.
Lucia: Sie sind wirklich alle toll. Alle Veranstaltungen sind die Früchte unserer eigenen Arbeit, trotzdem ist jedes Event so einzigartig und besonders. Man kann nicht sagen dieses oder jenes ist das Beste, weil man nicht vergleichen kann. Unser Panel über Behinderungen im Nachtleben ist zum Beispiel viel mehr als Bewegungseingeschränktheit. Im ersten Moment denken die meisten an Menschen im Rollstuhl, aber wir haben uns mit so vielen Persönlichkeiten mit sehr verschiedenen Beeinträchtigungen unterhalten. Schon bevor die Veranstaltungen angefangen haben, haben wir so viel dazugelernt.
Sweetest Taboo findet noch bis zum 30. November in der Night Embassy am Schlesischen Tor statt.