Prinz Pi ruft die klassenlose Gesellschaft aus? Einspruch!

Nicht nur Rassismus und Sexismus sind besiegt. HipHop hat direkt die klassenlose Gesellschaft eingeführt. Diese – gelinde gesagt – steile These, vertritt der Berliner Prinz Pi in einer kontroversen Diskussionsrunde bei hiphop.de, in der es um das Thema „Werte im Rap“ ging.

Doch wie kommt der Prinz zu dieser Meinung? Haben wir alle die Revolution verpasst? Leben wir schon längst in einem Kommunismus und merken es nicht?

Seine originelle These begründet er mit Karl Marx und bezieht sich dabei auf „Das Kapital“. Dort stellte Marx fest, dass die herrschende Gesellschaftsklasse die Produktionsmittel (Fabriken etc.) besitzt, was einen Nachteil für die restlichen Klassen bedeutet. Doch laut Pi habe sich das Blatt nun gewendet, die Ungleichheit wurde abgeschafft. Wenigstens im HipHop. Heute sei jede*r in der privilegierten Lage , eigene Songs durch „billiges“ Studio-Equipment und „kostenlose“ Apps produzieren zu können. Die Bourgeoisie sei somit entmachtet worden, da sie nicht mehr über die „Werkzeuge“ verfüge.

Spiegel des Systems oder unabhängige Gesellschaft?

Pi geht also davon aus, dass die HipHop-Szene eine autarke Gesellschaft ist, die mit der normalen Gesellschaft nichts zu tun hat. Jedoch ist das HipHop-Biotop natürlich in die kapitalistische Gesamtgesellschaft eingebettet und unterliegt denselben Klassenverhältnissen und ökonomischen Zwängen, die man auch außerhalb der Szene vorfindet. Deshalb werden die Klassenverhältnisse im Rapkosmos nicht abgelegt, sondern nur artikuliert. Oder beschreibt beispielsweise Hanybal in seinem Song „Ganz unten“ das blumige Paradies einer klassenlosen Gesellschaft, wenn er sagt:

„Du sitzt im Restaurant mit Kaviar und Hummer.
Ich sitz‘ im Treppenhaus mit Ali, Tach und Murat.
Du brauchst dich gar nicht wundern, natürlich hab’n wir Hunger.
Von wo wir kommen, ist ganz, ganz unten!“

Überwundene Klassenverhältnisse klingen irgendwie anders, oder?

„Wer die Produktionsmittel besitzt, hat die Macht“

Mit dieser Aussage hat Pi sicher recht. Aber stimmt es auch, dass sich heute jede*r billiges und zugleich hochwertiges Studio-Equipment leisten und mittels kostenloser Apps Beats produzieren kann?

Erstens bezweifle ich, dass jede*r genug Kohle auf der hohen Kante hat, um sich dieses technische Zubehör zu leisten. Zweitens stelle ich mir die Frage, wer diese preiswerten Studioausstattungen herstellt? Sie sind sicherlich nicht in den Händen der Rapper*innen, sondern im Besitz von profitorientieren Unternehmen, die diese Produkte zu niedrigen Preisen in ausbeuterischen Verhältnissen herstellen lassen und dadurch Mehrwert erzielen. In einer klassenlosen Gesellschaft wären aber die Produktionsmittel nicht mehr in privatem Besitz, sondern in der Hand der Gesellschaft.

Darüber hinaus sind Künstler*innen in einen krassen neoliberalen Markt eingebettet, wie ich es schon in einem anderen Artikel beschrieben habe. Sofern man von seiner Musik leben will, muss man sich den kapitalistischen Zwängen ergeben und mitspielen. Wer keine Songs mehr liefert, fliegt raus und wird irrelevant. Für mich klingt das irgendwie nicht nach einer klassenlosen Gesellschaft.

Leben im Plattform-Kapitalismus

Schließlich muss man sich klarmachen, in welchem Raum sich HipHop zum großen Teil abspielt. Die Rapper*innen sind gezwungen, sich auf sozialen Netzwerken erfolgreich zu vermarkten. Sie bewegen sich, wie es der Philosoph Nick Srnicek nennt, in den Sphären des Plattform-Kapitalismus. Hierbei handelt es sich um ein neuartiges Geschäftsmodell. Digitale Portale machen ihr Geld dadurch, dass sie einen Raum zur Verfügung stellen, auf dem Angebot und Nachfrage zusammengebracht werden. Das Sammeln von Daten bildet hierbei eine wichtige Einnahmequelle. Zusätzlich können sie mittels Werbung ihre Gewinnmarge steigern.

Wer also seine Musik auf Spotify, Youtube oder Amazon vertreiben muss, ist hochgradig abhängig von diesen kapitalistischen Strukturen. So können wir kaum von einer klassenlosen HipHop-Gesellschaft sprechen, wenn die Künstler*innen sich überwiegend in kommerzialisierten Räumen bewegen. Vom generierten Traffic auf diesen sozialen Netzwerken profitieren sicherlich auch die Rapper*innen, aber im Grunde sind es die großen Konzerneigentümer*innen – da kannst du dir sicher sein.

Diese digitalen Infrastrukturen gehören also nicht den Menschen, die sich dort tummeln, wie es in einer klassenlosen Gesellschaft der Fall wäre, sondern sehr wenigen, mächtigen Kapitalist*innen.

Eine klassenlose Gesellschaft, jenseits kapitalistischer Verhältnisse, sieht also wahrlich anders aus.