Jan Kawelke und Vassili Golod vom Machiavelli-Podcast im Interview

Die Jungs vom Machiavelli-Podcast sind gerade nicht zu stoppen, touren umher, waren dieses Jahr auf gefühlt jedem Festival vertreten, sofern es ein kulturelles Programm gab, haben neben Radiomoderatorin Claudia Kamieth den deutschen Preis für Popkultur moderiert und schaffen es immer noch jede Woche unter dem Claim: „Rap liebt Politik. Und Politik liebt Rap“ eben diese besondere Beziehung zu analysieren. Vassili Golod und Jan Kawelke haben schon mit vielen Koryphäen gesprochen, bringen Menschen wie Maxim von K.I.Z. und Gregor Gysi gemeinsam zu Themen wie Ungerechtigkeiten ans Mikrofon und scheuen auch keine Live-Aufnahmen, wie zum Beispiel auf dem Hamburger Reeperbahn-Festival mit KeKe zum Thema Depressionen. Für dieses Interview passe ich die beiden nach einem Schulbesuch in Berlin Schöneberg ab, bei dem sie mit den Schülern über Moral und dem Verhältnis zu Rap diskutiert haben…

Hey, schön, dass ihr beide euch Zeit nehmt. War es gerade sehr anstrengend in der Schule?

Jan: Nee, anstrengend gar nicht, aber herausfordernd. Ich finde es super spannend aus der eigenen Blase herauszukommen. Man unterhält sich immer nur mit denselben Leuten über… ich sage mal problematische Künstler oder problematische Songs und dann fragt man sich immer: Wie kann das eigentlich sein, dass diese Dinge noch passieren? Weil man sich so weiter schon wähnt irgendwie in der Gesellschaft und dann merkt man, da sind andere Leute, mit anderen Perspektiven darauf und das ist total wertvoll, das nochmal so zu verstehen.

Vassili: Ich kenne den Blick auf den HipHop und auf den Rap ja vor allem durch Jan und durch die musikjournalistische Szene. Da gibt es nicht so eine riesige Debatte darüber, wenn zum Beispiel Trettmann einen Song mit GZUZ macht, da ist die Meinung eigentlich ziemlich klar und auch gut argumentiert. Aber zu sehen, dass diese Debatte es gar nicht an die Basis, an den klassischen Rap-Hörer geschafft hat, dass viele es nicht mitbekommen haben oder auch mit anderen Maßstäben daran gehen, finde ich schon ziemlich beeindruckend, das macht mich sehr nachdenklich, aber ist auch sehr sehr spannend.

Ihr habt über Moral gesprochen. Welchen Stellenwert hat Moral eurer Meinung nach im Rap?

Jan: Moral an sich hat glaube ich einen Riesenstellenwert. Moral spielt eine ganz große Rolle. Es ist aber glaube ich eine andere Moral, als die der Mehrheitsgesellschaft. Jede Bubble hat ihre eigenen Moralvorstellungen, deswegen versuchen wir das bei Machiavelli auch immer so ein bisschen auszuloten, wir haben auch unterschiedliche Moralvorstellungen. Im Rap, also ich habe mich ein bisschen damit beschäftigt, wird ja ganz oft von Moral, aber mit anderen Begrifflichkeiten gesprochen. So etwas wie Kodexe oder loyal sein zu meinen Jungs, das spielt ja eine Riesenrolle im Rap. Wenn man bestimmten Straßenrappern sagen würde: „Du bist ein unmoralischer Mensch“, dann würden die einem sofort glaube ich widersprechen und sagen: „Nee, hör mal auf, ich habe ja meine Moral!“

Und was bedeutet Moral als politikwissenschaftlicher Begriff?

Vassili: Politik regelt ja unser Zusammenleben und bestimmt, wie wir zusammenleben, wie das funktioniert. Moral beschreibt eigentlich die Grundsätze dieses Zusammenlebens. Eine Gesellschaft muss sich auch immer wieder darauf einigen, was die Grundsätze sind. Die Grundsätze verändern sich auch, weil wir uns ja auch weiterentwickeln und verändern.
Ich habe bei Rap teilweise das Gefühl – das habe ich auch Jan mal überspitzt gesagt – dass es ein Stück weit auch wichtig ist, dass gewisse Formen von Rap auch unmoralisch sind, weil es eine Form der Kunst ist, die überspitzt und Dinge wirklich sehr sehr provokant darstellt. Und deshalb ist es auch so wichtig finde ich, dass man sich annähert und mit verschiedenen Leuten aus verschiedenen Bereichen spricht und diskutiert, um zu schauen, wie weit sind wir wirklich voneinander weg. Das ist ja auch dieser politische Prozess der Annäherung.

Ihr habt so etwas schon öfter gemacht. Was ist eure Intention dahinter und wie bereitet ihr euch auf so eine Diskussion vor?

 Jan: Die Motivation war von Anfang an nicht zu sagen, okay, wir sind jetzt die absoluten Experten und wir erzählen euch jetzt mal was Sache ist, sondern mit den Leuten in den offenen Austausch darüber zu gehen. Ich glaube nur so können wir uns weiterentwickeln und Gedanken anregen bei den jeweils anderen Leuten und umso wichtiger ist es, sich in Kontexte zu begeben, in denen man vorher nicht war und sich aus der Komfortzone heraus zu bewegen.

Vassili: Wir haben auch gemerkt, dass Politik gerade von jungen Menschen recht weit weg ist, Rap und diese HipHop-Kultur aber sehr nah dran und durch diese Verknüpfung ist uns sehr wichtig, dass wir uns darüber auch annähern an die Lebensrealitäten der Menschen, die Rap hören, an ihren Blick auf die Gesellschaft. Wir stellen in solchen Diskussionen ja auch immer wieder fest, eigentlich sind alle politisch, einige merken es nur nicht. Andere merken es dann nach oder in dem Gespräch. Wir wollen auch mal reinstechen, provozieren, spitzen zu und schauen, was sich für ein Gespräch entwickelt. Uns ist halt wichtig, dass dieser Diskurs über Machiavelli, über dieses Podcast Format hinaus, was mit den Leuten, die es hören, macht.

Politik wird oft in diesem Parteiensystem betrachtet, wie kann man es schaffen, mit dem Rap Nachwuchs ins Gespräch zu kommen und zu verdeutlichen ihr seid auch politisch, in euren Handlungen und auch in dem, was ihr hört?

Vassili: Wir sind ja erst einmal eine Parteiendemokratie, deshalb wer wirklich etwas verändern will, der kann das am besten über eine Partei tun, aber es gibt natürlich tausend andere Wege sich zu engagieren. Künstler tun das, wie Kummer zum Beispiel über seine Musik oder über Konzerte, die er ins Leben ruft, wie #wirsindmehr, also einfach klar Haltung zu zeigen. Aber jeder Einzelne und jede Einzelne kann das auch darüber tun, wie sie Musik konsumiert. Das ist uns auch wichtig, in diesen Gesprächen deutlich zu machen: Es ist zu einfach Verantwortung nur Politikern zuzuschieben oder Künstler ganz frei zu sprechen von irgendeiner Verantwortung. Wir alle haben diese Verantwortung und wir alle entscheiden mit unseren Klicks, wen wir unterstützen und wen nicht.

Jan: Wir kommen aber auch nicht weiter damit, wenn wir jetzt jungen Künstlern einreden oder auch alten, die das ablehnen, dass sie politische Künstler sind. Wir müssen nicht über Parteien sprechen oder über politische Prozesse, um politisch mit den Leuten zu sprechen. Einen persönlichen Zugang zu Themen zu finden, die den Menschen am Herzen liegen und die sie im Alltag aufnehmen und bearbeiten, ist dann genauso politisch, wie über politische Debatten mit ihnen zu sprechen. Ich glaube, dass auch viele Künstler im Kern ein großes Interesse daran haben, ihre Stimme für ein bisschen mehr zu nutzen und ein bisschen größer zu werden, als das, was sie eigentlich sind. Ganz viele Rapper haben Muhammad Ali als Vorbild, ja warum ist das so ein bedeutender Mensch gewesen? Nicht nur wegen seiner sportlichen Skills, sondern weil er sich auf den Höhepunkt seiner Karriere dazu entschieden hat: Ich will mit meiner Reichweite und dem was ich bin, mehr tun. Ich glaube, dass es viele Menschen dann doch umtreibt etwas mehr zu bewegen, als nur YouTube-Klicks.

Ein erfolgreiches Jahr neigt sich dem Ende zu, was sind eure Pläne für 2020?

Jan: Wir sind immer gerne gereist und würden das auch weiter gerne tun. Wir merken, welche Debatten sich im Ausland noch auftun, an der Schnittstelle zwischen Rap und Politik, zum Beispiel in Hongkong, Brasilien. Die Türkei ist wahnsinnig interessant gerade. Das sind aber Dinge, die brauchen ja eine gute Vorbereitung, eine gute Planung. Wir würden uns freuen, das streben wir ja schon mit diesen Auftritten an oder mit den Workshops, die wir machen, wenn Machiavelli auch über den Podcast hinauswächst und über andere Kanäle stattfindet.

Vassili: Wir überraschen ja mit jeder Episode unsere Hörerinnen und Hörer neu.

Jan: (lacht) Ganz unbescheiden.

Vassili: Ja, wir überraschen uns ja auch, mit den Drehs die wir wählen und den ganzen Umschmeißungen, die wir vornehmen, wenn uns etwas Aktuelles vor die Augen oder Ohren springt. Das ist glaube ich auch unser größter Wunsch für das neue Jahr, dass wir viele dieser Überraschungen hinbekommen. Beide Felder, sowohl Rap, als auch Politik, bieten alles dafür. Unsere Aufgabe ist es eben, genau nach diesen Schnittstellen immer zu suchen und die dann cool zusammenzubringen. Besonders eindrücklich ist es gelungen bei KeKe und Sarah Wagenknecht, unterschiedlicher geht es auf den ersten Blick gar nicht und dann aber über ein persönliches Thema wie physische Erkrankungen, Depressionen, Burnout eben diese Verknüpfung zu schaffen. Das ist uns wichtig. Wir wollen nicht wie klassische Formate 08/15 Äußerungen von Politikerinnen wiedergeben, sondern eben diese andere Perspektive zeigen.