Tami hält nichts von Gruppendynamiken. Da sein Vater das Dritte Reich miterlebt hat, weiß er, wie schnell ein Gemeinschaftsgefühl in Ausschluss und Hass enden kann. Auf seinem Album „Traffic“ setzt er sich kritisch mit seiner Generation auseinander und bohrt seinen Zeigefinger in halb verkrustete Wunden. Im Interview mit unserer Redakteurin Krissi Kowsky deckt er die Hintergründe von drei Songs des Albums auf.
Worum geht es in “Dicker als Wasser”?
Es geht um die Beziehung zu meinem Bruder, der gleichzeitig auch mein bester Freund ist. Wir sind gemeinsam aufgewachsen und haben denselben Freundeskreis. Der Song ist sehr persönlich geworden.
Es geht ja auch viel um eure Heimat. Wo bist du denn aufgewachsen?
Ich der Nähe von Köln. Nach der Trennung meiner Eltern bin ich mit meiner Mutter und meinem Bruder auf die Nordseeinsel Amrum gezogen. Dann sind wir wieder zurück, woraufhin ich nach 1 ½ Jahren ins Landschulheim nach Paderborn gezogen bin.
Warum musstest du ins Heim?
Das ist eine lange Geschichte. Ich war auf jeden Fall schwer erziehbar und nicht zu handlen. Ich bin nicht zu Schule gegangen und habe viel Ärger gemacht. Ich war erst auf dem Gymnasium aber bin von der Schule geflogen. Damals war weder auf der Real- noch auf der Gesamtschule ein Platz frei, weshalb ich quasi auf der Hauptschule “geparkt” wurde. Das wurde dann zum Dauerzustand, weil ich schlecht war und nie hingegangen bin. Am Ende bin ich auch von der Hauptschule geflogen.
Die nächste Instanz wäre die Sonderschule gewesen.
Zu dem Zeitpunkt war auch schon das Jugendamt eingeschaltet. Ich hatte die Option zwischen Sonderschule und einem Landschulheim für schwer Erziehbare mit der Möglichkeit, da irgendwann raus zu kommen und eventuell einen normalen Abschluss zu machen.
Also ich persönlich finde ja, dass du sehr clever bist. Das wirkt auf mich eher so, als ob du ein Problem hattest, dich ans Schulsystem anzupassen.
Ich hab frühzeitig den Anschluss verloren und war nicht besonders gut im Grundrechnen. Ich hätte einfach super viel arbeiten müssen, um das aufzuholen, war dafür aber zu arrogant und cool. Bei meinen Hobbys habe ich so viel Bestätigung bekommen, dass es für mich keinen Grund gab, mich auch in der Schule anzustrengen. Ich war gut im Zeichnen, mein Vater war Bühnenbildern und ich wusste immer, dass ich irgendwann im Theater arbeiten werde. Das ist jetzt tatsächlich auch passiert. Irgendwie wusste ich, dass es mir gut gehen wird. Das ekelhafte ist, dass meine Arroganz bestätigt wurde, was aber nicht bedeutet, dass ich das so wiederholen würde. Ich hatte auf jeden Fall auch viel Glück. Ich bin vielleicht clever, aber ich habe auch Schwächen, denen ich einfach aus dem Weg gegangen bin. Das ärgert mich im Nachhinein, da ich mir dadurch auch das eine oder andere verbaut habe. Laut meinem Lebenslauf bin ich eigentlich ein Versager.
Naja, nur wenn man dem Papier so viel Glauben schenken möchte.
Es wäre auf jeden Fall angenehmer, wenn ich sowohl mit meinem Lebenslauf, als auch mit meinen Stärken überzeugen könnte.
In “Gegen den Wind” gibt es die Line “Durch die Auflagen abgedankt der Freiheit beraubt”. Bezieht sich das auf deine Zeit im Heim?
Ja. Mein erstes Tag im Landschulheim war mein 15 Geburtstag. Da dachte ich ‘Krass, du bist verloren’. Im Heim sind alle möglichen Dinge verboten, wie z.B. mit Logos bedruckte T-Shirts. Auf einmal bist du in einem System mit völlig anderen Regeln. Ich hab vorher in einem ganz anderen Maße Scheiße gebaut. Auf einmal gehst du nachts heimlich Müsli essen, weil das nur am Wochenende erlaubt war, und fühlst dich dabei, als ob du gerade ein Whole Car malst. (lacht)
Im Nachhinein war es aber total gut, dass ich diese Notbremse machen musste. Ich weiß nicht, wo ich sonst gelandet wäre.
Worum geht es in „NTM“?
Der Track NTM ist so aufgebaut, dass ich etwas sage, ohne es zu sagen, denn durch dieses “Ich könnte sagen, dass..”, was sich durch den ganzen Track zieht, sage ich es ja eigentlich schon. “Ich könnte auch sagen, es ist Zeit, dass die Kurden einen Staat bekommen”. Über das Thema könnte ich zwar sprechen, da sollte aber eher eine offene Debatte unter den Menschen stattfinden, die in den Kulturkreis fallen. Das ist immer schwierig, wenn man von außen, gutbürgerlich und klugscheißend über so ein Thema spricht. Deswegen habe ich solche Themen nur etwas inkonsequent und um die Ecke angeschnitten.
Warum hast du das Thema trotzdem angeschnitten?
Ich finde es wichtig, dass man darüber spricht. Auch in der Diskussion zum Thema “Was darf ich sagen und was nicht?”, kommt man ganz schnell an einen Punkt, wo man sich fragen muss, ob man sich da jetzt einmischen sollte oder nicht.
Im Deutschrap gibt es zum Beispiel keine richtige Homosexuellenlobby.
Ähnlich wie beim Fußball wird es bestimmt homosexuelle Rapper und auch Hörer geben, hinter denen aber keine Lobby steht. Und es ist anscheinend total okay, dass man “Schwuchtel” sagt, obwohl das eigentlich überhaupt nicht okay ist. Ich sage zum Beispiel auch häufig “Boah, ist das behindert” im Sinne von schlecht. Das ist auch nicht okay! Wenn mich jemand darauf anspricht, nehme ich das auch wahr. Man sollte auf jeden Fall das Wort ergreifen, wenn man Missstände bemerkt.
Das finde ich auch. In dem Track gibt es die Line “Ich könnte schreiben über Krieg und Frieden / über die arbeitslosen Jungs, die im Viertel hängen, die nichts zutun haben” Was glaubst du macht es mit Menschen, wenn sie keine Aufgabe haben?
Das ist das schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Das stumpft auf jeden Fall ab und kratzt am Ego, da man sich als Mensch oft über erbrachte Leistung definiert. Die Leute hängen dann oft auf der Straße rum. Dann kommt man recht schnell in Kreise, in denen es um illegale Dinge wie Waffen, Schwarzarbeit, Schleusen oder sonst was geht. Wenn man nichts zutun hat, wird man unzufrieden und aggressiv.
Jetzt würde ich gerne noch über den sehr politischen Song “Das letzte Kapitel” sprechen. Darin geht es um Deutschlands Reaktion auf die Ankunft von Geflüchteten und um die Angst vor dem Fremden. Was glaubst du, warum manche Menschen denken, dass sie einen Besitzanspruch auf ein Stück Land hätten?
Das glaube ich gar nicht unbedingt. Ich glaube, die Menschen haben Angst vor Veränderung. Sie sind leicht in Angst zu versetzen und ihr Wut ist nicht darauf zurückzuführen, dass sie meinen, dass das ihr Land ist. So einfach ist der Mensch glaube ich nicht gestrickt. Die Leute haben Probleme und sind unzufriedene. Arme Seelen.
Ein zufriedener Menschen kann so eine Meinung gar nicht annehmen. Einen zufriedenen Menschen interessiert sowas entweder nicht oder er würde denken “Oh man, die armen Menschen, die fliehen müssen”.
Es gibt die Line “Ich habe Angst vor den Ängsten der Menschen hier im Land”. Ich spreche von den Ängsten der Menschen, da ich von meinem Vater einiges mitbekommen habe. Er hat das Dritte Reich miterlebt und war immer sehr links politisiert. Er war bei den Anfängen der Hitlerjugend dabei und hat trotz seiner gegenläufigen politischen Einstellung sagen müssen, dass das der Hammer war. Mich stört die Arroganz von Menschen, die heute behaupten, dass sie damals nicht mit gegangen wären. Die haben keine Ahnung, was das für eine Zeit war. Damals gab es keine Subkulturen und die Strömung war einfach viel zu krass. Wir denken immer, dass wir aus unserer Vergangenheit total viel gelernt haben und reflektiert sind. Aber dann würden heutzutage nicht so über Muslime gesprochen werden, wie über sie gesprochen wird. Es war ja sogar bis vor kurzem noch verboten, dass Homosexuelle heiraten. Das ist genau so, als ob man heute noch sagen würde, dass Deutsche und Juden nicht heiraten dürfen. Wenn das Dritte Reich besser Aufgearbeitet worden wäre, müssten wir manche Diskussionen heutzutage gar nicht führen. Dann würden die Leute nicht so über Minderheiten herziehen.
Jedes Problem dieser Welt wäre gelöst, wenn alle nach dem Grundprinzip leben würden: Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu – es sei denn, er will es.