Ghetts im Interview: Kolonialzeit, Religion, Mord, Vaterschaft und Identität

Der britische Rapper Ghetts setzt sich in seinem Album „Ghetto Gospel: The new Testament“ reflektiert mit seiner Identität auseinander. Diese kann er schwer definieren oder greifen, was er im Interview mit unserer Redakteurin Krissi Kowsky betont. Er spricht unter anderem über die bis heute spürbaren Auswirkungen der Kolonialzeit sowie über die Probleme, mit denen sich schwarze Frauen auseinander setzen müssen. Auch Religion, Mordvorwürfe und seine Tochter werden thematisiert.

„Caution“

Worum geht es in dem Song „Caution“?

„Caution“ ist quasi das Vorwort des Albums. Der Track ist konzeptionell ausgelegt aber dennoch unterhaltsam. Ich lasse die Leute wissen, woher ich komme und wo ich jetzt bin. Deswegen starte ich so: „You waited for some hand and help, I played the hand I was dealt / You come from a family of wealth, I had to grab it myself“ Diese ersten vier Lines sind sehr kraftvoll.

Die Verhältnisse, in die man hineingeboren wird, haben einen großen Einfluss darauf, wie sich das spätere Leben entwickelt, obwohl dies eigentlich nicht der Fall sein sollte. Was für eine Veränderung wünscht du dir in dieser Hinsicht?

Ich bin so aufgewachsen, dass die Verhältnisse nicht so entscheiden sind. Ganz egal, wo du herkommst: Alles ist möglich. Anstatt es als eine Art Handicap zu sehen, habe ich gelernt, mich darauf zu fokussieren, wie es mich voranbringen kann. Ich glaube, dass niemand die Situation für uns verändern kann, außer uns selbst.

Wer ist „uns“?

Die Arbeitergesellschaft. Die Menschen fühlen sich nicht genug unterstützt. Obwohl das stimmt, versuche ich, es zu ignorieren. Wenn ich dieses Konzept annehmen würde, wäre ich wahrscheinlich nicht in der Lage, daraus auszubrechen. Dann würde ich darauf warten, dass jemand kommt, der mein Leben verändert.

Du willst also nicht gerettet werden sondern es aus eigener Kraft an das Ziel schaffen?

Genau!

In einer Line rappst du „I wish brothers more live / And the same on brothers who wants to see and end of mine“.

Das sage ich, da ich weiß, dass projizierte negative Gedanken zu einem zurück kommen. Wenn jemand ein Problem mit mir hat, ist das deren Problem. Ich lasse mir davon nicht meinen Tag versauen. Liebe ist stärker, als Hass. Optimismus ist stärker, als Pessimismus.

Du spricht in „Caution“ auch über Religion. Was gibt dir der Glaube? 

Ich komme aus sehr religiösen Verhältnissen. Ich habe aus erster Hand gesehen, dass Gebete helfen können.

Hast du ein Beispiel dafür?

Zum Beispiel, dass ich heute hier mit dir sitze und ein Interview gebe. Mein Leben könnte ganz anders aussehen. Viele meiner Freunde müssen für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis. Ich habe Freunde, die tot sind. In „Window Pain“ spreche ich darüber, dass ein Freund von mir gestorben ist und ich wegen seines Mordes in Haft genommen wurde.

Wirklich? Warum? 

Missverständnisse, falsche Identität. Ich war zu dem Zeitpunkt vor Ort. Er wurde umgebracht und sie dachten, dass ich es war. Gott hat mir geholfen, solche Situationen zu überstehen. Ich wurde für die Tat nie verurteilt, weil ich sie nicht begangen habe, aber ich hätte einfach so für vier bis fünf Jahre in Gewahrsam genommen werden können, während sie in der Zeit herausgefunden hätten, dass ich es nicht war. Zu dem Zeitpunkt war meine Karriere gerade in den Startlöchern. Es könnte heute alles ganz anders aussehen. Gebete helfen mir.

Das ist wirklich heftig. Allerdings sorgen Religionen auch oft dafür, dass Menschen sich voneinander entfernen.

Damit hast du absolut recht. Ich halte absolut nichts davon, wenn Menschen sagen: ‚Diese Religion ist richtig, diese Religion ist falsch. Meine Religion ist die beste‘. Es geht darum, ob die Menschen gut sind. Im Himmel wird es keine Religionen geben. Im Himmel wird es gute Menschen geben.

Aber der Himmel ist ja etwas, an das nur Christen glauben. 

Ich glaube einfach nur daran, dass es einen besseren Ort gibt, an den man nach dem Tod gelangen kann, wenn man ein guter Mensch war.

Es ist dir also egal, ob dieser Ort Himmel oder irgendwie anders heißt? 

Genau.

2. „Black rose“

Kannst du mir die Line „My daughter, she’s a princess. The world ain’t slaughtering her skin yet / These Kaynes have not become important to the Kims yet“ erklären?

Kayne West hat die Line „And when you go on he’ll leave your ass for a white girl“. Schwarze Frauen erleben, dass schwarze Männer genau das tun. Sie wollen nicht mit jemandem zusammen sein, der sie repräsentiert; der so aussieht, wie sie. So ist das in meiner Kultur, das ist Colorism. Seit der Kolonialzeit gilt – je weißer man ist, desto besser ist man. Ich kenne viele Männer, die keine schwarzen Frauen mögen. Meine Tochter macht sich darüber jetzt noch keine Gedanken, aber irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem Männer mit derselben Farbe wie ihr Vater kein Interesse an ihr zeigen werden. Ich möchte ihr mit dem Song sagen, dass sie sich darüber keine Sorgen machen sollte, sondern selbstsicher durch die Welt schreiten sollte. Ich bin natürlich niemand, der ihr sagen würde, dass sie nur mit einem schwarzen Mann zusammen sein sollte. Deshalb rappe ich:

„Variety is ok / But society will throw shade / So who’s fighting for the sisters then / When their brother keep on dissing them“ 

Die Frauen stehen alleine da. Das stört mich. Ich war immer von Frauen umgeben – von Müttern und Tanten. Meine Kultur respektiert diese Frauen nicht, obwohl es genau diese Frauen waren, die uns aufgezogen haben. Ich meine – Fuck! – das ergibt keinen Sinn. Natürlich kann man eine Präferenz habe, man sollte die schwarzen Frauen aber nicht runter reden.

Hat deine Tochter dein Leben stark verändert?

Ja, sehr. Ich hab nun etwas, wofür es sich lohnt, zu leben. Sie ist sechs und geht nun zur Schule – sie liebt es. Seitdem ich sie habe, passe ich besser auf mich auf. Ich sage mir selbst ‚Trink nicht! Rauch nicht!‘

Identität ist ein wichtiger Bestandteil des Songs. Du rappst zum Beispiel: „Really I’m from Africa but I don’t now my country / I’m a lost man“. Verspürst du irgendeine Art von nationaler Identität?

Jamaikaner verstehen sich oft nicht mit Nigerianern oder mit Menschen aus Ghana. Mit dieser Line will ich sagen, dass die Leute nicht so stolz auf ein Land sein sollten, in das sie nur auf Grund der Kolonialisierung gekommen sind. Sie landeten dort durch ein Unglück. Nun hassen sie Menschen, die, wenn man ihre Genetik zurückverfolgen würde, höchstwahrscheinlich aus derselben Region stammen, wie sie selbst. Ich wurde einer Gehirnwäsche unterzogen. In meiner Kultur geht es viel um Teilung und Eroberung. Das ist furchtbar traurig. Ich kann nicht so tun, als würde ich das nicht sehen oder hören.

Wie verhält es sich mit dem Land, in dem du geboren wurden? Fühlst du dich britisch? 

Manchmal fühle ich mich britisch. Wahrscheinlich sogar die meiste Zeit. Ich habe allerdings kein wirkliches Verständnis dafür, woher ich komme. Meine Mutter wurde in England geboren, ihre Mutter in Jamaika. Weiter in die Vergangenheit kann ich nicht schauen. Ich weiß nicht, was die Menschen aus meiner Familie vor der Sklaverei getan haben. Meine Geschichte beginnt mit der Sklaverei. Der Name meiner Familie stammt zum Beispiel von den Menschen, von denen sie versklavt wurden. Mein Nachname ist nicht wirklich mein Nachname. Ich meine: Wer bin ich?