Interview: Juse Ju über sein Leben in Japan, El Paso, als Trash TV-Autor & „Shibuya Crossing“

Juse Ju veröffentlicht heute sein Album „Shibuya Crossing“, das mit überaus autobiographischen und intimen Inhalten punktet. Zuvor gab Juse sich meist als scharfsinnigen beobachter, pointierten Battlerapper und selbstreflektierten Kritiker – durch das Album wird seine Künstlerpersona um eine wichtige Facette erweitert. 

Du hast – im Gegensatz zu mir – eine journalistische Ausbildung. Du, als Journalist, bist jetzt in der Rolle des Interviewten. Wie nimmst du diese Rolle wahr? Schaust du mir auf Finger?

Im Interview denke ich darüber nicht nach. Klar, ich denke bei einer dummen Frage, dass es eine Kackfrage ist, aber das tut glaube ich jeder. Bevor ich die journalistische Ausbildung gemacht habe, habe ich Dramaturgie studiert. In einem Kinofilm schaue ich aber auch nicht immer auf die dramaturgische Struktur. Ich denke nur im Nachhinein darüber nach, wie auch bei einem Interview. Dann überlege ich, was das Konzept war und wie das Interview geführt wurde. Aber da gibt es kein Richtig oder Falsch in dem Sinne. Du machst das ja ohnehin als Profi und deutlich öfter als ich, aber wenn man beim Studentenradio oder so eingeladen ist, wo man merkt, dass die Leute keine dahingehende Ausbildung haben, dann fragen die grundsätzlich auch langweilige Scheiße. Die Fragen dann die Antilopen Gang, was deren Lieblingspizza ist und Fatoni, wie er auf den Namen kam. Einer meiner Journalismuslehrer hat immer gesagt: Du musst mit einem Vulkanausbruch anfangen und mit einem Erdbeben weitermachen. Es geht halt nicht um Geplänkel. Du sollst mich auch fronten oder zumindest anzweifeln, was ich sage – dann wird es interessant für alle, auch für mich. Ein Interview sollte fordernd sein.

Für mich ist es das Wichtigste, dem Gesprächspartner neue Perspektiven zu eröffnen – gerne auch auf die harte Tour. Um dir die Frage nach dem Konzept zu beantworten: „Shibuya Crossing“ ist sehr biographisch aufgebaut und du erzählst von wirklich spannenden Stationen in deinem Leben. Gleichzeitig weist du menschlich einige Eigenheiten auf – das würde ich in diesem Gespräch gerne in Korrelation zueinander bringen. Laut der Biografie in deiner Pressemappe hast du dich eine Zeit lang als Autor fürs Trash TV verdingt. Was genau hast du gemacht und ist das vielleicht ein Grund für deine misanthropischen Züge?

Also ich habe eine sinnige Kombination aus Theaterwissenschaft, Japanologie und Soziologie studiert. Meinen Zivildienst habe ich in der Psychiatrie gemacht und kam da selber komplett gedamaged raus. Dann habe ich mir gesagt, dass ich das nie wieder machen will, sondern mich damit beschäftige, was mich interessiert. Meine Eltern waren cool damit, aber in der schwäbischen Kleinstadt, aus der ich komme, wurde ich dafür nur verarscht. Nach diesem Studium musste ich natürlich sehen, wo ich bleibe. Ich hätte zum Theater gehen können, finde das Theater persönlich aber abgehoben und kacke. Also bin ich zum Privatfernsehen und wollte gleich dahin, wo viel geht. Ich wusste, dass ich nichts geschenkt kriege und musste Geld verdienen. Glücklicherweise habe ich dann auch direkt ein Praktikum als Drehbuchautor gefunden und das ein halbes Jahr absolviert. Im Anschluss bin ich zum Drehbuchautor aufgestiegen und habe für „K 11 – Komissare im Einsatz“ geschrieben. Ich habe in meinem Leben bestimmt 70 Drehbücher dafür geschrieben.

Klar, das ist Trash TV und wird belächelt, aber im Endeffekt habe ich dafür dramaturgisch astreine Drehbücher geschrieben. Beim Privatfernsehen geht es aber halt nur ums Geld. Die Leute schauen sich das dann an und finden es schlecht, aber das liegt ja nicht nur am Drehbuch, sondern auch an der billigen Produktion und daran, dass die keine echten Schauspieler verwenden. Die Leute ziehen sich den Scheiß ja sowieso rein, egal wie hochwertig oder billig es gemacht wird – einfache Marktwirtschaft. Mir war klar, dass das kein gutes Fernsehen ist, aber es hat auch niemandem geschadet. Das war kein Reality TV oder so. Das waren Laiendarsteller, die halt mal ne Leiche oder nen Zeugen gespielt haben. Das war dann für die ein Nebenverdienst und die Oma war stolz, dass die im Fernsehen waren. Das hat niemanden verletzt. Irgendwann wurde die Sendung abgesetzt und ich war wie alle anderen raus.

Dann bin ich zu einer anderen Produktionsfirma gegangen und da habe ich Reality TV gemacht. „Die Mädchen Gang“ unter anderem. „Die Mädchen Gang“ war leider echt. Die Leute denken immer, das sind gecastete Darsteller. Das stimmt aber leider nicht. Die waren echt solche Atzen-Bratzen. Irgendwie waren die auch echt liebenswert, aber eben total anstrengend. Das waren natürlich nicht die hellsten Birnen und was da mit denen gemacht wurde, war einfach scheiße. Diese Sendung hatte keine Gewinner, auch wenn die sich nicht vorgeführt fühlten. Die fanden sich voll cool. Aber nach vier Monaten habe ich da gekündigt. „K 11“ kam irgendwann wieder, da habe ich noch mal als freier Drehbuchautor ein bisschen geschrieben, aber Reality TV habe ich nie wieder gemacht, damit will ich nichts mehr zu tun haben. Das war dann auch der Zeitpunkt, an dem ich für ein Praktikum nach Japan geflohen bin. Da saß ich dann broke in einem Praktikum, aber du brauchst in Japan sehr viel Geld. Da habe ich dann überlegt, was ich machen will. Schreiben hat mir immer Spaß gemacht. Also bin ich zurück zum Anfang und habe ein Volontariat gemacht, um ein Journalist mit Würde zu werden – das hat aber auch nicht geklappt (lacht).

Ich würde in die verschiedenen Stationen deines Lebens gerne mal ein bisschen Struktur bringen: Geboren bist du in Kirchheim. Du warst in Texas und in Japan…

…also die Struktur ist relativ einfach: Geboren bin ich in Kirchheim. Mit sechs Jahren bin ich nach Japan gezogen, an die Zeit davor kann ich mich auch nicht gut erinnern. In Japan wurde ich auch eingeschult und bin dort geblieben, bis ich elf war. In Japan hatte ich eine super schöne und vor allem wichtige Zeit. In diesem Alter wird man ja quasi eine gesellschaftliche Person, die Freunde hat und auch mal alleine Sachen machen darf. Mit elf bin ich dann zurück nach Kirchheim, wo ich sechs Jahre gelebt habe. Teenie-Zeit halt: Skateboard fahren, Rapmusik hören und so. Dann ist mein Vater mit uns nach El Paso, Texas. Da war ich ein Jahr von 17 bis 18 auf der Highschool. Dann ging es wieder zurück nach Kirchheim, da war ich drei Jahre und dann bin ich alleine nach München gezogen. Da ging’s dann auch weiter: Von München nach Köln, von Köln nach Tokio, von Tokio nach München, von München nach Berlin – und da bin ich jetzt. Das war dann aber alles im Erwachsenenleben.

Zu Japan hast du immer noch eine starke Verbindung.

Es hat schon seinen Grund, warum in der Psychologie so viel in der Kindheit gestochert wird. Da nimmt man die Sachen ja ganz anders wahr, für einen Sechsjährigen geht ein Jahr dreifach so lang wie jetzt. Die Zeit in Japan hat mich auf jeden Fall krass geprägt. Ich würde nicht sagen, dass Kirchheim mich nicht genauso geprägt hat, die halten sich die Waage. Aber mein Bezug zu Kirchheim ist nicht ganz so krass. Dadurch, dass ich da so schnell wieder weg bin, hatte ich halt nie diese eine Heimat, diesen einen Fixpunkt. Meine Eltern leben da auch nicht mehr, ich war dort seit Jahren nicht.

In „Kirchheim Horizont“ klingen deine Schilderungen der Stadt wie meine persönliche Hölle. Du blickst dennoch wohlwollend darauf zurück.

Ich habe ja auch eine zynische Art, verteufeln will ich das auf jeden Fall nicht. Aber ich kam halt aus Tokio und wenn man da war, dann kann man nicht in der Kleinstadt bleiben. Tokio ist auch ganz anders als Berlin. Deutlich weniger stressig, die Leute sind rücksichtsvoller. Ich kann gut in Berlin leben, aber ich glaube, für einen Tokioter ist diese Stadt total fertig. Dass sich im U-Bahnhof jemand seinen Schuss setzt, wäre in Tokio absolut unvorstellbar. Die Stadt ist krass modern, alles funktioniert dort super.

Das war ja nicht der einzige Kulturschock, den du erlebt hast. Wie hast du im Gegensatz zu diesen beiden Stationen das Leben in El Paso wahrgenommen?

El Paso, so komisch es klingt, ist in erster Linie langweilig. Diese Stadt in liegt in einer felsigen Wüste am Ende der Rocky Mountains. Die Stadt ist sehr flach gebaut, kein Haus hat mehr als ein Stockwerk – man hat ja unendlich viel Fläche. Da läuft auch niemand auf dem Bürgersteig, es wird nur Auto gefahren. Als Teenager kann man da nicht viel machen, es gibt kaum Ausgehmöglichkeiten. Da geht man zur Highschool, darf nicht saufen – es ist sehr konservativ. Das waren zwar fast alles Mexikaner, mit den paar weißen Redneck-Texanern konnte ich gar nichts anfangen, ich hing mit den mexikanischstämmigen Skatern. Wobei das eigentlich auch Amis waren, die sahen halt aus wie Hispanics, aber hießen Joey (lacht). Wir hingen da echt nur rum und haben geskatet, an den Abenden ging da gar nichts, weil deren Eltern auch total restriktiv waren. Diese Klischees über den Süden stimmen halt einfach.

El Paso ist eine gefährliche Stadt, da macht es vielleicht auch Sinn, oder?

El Paso ist eigentlich gar nicht so gefährlich. Gefährlich ist Juárez. Wenn man von oben drauf schaut, ist das eine Stadt, aber dazwischen liegt der Rio Grande. Juárez hat eine unfassbar hohe Mordrate, da tobt der Drogenkrieg. In El Paso würde ich mein Kind aber machen lassen, was es will.

Es gibt diese natürliche Barriere, da ist alles cool und sobald man ein paar Meter zu weit geht, wird man möglicherweise erschossen?

Genau so, wenn du diesen Fluss überquerst – Danger, Danger! Wenn du auf der amerikanischen Seite bleibst, wo die GIs mit den Maschinengewehren an der Grenze stehen, ist alles gut. Ich war aber auch in Juárez, da kann man schon normal über die Straße gehen. Aber ich erzähle auf „Bordertown“ ja die Geschichte von der Tochter eines Kollegen meines Vaters. Die haben in Juárez gearbeitet, also mein Vater hat auch in Juárez gearbeitet…

Hattest du Angst um deinen Vater? Darf ich fragen, was er gearbeitet hat?

Mein Vater war Ingenieur bei Bosch. Die sind ja international überall und mein Vater ist da wie ich, der bleibt nicht lange am selben Ort.

Bist du vielleicht nur so, weil du unter diesen Umständen aufgewachsen bist?

Das habe ich auch schon überlegt. Kann gut sein. Für viele Leute ist es ja undenkbar, ihre Heimat zu verlassen. Aber wenn man diesen Schritt mit sechs, elf, 17 und 21 Jahren gemacht hat, dann ist diese Schranke einfach weg und man kann problemlos Sachen hinter sich lassen. Ich lebe seit sieben Jahren in Berlin und denke oft, dass ich gerne wieder woanders hin ziehen würde.

Zurück zu meiner Frage: Hattest du Angst um deinen Vater?

Nee, als Teenager habe ich mir da nicht viele Gedanken drüber gemacht. Du musst dir das auch nicht so krass vorstellen. Es gibt diese Gefahren, aber mein Vater hatte damit ja nichts zu tun.

Es gibt trotzdem viele zivile Opfer.

Ja, man kann theoretisch als Unbeteiligter in eine Schießerei geraten, aber mein Vater hat da im Werk gearbeitet, ist morgens über die Autobahn gefahren, hat gearbeitet, ist abends zurück und fertig. Die waren in Juárez nicht groß unterwegs, Abendessen mit Kollegen oder so waren immer in El Paso, nicht in Juárez. Wahrscheinlich aus diesem Grund. Aber man muss sagen, dass sich die Zustände in den letzten Jahren verschärft haben. Als ich da gelebt habe, war es nicht so schlimm wie jetzt. (2017 gab es 814 dokumentierte Morde in Juárez. Das sind 56,16 Tötungsdelikte pro 100.000 Einwohner. 2009 waren es aber mehr als dreifach so viele – Amn. d. Verf)

Die Gefahr war trotzdem präsent, schließlich erzählst du auf „Bordertown“, dass der Kollege deines Vaters mit seiner Tochter wegziehen musste, weil sie Zeugin eines Vorfalls wurde und ihr Leben dadurch bedroht war.

Das war wirklich krass. Es ist gut ausgegangen, die sind halt weggezogen, aber das hätte schlimm ausgehen können. Aber in Songs erzählt man natürlich auch die dramatischen Geschichten. Ich erzähle da nicht, wie ich jeden Tag mit meinen Jungs bei Taco Bell gegessen habe. Aber klar, das ist passiert und war krass.

Wir haben jetzt über drei Stationen deiner Kindheit und Jugend gesprochen. Das sind drei krasse Kontraste. Wie war es für dich, mehrfach aus deinem gewohnten Umfeld gerissen und in eine komplett andere Umgebung gesteckt zu werden? Mein küchenpsychologiches Fachwissen reicht aus, um festzustellen, dass das sicher sehr prägend war und dich geformt haben muss.

Mittlerweile finde ich es jedes Mal geil, wenn ich an einen neuen Ort ziehe. Als kleines Kind wollte ich aber nicht weg. Ich konnte es nur nicht beeinflussen. Aber was das psychologisch mit mir gemacht hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich sofort umziehen würde, wenn mir woanders ein geiler Job angeboten wird. Da habe ich keinerlei Berührungsängste. Wobei ich da schon etwas mitgenommen habe: In Deutschland habe ich das Gefühl, die Leute laufen rum und meinen, sie hätten das Recht, alles zu machen, worauf sie Bock haben. In Japan und El Paso habe ich gelernt, dass man nicht das Recht auf alles hat. In Mexiko baust du keine Scheiße, sondern hältst dich schön zurück. In Japan nimmst du dir nicht einfach, was du willst. In Deutschland benehmen sich die Leute, wie sie wollen. In anderen Ländern wird man ganz schnell dafür gefetzt.

Ich glaube, viele Menschen sind da einfach sehr weltfremd.

Es gibt ja gerade bei den AfD-Idioten, aber eben auch in der HipHop-Szene, diese Hinwendung zu Russland. Die finden das alles voll geil. Ein guter Kumpel von mir ist Russe und sieht das ganz anders. Wenn die Polizei da Bock hat, dich zu verprügeln, dann verprügelt dich die Polizei. Das ist gar nicht lustig. Schöne Grüße übrigens, Nikita Gorbunov, einer meiner besten Freunde! Viele leben halt ihr ganzes Leben in Deutschland und können sich gar nicht vorstellen, dass eine Kultur anders funktioniert und es ungerechte Gesellschaftsstrukturen gibt, die dich einfach ficken, wenn sie Bock haben. Japan ist ein funktionierender Rechtsstaat, aber auch dort kannst du gesellschaftlich gefickt werden, wie du es in Deutschland nicht kannst. Deutschland ist sehr liberal, da darfst du viel.

Ich kenne dich ja nun schon eine Weile und habe dich immer als sehr rücksichtsvollen und umsichtigen Menschen wahrgenommen. Meinst du, dass du das durch diese Sozialisierung gelernt hast?

Echt, findest du? (lacht) Ich habe leider öfter Diskussionen, dass ich asozial sei. Da geht’s dann aber um Gelaber und nicht um Handlungen. Schwarzer Humor und so ein Zeug. Naja, es ist schwierig, das selber zu beurteilen, aber ich glaube schon, dass ich da Sachen mitgenommen habe. Aus El Paso habe ich mitgenommen, dass viele Leute gar nicht verstehen, auf was für einer Linie sie sich bewegen. Die merken gar nicht, wie neoliberal sie sind – eine turbokapitalistische Linie mit der FDP ohne es zu raffen. Ich habe in Amerika gesehen, wo das hinführt. Durch das Schul- und Gesundheitssystem verwahrlosen so viele Leute. Die kennen das nicht anders und wählen dann jemanden, der ihr Leben noch schlechter macht. Da fehlt es auch einfach an Diskurs und Input, die Leute sind nicht dumm, aber eben simpel und konservativ. Ich will mich jetzt nicht als großer Schlaukopf aufspielen, aber über vieles, was dort Gang und Gäbe ist, würde man hier sagen: Wow, das ist so unreflektiert und dumm. Aber man kann es denen nicht übel nehmen, weil sie nichts anderes kennen und es dort kein Korrektiv gibt.

In unserem letzten Interview ging es viel darum, dass für dich alle Leute Spasten sind. Um also zu resümieren: Worauf kann man zurückführen, dass du eine gewisse Form von menschenfeindlicher Überheblichkeit an den Tag legst? Eindrücke von verschiedenen Menschenschlägen hast du ja mehr als genug sammeln können.

Das stimmt schon. Ich merke selber, dass ich zuweilen arrogant wirke. Aber Rap ist natürlich eine Ausdrucksform, in der man sich über andere stellen darf. Dafür mag ich Rap, da muss man nicht demütig sein. Aber ich bin ja auch mit mir selber unzufrieden. Mein Vater hat mal gesagt, dass vieles, was ich in meinen Songs angreife, in mir selbst schlummert. Aber das Misanthropische muss ich glaube ich mal bekämpfen, das ist echt ungesund. Früher musste Rap für mich zum Beispiel immer aggressiv sein, aber man muss aufpassen, dass man so etwas nicht auf Dauer in sein Leben hinein lässt. Das fickt dich psychisch und die Psyche fickt dann deinen Körper. Ich kenne viele Leute, inklusive mir, die deswegen körperliche Probleme haben. Und ich kenne viele positive Menschen – die sind fit! Ich habe das Gefühl, dass das mit diesem Kampf gegen alles und jeden zusammenhängt.

Ich kann deinen Weltschmerz aber gut nachfühlen. Das Album „Shibuya Crossing“ zeigt aber auch eine andere Seite von dir, ich sehe es als wichtiges Puzzleteil…

…das gefehlt hat, weil ich sonst ein Klugscheißer-Arsch war, der die ganze Zeit nur meckert und rumdisst?

Deine Wortwahl, aber ja.

(lacht) Ja, schon. Das war auch ein Punkt bei mir. Ich bin jetzt 35, irgendwann muss man sich auch mal davon lösen, nur zu schauen, was schief läuft und einen ärgert. Ich muss lernen, den Fokus auch auf Sachen zu richten, die positiv sind und mich betreffen. Das Lied „Shibuya Crossing“ über meinen Bruder fanden alle super traurig, aber ich meinte es nicht traurig. In erster Linie ist das meine Kindheit und da hatte ich einen großen Bruder, der für mich da war. Diese Beziehung ist halt ein bisschen eingeschlafen, was ich sehr bedauere. Aber im Song lasse ich ja das Gefühl aufleben, in eine Familie eingewoben zu sein und diese Bezugsperson zu haben, an die ich mich im Zweifel halten kann. Das sind sehr positive Gefühle. Klar gibt es noch Battle und Idioten verspotten. Genau so kann dieser kleine Kirchturm-Horizont, auf den der Titel „Kirchheim Horizont“ anspielt, ungemein befriedigend für Leute sein und das ist voll in Ordnung. Das kann sicherlich etwas sehr befreiendes haben.