Destroy Degenhardt hat ernste Probleme, daraus macht er keinen Hehl. So tragisch das teilweise sein mag, so gut ist die Musik, die daraus resultiert. „Das Handbuch des Giftmischers“ ist schwermütig, aber nicht weinerlich. Hasserfüllt, aber nicht anklagend. Unzugänglich, aber nicht verklausuliert. Warum Degenhadts Musik klingt, wie sie klingt, erzählt er beeindruckend ehrlich im Interview.
Bei der Interview-Planung hast du den Wunsch geäußert, nicht so viel über „Depri-Kram“ zu sprechen. Da wir über dein Album „Das Handbuch des Giftmischers“ sprechen wollen, gestaltet sich das aber schwierig. Wie hast du dir das vorgestellt? Was siehst du denn in deiner Musik, was fern von diesem „Depri-Kram“ ist?
(lacht) Das hätte doch ein Ansporn für dich, als Journalist, sein können! Meine Musik ist schon destruktiver geworden. Anfangs sollte das ja schon relativ positiv sein und aus den düsteren Sachen was Positives machen. Wobei es mittlerweile schon sehr negativ ist, ich benutze die Musik quasi als Mülleimer (lacht). Ich lade da meine Sachen ab und verarbeite meinen Kack damit. Im Fazit ist das dann natürlich nicht „Yayyy Party!“. Aber um das zu ändern, müsste ich das super konzeptionell durchplanen. Wirklich glücklich bin ich auch nicht damit, dass das so negativ ist. Aber ich finde es gut, wenn das jemandem hilft. Und genau das bekomme ich als Feedback.
Findest du es befremdlich, dass du deinen Müll abwirfst und das anderen Leuten etwas gibt?
Gar nicht. Das finde ich total verständlich. Ich mache es ja genau so, wie ich es auch selbst gerne konsumieren würde. In dem Moment bräuchte ich eher selbst einen Degenhardt, aber ich kann ja meine eigenen Sachen nicht hören.
Die negative Kurve zeichnet sich auch im Verlauf deiner Künstlernamen ab. Von Disco Degenhardt zu Degenhardt zu Destroy Degenhardt.
Stimmt eigentlich…
Aus Business-Sicht sind diese ständigen Namenswechsel nicht klug, das ist dir ja sicherlich klar. Ist dir das egal?
Ich hab halt eh keinen Status, den ich verlieren könnte.
Kein Wunder, wenn du dir selbst dauernd Steine in den Weg legst. Fühlst du dich in deiner Kunst eingeschränkt, wenn du auf solche Moves verzichten musst?
Naja, ich habe mich nach dem dritten Album oder so umbenannt und da war jetzt auch kein Karriere-Knick. Das war eine gleich bleibende Flatline (lacht). Jetzt ist das doch genau so. Vorher kam es bei Melting Pot, jetzt bei Audiolith und das war’s. Aber ich bin da schon auch Romantiker. Wie du gesagt hast: Wenn ich Bock habe, mich so zu nennen und mich damit wohl fühle, dann mache ich das halt. Nur das Degenhardt klang wie ein Nachname.
Ein großes Thema auf „Das Tagebuch des Giftmischers“ ist der Kampf gegen sich selbst und gegen die Sucht. Du sagst, dass auch clean zu sein, dich nicht glücklich macht. Ist das Leben etwa einfach scheiße?
Das ist einfach die Auseinandersetzung damit. Wenn du Alkoholiker bist, bist du dein Leben lang Alkoholiker. Du kannst aufhören zu trinken, aber du bist Alkoholiker. Ich bin aktuell nicht mehr so auf Substanzen und nutze die Musik als Therapie, aber das ist ein großer Part von meinem Leben, mit dem ich mich auseinandersetzen muss. Das wird man nicht einfach los – dann sind Bong und Chemie weg, aber ein anderes Laster rückt nach. Und damit muss man sich befassen. Selbst wenn da keine Message bei rüberkommen sollte, muss ich mich mit diesen Themen auseinander setzen.
Aber es kam ja eine Message rüber: Mit ist scheiße, ohne ist auch scheiße.
Ja, aber es sollte trotzdem ohne sein. Die Message ist auch nicht, dass es ohne scheiße ist. Es ist halt schwer. Der andere Weg ist aber keine Option, da habe ich mittlerweile eine ganz eindeutige Haltung. Das muss alles weg – wie auch auf dem Album, das steht alles für was Schlechtes. Aber so soll das eigentlich nicht sein. Ich habe aber keinen Plan, wie man sowas aufzieht, um anderen zu helfen – dann wäre es ja auch wirklich ein Therapie-Album für andere. Ich würde das schon gerne machen. Ich merke ja, dass ich die Leute kriege und da einen Zugang habe. Wie ich sage: „Keine Jugendpsychatrie toppt mein Postfachbei Facebook.“ Ich kriege die Geschichten mit und erfahre auch gute Sachen.
Deine Motive, Musik zu machen, haben sich geändert. In unserem letzten Interview hast du mir erzählt, dass dein größter Antrieb die Anerkennung ist.
Ja, das war ein großer Antrieb. Ich hab halt meine dauerhaften Störungen. Ganz plump plakative Diagnosen: Ich hab eine narzisstische Störung, PTBS und ne Suchtveranlagung. Die Kanäle wollen alle bedient werden und das formt meine Person. Damit muss ich umgehen können, ob ich das wirklich will oder nicht, all das will befriedigt werden. Aber so geht es nicht weiter. Ich könnte dasselbe Album jetzt noch fünf Mal machen, aber da habe ich auch keinen Bock drauf. Ich habe das Gefühl, dass das dieses düstere, romantische Degenhardt-Ding jetzt richtig gut macht. Das ist dieses eine Album, das ich machen und wollte, aber ich will mich nicht wiederholen und weiter in dieser Suppe schwimmen. Jetzt geht es entweder nach oben oder nach unten.
Ich habe das Album auch als eine Art Schlussstrich wahrgenommen. Einerseits schilderst du sehr resigniert vollkommen abgründige Dinge, andererseits ist es in seinen Extremen die absolut letzte Konsequenz aus den Vorgängern.
Na dann ist das ja angekommen. Es hat das Degenhardt-Ding auf die Spitze getrieben. Jetzt muss man halt schauen, wie es weiter geht?
Neuer Name?
(lacht) Möglich. Ne, ich will das jetzt auch nicht dramatisch inszenieren, ich muss halt schauen. Bukowski hat mal gesagt „Finde das, was du liebst und lass es dich umbringen.“ Aber das will ich nicht mehr, ich will nicht dafür draufgehen, sondern mal klarkommen und ein richtiges Leben haben. Kunst steht halt nicht über allem. Ich bin schon sehr manisch in dem, was ich mache.
Vieles, was du auf dem Album schilderst, klingt nach einer krassen Stagnation, aber gerade erzählst du mir, dass es doch weitergehen und sich ändern muss. Woher kommt dieser riesige Schritt?
Einstellungsmäßig ist das schon ein riesen Schritt. Aber ich will das wie gesagt nicht als Mega-Break dramatisieren. Ich finde es einfach schön, dass ich da auch sagen kann, dass es jetzt gut ist und ist, wie es halt ist und ich hab keine Ahnung, was jetzt ist. Ich weiß nur, dass ich dafür nicht draufgehen will…
…Wieso solltest du denn dafür draufgehen? Du hast doch anfangs sogar gesagt, dass dir all das hilft.
Nein, ich habe gesagt, es ist eine Therapie. Aber diese Therapie ist auch eine selbsterfüllende Prophezeihung. Die Musik hat mir super viel gutes, aber auch super viel Scheiße gebracht. Degenhardt bzw. die Musik hat mich komplett in die Scheiße geritten. Als ich damit angefangen habe, war ich aus dieser ganzen Subtanz- und Psychosenphase relativ raus. Da ging es mir ganz gut. Dann habe ich mit Mucke angefangen und irgendwie für Musik wieder die ganzen Probleme ausgegraben und mich damit auseinandergesetzt. Dafür habe ich gutes Feedback bekommen und es irgendwie instinktiv wieder durchlebt. Nicht nur gedanklich, ich habe wieder angefangen zu saufen, mich daneben zu benehmen – ich will da jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Aber das Destruktive wurde dadurch wieder gefüttert.
Man hört auch heraus, dass deine Musik dich mehr vereinnahmt als nur mal eben ein paar Bars zu schreiben.
Es ist halt nie nur Mucke machen, es ist immer Mucke leben. So hat sich das gegenseitig bezuschusst, im Negativen wie im Positiven. Ich habe auch die tollsten Sachen erlebt, das war auch richtig cool. Ich bin ja selber voll der Fanboy und Liebhaber. Andererseits hatte ich halt dadurch die Chance mega viel Scheiße zu bauen. Da brauchte ich auch einstellungsmäßig den Break. Ich bin halt vom halb-Normalo, also vom einfach nur normal gestörten Kiffer-Skater-Writer zu meinem eigenen Rockstar geworden, der ich immer sein wollte. Ich hab das immer geliebt und konnte plötzlich das sein, was ich immer sein wollte. Natürlich habe ich also den kompletten Rock’n’Roll durchgemacht. Natürlich auf Low-Life und keiner kennt mich (lacht). Aber ich hab’s halt gelebt und zelebriert, auch wenn es für mich alleine war und keinen interessiert hat. Trotzdem habe ich mich komplett damit gefickt.