Interview mit Pierre Sonality: Doch kein Karriere-Ende, dafür ein Neuanfang

„Sehr gut“ antwortet Pierre Sonality, als ich ihn frage, wie es ihm geht. Dann erzählt er. Und es klingt wirklich, als ginge es ihm sehr gut. Es ist viel passiert, es hat sich viel getan. Angeblich wollte er aufhören Musik zu machen – danach klang zumindest sein kürzlich abgesetzter Abschiedsbrief auf Facebook. Sein Album „Miami 420“ hingegen klang so gar nicht als wolle er aufhören – eher nach Wiedergeburt. Auch das ist neu: im Vorgespräch redeten wir über Musik, die man so gar nicht von dem Funkverteidiger erwartet hätte. Aktuelles, junges, innovatives Zeug.

Um an unser Gespräch von eben anzuknüpfen: Feierst du Acts wie Post Malone und Travis schon länger? Man merkt jetzt schon, dass du aktuell deutlich modernere Einflüsse hast als bisher und deine Komfortzone verlassen hast. Liegt das daran, dass du diese Musik gerade für dich entdeckst ?

Ich denke schon, ja. Innerhalb dieser Musik, die momentan in meiner Reichweite oder meinem Kosmos stattfindet, merke ich auf jeden Fall, dass es viel mehr Spaß macht, über den eigenen Tellerrand mal hinauszublicken. Eine Weile hab ich beispielsweise ausschließlich die Musik gefeiert, die ich selber gemacht habe und umsetzen konnte. Nachdem ich irgendwann bemerkt habe, dass ich schon wieder „All Glocks Down“ von Heather B höre oder irgendwas in die Richtung, fiel mir auf, dass ich das echt nicht mehr hören konnte. Das war auch die Phase, in der ich erkannt habe, dass ich mich selbst extrem gehen lasse und einfach viel zu viel am Saufen bin. Als die Einsicht kam und ich mit dem ganzen Mist aufgehört habe, kam zeitgleich die Einsicht, dass ich über meinen Tellerrand hinaus blicken und mein musikalisches Spektrum erweitern muss. Mir ist aufgefallen, dass diese Veränderung total Spaß gemacht hat. Damit möchte ich aber nicht sagen, dass das, was ich früher gemacht habe, nicht cool war. Ich stehe nach wie vor dahinter, aber wenn du immer das Gleiche isst und mal etwas neues ausprobierst, kommst du auf den Geschmack. Wie damals, als die Fanta Pink Grapefruit rauskam (lacht). Da hab ich sie zum ersten Mal getrunken und mich unfassbar darüber gefreut, sie ab sofort immer trinken zu können. So ungefähr ging es mir, als ich anfing, modernere Musik zu hören. Ich meine, klar dachte ich mir am Anfang, dass es mega poppig klingt. Post Malone beispielsweise, läuft ja im Radio, aber hat dennoch so eine richtig geile Attitüde, die sich vollkommen mit meinem Bild von HipHop vereinen lässt.

Trotz dieser neuen Begeisterung für Musik hast du beschlossen, deine Karriere zu beenden. Wobei ich Gerüchte gehört habe, dass das etwas falsch aufgefasst wurde.

Nicht ICH höre auf, Musik zu machen; Pierre Sonality hört auf. Den Entschluss aufzuhören hatte ich zum Zeitpunkt der Albumproduktion noch nicht gefasst, das kam kurz danach. Denke vor knapp fünf Monaten war das. Mir ist, während ich schon begann an das nächste Album zu denken, klar geworden, dass ich wohl easy so weitermachen könnte. Und eben diese Easyness kam mir plötzlich komisch vor. Kurzum – ich habe mich hinterfragt, meine Herangehensweise an Musik betrachtet und mir fiel auf dass ich ein nächstes „Miami 420“ nicht besser machen könnte, ohne mich zwangsläufig zu wiederholen. Und gerade möchte ich mich nicht mehr wiederholen. Dazu kommt, dass der Name Pierre Sonality einfach auch hart gestempelt ist. Er wird immer wieder auf den Rucksackträger runtergebrochen, der ich eigentlich schon lange nicht mehr bin, teilweise sogar von Leuten, die sich nicht mal mehr die Musik anhören – eben deswegen. Ein Kreis.  Fazit: HipHop hat mich zu dem gemacht, der ich bin und dafür bin ich extrem dankbar, aber nun muss ich einfach mal weitergehen. Ich brauche Urlaub, muss mal lüften. Ich möchte frei von Dogmen und Engstirnigkeit arbeiten können, frei von Druck und falschen Erwartungen. Ich will nicht in der Sackgasse enden, in der du als Künstler steckst wenn du nur noch „abarbeitest“. Wenn du nur noch die Musik machst, die Leute von dir erwarten und dich selber limitierst, um denen gerecht zu werden – Dicker dann wirst du zwangsläufig ein Produkt abliefern, das nicht mehr du gemacht hast. Welcher Künstler sollte damit happy sein? Ich habe immer Musik für ehrliche Heads gemacht und weiß jeden einzelnen zu schätzen, der auf meinen Konzerten war oder die Platten gekauft hat. Ich erinnere mich an so ziemlich jedes Fangespräch nach dem Gig. Alles, was ich denen da erzählt habe war ich! Und genau aus diesem Grund habe ich auch keine Angst vor dem nächsten Schritt. Ich fühle mich im Reinen mit mir und meiner Entscheidung, und ich weiß, dass es die Leute verstehen werden. Wir hatten alle eine gute Zeit und wie sagt man so schön: Wenn’s am schönsten ist; sollte man gehen. Musik werde ich eh immer machen, ich behalte mir auch vor, dass ich wieder was release, wenn die Zeit dafür ist. Nur eben unter anderem Namen. Bis dahin schlage ich allen vor, sich „Miami 420“  zuzulegen und nochmal richtig laut zu drehen.

Das sind ja gute Neuigkeiten. Ein zweiter Frühling quasi. Auf „Miami 420“ hört man auch raus, wie unfassbar hungrig du bist. Das mag jetzt vielleicht daran liegen, dass du mal etwas neues probierst, aber ich frage mich, wie du diesen Hunger wiedererwecken oder immer noch haben kannst, wenn du doch schon so lange bei der Sache bist. Die Energie, die du auf dem neuen Album transportierst, hat fast schon was von einem Newcomer.

Freut mich erst mal mega sowas zu hören, danke. Ich habe gemerkt, dass ich mich vom Rap her deutlich mehr an die Beats anpassen muss. Außerdem habe ich auf dem Album aufgehört, das zehnte Mal darüber zu Rappen, wie ich mit meiner Crew irgendwo hänge und wir am chillen sind. Mir war es einfach wichtig, bei vielen Sachen einfach thematischer an die Sache zu gehen. Es gibt auch mehr Songs, die einfach eine Struktur haben, in der es wirklich mal um was anderes geht. Das war mir extrem wichtig. Dann natürlich auch durch die Arbeit mit Dennis (Dennis aus Europa, Produzent; Amn. d. Verf.). Ich habe die Beats gemacht, bin bei ihm im Studio angekommen und Dennis hat die Beats nochmal deutlich runder gemacht und richtig was aus ihnen rausgeholt. Das war der Moment, in dem ich merkte: Krass! Da geht ja noch einiges mehr.

Es klingt auf jeden Fall nach einer komplett neuen Arbeitsweise, aber glücklicherweise nie nach: „Ok, Pierre hat jetzt Travis für sich entdeckt und macht einen Travis-Sound“. Was war denn die Maßgabe, die du dir selbst dafür gesetzt hast?

Ja, ja. Diesen Sound haben wir ja komplett weggelassen. Bewusst. Ich wollte tatsächlich am Anfang etwas trappiger sein, aber wir haben relativ schnell gemerkt, dass das zu gewollt klingt. Natürlich hatten wir Trackskizzen, die eher dem Zeitgeist entsprochen haben, aber die waren zu krass kopiert, weil ich da erst mal drauf losgeschossen habe und dann kam auch Dennis und meinte „Ne, das können wir nicht bringen“. Dann dachte ich mir, etwas zu machen, wo man so eine eigene Note reinbringen kann und dann haben wir uns da auch gefunden, weil die Beats sind von der Taktung und vom Rhythmus her schon eher Classic, nur, dass die ganze Instrumentierung drumherum eine ganz andere geworden ist.

Das heißt, dass dir Selbstreflexion und Kritik so ein bisschen den Arsch davor gerettet haben, dass du dich zum Affen machst? (Lacht)

Ja, voll! (Lacht)

Das ist aber gut, weil viele Rapper bekommen es nicht auf die Reihe und sind so in ihrem eigenen Film festgefahren; denken, dass das was sie tun, ist automatisch der übelste Shit ist und stehen dann so richtig blöd da, wenn sie als 50ter auf diesen Zug aufspringen und nur generischen Mist liefern.

Total, und wie schon gesagt, ich wollte einfach keine Kopie machen von irgendwas, was ich aktuell gut finde oder sowas ähnliches. Also, ich bin ganz froh, dass sich nicht das was ich feiere auf dem Album niedergeschlagen hat, weil es wahrscheinlich vielen Leuten schwer gemacht hätte, dem Album zu folgen. Man hätte wohl den Zugang dazu nicht wirklich gefunden.

Du hast ja auch deinen Lifestyle geändert, vor allem achtest du darauf, was du dir in den Körper tust. Auf dem Album spielt es aber trotzdem eine tragende Rolle, du hast die „420“ im Titel und es geht öfter mal ums Saufen oder Kiffen.

Ja, angefangen haben wir mit dem Album circa vor eineinhalb Jahren und da war mein Lifestyle eben noch dieser. Ich bin da auch in der Anfangszeit ein paar Mal mit Dennis zusammengerasselt. Dennis hat mich auf jeden Fall auf den Pott gesetzt und meinte, dass er ein professionelles Studio betreibe. Er hat sich einfach mal die Zeit genommen und meinte „Komm, es wäre cool, wenn du es einfach mehr wertschätzt, was ich hier für ne Arbeit habe. Versuch doch mal fokussierter zu sein“ und wir haben uns auch ein paar Mal gestritten in dieser Produktionsphase. Vor allem in der Anfangszeit. Dann hat sich meine Arbeitshaltung Stück für Stück geändert und ich bin fokussierter geworden.

Warum hast du dich entschieden, die Songs trotzdem in der Form aufs Album zu nehmen?

Weil ich die Songs feier. (Lacht) Gerade so bei den letzteren Songs wie zum Beispiel „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“, der war so einer der letzten, bei dem ich das gemacht habe und die Hook war auch relativ maßgebend, dass man auch versteht, dass das vielleicht ein Kapitel beendet.

Auf „Cesare“ sagst du „Ich lese keine Rapmagazine mehr, ich finde dort eh nicht statt“. Kannst du dir erklären, warum du da nicht bzw. kaum stattfindest?

Klar, auf jeden Fall. Einfach, weil ich bei den letzten Sachen schon angefangen habe, mich zu wiederholen. Wenn ich immer dasselbe mache, kann ich ja von keinem Rapmagazin erwarten, dass sie mein Zeug pushen, als sei es der mega neue, freshe Shit. Es sei denn man zieht so viele Leute, dass es dann einen trotzdem interessiert.

Wie zum Beispiel die 187 Strassenbande, die sich auch oft wiederholen, aber einfach zu relevant sind?

Ja, genau. Es gibt diesen ganz kleinen Satz von Leuten, da funktioniert das dann und da ist das auch in Ordnung und auch so gewollt, aber alles was darunter ist eben nicht. Diese Zeile klingt trotzdem verbitterter als sie im Endeffekt wirklich ist.

Ich finde es gut, wie selbstreflektiert und offen du damit umgehst. Andere Rapper behaupten ja oft, dass die Medien sie boykottieren würden und so weiter.

Ja, voll. Ich war tatsächlich auch eine Weile ziemlich sauer auf die Medienlandschaft, aber habe dann auch schnell gemerkt, dass das Quatsch ist. Wenn du was willst, dann musst du auch einfach mit einem Produkt kommen, das die Leute interessiert.

Wann hast du das gemerkt?

Vor ungefähr fünf bis sechs Monaten ist bei mir so ein Lifechange passiert, wo ich bemerkt habe, was ich eigentlich wirklich will und dass ich mich vielen Leuten gegenüber auch einfach scheiße verhalten habe. Ich wollte diese Person einfach nicht mehr sein. Die Zeit ist viel zu kostbar, um sie mit schnell greifbaren Substanzen oder Alkohol zu verschwenden und falsche Emotionen zu erschaffen. Ich habe da einfach keinen Bock mehr drauf. Beispielsweise hat uns das Splash! nie mehr wieder gebucht, weil wir im Backstage alles kaputt gemacht haben und von den anderen Backstages Alkohol geklaut haben. Lauter solche Dinge. Es war dennoch alles cool und eine schöne Zeit, aber da geht eben auch viel in die Brüche und ich werde bald 37.

Textlich schlägt sich deine erwachsenere Haltung ja noch nicht so nieder, aber ich bin gespannt, wie sich das in in deiner künftigen Musik, vor allem mit den neuen Einflüssen, entwickeln wird.

Da bin ich selbst gespannt (lacht). Jetzt gerade ist es halt ultra spannend für mich, ich meine, bis zur Zusammenarbeit mit Dennis habe ich mir jeden morgen meinen Kaffee geschnappt, den Rechner hochgefahren und den ganzen Tag einfach nur Beats gemacht. Ich wusste ganz genau, was ich zu tun habe und hab dann halt einen Text geschrieben, wobei es um irgendwelche Dinge ging. Ich hatte beispielsweise eine Phase, in der ich nur nach geilen Samples gesucht habe. Ab und zu hast du auch diese hellen Momente, in denen du einen coolen Themensong machen willst, aber eigentlich war die Machart immer gleich und jetzt ist das nicht mehr so. Jetzt habe ich Momente, in denen mir auffällt, dass ich schon fünf Tage nicht mehr im Studio war. Hin und wieder fällt mir eine schöne Melodie ein und dann fahre ich aber auch tatsächlich ins Studio und spiele die Melodie ein. Es ist einfach cool, nicht mehr in diesen altbekannten Mustern zu denken. Das alles ist eigentlich wie eine neue Challenge.