Interview mit Luvre47: „Die Verbindung zwischen Straße und Graffitiszene ist nirgends so stark wie hier in Berlin“

Im Berliner Untergrund längst eine etablierte Größe hatte Luvre47 durch die Splitsingle „Lass ma sein / Plus X“ vor kurzem in ganz Rapdeutschland für Aufsehen gesorgt. Am kommenden Mittwoch erscheint nun endlich die lang ersehnte zweite EP des Süd-Neuköllners. Unser Autor Alex hat den Jungen mit der NorthFace-Jacke auf einen Tee getroffen und ihn über das anstehende Projekt ausgefragt …

Nach der „Luvre EP“, die im letzten Jahr erschien, droppst du in wenigen Tagen die „No Face No Name EP“. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

So einiges. Mein Homie Iad Aslan hat mir im Anschluss an die erste EP Myvisionblurry vermittelt, der seitdem meine Sachen produziert. Blurry und ich haben uns immer regelmäßiger getroffen und an neuen Sachen gebastelt. Kurz später stieß dann auch Babyblue zu uns, den wiederum Blurry ins Boot geholt hat. Parallel dazu ist der Kontakt zu meinem Manager Dursun entstanden, heute ein guter Freund. In meinem Umfeld hat sich über das letzte Jahr allgemein ein stabiles Team gebildet … Dadurch haben wir organisatorisch viel bessere Möglichkeiten als vorher. Wir alle haben in letzter Zeit auf die neue EP hin gearbeitet, deren Release sich durch verschiedene Faktoren bis jetzt hingezogen hat.

Kurze Rückschau: Erzähl doch mal bitte, wie das mit der Mucke bei dir losging!

Man könnte sagen, dass ich zum Musik machen überredet wurde. Die Geschichte ist ein bisschen paradox: Ein Kumpel von mir hat in einem Jugendclub am Ostkreuz gearbeitet, in dem es ein Studio gab. Man konnte dort kostenlos Musik machen, aber keiner hat es für sich genutzt … Das Ding stand einfach leer. Ich hätte diesen Jugendclub gerne fünf Jahre früher gefunden, aber bei uns in der Gegend hatten diese Läden nach und nach alle dicht gemacht. Auf jeden Fall habe ich dort dann die ersten Sachen aufgenommen, die kamen aber nie raus. Die wenigen Leute aus meinem Freundeskreis, denen ich sie gezeigt habe, drängten dann, sie online zu stellen. Daran anschließend entstand dann die „Luvre EP“. Meine Selbsteinschätzung war da immer sehr realistisch, stellenweise vielleicht sogar zu kritisch.

Zum Glück sind die Sachen dann irgendwann doch online gegangen! Obwohl du ziemlich frisch im Game bist, hast du einen sehr treffenden, facettenreichen und selbstbewussten Rapstil. Die Beats, auf die du rappst, sind stets ziemlich minimalistisch und langsam, trotzdem hast du eine starke und aggressive Delivery. Man könnte fast meinen, dass du noch nie auf Boom-Bap-Beats, sondern Zeit deines Lebens auf derartige Trap-Takte gerappt hast …

Das stimmt nur teilweise. Als ich angefangen habe, mich mit Rap zu beschäftigen, habe ich vorerst tatsächlich mit ganz normalen „rappers.in“-Beats und den Gerüsten alter Klassiker experimentiert. Ich habe aber nie einen Song auf Boom-Bap-Beats ins Internet gestellt und muss schon zugeben, dass mich der damals aufkommende Trap-Film dann wirklich deutlich mehr abgeholt hat. Dennoch ist es bis heute kein grundlegendes Kriterium für mich, ausschließlich mit Trap-Beats zu arbeiten.

Die markant glatten und pointierten Produktionen stammen vom gerade erwähnten Myvisionblurry. Wie kann man sich euer Zusammenspiel vorstellen?

Unsere Zusammenarbeit funktioniert am besten im Rahmen von gemeinsamen Sessions, ob im Studio oder Zuhause ist letztendlich egal. Blurry baut die Beats und ich kommentiere, werfe also meistens eher punktuelle Änderungswünsche in den Raum. Seit einiger Zeit ist mit Babyblue meistens auch noch ein weiterer Produzent an der Arbeit mit den Beats beteiligt.

Die Splitsingle „Lass ma sein / Plus X“ hat, zumindest innerhalb der Berliner Szene, einen nicht zu verkennenden Hype verursacht und viel Aufmerksamkeit generiert. Warst du überrascht, als du gesehen hast, dass das Video plötzlich über sechsstellige Klickzahlen verfügte?

Weil wir das Ding über den Kanal von „AggroTV“ veröffentlicht haben, konnten wir uns schon im Voraus ausmalen, dass das Video, wenn es denn gut ankommen würde, eine hohe Reichweite bekommen könnte. Als das dann tatsächlich passiert ist, war das aber trotzdem krass.

Schon die MC‘s aus dem Hause Upstruct haben in der näheren Vergangenheit bewiesen, dass es möglich ist, mit roughem Graffiti-Gespitte und einem gewissen Untergrund-Charme die Herzen der Kids zu erobern. Wie erklärst du dir in Zeiten von JBG und Bianco den wieder zunehmenden Erfolg von bodenständigem Writer-Rap?

Ich denke, das ist ein Berliner Phänomen. Der Film wird hier mehr aus- und vorgelebt als in jeder anderen Stadt. Vielleicht war auch der zunehmende Disrespect, der sich in den letzten Jahren gegenüber Graffiti breit gemacht hat, ein zusätzlicher Anreiz, das Ganze wieder mehr zum Thema zu machen.

Sind Rap und Graffiti deiner Meinung nach Zwillinge?

Ich weiß nicht, ob Graffiti ein wichtiger Bestandteil von Rap sein muss und bin mit Sicherheit kein altmodischer Verfechter irgendwelcher Elemente-Theorie. Trotzdem finde ich, dass beides bis heute irgendwie in einen Topf gehört. Mich stört es schon, wenn Sprüher auf Techno kleben bleiben oder Hip-Hop-Konsumenten sich ernsthaft über bunte Züge oder dergleichen aufregen. Falscher Film. Ein gewisses Gefühl für das, was historisch zur Kultur gehört, sollte man finde ich schon haben …

Gerade im Berliner Rap der späten Neunziger- und frühen Nuller-Jahre hat Graffiti schon einmal eine elementare Rolle gespielt. Für die Veteranen, die damals im Rahmen der Bassboxxx oder Beatfabrik von sich reden machten, waren Graffiti und Rap zwei untrennbare Elemente und auch Straßenrapper der Folgegeneration wie Fler oder Ufo361 stießen über die Malerei zur Rapszene. Denkst du, dass Hip Hop aus der Hauptstadt, der das Thema Graffiti aufgreift, auch aufgrund seiner Geschichte immer wieder ein erfolgreiches Revival erlebt?

Ich glaube schon, dass die Kombination aus Rap und Graffiti für Leute in unserem Alter nirgendwo so sehr vorgelebt worden ist wie hier. Selbstverständlich zeichnet sich viel von dieser Prägung in die eigene Musik ab. Die Verbindung zwischen Straße und Graffitiszene war und ist an keinem Ort so stark, wie hier in Berlin. Und das hat sich auch schon immer auf den Berliner Rap ausgewirkt.

Ausgehend von der Behauptung, dass Graffiti und der entsprechende Lifestyle die Leitmotive deiner Texte sind: Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Geschichten um diese eng bemessene Thematik eines Tages erschöpft haben?

Eigentlich nicht. Ich rappe ja nicht gezielt über diese Themen, sondern allgemein über die Dinge, die mich beschäftigen. Ich bin da ja flexibel und versuche grundsätzlich darauf zu achten, das Thema Graffiti nicht überzustrapazieren. Insgesamt wehre ich mich dagegen, in die Schublade des „Graffiti-Rappers“ zu rutschen …

Geht man von deinen Texten aus, sind Überfälle, eklige Gewaltausbrüche und Bandenkriege in deiner Gegend Alltag. Wie hoch ist die Deckungsgleichheit dieser Geschichten mit der Realität?

In den meisten Fällen sind eigene Erlebnisse die Beweggründe für meine Texte, ich habe da also nichts hinzugedichtet. Was ich erzähle, sind Auszüge aus meinem Leben. Das hat aber wenig mit meiner Hood oder der Gropiusstadt an sich zu tun. Natürlich hat jeder Ort seine Sonnen- und Schattenseiten … Aber ich würde nicht behaupten, dass ausgerechnet mein Kiez der turbulenteste Brennpunkt überhaupt ist. Klar entspricht die Gegend irgendwie den Klischees einer Plattenbau-Siedlung … Aber man kann sich bei uns völlig normal bewegen wie überall anders auch. Ich denke lediglich, dass die Schwelle, an der Situationen eskalieren, eine deutlich niedrigere ist als anderswo. Aber deshalb ist die Gropiusstadt ja nicht gleich Compton (lacht).

Auf deinem ersten Release, der „Luvre EP“, war der Track „Randbezirk“ zu finden. Darin beschreibst du das Lebensgefühl in der Peripherie der Großstadt und gehst auf das Phänomen sozialer Verdrängung in den Speckgürteln Berlins ein. Die Gropiusstadt ist definitiv ein solcher „Randbezirk“. Was macht den Unterschied zwischen dem Leben innerhalb und außerhalb des Rings aus?

Wie in den Innenstadt-Bezirken kannst du hier machen was du willst. Aber du bist für dich. Das ist wohl der prägnanteste Unterschied. Irgendwie ist hier einfach noch mehr übrig geblieben vom alten Berlin, über das alle so schwärmen: Weniger Touris, weniger Hipsters. Klar, auch hier beginnt die Gentrifizierung, Schritt für Schritt.

Deine Musik verbindet harten Straßenstil mit moderner Trap-Rhytmik. Fühlst du dich musikalisch enger mit der herkömmlichen Straßenrap-Szene oder den Verfechtern neumodischer 808-Sounds verbunden?

Weder noch, ich höre und supporte beides gleichermaßen, finde auch, dass sich beides nicht gegenseitig ausschließt. Es geht doch eigentlich nur um den Aspekt, was einen abholt. Klar, mein Style ist sicherlich stark an der neuen Schule orientiert … Aber wenn es um den Eigenkonsum geht, um die Musik, die ich im privaten Rahmen höre, kann es schon wieder anders aussehen.

Der Trap-Aspekt ist sicherlich mitverantwortlich dafür, dass deine Konzerte ziemlich heftigen Abriss generieren. Außerdem würde ich spekulieren, dass der stetige Wechsel zwischen gelassenen, schleichenden Absätzen und aufbrausenden Hooks, in denen auch mal geschrien wird, ein Grund dafür sind.

Ja, ganz bestimmt. Ich lege die Musik zwar nicht darauf aus, aber es ist mir schon wichtig, dass das ganze insgesamt rhythmisch ist und nicht in wirres Gespitte mündet. Wenn ich auf der Bühne stehe, will ich keine Hände, sondern Leute abgehen sehen. Ein Rezept dafür gibt es natürlich nicht wirklich … Aber wir bauen die Songs schon gerne in Richtung Hook auf und ich schreibe in dem Bewusstsein, die Dinger auch irgendwann einmal live zu spielen. Und damit habe ich auch schon verhältnismäßig früh angefangen.

Erzähl doch zum Ende kurz, was so bei dir ansteht!

Am 13.12. kommt meine EP „No Face No Name“, am selben Tag wird auch noch ein Video zu „Wayne“, dem Outro der EP, erscheinen. Zwei Tage später, am 15.12., wird dann im Musik & Frieden das Release gefeiert. Wenn das abgehakt ist, soll aber auch kein großer Break kommen …