Homezone ist ein Text-Interview-Format unseres Autors Alexander Barbian. Er trifft und begleitet aufstrebende wie etablierte Künstler aus den Gefilden des deutschen Sprechgesangs durch deren Kieze, in deren Lieblingskneipen und zu deren Stammspäties. Für die neunte Ausgabe hat er Quame65 in Berlin-Wedding besucht.
Wedding ist in erster Linie eines: laut. Laut ist es auch an diesem trügerisch schwülen Sommernachmittag: Die Geräuschkulisse vor der den Berlinern geläufigen Tankstelle an der Müllerstraße konfrontiert mich vielseitig: Linkerhand rattern im Sekundentakt hupende Autos über den Asphalt, darüber, in drei Meter Höhe, die Ringbahn an mir vorbei, während zu meiner rechten zwei Trinker derbe und doch unverständlich über mutmaßliche Lappalien diskutieren. Mittendrin ein paar Kids, die mit einem originalen WM-2002-Fußball den Straßenverkehr immer wieder unterbrechen, begleitet durch hektisches Gefluche aus den involvierten Fahrzeugen. Als wäre das alles nicht schon genug, bebt alle paar Minuten der Boden, weil eine U-Bahn untertage die Station Wedding erreicht. Quer über die Straße hat jemand ein weißes Kabel gespannt, das die Batterie seines Autos mit Elektrogeräten in seiner Wohnung im vierten Stock verbindet. Wedding eben.
Quame65 trägt die Kennung des Bezirkes nicht umsonst in seinem Namen: Seine Figur wäre ohne die Sozialisierung im ehemals nördlichsten Kiez des westlichen Sektors vom geteilten Berlin eine elementar andere. Er hat das nicht zuletzt mit dem Titel seines Debüt-Tapes „65 Nightmares“ und der daraus stammenden Auskopplung „Ryder“ deutlich gemacht.
Wer jetzt aber, angesichts der heimtückischen Floskel „ Debüt-Tape“, denken sollte, dass Quame ein blutjunges, unbeschriebenes Blatt ist, das vor ein paar Monaten aus plumpen Lifestyle-Gründen oder einfach aus Zufall in die Berliner Rapszene gestolpert ist, irrt gewaltig: Quame hat bereits vor über zehn Jahren damit begonnen, Zeilen in Reimform zu stimmigen Rap-Tracks zu verbasteln, hat diverse Bühnenerfahrungen gesammelt und pflegt darüber hinaus seit den frühen Nullerjahren ein beachtliches Netzwerk innerhalb der Berliner Rapszene. Dass man so lange nichts vom tatkräftigen „65‘er“ gehört hat, liegt schlichtweg daran, dass er sich in seiner Funktion als Dienstleister innerhalb einer Filmagentur in den vergangenen Jahren eher hinter den Kulissen des Spektakels bewegt hat. Ich habe ihn in seiner Homezone getroffen, um ihn über sein Quasi-Comeback auszuquetschen. Viel Vergnügen!
Du bist eigentlich schon länger in der Szene unterwegs und rappst seit über zehn Jahren. Warum bist du nicht früher mit einem Release an den Start gekommen?
Ich habe tatsächlich schon circa 2005 angefangen, Mucke zu machen, noch zu Myspace-Zeiten sozusagen (lacht). Kurze Zeit später bin ich sogar schon mal gesignt worden, habe aber im Nachhinein festgestellt, dass ich da einen klassischen Knebelvertrag unterschrieben hatte. Da wurde sich einfach nicht um mich gekümmert. Das Album, das ich zu dieser Zeit eigenständig recordet und zusammengeschnitten habe, ist dann leider nie erschienen. Parallel zur Musik habe ich zu dieser Zeit angefangen, professionelle Musikvideos für Rap-Kollegen zu drehen. Allerdings verlor zu dieser Zeit der eigentliche Rap zunehmend seine Bedeutung: In der Szene ging es fast nur noch darum, wie krass jemand ist. Das hat mich ziemlich abgefuckt, gerade weil ich durch die Videos so unmittelbar mit all den Leuten zu tun hatte. Irgendwann habe ich dann beschlossen, dass ich erstmal nichts mehr mit diesem Klüngel zu tun haben wollte und bin straight den Business-Weg gegangen. Innerhalb des Videosegments habe ich mich deshalb im Laufe der Jahre umorientiert, war eher in der Werbebranche unterwegs. Musikalisch ging dann lange Jahre relativ wenig: Ich habe zwar ab und an mal ein Lied geschrieben und bin in manchen Jahren beim ersten Mai auf der Bühne in der Naunynstraße aufgetreten, war ansonsten aber ziemlich raus. Und das war ja in weiten Teilen auch ein bewusster Entschluss.
Wieso bist du dann doch wieder in der Booth gelandet?
Ende letzten Jahres ist mein guter Freund Iron Basic verstorben. Sein Tod war allgemein ein heftiger Wendepunkt in meinem Leben, der alles verändert hat. Basic hatte mich all die Jahre immer wieder genervt, dass ich doch endlich mal anfangen soll, ernsthaft zu rappen. Nicht so nebenbei. Er hat immer gesagt: „Schau dich an! Du kannst nicht auf seriös tun! Zieh‘ dir deine Stimme und dein Auftreten rein: Du bist Rapper!“ Ich habe mich lange Jahre dagegen gewehrt, weil ich keinen wirklichen Sinn mehr in der Nummer gesehen habe. Aber als Basic plötzlich tot war, war mir klar, dass jetzt die Zeit ist, um durchzustarten. Aus allem Negativen soll man ja etwas Positives ziehen.
Allein deine Technik verrät, dass du dich nicht erst seit 2015 mit Rap beschäftigst. Wie kann man dich personell in den Berliner Rap-Zirkus der letzten zehn Jahre einordnen?
Mein ganzes Leben ist sehr kontrovers und vielschichtig abgelaufen, deshalb fällt das nicht leicht (lacht). Hinzu kommt, dass ich mich immer geweigert habe, mich einordnen zu lassen; sowohl musikalisch als auch personell. Ich kann nur so viel sagen: Ich habe mit verschiedensten Menschen aus unterschiedlichsten Schichten, Nationen und Altersstufen zu tun gehabt und habe überall Kontakte geknüpft.
Bist du von deutschem Rap geprägt?
Nicht wirklich. Klar, Leute wie Savas sind definitiv gute Rapper … Aber was sie machen ist nichts, was mich kickt oder gar begeistert. Das war auch schon früher so.
Dafür hast du in der Vergangenheit einem anderen HipHop-Element gedient, warst jahrelang als Sprüher auf Achse. Warum hast du dieses Hobby an den Nagel gehängt?
Einfach, weil es mir irgendwann zu nervig wurde. Alle Leute um mich herum, wirklich quer durch die Bank, wurden nach und nach gecatcht und haben Strafen bekommen. Die „realen“ Writer haben behauptet, ich hätte meine Realness verloren, weil ich nicht mehr mullern gegangen bin … Aber ich habe mich immer gefragt, ob es denn so wahnsinnig real ist, sich busten zu lassen.
Wie schon erwähnt warst du dann jahrelang hauptberuflich Kameramann. Haben dir die Skills, die du in dieser Zeit entwickelt hast zum Beispiel bei den Dreharbeiten zu „Ryder“ geholfen?
Der Vorteil, den ich durch diese Zeit habe ist, glaube ich, dass ich all die Jahre der Meinung war, sehen zu können, was die anderen Newcomer mit Potential falsch gemacht haben. Das versuche ich jetzt auszuwerten und zu meinem Vorteil zu nutzen. Früher habe ich immer nur gemeckert … Jetzt kann ich beweisen, dass ich das alles geblickt habe. Hinzu kommt die personelle Verknüpfung in den Video-Bereich: Mit Spooky arbeite ich seit 2010 zusammen, wir haben viele gemeinsame Projekte hinter uns. Ich bekommen insgesamt krassen Support bei den Videos. Trotzdem kann ich es nicht lassen, bei den Clips bis zur letzten Minute, sprich bis zum Upload, daneben zu sitzen, mitzuschneiden und den Jungs auf den Sack zu gehen (lacht).
Dass du die Fehler früherer „Newcomer“ analysierst, spricht dafür, dass du dich selbst als Newcomer wahrnimmst …
Klar, in meinen Augen bin ich Newcomer! Natürlich habe ich irgendwie schon vor zehn Jahren angefangen und auch schon mal zwei, drei Jahre hart Ärger gemacht … Aber dazwischen liegen jetzt eben auch schon mehrere Jahre, in denen ich teilweise nicht mal zwei Songs gemacht habe. Die Lieder, die ich für das Debüt-Tape aufgenommen habe, fühlen sich für mich an wie die allerersten.