Homezone ist ein Text-Interview-Format unseres Autors Alexander Barbian. Er trifft und begleitet (zumindest normalerweise) aufstrebende oder etablierte Künstler aus den Gefilden des deutschen Sprechgesangs durch deren Kieze, in deren Lieblingskneipen und zu deren Stammspäties. In der sechsten Ausgabe hat er sich jedoch ausnahmsweise einen absoluten Deutschrap-Veteranen vorgeknöpft: Marcus Staiger.
Es ist Samstag auf dem splash!-Festival. Der Open-Air-Backstage-Bereich gleicht an diesem Nachmittag einem regelrechten Schaulaufen deutscher Rap-Legenden. Auch mir bleibt im Laufe jener zweiten Tageshälfte zugegebenermaßen mehrmals kurz die Luft weg, als sich ungeahnt Kandidaten wie Eizi Eißfeldt, Sido oder Azad die Ehre geben und sich in meine Nähe bequemen. All das kommt nicht von ungefähr: Immerhin begeht Deutschlands größtes und bedeutendstes Rap-Festival seinen zweiten runden Geburtstag und hat seinen Timetable gefühlt noch einen Hauch majestätischer und üppiger angereichert als sowieso üblich. In wenigen Stunden werden die splash!-Urgesteine Kool Savas und Marteria nacheinander die Bretter der Mainstage betreten und nach Strich und Faden zerlegen. Alles ist angerichtet für einen denkwürdigen Abend. Bis dahin ist allerdings noch etwas Zeit, um die Highlights der letzten zwanzig Jahre gebührend Revue passieren zu lassen und die eine oder andere splash!-Annekdote aus dem staubigen Keller der belebten Deutschrap-History zu kramen …
Um aktiv an dieser umfassenden Geschichtsstunde teilhaben zu können, habe ich Marcus Staiger um ein lockeres Gespräch bei einer Shisha am See gebeten. Wie wohl kaum ein Anderer kann er das splash!-Festival guten Gewissens als seine Homezone bezeichnen. Immerhin hat er das Festival nicht nur über viele Jahre in mancherlei Funktion besucht, sondern vielmehr auch eine Menge der abenteuerlichen Erlebnisse auf den alljährlichen Deutschrap-Festspielen höchstpersönlich arrangiert: Mal als Labelchef des legendären Royal Bunker, mal als rap.de-Chefredakteur oder Journalist, mal als Moderator und Animateur. Auch wenn er in diesem Jahr als einfacher Besucher da ist, gäbe es wohl keinen angemesseneren Gesprächspartner … Zu diesem Zeitpunkt noch völlig nichtsahnend von der im Oktober erscheinenden Sido–Savas-Kollabo auf Albumlänge, deren Name „Royal Bunker“ bei weitem nicht von ungefähr kommt, haben wir eine Ausgabe Homezone gerockt, die trotz zugegebener Maßen sporadischer Vorbereitungen meinerseits ziemlich spannend und unterhaltsam geworden ist. Viel Vergnügen!
Ich werfe dir zu Beginn einfach mal eine These an den Kopf: Ähnlich, wie du ein nicht wegzudenkender Teil in der Historie des deutschen Rap bist, hast du auch die Geschichte des splash! maßgeblich mitgeschrieben.
Das mag schon sein, auch wenn ich zugeben muss, dass das eher unfreiwillig passiert ist. Man muss wissen, dass die splash!-Leute uns am Anfang, also zu Bunker-Zeiten nicht so wahnsinnig gerne mochten. Die haben viele Dinge, zum Beispiel den etwas härteren Berliner Rap, der da von uns kam am Anfang nicht gecheckt und ich hatte immer den Eindruck, dass sie uns irgendwann eher notgedrungen ins Boot geholt haben, einfach weil wir für die Szene relevant geworden waren … Aber so richtig leiden konnten sie uns nicht.
Wie kam es, dass das splash! trotzdem zu deiner Homezone geworden ist?
Über die Jahre ist irgendwie ein gewisses Veteranen-Verhältnis zwischen mir und den Veranstaltern entstanden, aus dem irgendwann auch Freundschaften wurden. Diese Verbundenheit zeichnet sich dadurch aus, dass unser Verhältnis selbst in schwierigen Phasen nie abgebrochen ist und ich beispielsweise nie richtig ausgeladen wurde, obwohl ich irgendwann mal einen sehr kritischen Artikel zum splash! geschrieben habe, der die Leute hier ein bisschen getroffen hat. Das splash! ist und war bei aller Kritik immer mein Festival. Das hätte ich auch zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Zum Beispiel war ich auch nie auf dem Frauenfeld …
… Und hast annähernd alle der bisher neunzehn Auflagen des Festivals mitgenommen, oder?
Annähernd, ja. Ich glaube, ich war ab dem zweiten oder dritten splash! dabei und habe seitdem tatsächlich kein Jahr verpasst.
Es war also 1999, als du zum ersten Mal hier warst?
Ich schätze ja. Damals haben wir uns mit Kool Savas und seiner Gang reingeschlichen und haben behauptet, wir seien die Underdog Crew. Das war in Wirklichkeit eine Band aus Rostock, quasi die Anfänge von Marteria … Und die hatten damals tatsächlich einen Slot im Lineup. Wir haben im wahrsten Sinne des Wortes das Festival geentert, haben unseren Kassettenstand aufgebaut und offensiv auf uns aufmerksam gemacht, so wie das eben unsere Art war. Die Veranstalter fanden uns damals zwar offensichtlich scheiße, mussten Savas auf gesellschaftlichen Druck hin aber dennoch eine Show zubilligen. Und so kam es, dass er Sonntag Mittag um 13 Uhr auftrat. Obwohl das ja, wie man sich bis heute gut vorstellen kann, kein sehr gnädiger Rahmen war, standen dann plötzlich 10 000 Leute vor der Bühne. Das splash! hatte es im Vorhinein einfach nicht gepeilt, wie groß das zu diesem Zeitpunkt schon alles war. Jahre später durfte Savas ja dann auch auf der Mainstage spielen … Zum ersten Mal allerdings auch nur deshalb, weil Nas nicht gekommen ist und er spontan eingesprungen ist.