Morlock Dilemma & Dexter

rap.de: Ein wenig erinnert die Idee ja auch an "Mein Block" von Sido.

Morlockk Dilemma: Ein wenig, das kann sein. Ich meine, ich hab da jetzt auch nicht das Rad neu erfunden, indem ich Geschichten aus dem Block erzähle. Ich bin jetzt 30 Jahre und hab über 20 Jahren Plattenbauerfahrung, dass solche Ideen dabei rauskommen, dass man versucht, diese Verdichtung von Lebensraum, die ja so ein Plattenbau in sich trägt, darzustellen, das is 'ne relativ naheliegende Erklärung. Auch das umzusetzen ist eine relativ naheligende Idee. Aber bei meiner Geschichte hat  "Mein Block" keine große Rolle gespielt. Es wäre eigentlich interessant gewesen, da Parallelen bzw. Anspielungen zu machen. Solche Referenzen haben sich einfach nicht ergeben. Mir war dann eher wichtig, dass die Songs für mich cool sind. Ich spiele da ja auch  mit verschiedenen Stereotypen. Ich hab eine Geschichte über den Pusher oder den Dealer, das gehört halt dazu. Die Leute erwarten das auch. Die erste Strophe ist relativ normal oder real. Es wird erstmal die Szenerie erklärt. In der zweiten fang ich dann halt an, rumzuspinnen und verlasse auch das Hochhaus. Ich versuche, das alles auch auf eine absurde Ebene zu bringen. Letztens Endes gibt es dann sogar fast schon eine Grimm'sche Moral….die ich jetzt aber nicht verraten werde (lacht). Nein, das kann man schon sagen, die Moral ist: Pass auf, welchen Beruf du wählst, er wird dein Schicksal bestimmen.

rap.de: Apropos Klischees: Eine Nutte darf da natürlich auch nicht fehlen.

Morlockk Dilemma: Jo, das kommt auch. Bei "Tripper"… nee, so heißt der gar nicht mehr, der heißt ja jetzt "Dreiecksbeziehung". Bei "Dreiecksbeziehung" startet es ja mit einer Hure, die zu Besuch kommt und dort etwas ins Spiel bringt, was fast schon einen Kriminalfall auslösen wird.

rap.de: Du spannst die Leser ganz schön auf die Folter.

Morlockk Dilemma: Ich will ja nicht zu viel verraten. Aber die Pointen sind gewohnt platt. Und ein bisschen Überraschung muss man schon noch übrig lassen.

rap.de: Wenn du sagst, du hast über 20 Jahre in Hochhäusern und Plattenbauten gewohnt – hat dir das gefallen? Dass man soviele verschiedene Nachbarn hat und man die jeweiligen Lebensgeschichten wohl oder übel mitkriegt?

Morlockk Dilemma: Alles hat sein für und wieder. Ich hab einen guten Vergleich. Als ich 16 war, hab ich in Leipzig-Grünau gewohnt. Viele Leute auf einem Haufen. Anfangs war es noch so, das sich die Nachbarschaft untereinander geholfen hat, aber das war eher noch zu Ostzeiten. Mangelwirtschaft tralalla… Man hat halt auch viel im Haus veranstaltet, auch für Kinder. Man hatte gemeinsame Abende. Das hat sich dann aber auch später geändert. Jeder hat nur noch auf sich geschaut. Das war dann eher die Zeit der Anonymität in der Masse. Das spielt ja auch auf dem Album 'ne Rolle. Vor allem, dass man mit vielen Leuten auf einem Fleck wohnt, aber die gar nicht richtig kennt bzw. die dich nicht kennen und um die du dich auch nicht kümmerst. Bis aufs Grüßen, was eine Formalität ist, passiert halt nix weiter. Ich kann mich daran erinnern, wie ich mir vorgestellt habe, wie es wäre, auf dem Land zu leben bzw. in einer kleinen Stadt. Später hab ich dann auch mit 17 bis 20 in einer Kleinstadt gelebt, hatte also das volle Gegenteil und das hatte auch seinen Vorteil, weil dort kannte sich jeder. Aber das ist auch nicht immer positiv. Und am Ende war die Tristesse und die Perspektivlosigkeit genau dieselbe wie im Neubaugebiet. Ich glaube eher, es kommt drauf an, wo du genau wohnst. Also nicht unbedingt, wie das Haus aussieht und wieviele dort wohnen, sondern was es für ein Umfeld ist. Alles hängt damit zusammen, wer noch im Haus wohnt. Das spielt eine wesentliche Rolle. Zum Beispiel ältere Leute, das hat man ja auch häufiger. Platte war ja eigentlich von der Sache her eine begehrte Wohnung früher. Fortschritlich, mit Fernwärme…

rap.de: Und Innenklo.

Morlockk Dilemma: Genau Innenklos und, ähm, super Anbindungen an Schulen. Es gibt ja auch viele, die älteren Generationen, die jetzt wegsterben, die die Erstbezieher der Wohnungen waren, die waren dann auch meist sehr umgänglich. Wir hatten aber auch eine auf dem Gang – das war fast schon Spionage. Naja, nicht so krass, aber sie hat sich sehr bemüht zu wissen, wann wir zuhause sind. Ab und zu kam sie vorbei, um zu fragen ob wir ihr was helfen können. Oder ob sie auch mal unsere Post entgegennehmen soll, wenn wir nicht da sind.

rap.de: Soziales Interesse verband sich also mit Herumgeschnüffel…

Morlockk Dilemma: Jo, genau. Das war ja dieser "Wir helfen uns gegenseitig"-Gedanke da, aber ich hatte nie großes Interesse, Nachbarn näher kennenzulernen. Ich bin dann auch so'n Typ, dem das egal ist, ob er in einer Platte oder im Altbau wohnt. Für mich spielt das keine Rolle.

rap.de: Also bist du auch nicht der Typ, der am ersten Tag seine Nachbarn kennenlernt und sie zu sich einlädt?

Morlockk Dilemma: Nee, das muss nicht sein. Ich denk mir immer, wenn ich zu Hause aufnehme und meine Nachbarn dann durch die Wände meine Sachen hören und das in keinen Zusammenhang bringen können, dann könnte es durchaus sein, dass sie komisch reagieren. Es kommt dann auch schizophren, wenn ich sie ganz nett im Treppenhaus grüße.

rap.de: Dann haben sie erst recht Angst.

Morlockk Dilemma: Ich weiß es nicht, aber aus diesem Grund muss ich auch nicht soviel mit meinen Nachbarn zu tun haben.

rap.de: Ist das eigentlich nur ein persönlicher Eindruck von mir oder kann es sein, dass es in Hochhäusern immer nach gekochten Kohl riecht?

Morlockk Dilemma: Ja, aber das kommt auch darauf an wo du bist. Bei uns gab es auch viele Vietnamesen, da hat es dann nicht nur nach Kohl gerochen. Aber kann schon sein. Man hat ja auch keinen Vergleich, wenn man das ganze Leben da wohnt, dann ist das für einen das Normalste auf der Welt. Ich find's auch nicht schlimm. Ich habe auch jahrelang Träume gehabt, bei denen ich träumte, ich sei wieder in Grünau und dass im Briefkasten noch ganz viel Post ist. Das ist schon fast unheimlich.
Ich weiß nicht viel von Traumdeutung, aber irgendeine Bedeutung wird es schon haben. Ich meine, ich bin da aufgewachsen, das ist meine Jugend, meine Heimat. Das geht halt nie raus, aber das kann auch jemandem passieren, der aus dem Dorf kommt und sich noch an jeden Baumstamm erinnern kann. Im Gegensatz dazu ist es bei den Neubauten noch eine Nummer krasser. Ich zum Beispiel kam nach vielen Jahren wieder nach Grünau und man hatte schon einen Großteil abgerissen. Da fragt man sich: Scheiße, wie sah das hier eigentlich früher aus? Und irgendwann bekommst du mit, das, was dich ausgemacht hat, deine Jugend, die wurde auch abgetragen. Die Erinnerung daran existiert nur noch in deinem Kopf. Wenn du halt weißt, dass du keinen Rückzugsort bzw. Wallfahrtsort hast, um die Kindheit wieder zu reflektieren, dann fehlt etwas. Das ist ein scheiß Gefühl und deshalb fahr ich dann auch nicht mehr so oft dahin. Irgendwie berührt mich das schon innerlich, wie das alles auf einmal weg ist. Das macht mich ziemlich melancholisch.