Homezone ist ein Text-Interview-Format unseres Autors Alexander Barbian. Er trifft und begleitet aufstrebende wie etablierte Künstler aus den Gefilden des deutschen Sprechgesangs durch deren Kieze, in deren Lieblingskneipen und zu deren Stammspäties. Erster Interviewpartner ist heute PTK.
1. Mai 2017. Es ist Nachmittag. In den Straßen von Berlin-Kreuzberg herrscht seit dem frühen Mittag zwischen dröhnenden Bässen und dem Geruch von frischen Cigköfte hektisches Treiben. Immerhin begeht der Kiez seinen wichtigsten Feiertag im Jahr: Kein Datum repräsentiert die Wesensart des rebellischen Bezirkes, des gallischen Dorfes im Herzen der Hauptstadt, so sehr wie jener 1. Mai, tobten doch stets an diesem Tag über Jahrzehnte hinweg pulsierende Straßenschlachten der Superlative. Ich bin mit PTK verabredet, der einen ereignisreichen Tag vor sich hat: Sein neues Album „Ungerächte Welt“ steht in den Startlöchern und als Repräsentant von Kreuzberg 361 lässt er sich nicht lumpen und wird im Laufe der nächsten Stunden gleich auf zwei verschiedenen Veranstaltungen die neuen Tracks und ein paar zum Event passende politische Ansagen zum besten geben. Wir haben uns auf einen Cay in seinem Stammcafé getroffen, um die Ruhe vor dem Sturm zu genießen und ein bisschen über das anstehende Release zu quatschen.
Am 26. Mai lässt du endlich die Bombe platzen und kommst mit einem neuen Album auf den Markt. Obwohl du seit 2014 nichts releaset hast, habe ich das Gefühl, dass du es auf Anhieb geschafft hast, mehr als je zuvor in aller Munde zu sein …
„Ungerächte Welt“ ist insofern mein bisher größtes Release, weil ich zum ersten Mal einen Vertrieb im Rücken habe, der das Album auch außerhalb unseres eigenen Shops und den einschlägigen HipHop-Plattformen anbietet. Das macht es für viele Leute greifbarer. Vielleicht ist die Platte ja deshalb schon im Voraus ein bisschen präsenter als die letzten. Hinzu kommt der positive Aspekt, dass die aktuellen Sachen vermehrt in den Rap-Medien auftauchen. Trotzdem nehme ich mich selbst immer noch eher als eine Art Geheimtipp-Rapper wahr und gehe nicht davon aus, dass „Ungerächte Welt“ einen Hype kreieren wird oder plötzlich sämtliche Rahmen sprengt. Im Gegenteil: Für mich fühlt es sich ehrlich gesagt eher so an, als würde ich in diesen Wochen vor allem alte Fans reaktivieren.
Schon zu Beginn deiner laufenden Promophase hatte ich das Gefühl, dass du mit ziemlich breiter Brust auf die Bildfläche zurückkehrst und sicherer, bestimmter und inhaltlich noch konkreter auftrittst. Ist die berühmte Selbstfindungsphase zu Ende?
Auf jeden Fall habe ich nicht so lange Pause gemacht, weil ich mich selber finden wollte (lacht). Ich halte diesen Selbstfindungsprozess eh für niemals wirklich abgeschlossen. Durch die Auftritte vor Tausenden als Support auf der K.I.Z.-Tour, den vielfältigen anderen Live-Erfahrungen und den etlichen politischen Projekten habe ich mich in der Zwischenzeit aber trotzdem ein gutes Stück weiterentwickelt, weil mich das als Künstler sicherlich extrem gefestigt hat. Vielleicht war das ja auch eine Form der Selbstfindung.
Im Teaser-Track „Wenn mein Album kommt“ betonst du im Bezug auf die deutsche Rapszene, dass du dich in Vorbereitung auf das Album „lange rar gemacht [hast], beobachtet und nachgedacht [hast]“. Was sind die Konsequenzen, die du aus diesen Beobachtungen ziehst? Ich habe das Gefühl, die Rückschlüsse sind eher negativ und du rückst eher weiter von der Szene weg.
Auf jeden Fall! Ich fühle mich nicht mal wirklich als Teil der Szene. Mit den meisten Leuten, die in ihr verkehren, habe ich tatsächlich nichts zu tun, will mich auch nicht auf Krampf mit ihnen connecten, geschweige denn um Features betteln oder Gästelistenplätze absahnen. Aber vielleicht ein paar Sätze zur musikalischen Ebene, die ja viel wichtiger ist: Meine Kritik aus den 100 Bars bezieht sich konkret auf das unkreative Kopieren von Trends aus dem Ausland. In einem bisher nicht veröffentlichten Part sage ich, dass „deutscher Rap copy/paste und translate“ ist und das trifft den Nagel eigentlich auf den Kopf. Ich höre sehr viel französischen und amerikanischen Rap und sehe immer ein halbes bis dreiviertel Jahr später die deutsche Kopie des jeweiligen Experimentes. Soundmäßig wären viele dieser Trends für mich dann legitim, wenn sie mich wenigstens inhaltlich abholen würden, aber auch das tun sie nicht. Ich selbst habe das Rad selbstverständlich auch nicht neu erfunden, aber ich würde behaupten, dass du immerhin kein französisches oder amerikanisches Pendant zu meiner Musik finden wirst.
Du betonst häufig, dass du „der ehrlichste Rapper“ Deutschlands bist. Wie zeichnet sich dieses Attribut konkret aus und warum bist du aus deiner Sicht realer als der Rest?
Es gibt in meinen Texten zwar hier und da überspitzte Zeilen, aber im Grunde hat alles, was ich sage in meinem Leben oder meinem Umfeld stattgefunden, hat Hand und Fuß. Allein das unterscheidet mich ja von den meisten anderen Künstlern, die sich ein Image zurechtlegen. Ich habe halt eh das Gefühl, dass die meisten Künstler gar nicht ehrlich sein möchten: so viel Koks und Nutten, wie die alle angeblich haben, kannst du doch gar nicht rocken… (Gelächter) Mein Anspruch ist insofern einfach ein anderer und vielleicht betone ich meine Realness auch deshalb so oft.
Kaum ein Künstler hat einen derart präsenten Bezug zu seinem Kiez und erzählt so viele Geschichten aus seiner direkten Nachbarschaft und dem Leben vor der direkten Haustür. Ist das mittlerweile ein Image, dem du mit deiner Musik gerecht werden möchtest oder ergibt sich das nach wie vor von selbst?
Gewollt ist das schon, klar. Natürlich will ich eine Stimme für Menschen in einer ähnlichen Situation, im gleichen Kiez oder im selben Alter sein. Aber ich erzwinge das nicht. Für mich ist das einfach nur logisch: ich lebe hier eben und bringe dementsprechend die alltäglichen Eindrücke auf‘s Papier, die mich in Kreuzberg umgeben. Ich gehe nicht auf die Suche nach Inhalten oder lese den ganzen Tag Zeitung, um neue Themen zu finden.
…also lieber auf Missstände hinweisen und wachrütteln, als sich als Kunstfigur zu inszenieren. Das Album heißt „Ungerächte Welt“. Ich finde, dieser Titel impliziert, dass diese Welt sowieso nicht mehr zu retten und deshalb nur noch zu rächen ist, weil sie so grausam ist.
Lustigerweise gibt es eine Zeile in einem Part von mir, der bald an anderer Stelle erscheint, die sich mit dieser Einschätzung eins zu eins decken. Ich sage dort: „Diese Welt ist nicht zu retten, also räche ich sie lieber“. Das Wortspiel im Albumtitel bündelt den Schwerpunkt meiner Musik auf Themen rund um Ungerechtigkeiten mit meiner Ansicht, dass sich die Welt, die Natur und das Universum irgendwann an der Menschheit rächen wird. Es gibt einen gleichnamigen Track in dem ich auf diese These eingehe, ihr könnt gespannt sein!
Wir unterbrechen das Gespräch kurz, um auf‘s Klo zu gehen und neuen Tee zu bestellen. Durch die Schaufenster können wir sehen, wie mitten im Myfest-Getümmel die ersten Grüppchen von mit langen Fahnenstöcken bewaffneten türkischen Gewerkschaftlern in Richtung Oranienplatz pilgern. Nicht mehr lang also, bis die revolutionäre 1. Mai-Demo sich sammeln wird.