Die Interview-Reihe „Kunst&Perspektive“ stellt die offene Frage: Wer ist man, wenn man Musik macht? Viele Rapper haben viele Antworten. Unsere Autorin Viola hat mit vier Rappern aus der deutschen Hip Hop-Szene darüber gesprochen. Welche Rolle spielen Kunstfiguren? Wie viel Verantwortung tragen Künstler für ihre Aussagen? Muss man eigentlich authentisch sein? Fragen über Fragen zur eigenen Identität.
Herzlichen Glückwunsch zu deinem Album „ID“. Dafür, dass du es als ein persönliches Album angekündigt hast, habe ich es selbst als gar nicht so intim empfunden. Mir fehlte der Storyteller, der aus deinem Leben berichtet. Was macht dein Album denn deiner Meinung nach persönlich?
Ich glaube, es fällt dir ein bisschen falsch auf, weil es halt ein bisschen versteckt ist. Ich hasse oft die Zeigefinger-Perspektive. So muss man es richtig machen und so macht man es falsch. Ich probiere Dinge immer so darzustellen, wie ich sie tatsächlich wahrnehme und z.B. in dem Song „Was wäre“ rede ich ja relativ persönlich über Sachen, die mir passiert sind. Ich finde so Storyteller, wo jemand wirklich nur über sich berichtet, sehr sehr schwierig, weil du etwas darlegst. Das ist dann die absolute Geschichte. Das ist das, worauf sich jeder beziehen wird. Jeder wird sagen: Du hast doch erzählt, es ist so gelaufen. Wenn ich dann aber in zwei Wochen herausfinde, dass das so gar nicht war. Ich war eigentlich das Arschloch in der Story, dann hätte ich ein Problem, weil ich etwas so dargestellt habe. Ich habe zwei, drei Tracks angefangen, die eigentlich mit drauf sollten aufs Album, aber die habe ich wieder runter gekickt, weil ich glaube ich noch nicht bereit war, die in der Form zu veröffentlichen. Das hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass man Probleme hat sich, selber zu öffnen. Vor allem, wenn du aus einer Battlerap-Schiene kommst, wo man immer bloß Rücken und Ellenbogen zeigt, damit keiner dich angreifen kann. Deshalb hab ich das so zwischen den Zeilen versteckt.
Ist Takt32 eine Kunstfigur? Bist du als Privatperson und Takt32 identisch?
Boah, Kunstfigur würde ich nicht sagen. Ich bin schon sehr identisch. Ich glaube, deshalb bin ich auch relativ ehrlich bei vielen Punkten. Deshalb habe ich auch schon immer gesagt, ich studiere nebenbei. Ich bin Straße. Ich feiere Politik-Sachen gleichzeitig feiere ich auch stumpfe Clubsongs. Ich bin teilweise scheinheilig, ich bin Teil einer Konsumgesellschaft – gleichzeitig finde ich das unnormal eklig. Deshalb bin ich eigentlich ich. Imagerap scheitert da irgendwann. Wenn du das Image nicht selber bist, hast du irgendwann Probleme mit Themen auf Tracks und dich tatsächlich zu repräsentieren. Da geht es ja auch in meinen Songs drum. Ich bin Stolz Teil des Problems zu sein, wenn das Problem ist, dass man sich ständig verstellen muss für diese Gesellschaft. Dann bin ich gerne Teil des Problems. Ich möchte mich nicht verstellen. Die Kunstfigur erschaffst du ja nur dann, wenn du denkst, dass der eigentliche Anteil von dir selber für den Song nicht genug ist. Nur dann fängst du an zu überspitzen. Das ist ja auch okay, solange du das akzeptierst und so proklamierst, wie das zum Beispiel Kollegah auch macht, wo ja jeder weiß, dass die Scheiße überspitzt ist. Obwohl ich mittlerweile nicht mehr weiß, ob er das noch selber weiß. In dem Moment ist das ja auch okay. Jeder der Kollegah ernst nimmt, für das, was er macht, ist ja selber schuld!
Glaubst du, wenn man eine Kunstfigur hat, dass man zu dem, was diese Kunstfigur ist werden kann – auch als Privatperson?
Ok, aber inwiefern ist das dann noch eine Kunstfigur? Wenn du dich tatsächlich in die Person verwandelst, als die du rappst. Es geht ja wie gesagt auch immer darum, ob das authentisch ist. Wenn ich diese Kokain-Dealer Schiene fahren und nur über Kokain und lila Scheine rappen und dann tatsächlich irgendwann anfangen zu ticken dann ist das ja keine Kunstfigur mehr, dann bin ja tatsächlich ich das.
K.I.Z. sind auch gewissermaßen Kunstfiguren, was hältst du denn von ihnen?
K.I.Z. sehe ich mehr als Satire. Sie küssen sich auf der Bühne und bringen dabei Anti-Schwulen Statements in ihren Texten. K.I.Z. sind beide Personen gleichzeitig auf der Bühne: sowohl die Kunstfigur, die sie sich geschaffen haben, als auch deren tatsächliche Person. Sobald du das aber differenzierst und dich abschottest, damit du ja cool bist für die da draußen. Find ich das einfach affig.
Ich habe letztens von einem Menschen gehört, der sich entschieden hat eine Ziege zu sein. Er ist in die Berge gezogen und hat versucht wie eine Ziege zu leben.
Killer!
Der hat am Schluss auch gedacht, er sei eine Ziege. Deshalb ist er ja noch lange keine, nur weil er das denkt. Ähnlich wie die Imperator-Phantasie von Kollegah. Sie lassen ihn nicht zu einem übermächtigen Politiker werden.
Der Typ, der sich selbst als Ziege sieht, ist in dem Fall eine Ziege. Dem Wort Ziege kommen ja bestimmte Eigenschaften zu, wie du lebst im Wald, du frisst grüne Blätter, du gibst Milch – gut, ich nehme an, dass er das nicht kann. In dem Fall würde ich ihn aber mehr als Ziege akzeptieren, weil er sich genau wie eine Ziege verhält, statt Kollegah ab zunehme, dass er ein Imperator sei. Wenn Kollegah aber den Lifestyle eines Imperators fahren würde, d.h. er würde seinen eigenen Staat gründen – aka Reichsbürger – würde Pässe verteilen, keine Steuern bezahlen, die Leute mit Peitschenhieben zur Arbeit zwingen, dann ist er ein Imperator. In meinen Augen bist du nur dann eine Kunstfigur, wenn du noch klar differenzieren kannst, zwischen der Person, die du tatsächlich bist und der Person, die du versuchst darzustellen.
Gibt es dann Grenzen, die eine Kunstfigur nicht überschreiten sollte?
Es wird für mich in dem Moment problematisch, wenn ich mitbekomme, dass eine breite Masse, das als Realität annimmt. Dann rege ich mich darüber auf, auch wenn das schwachsinnig ist, weil es eigentlich nichts mit mir zu tun hat. Aber wenn jemand ein bestimmtes Rap-Image darstellt, alle denken jetzt, jemand ist wirklich Kokain-Dealer und er kommt tatsächlich aus Kreuzberg, obwohl das gar nicht stimmt. Ich habe dann immer das Gefühl, dass die Leute die tatsächlich aus der Gegend kommen und Kokain dealen ein Teil ihrer Identität genommen wird. Das ist genau das Gleiche, wie bei der Diskussion über das Genetikk-Cover. Ich feiere Genetikk-Mucke – davon abgesehen: Ich kann verstehen, warum Leute aus den Favelas sich aufregen, wenn sich irgendwelche Deutschen Favelakids auf ihr Cover drucken, nur um einen coolen Lifestyle zu repräsentieren. Wenn sie das machen, ist das vollkommen in Ordnung – das ist deren Identität aber, das gehört nicht zu deiner dazu.
Ja, außerdem ist das als Deutscher ein wenig anmaßend, das auch noch als etwas schönes, schickes, was auf das Album-Cover gehört abzudrucken.
Voll! Da bekommt etwas eine bestimmte Ästhetik und eine positive Note, was eigentlich nicht positiv ist. Also zumindest sollte es das nicht für uns sein. Wenn die in den Favelas denken: „Ey wir haben keine andere Möglichkeit, außer das zu machen, weil der Staat uns keine anderen Optionen lässt und deshalb feiern wir das, weil wenn wir das nicht feiern würden, hätten wir ja gar nichts zu feiern.“ Dann kann ich das voll nachvollziehen. Dann kann ich da auch so ein bisschen mitfühlen, aber ich würde mir nie anmaßen, das für mich zu nutzen. Ich würde das einfach frech finden. Es wäre einfach frech von mir als Mitglied eines deutschen Sozialstaates.
Das sollte ja eigentlich nicht die Perspektive im deutschen Hip Hop sein.
Die Leute im Deutschrap haben anscheinend ein Problem damit ihre eigene Individualität zu zeigen und wollen lieber jemand anders sein. Sie haben Angst vor sich selbst; sich selbst zu repräsentieren. Was ja auch vollkommen verständlich ist, es geht ja vielen so, dass sie gerne jemand anders sein wollen. Ich glaub aber, wir müssen wieder dahin kommen, wo die Leute wieder sagen: „Ich bin gerne wer ich bin und das bin ich, weil ich das auch zeigen kann“. Da gehört ja ein gewisses Maß an Freiheit dazu. Im Deutschrap haben die Leute immer noch Angst zu zeigen, wer sie sind, weil sie nicht verstoßen werden wollen. Was wiederum idiotisch ist, weil es im Rap darum geht, darauf zu scheißen, ob man verstoßen wird oder zu einem Subgenre gehört oder eine Minderheit bleibt. Wir ziehen es trotzdem durch.