Maeckes – MANX

Beim Hören von Maeckes’ jüngst erschienener EP stieg im Rezensenten prompt die Erinnerung an ein kleines Gespräch in der rap.de-Redaktion hoch: In einer Diskussion über den Output von Rapper XY schnauzte er nämlich großmäulig, was dieser mache, sei doch keine Kunst. Aber, so wandte der Gesprächspartner kritisch ein, welcher Deutschrap-Interpret würde schon einem so großen Begriff wie Kunst gerecht? Nun, vergangenen Freitag gab Maeckes mit „MANX“ eine mögliche Antwort auf diese Frage.

Natürlich, “MANX“ ist lange nicht so stringent und durchkonzipiert wie sein Vorgängerwerk “Kids“. Andererseits ist die EP aber auch viel weniger überfrachtet und sehr viel leichter zugänglich. Der Einstiegssong “Zoom“ beispielsweise ist im Grunde nicht mehr als eine Aneinandereihung von kurzen Endrücken und Alltagsszenen. Aber jeder textliche Zoom, auf den Obdachlosen, die Hure, die schulschwänzenden Kinder etc., wird von Maeckes mit einer kurz anskizzierten Geschichte ausgeschmückt:

Dem Geschäftsmann fehlt die Geduld
Er sieht die S-Bahn wegfahr’n, Sex mit der Sekretärin ist schuld
Eine alte Frau schleift den Einkauf heim
In die immerwährende Einsamkeit des Altersheims

Maeckes erwähnt die Geschehnisse auf der Straße (nein, nicht DER Straße) nicht bloß einfach, sondern führt sie seinem Hörer plastisch vor Augen. Auf EP-Länge bleibt er natürlich nicht auf der Ebene des bloßen Beschreibens. Auch wenn das, wie im Fall von “Zoom“, textlich sehr intensiv und interessant sein kann, reicht das natürlich nicht aus, um den Tatbestand der Kunst zu erfüllen.

Dafür braucht es schon den beißend-traurigen Zynismus, etwa, wenn Maeckes bemerkt, dass der “König Mensch von seinem Thron“ nur herabsteigt um sich “Döner zu hol’n“. Oder wenn er ein nüchternes “Vielen Dank“ ans „Niemandsland“ ausspricht, in dem es alles gibt, nur wurd’ die „Liebe verbrannt.“ Oder wenn er sich in „Pisse aus Weingläsern“  ätzend über “Klingeltonsinfonien auf Mülldeponien“ lustig macht.

Naja, könnte der kritische Leser jetzt denken, schön pointierte, aber eigentlich doch recht ausgelutschte Sozialkritik: Unserer kalten, materialistischen Gesellschaft fehlt es an Liebe und wir verlieren uns stattdessen in Nichtigkeiten. Kennt ja eh jeder, muss man es deswegen entsprechend oft vorgeheult bekommen?

Natürlich muss man das nicht. Im Fall von „MANX“ sollte man das aber unbedingt. Denn Maeckes belässt es keinesfalls bei den zitierten Zeilen, sondern widmet beispielsweise der fehlenden Nähe einen großartigen, in seinen Details sicher für viele nachvollziehbaren Song. Nämlich “Probleme weglächeln“:  An detaillierten Schilderungen eines “guten Bekannten, Freund wäre zuviel gesagt“ illustriert Maeckes, wie sich emotionale Probleme nicht nur dadurch festigen, dass “keiner zuhört, sondern keiner ausspricht“. So etwas kennt jeder, aber Maeckes spricht es eben auch aus.

Bei “Unperfekt“ geht Maeckes dann mit gutem Beispiel voran und reflektiert eigene Schwächen, und zwar, paradoxerweise, ganz besonders das eigene, fast schon absurde Perfektionsstreben. Das klingt zwar, wie sich nur schwer leugnen lässt, an bestimmten Punkten unangenehm kitschig  (“Ich werde wohl nie verstehen, wie mich so irgendjemand lieben kann“ – eine Runde Mitleid, jemand?). Andererseits stellt so ein Persönlichkeitseinblick eine angenehme Abwechslung zu besagten aggressiv-treffenden bis melancholisch-stagnierten Gesellschaftsbeobachtungen dar. Ohne diesen freilich deswegen ihre lyrischen Qualitäten absprechen zu wollen.

Mit dem Freiburger Menschenfeind JAW und Labelkollege Tua bietet „Manx“ auch die richtigen Features für einen lyrischen Grenzgänger wie Maeckes. In der Kollabo mit Dokta Jotta kehrt Maeckes seine offensive, aggressive Seite heraus; sein Partner brilliert mit seinem gewohnt bösen Sarkasmus: “Ich muss seit meiner WWF-Spende täglich geizen und / hab nur noch Geld für Eier aus Käfighaltung“. „Black Swan“ mit Mit-Orson Plan B hingegen wirkt ein wenig trivial und im Vergleich zu den anderen Songs fast schon überflüssig. Man wird das Gefühl nicht los, dass einem diese Fight-Club-artige Verherrlichung des White-Trash-Lebensstils schon auf anderen Songs der EP interessanter dargeboten wurde. Aber wo Licht ist…

Die Beats tragen die Gesamtstimmung durch ihre entspannte Verspieltheit und die sphärischen Synthies. Besonders bei “Niemandsland“ setzen sie den Text mit anderen Mitteln fort: Wenn Maeckes auf übersteuerten, harten Drums über die kalte, durchtechnisierte Gegenwart rappt, passt das wie die Faust auf’s Auge. Genauso wie das gefilterte Kinderchorsample, das dezent im Hintergrund ein trauriges “Oh yeah“ raunt: ein bitterböser Kommentar zu dem düsteren Bild der kalten Konsumgesellschaft, welches Maeckes und Tua hier zeichnen.

Und genau hier wird die Essenz des Albums am deutlichsten: Es ist ruhige, nachdenkliche Musik, gleichzeitig aber unglaublich treffend und bisweilen erstaunlich bissig. Musik, zu der man raus auf den Balkon geht und, während man über die Seltsamkeiten der Welt nachdenkt, eine Kippe raucht. Oder, wie Maeckes es ausdrückt, “Alk auf die Wunden kippt und Zigarettenschachteln frisst.“ Ja, wenn man sich voll und ganz auf die Texte einlässt, dann kommt man nicht umhin zu bemerken, dass es eigentlich ein sehr trauriges Werk ist. Gleichzeitig ist es in all seiner Durchdachtheit und musikalischer Ausgestaltung unglaublich schön. Und wenn diese Verbindung aus Trauer und Schönheit, aus Drama und Ästhetik, keine Kunst ist: Was denn bitteschön dann?