Kollegah entscheidet sich mit seinem neuen Werk “Bossaura“, dessen Titel womöglich nicht nur rein zufällig an den des bald erscheinenden Albums eines nicht unbekannten deutschen Rappers erinnert, für die vermeintlich sicherste, oft aber in Wahrheit gefährlichste Lösung: Den Mittelweg. Bereits im pathetisch betitelten Intro “Für immer“ beteuert er vehement, dass sich eigentlich nichts verändert hat, dass er immer noch derselbe ist: “Immer noch der Porsche voll mit Chicks/ der Big Boss ist back und Rapper sehen mit sorgenvollem Blick/ dass seine Pläne langsam aufgehen wie die Morgensonne, Bitch“.
Auch das nachfolgende “Drugs in den Jeans“ bietet sattsam bekanntes, sprich hübsch ausgeschmückte Geschichten aus dem Leben eines Drogengroßhändlers mit so großem Geschlechtsorgan wie Ego, die einem Baron von Münchhausen durchaus zur, naja, Ehre gereicht hätten: “Früher machte ich Geschäfte wie Anthony Soprano/ heute rapp‘ ich meine Parts und bin ständig in der Bravo“ – sicher ist das in etwa so nahe an der Realität wie Rick Ross‘ Behauptung, er verticke Drogen via iPhone, aber dafür ist es auch, dank Kollegahs hinlänglich bekannter Qualitäten in Sachen originelle Vergleiche, mindestens genauso unterhaltsam. In dieselbe Kerbe schlagen Tracks wie “Jetlag“, “Mondfinsternis“ und der Titeltrack: “Ich schmuggel im Benz Pep kiloweise/ angespannter Sixpack, Men’s Health Titelseite“. Blitzschnell, dabei stets gut verständlich rattern die Punchlines.
Soweit, so gewohnt. Doch wie es bereits der erste Videovorbote “Flex, Sluts and Rock’n Roll“ andeutete (der ursprünglich als Titeltrack vorgesehen war), will Kollegah sich mit seinem dritten Soloalbum nicht allein auf Altbewährtes verlassen. So schlagen Songs wie “Spotlight“, “Bad Girl“, “Billionaire’s Club“ oder “I.H.D.P.“ Töne an, die eher an French House als an französischen Straßensound, eher an Ibiza als an Miami erinnern. Nicht, dass Kollegahs Musik bisher völlig frei von Kitsch und Trash gewesen wäre, ganz im Gegenteil, aber das geht dann doch etwas zu weit. Dazu gesellen sich mitunter grenzwertige Hooks, gerne auch mit massivem Autotune-Einsatz aufgepeppt, die meistens aus der Kehle von Kollegahs neuem Partner (jaja, no homo) SunDiego stammen und dem Rezensenten in ihrer permanenten Dreistigkeit ganz schön auf die Nerven gehen. T-Pain war halt vor vier Jahren noch lustig, ihn jetzt noch als Referenz heranzuziehen, wirkt wie ein zu oft erzählter Witz. Ein gesunder Schuss Pop ist ja durchaus zu begrüßen und heutzutage ohnehin kein Tabubruch mehr, aber dann bitte mit ein wenig mehr Geschmackssicherheit.
Zum Glück sind – Stichwort Mittelweg – längst nicht alle Songs damit infiziert worden. “Kobrakopf“ mit Farid Bang und einem glänzend aufgelegten Haftbefehl (“Ach, geh zur Seite“ – allein für diese Line hat Haft einen Preis verdient) kommt ohne große Spirenzchen daher. Das melancholische “Money“ zeigt, dass melodiös nicht gleich käsig bedeutet und gesungene Hooks einem nicht zwangsläufig die Schuhe ausziehen müssen. Auch bei “Business Paris“ stimmt das Gleichgewicht zwischen Gangsta und Guetta einigermaßen, wozu auch der raue Part eines gewissen Ol Kainry aus Paris beiträgt.
Doch nicht nur im Soundbild, auch inhaltlich versucht Kollegah hier und da, ein paar neue Topics anzusprechen. Tatsächlich überraschend ist dabei “Du“ (mit einem gewissen Sahin am Gesang) ausgefallen, das eine Seite an Kollegah zeigt, die man so bisher nicht kannte: Anscheinend war der selbsternannte Boss tatsächlich auch schon verliebt und, nein, wer hätte das denn gedacht, auch noch unglücklich. Wunder über Wunder! Aber Spaß beiseite, der Song ist glaubwürdiger als viele andere, die zu diesem Thema geschrieben wurden, gerade weil Kollegah auch bei Herzschmerz seine Bossaura nie zu verlieren droht.
Ob das alles – mehr Melodien und mehr Gefühl – nun einer zunehmenden Reife, dem Anspruch, nicht einfach auf der Stelle zu treten oder dem profanen Wunsch nach höheren Verkaufszahlen geschuldet ist, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten. Möglich wäre ja auch, dass alle drei Faktoren eine gewisse Rolle spielen.
Nun denn, obwohl das Wagnis, Neues auszuprobieren, an sich durchaus löblich ist, sind es doch die im traditionellen Kollegah-Stil gehaltenen Songs, die “Bossaura“ hörenswert machen. Seine Stärke sind und bleiben (neben seiner bereits erwähnten überragenden Technik) die verbalen Kurzfilme, die er schiebt und auf die er fast schon ein Patent anmelden könnte. “Rapper sind seltsam/ rappen dass sie Geld ham/ obwohl jeder sieht, ihr Biz läuft schleppend wie Hotelpagen/ die meine Gepäckkoffer voll Geld tragen/ sich hechelnd und schnell atmend hoch die Treppen in Stock elf plagen“ (“Bossaura“). Statt den Mittelweg zu wählen, hätte sich Kollegah also ruhig voll und ganz auf diese Schiene verlassen können.