„Wir ficken deine Kunst – Picasso ist ein Hund!“
„Du hast ein Abitur? Ich hab ein’ Schwanz und er schmeckt“
„Ich schlag dein Schädel auf den Automat und kriege Freispiele“
Und? Nun, der Verfasser dieser Zeilen fühlt sich durch die Gossenhauer des Exgutenjungen durchaus gut unterhalten, muss sich aber unweigerlich die Frage stellen: Lache ich hier mit oder über Saad? Ob nun „Ghetto Baba“, „H.A.L.U.N.K.E.“, „Wer bist du?“ oder einer der anderen, offenbar bewusst asozial gehaltenen Street-Battletracks, die das Gros des Albums darstellen: Als Hörer schwankt man ständig zwischen der Vorstellung eines nach (oder schon während) der Aufnahme verschmitzt grinsenden Saads, der sich der grotesken Überzeichnungen in seinen Texten vollkommen bewusst ist, und der eines uninspirierten Durchschnittsstreetrappers mit noch nicht ganz überwundenen 0815-Ersguterjunge-Reimschemata.
Wenn der „Junge, der den Wagen bei dem Drive-by lenkt“ sich aber selbst als „primitiv wie ein Steinzeitmensch“ beschreibt (aus: „Für die Gangstas“), kann man Saad eine gewisse Selbstironie kaum absprechen, die den meist doch sehr rohen und bisweilen brutalen Texten gerade ihren Charme verleiht. An den Humor anderer derzeit angesagter Straßenrapper kommt Saad jedoch nicht ganz heran: Dafür verliert er sich zu oft in bereits bekannten Phrasen und Hard-Knock-Life-Floskeln („Als wir Kinder waren, hatten wir kein Spielzeug“, “Das Leben hat mich einfach in die Unterschicht gesteckt“), anstatt das zu tun, was man zeitgemässem Straßenrap einfach inzwischen erwartet: Weniger vom steifen Ersguterjunge-Erbe, mehr Augenzwinkern wäre wünschenswert gewesen – Schritte in die richtige Richtung hat Saad ja bereits unternommen.
Ausflüge ins Nachdenkliche wie „Youssef“, ein Song über seinen verstorbenen Großvater, oder der Storyteller „Ein Paar Sekunden“ sorgen für dabei für die notwendige Abwechslung vom mal mehr, mal weniger unterhaltsamen Herumgeprolle. Besonders letzterer überrascht positiv: Über drei Strophen ohne Kitsch oder Übertreibungen erzählt Saad die letztlich tragische Geschichte von dem schicksalhaften Zufall, dass eine Frau unwissentlich mit dem Mörder ihres Bruders zusammenkommt. Natürlich wird im Refrain auf die zu erwartenden Werte gepocht und klargestellt, dass man in solchen Situationen „seinen Mann stehen soll“ – das ist natürlich sehr viel leichter gerappt als getan, stört in diesem Fall aber nicht weiter, gerade weil die Geschichte bis auf die Hook weniger wertend als vielmehr dokumentarisch erzählt wird.
Wenn Saad hingegen auf „Weißt du wie es ist“ in Liebeskummer und Unverständnis zu versinken droht, weil seine Ex ihm nie verziehen hat, dass er „leider ein paar andere gefickt“ hat, kommt man schlussendlich wieder auf die Ausgangsfrage zurück: Was genau meint dieser Mann hier eigentlich noch ernst? Und wo beginnt der bewusst überzeichnende Straßenhumor? So ganz deutlich wird das nicht. Aber vielleicht soll es das ja auch gar nicht.
Musikalisch gelingt Saad neben wenigen Missgriffen, wie etwa der etwas nervigen Stotterhook der Single („Baba Saad“) durchaus der ein oder andere Ohrwurm: Der Refrain zu „Für die Gangstas“ trägt die Power der flotten Geigensamples weiter und auf „Ghetto Baba“ oder „Amphetamin“ ahnt man, dass Saad in Sachen Gespür für livetaugliche Hooks einiges bei seinem stadionfüllenden Ex-Mentor gelernt hat. Der übrigens ist, angenehmerweise, nicht das Ziel diverser Disses, sondern wird, wenn überhaupt, nur mal am Rande vergangener Lebenskapitel des Bremer Libanesen erwähnt.
Halten wir also fest: „Halunke“ ist ein handwerklich gutes, streckenweise sehr unterhaltsames, aber leider auch nicht sonderlich überraschendes Straßenrap-Album. Punkt.