Keule – Schnauze

Mitte 2010 war es, als das neue Projekt von Sera Finale erstmals in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit drang. „Ich Hab Dich Gestern Nacht Auf YouPorn Gesehen“ hieß das Teil und hinterließ so manchen Sera-Fan doch eher ratlos – der rappt ja gar nicht mehr. Noch mehr, der singt ja auf einmal! Und das auch nicht auf HipHop-Beats, sondern auf einem eher rotzfrech rockigen Instrumental. Was soll das denn?

Nun ist ein Jahr vergangen und Keule, so der Name von Seras neuem Projekt, stellen ihr erstes abendfüllendes Album in die Läden bzw. auf die Downloadseiten (natürlich nur die legalen). Der neue Partner an Sera Finales Seite und hauptsächlich für die Musik zuständig, heißt Claus und hat sich vor einigen Jahren mal einen Namen mit der Band ohne Namen gemacht. Band ohne Namen stand für eher dürftigen Rap mit extrem catchigen Melodien, und da sind wir auch schon genau beim Punkt, nämlich: Catchige Melodien. Diesen Faktor bringt Claus nun auch bei Keule ein und da leistet er auf jeden Fall saubere Arbeit. Sei es nun bei besagtem „Ich Hab Dich Gestern Nacht Auf YouPorn Gesehen„, dem eingängigen „Hallo Jesus“ (zu dem es das erste Musikvideo in 3D überhaupt gibt) oder der versoffen-balladesken Coverversion von Rod Stewarts „I am Sailing„, das bei KeuleVaffanculo“ heißt. Die Tonfolgen gehen glatt ins Ohr und setzen sich dort relativ schnell fest, was wiederum das Mitsingen beim zweiten Durchgang ungemein erleichtert.

Nun ist das alles gut und schön, griffige Melodien und frechte Texte. Aber: Rap ist das mit Sicherheit nicht. Warum also besprechen wir die Platte dann hier? Nun, zum einen, weil Sera Finale eben auf eine lange und wechselhafte Karriere als Rapper zurückblickt und vor allem, weil er noch immer eine Herangehensweise an den Tag legt, die ihre HipHop-Herkunft nicht verleugnet.
Nach ein paar Durchläufen gewöhnt man sich ganz gut an das neue klangliche Erscheinungsbild des Ex-Krisenstab/Pflegerlounge/Ostblokk/I Luv Money-Rappers und stellt fest, schau an, schau an, textlich ist das ja doch irgendwo noch im Rap verwurzelt. Erstens, was die freche Attitüde und zweitens, was die Neigung zu Wortspielen angeht. Am deutlichsten kommt dies beim letzten Song „Heike“ zum tragen, in dem Sera eine wahre Wortspielorgie über dem Hörer ausschüttet: „Ich bin eigentlich Bosnier/ aber im Herzen Gowina„, „Dit hier Kosovo zuviel„, „Schönes Frollein, Sizilien gerade mit der Pistole auf mein Herz/ Pnom! Penh!„, „Mein Papa-Neuguinea hat damals schon immer gesagt: New York doch nicht immer den schönen Frauen nach„. Einmal Rapper, immer Rapper.

Ansonsten geht es aber eher wenig raplastig zur Sache. „Die Fluppe danach“ wildert fröhlich in NDW-Gefilden und handelt davon, dass der Protagonist eigentlich nur deshalb Sex hat, damit er hinterher schön eine Kippe rauchen kann. Hehe. 
Kasse 5“ wiederum erinnert nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich ein wenig an die Ärzte, schließlich hatten die ja mal ein Lied für die Kassiererin von Kasse 3 geschrieben. Zeilen wie „Ich weiß du bist gestresst/ wenn du Fresse ziehst, weil ich den PIN vergess“ bringen die Keule-typische (und titelgebende) „Schnauze“ gut auf den Punkt: Immer ein bisschen frech, immer ein bisschen ironisch, immer ordentlich frotzelnd, aber nie bösartig. Eben genau die Tonlage, die in Berlin Stanni ist, Dicker.
Überhaupt ist „Schnauze“ in weiten Teilen eine gelungene Vertonung des Berliner Lebensgefühls, also  irgendwo zwischen durchsoffenen Nächten in Eckkneipen und Hundehaufen am Straßenrand.

Das Lebensgefühl, das Keule in Songs wie „Nur für dich„, „Schweig mich nicht so an“ oder das ebenfalls NDW-infizierte „Sternies“ („Ich hol dir alle Sternies vom Himmel„) verbreiten, ist locker, lässig, bodenständig und mit konstant hohem Trashfaktor . Und wenn Sera dann in „Die Eier“ beschwingt singt „Komm leck mir doch die Eier/ sag mir ob sie salzig sind/ denn ich selber weiß es nicht„, dann dürften sich auch eingefleischte Rapfans – zumindest inhaltlich – fast schon wieder wie in ihrem (und unserem!) Lieblingsgenre fühlen.

Wohlwollend betrachtet erweitern Keule mit dieser Platte das HipHop-Spektrum um ein weiteres Teilstück und beweisen, dass auch NDW-artiger Pop mit deutschen Texten durch Rapeinflüsse nur besser werden kann. Kann man mal machen. Ist äußerst unterhaltsam, auf jeden. Darauf ein Sternie, Alter. Prost!