Brotha Lynch Hung – Coathanga Strangla

Lange, lange ist es her, dass man ein Rap-Album ohne rot zu werden als Meisterwerk, geschweige denn als Klassiker bezeichnen konnte.
Letztes Jahr war es dann mal wieder soweit. Der erste Teil von Brotha Lynch Hungs Album-Trilogie, „Dinner And A Movie“, übertraf alle Erwartungen und war so etwas wie die Neugeburt des Garden Blocc(Sacramento)-Urgesteins und Vaters eines Stils, der später als Horrorcore bekannt werden sollte.
GBC
gilt als eine der am dichtesten mit Rappern bevölkerten Hoods in den USA. Bei der dort herrschenden, riesengroßen Konkurrenz war man demnach ohne herausragende Fähigkeiten, ohne eigenständige Flows und Lyrics hoffnungslos verloren. Schon früh tat sich Lynch hervor mit seinen haarsträubenden, jegliche Political Correctness ignorierenden, vor Blut und Gedärmen strotzenden Bilderwelten. Das Ganze mit einer unverwechselbaren Stimme auf technisch hohem Niveau vorgetragen. Inmitten des Gemetzels aber auch immer wieder mit Momenten, die in sein Innerstes blicken ließen und den wahren Menschen und Vater Kevin Mann zum Vorschein brachten.Nach einer ersten Hochphase seiner Karriere 1995, die in dem Gold-Release „Season Of The Siccness“ auf dem Kult-Label Priority gipfelte, hatte Lynch mit seinem nächsten Label Blackmarket kein Glück.
Verarscht und um Kohle betrogen zog er sich nach dem 2003er Album „Lynch By Inch“  etwas zurück, wobei er dank zahlloser Features, Mixtapes und Produktionen für befreundete Rapper nie wirklich ganz von der Bildfläche verschwand. Nur auf ein großes Album musste man bis zum vergangenen Jahr warten. Dann die Explosion! Ausgestattet mit allen Freiheiten und einem ordentlichen Budget seitens seines neuen Labels Strange Music, präsentierte sich der Coathanga Strangla als von der Leine gelassener Kampfkoloss und sorgte für ein Gänsehaut-Inferno der besonders herausragenden Art.

Nun also der heiß erwartete zweite Teil der Album-Trilogie um einen aufstrebenden Rapper aus Sacramento, der Nachts als sein Alter Ego auf Menschenjagd geht. Dabei wird das hörspielartige Konzept weitergesponnen und zur Untermalung des Ganzen wieder durch drei Videos flankiert, wobei dann am Schluss der Trilogie alle neun Videos zusammen eine zusammenhängende Story ergeben sollen.

Und um ohne große Umschweife gleich auf den Punkt zu kommen: der Wahnsinn geht weiter! Geboten wird spannendste Unterhaltung auf Blockbuster-Niveau. Ein Album wie aus einem Guss. Ein Höhepunkt jagt den Nächsten. Getrost kann man den Schalter auf Repeat stellen und sich für ein paar Stunden in die Welt von Spidey beamen lassen, ohne dass auch nur eine Sekunde Langeweile aufkommen würde. Dabei muss man sicherlich kein Freund seiner Textinhalte sein, um die überragende Qualität seiner über jeden Zweifel erhabenen Flows & Patterns und der Produktionen, welche zum Großteil auf das Konto von Michael“Seven“Summers gehen, zu würdigen. Gleich der erste Song, “The Coathanga“, sorgt für eine Atmosphäre, die das Herz eines jeden Liebhabers gefährlicher Rap-Musik höher schlagen lässt. Ein ultra-fetter Kocher-Beat, dazu ein Lynch in gewohnter Top-Form, der überhaupt nicht zu Späßen aufgelegt ist :

I caused enough blood that you could fill pools with“ oder: „..my brandnew recipe: open your chest like Open Sesame“.

Die Gangart wird in den nun folgenden Songs dabei noch einmal deutlich härter und gipfelt in Aussagen wie:

Spit so nasty my teeth don’t look bright. Fuckin’ dead bodies at night“ oder: „Still havin’ abortions nigga I don’t need babys. And I don’t eat babys!“ (aus dem brachialen „Look It’s A Dead Body„)

Mit dem ersten ruhigeren Track, „Sooner Or Later“, gibt uns Lynch dagegen wieder mal einen dieser äußerst intensiven Einblicke in sein Seelenleben, wenn er ein ewiges Dilemma auf den Punkt bringt:

Sooner or later I’ma just give up. This ain’t love, love is different. I ain’t feelin’ it! …Yes I am…

Von der guten alten Liebe scheint der Ripgut Mc in der Vergangenheit nicht gerade verwöhnt worden zu sein, und es stimmt einen schon traurig, wenn man später in “I Don’t Think My Momma Ever Loved Me“ Sätze hört wie:

She didn’t even hug me, tackled me like Rugby. I don’t give a fuck, I’m just tired of being lonely.

Laut zweier sehr erhellender Interviews im US-Magazin Murder Dog sowie auf bloody-disgusting.com, verbrachte er seine gesamte Kindheit alleine, Horrorfilme-guckend vor dem Fernseher, während seine Mutter und sein Stiefvater dem harten Drogenkonsum frönten.

My mom was doing drugs and so was her husband, which is my step dad…. I would wake up in the middle of the night and smell that same smell which was not normal. […] I’m an only child so I used to watch horror movies in my room by myself all the time. And I’ve been watching them all the way up to now.

Dieser frühen Leidenschaft für Horrorfilme scheinen nun viele seiner Texte Rechnung zu tragen, weniger dem Umstand, schocken-, oder besonders hart wirken zu wollen. Dabei ist alles natürlich auch als Statement zur aktuellen Lage im Rap zu sehen und jeder Part wie ein Stich ins Gesicht aller satten, langweiligen und behäbigen MCs, wobei manchem der teilweise inflationäre Gebrauch von Wörtern wie „Siccness“, „Machete“, oder „Nuts & Guts“ unangenehm auffallen könnte, allerdings sei dabei festgestellt, dass dieses Vokabular seit jeher zum Markenzeichen von Brotha Lynch Hung gehört. Ein James Bond wird auch nicht auf einmal Kombucha bestellen oder seine Arbeit mit der Steinschleuder verrichten, nur um besonders innovativ zu wirken und so problematisch man das ganze Schlachten, inklusive Negativ-Einfluss auf labile Zeitgenossen, auch sehen mag, am Ende des Tages ist es Entertainment, das genauso seine Daseinsberechtigung hat wie ein Saw– oder Hostel-Streifen.

Entertainment, das nicht wegen seiner Drastik oder der eisernen Konsequenz beeindruckt, sondern wegen der Klasse, mit der das Ganze dargeboten wird.
Man könnte weiter seitenweise schwärmen von den endlosen Reimketten, unberechenbaren Flow-wechseln, kultigen Sprüchen und den Beats, für die das Wort maßgeschneidert erfunden worden zu sein scheint. Auch die recht vielen Featuregäste wirken sich alles andere als störend auf den Fluss des Albums aus. Besonders G-Macc und First Degree mit ihren unnachahmlichen, hochkomplizierten Flows und natürlich der Chef aller Rapper, Tech N9ne, stechen da noch mal heraus. Letzterer liefert in dem alles zerstampfenden „Taking Online Orders“ einen Flex-Part nahe der Schallgrenze ab. Wie gesagt, Grenzen gibt es auf diesem epischen Werk allgemein keine, selbst auf die schon auf dem letzten Album angesprochenen Zweifel ob der wirklichen Verbesserung seiner Lebensumstände durch sein Signing bei Strange Music, setzt er nun noch einen obendrauf:

Even in my new situation I’m strugglin’, feelin’ like nobody on the label even trust me.“ (aus „I Don’t Think My Momma Ever Loved Me“)

Diese ständigen Zweifel und seine selbstreflektierenden Gedanken sind es, die Mannibal als alles andere als eindimensionalen Charakter zeigen und die Auseinandersetzung mit seiner Musik so interessant machen. In einer Hinsicht jedoch wird er immer eindimensional bleiben. So erklärt sich Lynch in besagtem Murder Dog Interview:

For one, I hate a rapper who clings onto something that is hot… I love music so much that I want to top everything else, even though I may not get the commercial success…There ain’t nothing wrong with doing it for the money because that was their side of the fence, but with me I am gonna stick right here doing what I do whether I make a lot of money or not.

Aus diesem Holz sind Helden geschnitzt.