Na da wurde uns mit dem regnerischen Herbstwind ja eine feine Kleinigkeit aus Übersee auf den Redaktionstisch geweht. Wer nach diesem Einleitungssatz gleich mit den Worten: “Ach, das ist bestimmt wieder so ein zweitklassiger Amirap von irgend einem unbekannten MC.“ abwinken mag, der irrt gleich doppelt. Classified ist zwar Nordamerikaner, stammt aber aus Kanada und zweitklassig ist eindeutig das falsche Wort um “Self Explanatory“ zu beschreiben. Eigentlich ist es sehr schade, falls man auf seinem Weg durch den Hip Hop Kosmos, noch nie etwas von dem aus Enfield, Nova Scotia, stammenden Classified gehört haben sollte. Immerhin ist mit “Self Explanatory“ bereits das zwölfte Studioalbum des 32-Jährigen erschienen. Aber ich gebe es zu: Ich kannte ihn vorher auch nicht.
In Kanada kam die Platte bereits im letzten Jahr auf den Markt, bei uns ist “Self Explanatory“ erst seit dem 3. September 2010 erhältlich. Mit der Gewissheit im Rücken, dass aus Kanada noch nie wirklich weaker Rap gekommen ist, widmen wir uns dem Longplayer mit einer gewissen Erwartungshaltung.
Leicht zu klassifizieren ist Classified auf “Self Explanatory“ wahrlich nicht. Zwar sind fast alle Tracks im Kern Rap, dennoch umgibt viele Songs eine Art Zweitgenre. Dieses Album besitzt ein Mehr an verschiedensten Einflüssen, wie zum Beispiel R’n’B, Jazz, Soul, Synthie aber auch Boom Bap, die sich auf der 22 Track starken LP wiederfinden. Immer, wenn man sich gerade auf einen Stil eingeschossen hat, wird man in ein neues Becken mit eiskaltem, kanadischen Wasser geworfen. Ist ein bisschen so, als ob man am Radio rumspielt und die Sender wechselt. Viele Tracks liegen zudem im Bereich von zweieinhalb Minuten, was diesen Effekt noch verstärkt. Die sechs “CYOA“ (Choose Your Own Adventure)-Skits steuern zusätzlich immer wieder neue Einflüsse bei, denn die meistens, mit einem Rockriff eingeleiteten netten Unterbrechungen, sind eine Mischung aus Gesprochenem und Break-, oder Oldschoolbeats.
Auch über zu wenig Inhaltliches kann man sich auf “Self Explanatory“ zum Glück nicht beklagen. “Up All Night“, ein sehr melodischer, von klassischen Komponenten geprägter Track, der in vier Minuten die Geschichte des MC’s vom Kind zum Mann erzählt. Der eine oder andere wird sich in diesem Lied vielleicht wiedererkennen. Achtung: Deep!
Ein kleines Stück U.S.A. steckt in der kanadischen Platte dann doch, denn Royce Da 5’9 und B.o.B. kommen für zwei solide Gastauftritte auf “They Call This (Hip Hop)“ aus Detroit und North Carolina vorbei. Dieser Track passt ohnehin gut in das umfangreiche Konzept des Albums, das neben Bragging and Boasting auch noch jede Menge Respekt an große Alben der US-amerikanischen Rapgeschichte gibt.
Wer genau hinhört, merkt, dass zum Beispiel im “Selfexplanatory“, dem Intro, Teile aus “Classic“ von DJ Premier gesampelt wurden. Auch in “Anybody Listening“ hört man deutlich einen gesampelten, singenden Phil Collins heraus. Es gibt auf “Self Explanatory“ also genug Liebenswertes zu entdecken, was den Oldschoolern ein Lächeln ins Gesicht zaubern dürfte.
Was alle Tracks auf “Self Explanatory“ gemeinsam haben, ist, dass sie gute Laune machen – Sonnenschein Hip Hop par excellence. Auch wenn sich hier extrem viele verschiedene Einflüsse miteinander vermischen, kann man vielen Liedern etwas Positives abgewinnen, sei es durch Inhalt, Ausdruck oder einen der 13 Featuregäste. Die größte Stärke, die Vielseitigkeit, ist zugleich aber auch die größte Schwäche des Albums, denn einen roten Faden sucht man vergebens. Wer bis jetzt noch gar nichts mit kanadischem Rap zu tun hatte, sollte vielleicht doch lieber auf die nächste Platte von DL Incognito oder Drake warten, da diese Herrschaften eindeutig klassischeren, mainstreamigeren kanadischen Rap zu bieten haben. Alle experimentierfreudigen Hip Hop Heads hingegen, sind beim nächsten Weg durch den stürmischen Herbst gut mit einem Umweg zum Plattendealer ihres Vertrauens beraten, um Classified’s “Self Explanatory“ in ihre Sammlung aufzunehmen.