Young M – Stereo

Es reicht. Jetzt reicht es wirklich. Man bekommt in Pressetexten ja immer wahnsinnig viel versprochen, gerade bei jungen, bisher eher unbekannten Künstlern. Das Interesse der Pressevertreter soll auf Teufel komm raus geweckt werden und da spricht man auch gerne mal vom nächsten großen Stern am Musikhimmel.
Eigentlich liest man diese Pressetexte nicht unbedingt. Man überfliegt sie nur, wenn man wirklich keine Ahnung hat, um wen es sich bei diesem Release handeln soll. Oder wenn man nach Alternativen zur wiederholten Nennung des Künstlernamens sucht. Zum Beispiel "der ehemalige Student“ oder "der gebürtige Vietnamese“. Was soll ich sagen… Der Waschzettel zu "Stereo“, dem ersten Album von Young M hat es mir richtig angetan. So etwas komplett größenwahnsinniges und unsympathisches habe ich in meiner gesamten rap.de-Zeit noch nicht in den Händen gehalten und ich bin… Nun ja. Zumindest fehlen mir eigentlich nicht unbedingt die Worte.
 
Wer ist Young M, werdet ihr euch fragen. "Europas neueste Hip Hop Errungenschaft“, die durch eine "einzigartige und rebellische Persönlichkeit“ besticht und "für einigen Wirbel“ in der deutschen Hip Hop- und Popmusik Szene sorgen wird. Das prophezeit uns zumindest sein Manager, Chef und Produzent Florian "Day Diz“ Moser, der sich selbst auf der MySpace-Seite seines Künstlers bescheiden als "euroaustralisches Rapidol“ bezeichnet. Der Labelboss der "Moser Music Group“ kommt zwar nicht aus Australien sondern aus Austria, aber hey. Kann man mal verwechseln. Besonders wenn man so international unterwegs ist.
 
Ebenfalls positiv hervorzuheben sind an dem hier vorliegenden Werk die "eindrucksvolle Liste an Gastauftritten“, die Szenegrößen wie Katrin Dorfmeister bereit hält, sowie der mit "spielerisch klingenden Reimen“ verfeinerte Sound, der dahingehend ausgelegt ist, "dass die Single sich in den obersten Reihen der deutschen Charts platzieren kann“. Tja. Hat nicht so geklappt. Aber macht nichts. Wird alles noch. Schließlich ist Young M mit seinem "frechen und spielerischen Charakter“ etwas ganz Besonderes. Etwas Wegweisendes. Wenn nicht sogar "die neue Spezies eines europäischen MCs“.
 
Und dann legt man die CD ein.
 
Natürlich kann Young M derartige Versprechungen nicht erfüllen. Ein bisschen so, als würde man den neuen Angelina Jolie-Film mit expliziten Sexszenen anpreisen und dann trägt die Hauptdarstellerin während der gesamten zwei Stunden einen Rollkragenpullover. Wie ärgerlich, nervig, uninspiriert und fernab jeglicher aktuellen Entwicklungen im Rap sich die Platte allerdings tatsächlich darstellt, überrascht dann doch. 
 
Der Junge rappt von einem Lifestyle, den er mit seinem Rap, in seinem Umfeld, in seiner Sprache niemals erreichen wird. Das ist so Amirap im Jahre 2000 verblendet, dass man ihn schütteln und anschreien möchte.
Wir befinden uns hier im deutschsprachigen Raum. Das ist kein wahnsinnig großer Markt. Die Leute kaufen sowieso kaum noch CDs, warum sollte das hier anders sein? Wer will hören, dass Young M jetzt endlich von der Musik leben kann und ein "Imperium“ aufbaut, wenn  doch jedem ansatzweise realistischen Hörer von vornherein klar ist, dass der Traum in spätestens zwei Jahren ad acta gelegt werden muss?
 
Eigentlich sollte mir das Leid tun, schließlich sind Träume ja nichts verwerfliches und wenn jemand Freude an dem hat, was er tut: Wer kann es ihm übel nehmen? Aber dann sehe ich dieses Cover, auf dem Young M mit Schnute, hochgezogenen Augenbrauen und "Tscheah, Boooooi. Ich bin so fresh. Babyguuuurl shake mal dein’ Ass hier rüber“ Pose auf einem Sofa sitzt und ich werde wütend. Unfassbar wütend. Währenddessen quäkt mir irgendwas Autotunemäßiges ins Ohr. Vielleicht ist es auch kein Autotune und klingt einfach nur nervig und verzerrt. In jedem Fall handelt es sich um den Chorus des als Hitsingle angepriesenen Tracks "Stereo“, der genau so klingt wie "Zeitlupe“ ("Hey Baby Baby, du bist so crazy crazy“), "Fly“ mit Day Diz-Feature und "Heim Zu Mir“. Letzterer Track besticht durch eine Abschlepp-Geschichte der ekligsten Sorte, die noch nicht mal eine richtige Geschichte darstellt, weil eigentlich nichts passiert. Außer dass Young M jede, aber auch wirklich jede Partybitch mit zu sich nach Hause nimmt und dann eben auch mal die ein oder andere bei ihm anruft und fragt, was das eigentlich soll. Natürlich antwortet der versierte Playboy darauf nonchalant bis anzüglich, was die Damen der Schöpfung dazu bringt, dem "Arschloch!" gegenüber ausfallend zu werden. Absolut unauthentisch anmutende "Telefonmitschnitte" – ein weiterer Behindertness-Faktor dieses Lieds.
 
Weil der junge Künstler aber eigentlich gar nicht so ein Arschloch ist, wie er immer tut, folgt auf dem Fuß auch der Song für die Ladies. Im Presstext liest sich das dann wie folgt: "Stunden, Tage, Nächte’, welches besonders bei der Frauenwelt sehr gut ankommen wird“.
Ehrlich gesagt, finde ich das wahnsinnig beleidigend und verallgemeinernd. Warum, warum bitte sollten alle weiblichen Wesen vor Begeisterung in die Hände klatschen, wenn ein Musiker in einem Lied darüber spricht, eine Frau zu vermissen, während diese auf ihn wartet und sich pseudosoulig durch die ausgelutschte Hook seufzt? MIT AUTOTUNE!
Warum er seine Freundin im übrigen warten lässt, wird nicht wirklich ersichtlich. Vielleicht hatte der Bus Verspätung, in dem er die ganze Zeit durch die Gegend fährt und Gedichte schreibt. Man weiß es nicht. Will man es überhaupt wissen? – Nein.
 
Diese gesamte CD ist ein durchgestyltes, im Grunde aber unterirdisches Produkt, das einerseits mit peinlichem Ami-Swagger made in Österreich daher kommt, andererseits aber auch an schlechte Disco-R’n’B-Castingshow-Gewinner erinnert.
Großraumdisco-Sound für die Leute, die sich für Jimi Blue zu alt fühlen. Ein bunter Strauß aus allem, was man bei US-orientierten MySpace-Rappern schon immer peinlich fand, garniert mit jeder Menge glatter 0815-Produktionen und Autotune. Lassen wir es uns noch mal auf der Zunge zergehen: Autotune. Da gibt’s auch keine Sympathiepunkte für den obligatorischen Track "in welchem es um die zweite Liebe in seinem Leben, neben der Musik, geht, nämlich um seine Mama“. Egal ob sich das alles inhaltlich eher nachdenklich, Representer-mäßig oder dann doch für den Club ausgelegt ist – es gibt keinen einzigen Track, den ich guten Gewissens gut finden kann.
 
Tut mir Leid für Young M. Wirklich. Aber das mit dieser Musik… Also. Vielleicht sollt er noch mal drüber nachdenken und auch die gesamte Moser Music Group… Einfach nochmal drüber schlafen.