Die Arche & Mellowvibes – Deutschlands Vergessene Kinder 2

Eigentlich müsste man den zweiten "Deutschlands Vergessene Kinder“-Sampler umbenennen. Schließlich sorgte die immense Marketing-Maschinerie bei der ersten Compilation zugunsten des Arche HipHop Projekts dafür, dass die Einrichtung im Berliner Stadtteil Hellersdorf nahezu täglich von Journalisten aus allen Ecken dieses Landes belagert wurde. Von "vergessen“ kann somit keine Rede mehr sein. Trotz der großen medialen Aufmerksamkeit hat sich an den Lebensumständen der jungen Menschen nicht viel geändert, deshalb gibt es nun CD Nummer Zwei aus dem Hause Mellowvibes. Aus rund 100 eingesandten Tracks wurden 20 ausgewählt und auch dieses Mal wurde Wert darauf gelegt, die Palette an Künstlern und Songkonzepten möglichst breit zu fächern.

Das ist ein edles und gutes Vorhaben. Es schleicht sich aber bei karitativen und thematisch eindeutig konzeptionierten Samplern doch zumeist innerhalb kürzester Zeit unfassbare Langeweile ein. Natürlich fühlt man sich dabei schlecht, schließlich geht es um einen guten Zweck und man sollte die Augen vor dem Leid auf dieser Welt nicht verschließen. Trotzdem kommt man nicht umhin, irgendwann zu schreien "Ja, ich weiß! Den Menschen geht es schlecht, aber ich kann es nicht mehr hören!“. Natürlich gibt es auch bei "DVK2“ Dopplungen. (Diese Abkürzungen bei Albentiteln haben sich jetzt übrigens schleichend, aber auch unfassbar beharrlich eingebürgert. Auch wenn es immer, absolut immer dämlich klingt, sich ausschließlich in unzusammenhängenden Buchstaben zu artikulieren) Natürlich wird auch hier stellenweise in sehr einfachen und abgeschmackten Bildern gesprochen. Von Kindern, die kein Licht mehr sehen und die sich quasi hilflos ihrem Schicksal ergeben müssen ("Es ist der Abstieg in ein Loch, einen Bezirk voller Regen“, Voll K), und reichen Menschen, die in Bezirken wohnen, wo es immer hell ist, weil den Menschen dort die Sonne aus dem Arsch scheint und sie gefälligst etwas abzugeben haben ("Someone who can always do almost anything/Well, guess what, you could take responsibility“, Emine Bahar). Trotzdem gelingt der Spagat zwischen gutem Zweck und guter Musik an vielen Stellen absolut mühelos – egal ob es sich beim verantwortlichen Künstler um einen etablierten Altmeister oder einen bisher eher weniger bekannten Musiker handelt.

Während Familienvater Harris absolut authentisch darüber spricht, wie man sich als Elternteil verhalten sollte ("Ich Sehe“) und das ungleiche Paar Prinz Pi und Basstard in plastischen Bildern "Regentage“ berappen, übt sich Curse in seiner Paradedisziplin: dem Betroffenheits-Rap. In "Kein Leben“ skizziert der Mindener die Geschichte einer selbstmordgefährdeten Freundin, ohne dabei den unseligen, zweifelhaften "Trend“ des Ritzens auszusparen, der oftmals in eine direkte Autoaggressions-Karriere führt. "Wie, du bist im Krankenhaus? Wie es sieht nicht gut aus? Welche Badewanne, wo lief Blut raus?/ Wer hat dich wo gefunden, was stand in dem Abschiedsbrief? Wie, du hast mich krass geliebt?“ endet der Track und lässt den einen oder anderen Selbstmitleids-Maniac sicherlich mit jeder Menge Fragen an sich selbst zurück.

Die Firma hingegen setzt sich selbst "Masken“ auf und porträtiert somit eine ganze Generation, die sich nach Außen hin verzweifelt unantastbar gibt, um im Haifischbecken des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft nicht vollkommen zerfetzt zu werden: "In der hintersten Ecke der Erinnerung, berührt etwas die Wunde und dreht den Finger um/ Und statt dem Wunsch, dem auf den Grund zu gehen, steht nur die Angst vor dem Ertrinken und dem Untergehen“. Ebenfalls überraschend intensiv gestaltet sich "Verwandtschaft“ des Herrn von Grau. Ein Track, der geradezu ekelhaft detailversessen und beklemmend den Teufelskreis einer zerrütteten Familie zeichnet, während sich der Düsseldorfer Olson Rough in "Glaubt Mir“ auf die Rolle eines unfähigen Vaters beschränkt, der die Tristesse des Alltags in Alkohol ertränkt.

Zwischen den Tracks, die auch Gastbeiträge von unter anderem Olli Banjo, Cassandra Steen, F.R., B-Tight, Fuhrmann, Hammer & Zirkel und Mädness enthalten, sind übrigens elf Skits gestreut, in denen, zwischen all den persönlich und emotional erzählten Geschichten und Eindrücken der Künstler, die harten Fakten der Kinderarmut vorgetragen werden. Wenn einem die Stimmen bekannt vorkommen sollten, dann ist das kein Zufall: Es handelt sich hierbei um die Synchronsprecher von Will Smith, Bruce Willis, Michael Douglas, John Travolta und anderen Hollywood-Stars, die sich ebenfalls absolut unentgeltlich an dem Projekt beteiligten.

Insgesamt ist "Deutschlands Vergessene Kinder 2“ ein in sich absolut runder und abwechslungsreich gestalteten Sampler, der nicht nur von den Rappern und Sängern, sondern eben auch von den Produktionen von NHT, Brisk Fingaz, Jay Baez, 7inch, Daniel Sluger, Serk und Kollegen lebt. Natürlich muss man mehr als einmal skippen und letztendlich ist es auch mir leider nicht möglich, mir all dieses Leid und diese Hoffnungslosigkeit am Stück zu geben. Trotzdem. Das Grundthema wird vielseitig beleuchtet und man ist geradezu dazu gezwungen, folgende abgeschmackte Floskel zu schreiben: Es ist wirklich für jeden was dabei. Dementsprechend Daumen hoch, dafür gibt’s fünf Punkte.