Massiv – Der Ghettotraum in Handarbeit

Mann, ist der wütend. Schon das Intro verrät dass Wasiem Taha wirklich sauer ist, ein Grund-Thema, das auf dem gesamten Album “Der Ghettotraum in Handarbeit“ weiter verfolgt wird. Im Intro gibt Massiv einen kurzen Überblick auf seine bisherigen Karriere-Stationen, der Junge aus Pirmasens, das "Ghettolied“, die Schweine von Sony BMG, die Schüsse in Neukölln, die Schweine von Sony BMG, die ihn nicht mehr haben wollen und das neue Album. Knallt ganz gut. Auf diesen pompösen Streicher-Beats kommt die Stimme des großen Bruders (nicht im Orwell’schen Sinne) gut zur Geltung.

Auf dem zweiten Track "Welcome to the Ghetto“ schafft Massiv dann etwas, was leider viele Straßenrap-Kollegen noch immer nicht so wirklich auf die Reihe bekommen haben, nämlich das Beschreiben des Ghettos als Mikrokosmos, also nicht nur "Ich sehe Tränen aus Beton und die Wut auf den Straßen“, sondern richtig detaillierte Bilder.
Sein Sprachfehler wird hier zum Stilmittel und schafft den Eindruck von etwas nicht Komprimiertem, und auch die etwas holprigen Reime helfen, das Bild eines wütenden jungen Mannes, der einfach nur Realitäten abbilden möchte, zu zementieren. Ein bisschen schade ist es, wenn dann aber, offensichtlich des Wohlklangs wegen, Dinge wie "Guck, wie das LSD deinen Körper zerreißt/ das ist meine vierte Platte, das ist der Ghettotraum in Handarbeit“ gerappt werden. Warum sollten sich Gangster mit einer mittlerweile bedeutungslosen (ja, es sei denn, du gehst auf Goa-Parties, ja, da nimmt man LSD, ja, Entschuldigung) zudröhnen? Die in "Welcome to the Ghetto“ beschriebene Anhäufung aus Messerstechern, drohenden Hochhäusern und Kampfhunden dürfte auf Acid für einen beachtlichen Horrortrip sorgen.

Auf "Eiszeit“ präsentiert Massiv dann das neue, alte Dreamteam, nämlich ihn und seinen ehemaligen Mentor und Ex-Labelchef MC Basstard. Allerdings ist die Rolle des Horrorkore-Rappers auf eine gekreischte Hookline beschränkt, während Massiv zeigt, dass er sich tatsächlich technisch weiter entwickelt hat. Das ist jetzt nicht höchstes Niveau, aber doch solide. Das Problem ist nur, dass der Beat wahnsinnig stressig ist und dass die unstete Thematik das Hören ein bisschen erschwert.

Die nächsten Lieder werden dem geneigten Fan bestimmt Tränen in Augen treiben. Alles gut produziert, entzieht sich aber ein bisschen meinem Interesse, weil das dann doch zu eintönig und zu assoziativ ist, und zu viel "Klickidiklack“-Geräusche und so.

Bei "Oberarme angespannt“ wird man dann wieder etwas hellhörig,  denn der Boss der Bosse, ja genau, Kollegah, gibt sich die Ehre. Massiv merkt man auf jeden Fall die Motivation an, mit Kollegah rap- und sprüchetechnisch mithalten zu wollen. Schafft er nicht ganz.
Kollegah dagegen wieder mit gut gemachten um die Ecke-Reim-Rätseln: "Deine Ehe geht in die Brüche wie Röntgenstrahlen“, 10 Sekunden überlegen, Aha-Effekt.
Ein weiterer prominenter Feature-Partner ist sido, der auf dem Track "Das ist die Straße“ vertreten ist. sido, mittlerweile zum "KRS-One des Deutschrap“ mutiert, gibt den motivierten Teacher, Massiv den hungrigen Jungspund. Passt.

Wirklich unangenehm wird es dann bei Track 10, "Sternenstaub“. Vielleicht geht mir jeder Sinn für pathetische Romantik ab, aber das ist ist so schwül (mit „ü“, jawoll) und verkitscht, mit gesungener R’n’B-Hook und Wörtern wie "Sternenklavier“ und Chipmunk-Soul. Hier wäre es wirklich schöner gewesen, wenn Massiv die Detailfreude, die er in "Welcome to the Ghetto“ an den Tag gelegt hat, auch hier angewendet hätte. So endet die Beschreibung der Geliebten nur in leeren Phrasen, zumindest kommt es beim Hörer so an. Brrr.
Dann Titeltrack. Auch Chipmunk Soul, aber gut gerappt. Das ist wahrscheinlich der Massiv, den man bei Sony BMG haben wollte; ziemlich wütend, selbstbewusst und gefährlich. Eigentlich schade, dass ihn diese Wut nicht schon bei "Meine Zeit" packte, wahrscheinlich hätten die Hörer über ein  "MAS Techno" leichter hinweg sehen können.

Beim letzten Track "Al Massiva kommt“ beantwortet Massiv gemeinsam mit Beirut die Frage, was denn aus der Bewegung Al Massiva geworden ist. Zwar ist es schön zu hören, dass Massiv seine Bewegung auch für "Gangster, Rapper, Bänker, Skater, Sprüher“ offen halten möchte, ob die Bewegung aber tatsächlich auf die letzten drei Gruppen übergreifen wird, ist eher fraglich. Aber hier wird niemand ausgeschlossen, da kann jeder mitmachen. Das ist erfreulich.

Insgesamt ist "Der Ghettotraum in Handarbeit“ die logischste Konsequenz, die man nach einem Rausschmiss/Trennung und mit einem neuen Label ziehen kann. Es ist ein energiegeladenes, aufgebrachtes Album auf dem wütend gegen Sony BMG geschossen wird und ein gewisser Pan wird sich wahrscheinlich denken: "Habe ich doch gleich gesagt“.
Leider ist das Album auch diesmal stellenweise unterträglich kitschig, was durch die pathetischen Beats leider nur verstärkt wird. Naja, Blut gegen Blut 2 kommt ja auch demnächst, mal schauen, was wird.