Endlich wurde die Marktlücke entdeckt: Echte Straßenmusik für den depressiven Kleinkriminellen vom Block SLASH Knast. Darauf hat die Szene SLASH Welt gewartet. Zumindest bei der Namensgebung für Jonesmanns Label SLASH Labelsampler müssen diese Gedankengänge eine dominante Rolle eingenommen haben, auch wenn der durchschnittliche Zuhörer SLASH Käufer inhaltlich kaum Unterschiede zu vergleichbaren Konkurrenzprodukten ausmachen dürfte. Da die Erwartung, dass mit jeder Veröffentlichung neue Räder erfunden werden, gleichermaßen unsinnig wie utopisch ist, soll an dieser Stelle über den absoluten inhaltlichen Stillstand hinweggesehen werden und der Fokus auf die musikalische und lyrische Umsetzung verschoben werden.
Diese fällt dann leider höchst wechselhaft aus, was vor allem auf die Qualitäten der einzelnen Künstler rückführbar ist. Blaze und Criz schaffen es zwar nicht, sich durch einen eigenständigen Stil von der breiten Masse abzuheben, hinterlassen jedoch vor allem auf ihren Solotracks einen ordentlichen Eindruck. Jonesmann bestätigt in Einzelfällen die Form von "4 Fäuste für ein Halleluja" und kann mit ordentlichen Versen punkten. Yassir liefert eine solide Vorstellung ab und zeichnet für zwei Highlights der Platte verantwortlich ("Es ist Zeit" und "Schon wieder"; Anmerkung des Verfassers: Referenzrahmen hierfür sind natürlich die restlichen Anspielstationen). Dagegen ist Haftbefehls "Leistung" schlichtweg indiskutabel. Der sprachlose Rezensent fragt sich, was einen gestandenen Künstler wie Jonesmann antreibt, einem derart talentfreien Kleinkriminellen eine Plattform zu bieten. Wenn dieser Haftbefehl auf der Straße gefeiert wird, dann doch nur, weil er noch weniger begabten Möchtegern-Rappern ein Rollenmodell bietet, das es in Ermangelung sämtlicher Talente zu etwas gebracht hat. Deshalb kauft man aber keine Platten, sondern müllt Labels mit halbgaren Demos zu. Selbstverständlich möchte ich Ihnen eine Kostprobe von Haftbefehls Können am Beispiel des Tracks "H.A.F.T." nicht vorenthalten: "Ich kann von einer Meile sehen, dass du nur blendest/und auch, dass deine Breitling-Uhr gefälscht ist." oder "Ich geb ein Interview und spuck in die Kamera/jag Paparazzi mit dem Tomahawk/was für ’ne Frage, klar bin ich Straßenchab/zwei Meter groß, dicker Schwanz und schwarzes Haar." Gepaart mit einer Kombination von Flow und Ausstrahlung, die seinerzeit selbst einem Oli P die Schamesröte ins Gesichte getrieben hätte. Das ist zwar echt, aber eben auch echt scheiße!
So sind dann auch dank Haftbefehl gleich acht von 19 Tracks ungenießbar, wobei zu dessen Ehrenrettung erwähnt werden sollte, dass sich das höchst langweilige Intro "Fahne hoch" auch ohne seine Präsenz zu einem Rohrkrepierer ungeahnten Ausmaßes entwickelt hat. Die telefonische Zeitansage mutet spannender an, als die Strophen, die Jonesmann, Criz, Blaze und Haftbefehl über einen schwachen Sti-Beat zum Besten geben. Wer fühlt sich dadurch wirklich ernsthaft dazu animiert, dieser Platte eine Chance zu geben oder sie sogar zu kaufen? Rezensenten natürlich ausgenommen!
Dabei beherbergt "Kapitel 1: Zeit für was echtes" durchaus den einen und anderen Hinhörer. In diesem Zusammenhang weiß besonders Criz‚ und Jonesmanns wundervoll authentisches Stück "Mensch" zu überzeugen, auf dem die Künstler einen Einblick in das Leben abseits der Rapkarriere gewähren und dabei herrlich erfrischend auf haftbefehlsche Gangster-Plattitüden verzichten: "Wenn ich zuhause bin, lass ich Probleme draußen/kümmer mich um meine Fam, weil sie mich auch brauchen/ich koch für sie, unterhalte mich und hör‘ ihnen zu/sie sind für mich das Wichtigste, sie sind mein Ruhepol". Geringfügig weniger hochklassig, dafür aber weitaus druckvoller lassen es Jonesmann und Blaze auf dem Olli Banjo-featurenden Representer "Klappe dicht!" angehen, gleichwenn Olli Banjo schon weit bessere Verse gesehen hat.
Auf der Produktionsseite gehen Sti, Lex Barkey, Benny Blanco, Woroc, Bounce Brothers, Fleksible, X-Plosive Beats und Jamal auf Nummer sicher und knüpfen einen fehlerfreien Soundteppich, der zwar über weite Strecken hohen qualitativen Ansprüchen gerecht wird, jedoch nur wenig distinkt zu vergleichbaren Konkurrenzprodukten ist, wodurch sich der Kreis zu den einleitenden Anmerkungen schließt. "Kapitel 1: Zeit für was echtes" ist – mit Ausnahme von Haftbefehl – nicht wirklich schlecht gemacht, weiß aber dem Spiel nichts Relevantes hinzuzufügen und ist somit über weite Strecken schlicht langweilig. Weiterhin führt natürlich die übermäßige Präsenz von Haftbefehl zu einem satten Punktabzug. So nicht!
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Herr Merkt ist Gastautor auf rap.de und schreibt hauptberuflich seinen vielbeachteten Blog Herr Merkt spricht über Hip Hop. Lesen!
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