Nun also ohne 9th Wonder. Wenn man bedenkt, dass Little Brother weiterhin indie- und undergroundmäßig unterwegs sein wollen, ist der Weggang des Produzenten, der seine Zukunft (sicherlich auch zu recht) in den großen Major Acts sieht, ein Glücksfall für Phonte und Big Pooh. Denn auch in puncto Vielseitigkeit ist dieser Schritt auf jeden Fall der richtige für Little Brother. Das hört man auf ihrer neuen Scheibe „GetBack“ ziemlich schnell. Der Sound ist sehr fresh, die Produktionen kommen diesmal aus ganz verschiedenen Federn, wie zum Beispiel von Illmind, Mr. Porter, Khrysis und ganz prominent Hi-Tek. Beatmäßig aber läuft Nottz mit seiner Idee zum kongenialen Höhepunkt des Albums „Two Step Blues“ allen anderen den Rang ab. Da rumpelt und kracht es nur noch und unsereiner will sofort auf die Tanzfläche und alle Viere von sich schleudern oder einfach nur zuhören, wie sich genialer gesampelter Gesang (wo hat der diesen Kram her??) mit der unglaublichen Hook von Darien Brockington mischt. Soul und Hip Hop im Einklang, wie vielleicht zuletzt nur bei Jay Dee…
Aber auch all die anderen Songs (ich schreibe bewusst Songs und nicht Tracks, da bei LB überall ein roter Faden von Anfang bis Ende zu finden ist) stehen dem in kaum etwas nach. Zu hören sind feinste Beats, größtenteils bestehend aus alten Soulsamples, die oft sehr orchestral mit Streichern, Bläsern und vor allem aber mit viel Gesang daherkommen, versetzt mit up-to-date bangenden Drums, die auch, was die Sounds betrifft ( z:B. Snares oder Claps), sehr vielseitig sind – so wie man das eben von den oben genannten Herren kennt.
Alles ist in hellen Farben gehalten, will heißen, der Vibe ist eigentlich überwiegend positiv und happy, ohne zu oberflächlich partymäßig zu werden. Ausnahmen bilden hier eigentlich nur das dramatische Intro mit Klavier und Streichern (man will erst nicht glauben, dass nun wirklich ein Hip Hop Album folgen soll) und der darauffolgende Opener „Sirens“, der mit verzerrten Gitarren und fiesem Synthiebass aufwartet.
Textmäßig zeigen Little Brother der Konkurrenz einmal mehr, wo der Hammer hängt. Inhalte sind etwas, was man heutzutage sehr selten antrifft, und wenn sie einem dann auch noch in so einer sympathischen, oft ironischen Art dargeboten werden, kann man als echter Liebhaber der Hip Hop Musik nur glücklich sein. Natürlich könnte man sagen, dass Backpacker auch immer nur über die gleichen Themen rappen, aber man ist erstaunt, aus wie viel Perspektiven man viele Dinge sehen kann und wie viele Ansichten einem geboten werden, die einem so noch nicht bewusst waren. Und dann wären da noch die vielen kleinen Seitenhiebe und guten Beobachtungen, die Phonte und Big Pooh machen. Und was ganz wichtig ist, sie präsentieren sich als Menschen, weniger als Superstars, die nur darüber reden, was man als Superstar mit ganz viel Geld alles machen kann. Das hatten wir schon, das langweilt.
Nein, hier findet man sich als „normale“ Person, die mit seinem Leben zu kämpfen hat, wieder und ein ums andere Mal kommt man nicht umhin, in schallendes Gelächter oder zumindest in breites Grinsen zu verfallen. Zum Beispiel bei „After The Party“, ein Song, der uns allen klar macht, wie viel wir von Partys, vor allem in Sachen Frauen, erwarten und wie enttäuschend es immer wieder ist, dass sich diese Erwartungen selten erfüllen; hier versucht Phonte im Intro, eine Frau mit einer „Pick-up Line“ klarzumachen, aber sein Gewissen redet ihm ständig dazwischen, wie peinlich er gerade ist. Oder bei „Good Clothes“, der sich mit der Ästhetik von guter Kleidung und der Bedeutung, der ihr beigemessen wird, auseinandersetzt, hier heißt es:
„And YOU, the big girl with the low-rise jeans on
Got the fat hangin over the side […]
Girl, you got your gut bustin over the side of your jeans
It look like a muffin!”
Kennen wir alle, oder?
Dann gibt es Songs, die sich mit dem allseits beliebten Thema Liebe beschäftigen, aber eben auch auf eine Weise, die kaum lächerlich erscheint, sondern einem nur die Wichtigkeit dessen vor Augen führt, wie bei „Breakin My Heart“, dem einzigen 9th Wonder Beat auf dem Album, wo auch Lil’ Wayne sich mal wieder verewigen konnte. Phonte in diesem Track:
“Momma was like, ‘Baby now, I hate to see your tears
But I been with your daddy for bout 35 years
And in my day, I had to turn a blind eye to cheatin
but I ain’t never had to wear no black eyes from beatings’
[…] I ain’t sayin that it’s right, but we often pay the price
cause a woman’s life is love, a man’s love is life…”
Das ist echte Lyrik, die auch noch Spaß macht, weil in ihr so viel Spielwitz, ein bisschen Verschrobenheit und irgendwie auch ein gewisser Spitzbubencharme steckt.
Featuremäßig habe ich Weezy schon genannt, ansonsten sind da eigentlich nur noch Sänger zu finden, wie der schon bekannte Darien Brockington, erwähnenswerterweise kommen noch Carlitta Durand und Dion dazu, die beide Großartiges leisten. Es ist nicht zu unterschätzen, wie groß die Rolle dieser Sänger ist, denn man vernimmt über die Platte verteilt immer wieder sehr Schönes bis Unglaubliches, wenn man nur drauf achtet, denn das alles ist so gut ins Gesamtkonzept und in die Musik eingebunden, dass man es glatt überhören könnte. Auch Phonte hat einen riesigen musikalischen Beitrag dazu geleistet, so singt er oft selbst Backingvocals und schrieb sogar ein Bläserarrangement für „Two Step Blues“. Wow.
Insgesamt also ein sehr stimmiges Album, denn hier hört man Hip Hop in seiner Reinkultur, aber in aktuellem und übrigens auch sehr schönem Gewand. Ja, schön, auch das kann Hip Hop sein. Little Brother beweisen es und lassen ein sehr positives Gefühl zurück – die Welt ist gar nicht so schlecht.