Irgendwann im Herbst 2005 brachte mir mein großer Bruder eine CD mit. Ich war gerade einmal zehn und mein Wissen über HipHop ging kaum über das, was KISS FM den ganzen Tag so spielte hinaus. Nun also diese CD. Sera Finale mit seinem Album „Serafiniert“. Ich wusste nichts über den Künstler, außer dass er ein Bekannter meines Bruders war. Ich legte die CD ein und setzte mir die Kopfhörer auf – und tat das die nächsten Monate fast täglich. Die Platte packte mich direkt beim ersten Hören. Ich feierte vor allem den Humor. Sera konnte ganz locker aus dem Handgelenk eine Zeile einstreuen, die einem sofort ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Die fantastische Wortwahl machte das Ganze erst perfekt. Wortspiele wie „Bitte geh zurück zum Thema, sei so lieb/ Ihr könnt mir gestohlen bleiben, ich bin Dieb / deep“ waren meine ersten Berührungspunkte mit Punchlines. „Queen vom Kiez“ war der erste Song für eine Frau, den ich, ohne mich zu schämen, hören konnte. Die Platte bot das komplette Repertoire: Aggressive Bretter wie der Opener „Serviervorschlag“, überragende Skits, wie die Vanilla Ice Hommage „Cooler als Ice“ und tiefgründige Tracks wie „Geboren aus dem Nichts“. Als Sera im Abspann des Songs „Haste nich“ alle Berliner Bezirke (bis auf mein Moabit) aufzählte, nur um am Ende des Songs mehrere Male „Wedding und Moabit, bounce!!!“ ins Mikrofon zu schreien, war es spätestens um mich geschehen.
Dass der Berliner bereits vor diesem Album den einen oder anderen Move im deutschen Rap gemacht hat, wusste ich damals natürlich nicht. „Ostblokk“? „Status Yo!“? Nie von gehört, wäre mir vermutlich auch egal gewesen. Mir bot „Serafiniert“ genug Anregungspunkte, um mich immer und immer wieder damit zu beschäftigen. So habe ich erst drei oder vier Jahre später gecheckt, dass sich Sera bei dem Skit „Anna Bar“ alle Elemente für einen Rapsong bestellt: „Juten Tach ich hätt‘ gern Beef. Packen se ma so richtig rin. Und ick nehm noch 300 Gram von der Snare, einen Loop am Stück…“. Als mein Bruder mir an Heiligabend 2005 anbot, Sera persönlich anzurufen, um ihm ein frohes Fest zu wünschen, war ich nicht nur leicht aufgeregt. „Frohe Weihnachten… und… äh… cooles Album, hehe“. So in etwa muss mein Gestammel geklungen haben. Das herzliche Gelächter mit anschließendem „Danke, dir auch!“ am anderen Ende der Leitung ließ aber jede Peinlichkeit verfliegen.
Zwei Jahre später, mittlerweile war ich stabile 12, erschien Sera Finales nächste Platte: „Die nächste Kugel im Lauf“. Wie der Name es schon andeuten lässt, klang dieses Album um einiges rauer. Die Produktionen übernahmen Djorkaeff mit 13 Tracks und Beatzarre mit den übrigen zwei Songs. Sera war mittlerweile bei I Luv Money Records gesigned und der Sound an die gängigen Industriestandards angepasst. Schon damals merkte ich, wie viel besser die Stimme gemischt und wie viel sauberer die Beats produziert waren. Leider ging Sera mit der neuen Platte etwas Lockerheit ab. Weniger Wortwitze, weniger Überraschungsmomente, mehr Ernsthaftigkeit und Tiefe. Das Aushängeschild von „DNKIL“ stellte die Videosingle „Berlin“ dar. Ein simples Video, atmosphärischer Beat und geradlinig gerappte Parts gepaart mit einer zeitlosen Hook. Die Legendäre Zeile „Wir sind nicht die Hauptstadt Biatch, wir sind die Stadt überhaupt„, diente vier Jahre später als Songtitel für KD Supiers Berlin-Representer mit Megaloh, Said, Silla und eben jenem Sera Finale. Noch heute ist Sera’s „Berlin“ für mich die heimliche Rap-Hymne meiner Heimatstadt. Auch wenn mich das Album insgesamt nicht so mitnahm wie „Serafiniert“, befinden sich ein paar Perlen auf der Scheibe. Songs wie der Titeltrack „Die nächste Kugel im Lauf“, „Manifest“ und „Das ist“ gehen heute noch gut rein.
Leider war „Die nächste Kugel im Lauf“ auch die letzte, die Sera auf das Rap-Game schoss. Sein Part auf KD-Supiers „Die Stadt überhaupt“ von 2011, ist bis heute sein letzter echter Rap-Part. Mittlerweile macht er mit seinem Atzen Claus als Duo namens „Keule“ Musik. Das Projekt ist erfolgreich, mit Rap hat das jedoch nicht mehr allzu viel am Hut. Deshalb wünsche ich mir eine Platte wie „Serafiniert 2“. Lockere Texte, unkonventionelle Beats und Humor aus dem Jahre 2005. Schön wär’s!