Main Concept – Equilibirum

So, hier also eine Review zum Stichwort: Gymnasiastenrap, Blumenrap oder Backpacker. Hierbei handelt es sich um eines meiner persönlichen Lieblingsthemen, wer auch immer das Wort „Backpacker“ erfunden hat, er ist mein Freund. Wer mit derartig titulierter Musik nichts anfangen kann, sollte jetzt aufhören zu lesen. Alle anderen: folgt mir, es lohnt sich. Denn was die Münchner vom Goetheplatz auf 61 Minuten Spielzeit bieten, ist feinste Kost.

Es gibt nur wenige Alben, die sich dem Hörer bei jedem weiteren Mal hören ein Stückchen weiter erschließen. Rap mit Witz, Rap mit Aussagen, Punchlines auf hohen Niveau. David Pe, Glammerlicious und DJ Explizit haben für ihr drittes Album ein perfektes Timing gewählt, oder wann gab es solche Zeilen zuletzt auf Deutsch:
"Ich red von Überwachung, und Schikane durch die Polizei/ von 666ern, Korruption und moderner Sklaverei/ Ich red‘ vom freundlichem Faschismus, und sogar vom dritten Weltkrieg/ Und der bricht wirklich aus, wenn’s mal nach der Show kein Geld gibt."

Es ist ne Weile her und nicht das einzig erwähnenswerte von diesem Album.  Auch der komplette Vortrag von „Adam und Ivo“ featuring Blumentopf geht über das übliche Texte-Rappen hinaus. Die Sache mit dem Paradies wird hier in Prolog und drei Akten auf eine Nachwuchs-Rapcrew übertragen, wobei unsere lustige Laienschauspielgruppe aus den Herren Heinemann (Adam), David Pe (Ivo),  Schu (Gott) und Holunder (Schlange) besteht: Ganz großes Kino!

Eine Weiterführung von „Adam und Ivo“ könnte der Track "Armageddon" sein. In dem erklärt David, nachdem er sämtliche Battelrapklischees inklusive der üblichen Beschimpfungen vom Stapel gelassen hat, am Ende ironisch, dass man genauso rappen müsse, um an Geld zu kommen. Sozusagen ein kleiner Gruß an den Nachwuchs, der nach Orientierung im Rapgeschäft sucht und gerne dem nächsten Hype anhängt.

Auch das Thema Club wird in dem Lied "Im Club" auf bewährte Münchner Art angegangen. Wie die Töpfe in „Alle Sind Da“ wird das Clubpublikum aufs Korn genommen. David findet alle möglichen Tiergattungen in der Disko seiner Wahl vor, um am Ende dann trotzdem zu der Erkenntnis zu gelangen: „Die Tiere waren cool, ihr Anblick ein wahrer Genuss/ sonst war der Abend wie jeder andere Abend im Club“. Sehr nett, ich geh nie wieder tanzen.

Es ist eigentlich unnötig, weitere Tracks exemplarisch herauszugreifen, um die Qualität dieses Albums darzustellen. Zeilen wie: „Ich hör’ die Jugend rufen: ‚Wir wollen was ändern, die Zukunft sind wir!’/ Doch ich kann die Jugend nicht sehen, sie holt sich gerade ein Bier.“ bleiben im Kopf haften und regen den Hörer an, sich eigene Gedanken zu machen. Bei welchem Rapalbum auf deutsch ist das zuletzt passiert?

Jeder Track hat eine Aussage, jeder Text hat mehr Intelligenz als die gesamten Alben der
Konkurrenz zur Zeit, abgesehen davon steht bei jedem  kritischen Track am Ende der Versuch
aufzuzeigen, wie es besser zu machen wäre. Neben inhaltlichen Tiefgang stimmt aber auch der Entertainment-Faktor. Hier gibt es zum erhobenen Zeigefingern keine todernste Mine. Vielmehr grinst sich der gute David Pe öfter eins und man merkt’s vielleicht erst beim zweiten Anhören.

Die Beats, allesamt solide produziert, sind die perfekte Grundlage für sauber getimete Raps,
die zwar nicht mit den innovativsten Reimschemen aufwarten, aber bei der inhaltlichen Stärke
ist das nicht nötig.

Es mag Alben geben,  bei denen sich Anspieltipps finden lassen und wo diese auch sinnvoll
erscheinen, bei „Equilibrium“ ist das, wie schon angedeutet, schlichtweg nicht nötig. Jeder Track kann für sich stehen, jeder Hörer kann etwas finden, was ihm gefällt. So haben Main Concept alles in allem ein Album geschaffen, das eine wirkliche Bereicherung für Rap in deutscher Mundart ist – und auch Leute ohne Abi oder Rucksack können sich „Equilibrium“ durchaus mal anhören.