Die Diskussion geht noch weiter: Gestern hatte Dennis Sand dem guten Falk geantwortet, der zuvor zu dessen Artikel in der „Welt“ Stellung bezogen hatte. Auch der Kollege Toxik von hiphop.de schaltete sich gestern Abend mit einem längeren Beitrag ein. Heute nun erreichte uns ein offener Brief von Zlay, der uns als Diskussionsbeitrag sehr interessant erscheint – deshalb veröffentlichen wir ihn hier.
Hallo Dennis, hallo Falk, hallo Toxik,
mit Begeisterung verfolge ich den aktuellen „Brief-Beef“ zwischen euch Journalisten. Aber wieso schreibe ich jetzt diesen Brief? Und was legitimiert mein Einmischen in diese öffentliche Diskussion überhaupt? Die Antwort auf die erste Frage liegt eigentlich auf der Hand: Weil ich HipHop liebe, lebe, bin.
Legitim und relevant für diesen Diskurs ist mein Wort, weil ich der Faktor bin, den ihr drei in euren Briefen und Kommentaren fatalerweise gänzlich unerwähnt gelassen habt. Ich bin derjenige, der sich all das reinzieht, was die hier kritisierten Hip-Hop-Medien produzieren und publizieren. Ich bin derjenige, an den sich eure Arbeit als Journalisten richtet. Und weil ich eine neue Perspektive einbringe, die ich mit vielen Rap-Fans teile, wie man den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke entnehmen kann.
Damit ihr ungefähr wisst, wer hier seinen Senf dazu gibt, beschreibe ich euch kurz, welchen Bezug ich zu Hip-Hop habe: Nennt mich Zlay. Ich bin aufgewachsen in einem kleinen Kaff, wohlbehütet und gut erzogen. Weiter weg von dem, über was Gangstarapper rappen, geht nicht. Als ich zehn oder elf Jahre alt war, kam ich das erste Mal bewusst mit Hip-Hop in Kontakt. Aggro Berlin hatte gerade die dritte Ansage veröffentlicht und ich war sofort infiziert. Im Laufe der Zeit habe ich mich dann vor allem online immer mehr in die Szene integriert und alles aufgesogen, was ich in die Finger bzw. vor die Augen und in die Ohren bekam. Etwa die Hälfte meines Lebens höre ich also deutschen Rap.
Also… Es geht hier darum, dass die Hip-Hop-Medien hierzulande zu unkritisch sein sollen.
Ich sage: Ja, die HipHop-Medien sind zu oft nicht kritisch oder konsequent genug. ZU OFT und NICHT prinzipiell! Genauso finde ich, dass du, Dennis, in der Tat etwas zu pauschal über Deutschrap geschrieben hast. Du vermittelst dem außenstehenden Leser damit ein falsches Gesamtbild von HipHop. Der amüsanten Polemik in eurem Hin-und-her-Geschreibe hat das jedenfalls nicht geschadet. Was HipHop an sich angeht, seid ihr drei euch ja eigentlich alle einig. Es ist groß wie nie, aber es gibt auch einiges, was Bullshit und asozial ist. Wenn es dann um die Szene-Medien geht, geht ihr strikt auseinander. Aber, lieber Falk und lieber Toxik, ich glaube, ihr unterschätzt, wie mächtig Suggestion ist. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen und ganz besonders, wenn dann auch noch Bildungsstand und Intelligenz zu wünschen übrig lassen. Und für solche Jugendliche ist die deutsche Rap-Szene quasi ein Sammelbecken.
Wenn dann ein Massiv so einen antisemitischen Mist auf die naive Jugend loslässt, sehe ich euch Medien in der Pflicht, eindringlich und plakativ dagegen vorzugehen, sehr geehrter Toxik. Ihr und ich, wir sind intelligent und reflektiert genug, sodass unser soziales Wertesystem nicht beeinflusst wird, wenn wir über die Asozialitäten von Al-Gear lachen. Bei sehr, sehr vielen Deutschrap-Fans sieht das aber schon ganz anders aus. Toxik, ihr löscht schwulenfeindliche Kommentare, weil ihr solchen Leuten keine Plattform bieten wollt. Feier ich. Aber warum bietet ihr dann jemandem eine Plattform, der unter Zigtausenden Jugendlichen verbreitet, dass Juden den 11. September zu verantworten haben, ohne euch ganz deutlich dazu zu positionieren? Ich meine, habt ihr euch mal angeschaut, wie unfassbar viele Likes besagter 9/11-Post von Massiv hatte??? Ich hätte fast gekotzt, als ich gesehen habe, wie viel Zuspruch er für so eine unterirdische Dummheit auch noch bekommt. Hätte ich eine Plattform wie ihr, hätte ich sofort was Großes dagegen aufgezogen. Für HipHop.
Falk, wie gesagt, ich bin intelligent und reflektiert genug. Für mich muss man Fler nicht sagen, dass Gewalt dumm und unvernünftig ist. Aber auch hier gibt es eine unfassbar große Masse, die es einfach so hinnimmt. Und je öfter ein Rapper sowas sagt und je öfter ein HipHop-Journalist dann nicht direkt kontra gibt, desto mehr suggeriert es vielen Jugendlichen, dass es doch ganz normal ist, jemandem auf die Fresse zu geben, wenn er dich ärgert. Und das alles hat auch nichts mit zwei unterschiedlichen Wertesystemen zu tun, von denen du schreibst, Tox. Gewalt ist dumm, Asozialität ist dumm. Da gibt es einfach nichts zu rütteln.
Wenn die Rapper, die Dennis mit ihren Aktionen alle in seinem Artikel nennt, all ihre Taten nur als Worte in Disstracks verbaut hätten, könnten wir uns mit dem Mainstream über Wertesysteme streiten, aber dann hätte es den Artikel auch gar nicht erst gegeben. Dennis, ja, ich bin bei diesem Thema absolut deiner Meinung. Aber was wohl moralisch verwerflicher ist – Gangstarappern nicht immer ausreichend Kritik entgegen zu bringen, oder seine Arbeitskraft Axel Springer zur Verfügung zu stellen – das kann ja jeder für sich entscheiden.
Ja, ein bisschen Polemik konnte ich mir auch nicht verkneifen, schließlich hast du auch meinen HipHop öffentlich schlechter dastehen lassen, als er ist.
Zum Schluss möchte ich noch einmal auf den Kern meiner Argumentation zurückkommen: Die Macht der Suggestion. Entweder ihr, Falk und Toxik, unterschätzt diese gewaltig, oder ihr habt einfach nicht daran gedacht, während ihr eure Briefe geschrieben habt. Es mag abgedroschen und mainstreamig klingen, aber viele Rapper haben nun mal einen schlechten Einfluss auf die Jugend. Und wenn jemand etwas dagegen tun kann, wer, wenn nicht ihr HipHop-Medien?
In Liebe zu HipHop,
euer Zlay