Jagged Alliance 2 – Wildfire

Auch nach fast 5 Jahren des letzten Erscheinungstermins eines „Jagged Alliance“-Titels (JA2:Unfinished Business) besitzt die Serie eine treue und eingefleischte Fangemeinde, die -aller Hiobsbotschaften zum Trotz- stets die Fahnen für ihr „bestes Spiel aller Zeiten“ beharrlich hochhielt. Das ist nicht vielen Spielen vergönnt. Um so delikater die Aufgabe für die Entwickler von iDeal Games und dem Produzenten ZuxxeZ, einen würdigen Nachfolger unter den Argusaugen der „ausgehungerten“ Community zu entwickeln.

Herausgekommen ist dabei Wildfire. Hierbei besteht die Aufgabe -wie in seinem Vorgänger „Jagged Alliance 2“ von Sir-Tech- die kleine Bananenrepublik Arulco von der ruchlosen Matriarchin Deidranna ein für allemal zu befreien. Und darin liegt auch der größte, aber vielleicht auch der einzige große Kritikpunkt an Wildfire: Die Mission des Vorgängers wird kurzerhand für gescheitert erklärt, dem damaligen Team ist es halt einfach nicht gelungen, die Herrin zu stürzen. Somit sind ein Großteil der Dialoge, Lösungen und Zwischensequenzen haargenau dieselben wie in JA2. Etwas mehr frischer Wind wäre hier sehr wünschenswert gewesen.

Ansonsten ist Wildfire ein Strategiespiel erster Klasse: Statt abgedroschener 3D-Grafik aus der Konserve steuert man seine Söldner über eine (zugegeben, etwas nostalgische), aber liebevoll detaillierte isometrische Pixelwelt. Wer Jagged Alliance nicht kennt, kann vielleicht mit Vergleichen zu UFO/XCom, oder Fallout: Tactics etwas anfangen. Das Spielprinzip ist hier aber realistischer und auch detaillierter, die Liste der Vorzüge gegenüber anderen Strategie- und Taktikspielen ellenlang:

Der größte Bonus ist wahrscheinlich die Nonlinearität des Spiels- keine Missionen, keine Einsatzbesprechung. In Hinsicht auf Entscheidungen wird dem Spieler einiges empfohlen, aber nichts ist Pflicht. Dahingehend wird ihm auch einiges an Kalkül abverlangt. Welche Stadt nimmt man als nächstes in Angriff? Greift man besser bei Tag oder bei Nacht an? Rennt man wie Rambo mit schwerem Geschütz durch die Pampa, oder robbt man mit Richtmikrofon nebst Schalldämpfer an das Ahnungslose Opfer heran? Schickt man gute, erfahrene Söldner in die Schlacht, oder lässt man die Grünschnäbel Erfahrung sammeln? Diese Fragen mögen erschlagend wirken, sind aber wirklich kein Problem: in Jagged Alliance gibt es keine wirklich falschen Entscheidungen. Nur bessere.

Ein weiteres schönes Feature ist die fantastische Söldnerinteraktion. Wie im echten Leben mögen Manche ihre Kollegen- oder auch nicht. Das wirkt sich nicht nur auf das Spielgeschehen aus, sondern führt auch zu kurzweiligen, manchmal lustigen Dialogen zwischen den Betroffenen. Es macht einfach Spaß, dicke Freunde, deklarierte Erzfeinde oder gar Ehepaare ins Abenteuer zu schicken, nur um zu sehen, wie sie sich im subtropischen Klima Arulcos lieben und hassen lernen. Das geht zwar nicht ins Detail einer Doku-Soap, hat aber letzendlich mindestens denselben Unterhaltungswert.

Der dritte dicke Pluspunkt geht auf das Tüftel-Feature à la MacGyver. Im ganzen Spiel sind vermeintliche Schrott- und Bauteile verstreut, mit denen sich nützliche Gegenstände zusammenbauen oder verbessern lassen. Ein altes Stahlrohr, etwas Klebeband und etwas Sekundenkleber- fertig ist die Laufverlängerung, was die Reichweite und Zielsicherheit eines der unzähligen im Spiel vorhandenen Waffen erhöht. Einziger Wermutstropfen: die Liste der möglichen Kombinationen ist recht kurz und ein Großteil eher unnütz.

Die Atmosphäre ist dicht und überzeugend. Die Musik ist großartig, wenn auch die Gleiche im Vorgänger. Wie wunderbar, daß dieser Punkt unverändert blieb. Man fühlt sich mitunter in eine Folge von „A-Team“ hineinversetzt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Desweiteren wurde die perfekte Balance aus Echtzeit und rundenbasiertem Spiel beibehalten. Das gesamte Spiel in Echtzeit- rundenbasiert nur, solange ein Söldner einen (lebenden) Feind sieht, oder umgekehrt.

Obwohl Realismus in fast allen neuen Spielen oberste Priorität hat, muß sich Wildfire in dieser Hinsicht vor der 3D-Konkurrenz (in welcher Physik und ähnliche Faktoren leichter realisierbar sind) nicht verstecken. Zur besseren Übersicht kann man auf Dächer klettern (wird aber auch leichter gesehen), hinter Bäumen in Deckung gehen (trotzdem kein Schutz vor Granaten und Querschlägern), ins hohe Gras kauern (man sieht selbst weniger), oder schnellstens aus der Schußlinie rennen (und dadurch unkonzentrierterweise in eine Andere hineinrennen). Schusselige Soldaten werfen eine Granate nicht weit genug, oder sie prallt am Baum ab (man kann dann nur noch hoffen, daß sie sich als Blindgänger entpuppt), Waffen klemmen, getarnte Soldaten werden schlechter gesehen, schallgedämpfte Schüsse kaum gehört, ein Treffer ins Bein bringt den Soldaten zu Boden, ein Treffer am Kopf noch einen Stock tiefer.

Wo wir beim prekären Thema Gewaltfaktor wären. Ja, „Jagged Alliance 2: Wildfire“ ist in der Tat „grober Stoff“. Es fließt reichlich Blut, und mitunter scheiden Söldner auf eine Art und Weise dahin, die Manche schon als geschmacklos bezeichnen würden. Zur Verteidigung des Spiels sei hier gesagt: Man sieht nichts, was man nicht auch schon in anderen Spielen ab 16 gesehen hätte, und derartige Szenen sind eher selten und waren bereits im Vorgänger von Sir-Tech zu sehen. Dennoch: die Altersfreigabe ist nicht übertrieben. Besorgte Eltern mit Problemkindern sollten eher die Finger davon lassen. Wer von der Unantastbarkeit seiner Moral überzeugt ist sei ebenfalls gewarnt: sogar berufene Zivis ertappen sich mitunter beim: „UIIII! Ne G3A3 mit Laserpointer!“

Technisch gesehen hat sich am meisten Verändert. Die Landkarte mit insgesamt 230 Sektoren wurde komplett überarbeitet und neu designt. Die Gebäude sind zahlreicher und komplexer. Neue Gegenstände und Waffen wurden hinzugefügt- eine Vielzahl der Alten bekamen neue Bilder und Beschreibungen. Die „neue“ Auflösung von 1024×768 war überfällig, führt aber leider zu einer etwas fuchteligen Steuerung, nicht selten öffnet und schließt der Söldner beharrlich einen Kühlschrank, obwohl man eigentlich die danebenliegende Kommode meint. Die künstliche Intelligenz wurde merklich verbessert, gegnerische Soldaten suchen nun sofort Deckung, werfen Rauchgranaten am Tag, und Leuchstäbe bei Nacht, tasten sich langsam vorwärts, und versuchen einen, aus dem Hinterhalt zu erwischen. Trotzalledem ist sie nicht unschlagbar: im Gegenteil, es bereitet diebische Freude, dem Feind immer wieder neue Fallen zu stellen. Aber nicht immer funktioniert derselbe Trick zweimal. Außerdem kann ein Söldnerteam nun bis zu 10 Soldaten aufnehmen- was wahrlich mehr als genug ist.

Ein großes Manko bleibt, und spaltet die Fangemeinde: leider stürzt das Spiel ebensooft ab, wie sein Vorläufer- ständiges Schnellspeichern ist hier Pflicht. In seltenen Fällen hilft nicht einmal dies, und man muß zwei Speicherstände zuvor laden. Wer dem Spielspaß erliegt und/oder auf kommende Patches hofft, sieht darüber hinweg.

Fazit: Die wirklich großen Pluspunkte, die Wildfire letztendlich zum Gewinner machen, waren schon bei Jagged Alliance 2 vorhanden. Wer auf ein Grundlegend neues Spiel hofft, wird herb enttäuscht werden. Wer aber Wildfire nicht als neuen Teil, sondern eher als komplexe, tiefgreifende Modifikation begreift, kommt voll auf seine Kosten: ein derart langer Spielspaß (keine Seltenheit: Wildfire beenden und -huch- es ist 4 Uhr morgens) und ein hoher Wiederspielwert wie hier sind heutzutage nur noch selten. Aber vor allem denen die Jagged Alliance 2 noch nicht gespielt haben und das Genre mögen, sei Wildfire wärmstens empfohlen.

Pluspunkte:
– langer Spielspaß
– hoher Wiederspielwert
– nichtlineares Gameplay
– taktisch herausfordernd und realistisch
– Söldner interagieren miteinander
– detaillierte, isometrische Spielwelt
– höhere Auflösung
– Stufensteigerungen (Söldner verbessern sich durch Erfahrung)
– atmosphärische Musik und Soundeffekte
– max. 10 Söldner in einem Team
– komplett neue Karte mit 230 Sektoren
– viele Gegenstände
– nur eine CD

Minuspunkte:
– aufgewärmte Story
– alte Dialoge und Zwischensequenzen
– häufige Abstürze des Spiels
– Installationscode unleserlich
– mitunter komplizierte Steuerung
– zeitweise übertrieben „blutig“