Die Deutschrap-Blase steigt unaufhaltsam und macht keine Anstalten zu platzen. Das zog natürlich auch das ein oder andere Comeback nach sich. Curse, Denyo, Nico Suave, Ferris MC, ASD und viele andere betraten die Deutschrap-Bildfläche nach Jahren der Abwesenheit erneut. Einige wünschenswerte Comebacks lassen aber auf sich warten. Denen widmen wir uns in der Reihe “Deutschrap-Comebacks, auf die wir warten“.
Auch im Jahr 2015, zu Zeiten in denen Künstler wie Haftbefehl, Genetikk oder SSIO das Aushängeschild des deutschen Raps darstellen, spielen die 90er Jahre musikalisch weiter eine große Rolle. Die „Ersten Schritte“, die damals gegangen wurden, legen den Grundstein für die verschiedensten Stilrichtungen die heute im Deutschrap Platz finden. Neben Acts wie den Absoluten Beginnern, Einz Zwo oder Dynamite Deluxe war die Stuttgarter HipHop-Crew Freundeskreis vor allem live das Maß aller Dinge: Knapp 4 Jahre nach Gründung der Band „Maximilian und sein Freundeskreis“ bekommen die Schwaben als Band Freundeskreis die Chance sich beim Label Four Music erstmals beweisen zu können. Dieses wird kurz zuvor von den Fantastischen Vier ins Leben gerufen. Mit erstem richtigen Deal in der Tasche können beim Trio um Max Herre, Produzent Don Philippe und dem DJ, DJ Friction direkt erste Erfolge verzeichnet werden. Daneben ruft Herre ein paar Jahre zuvor, 1992 die Posse Kolchose ins Leben, die neben Freundeskreis auch Rapper Afrob sowie die schwäbische Massive Töne-Crew repräsentativ vertreten soll. Die Liebessingle „A-N-N-A“, die 1996 das erste mal in die Öffentlichkeit getragen wird, entwickelt sich gut ein Jahr später, als Teil des Debütalbums zu einem Sommerhit, dessen Single sich bis heute über 250.000 mal verkaufen konnte.
Besser kann man eine Musikkarriere kaum starten. Auch das bereits erwähnte erste gemeinsame Tape des Trios, die „Quadratur des Kreises“ trifft den Nerv der Zeit. Mit über 180.000 verkauften Einheiten stellen sie den Rest ihrer HipHop-Kollegen locker in den Schatten. Aus einer Stuttgarter Underground Crew wird eine kommerziell erfolgreiche, weit über den Grenzen von HipHop hinaus bekannte und beliebte Band, die neben ihren unbestechlichen Live-Fähigkeiten vor allem mit der verwendeten, Augen-öffnenden-Lyric zu überzeugen weiß. Auf einmal ist auch das harmlose Städtchen in Baden-Württemberg ein Teil der Deutschrap-Landkarte und es entwickelt sich langsam aber sicher eine schwäbische HipHop-Subkultur. Ausgehend vom Grundstein, den Fanta Vier und FK damals in Stuttgart legten, kann diese im Laufe der Zeit durch diverse Künstler und Labels wie Die Orsons oder Chimperator ein gutes Stück voran getragen werden. „Wir haben das Stuttgart gefeiert, das wir selbst generiert haben, gegen alle Widerstände.“, so Herre selbst ein paar Jahre später in der Stuttgarter Zeitung. Der Klassiker „A-N-N-A“ vom Freundeskreis ist vom 1919 veröffentlichten Gedicht „An Anna Blume“ des deutschen Dadaisten Kurt Schwitters inspiriert. In beiden Werken wird der Betrachter darauf hingewiesen, dass man Anna sowohl von vorne als auch von hinten lesen könne. Eine Hommage an den Dadaismus also.
Ein Haftbefehl beispielsweise wird allerdings nicht nur als Dadaist dargestellt, auch die Mehrsprachigkeit in seinen Texten wird oftmals in höchsten Tönen gelobt. Ein Bereich in dem das komplette Azzlack Camp um Celo & Abdi, Olexesh, Hanybal etc. ihre Vorzüge unter Beweis stellen kann. Auch diese „Ersten Schritte“ aus der „Retroperspektive“ betrachtet, kann man Freundeskreis zusprechen. Zur damaligen Zeit waren die Jungs die Vorreiter in Sachen Mehrsprachigkeit. Neben Anekdoten auf Deutsch und Englisch wurden die Geschichten der Crew auf Französisch, im Laufe der Zeit und in Zusammenarbeit mit dem späteren FK Allstars Team, sogar noch auf Spanisch und der Welthilfssprache Esperanto erzählt. Dadurch sollten die Worte „international verständlich“ (“Esperanto“) sein und auch über Ländergrenzen hinaus Anklang finden. Was das bis heute für Auswirkungen mit sich zieht, ist Deutschrap-affinen spätestens seit Hafts „Azzlack Stereotyp“ klar. Wenn man behauptet der Frankfurter schaffe es, unter Verwendung von Neologismen und mehrerer Sprachen, seine Eigene zu kreieren, dann darf man allerdings auch Freundeskreis und deren geleisteten Dienste gut 18 Jahre zuvor nicht außer Acht lassen. Denn ob Haftis Stil heute von so vielen Hörern verstanden und nachvollzogen werden könnte, ohne dass bereits Jahre zuvor der Grundstein dafür gelegt wurde – man weiß es nicht. Trotzdem sind Songs wie „Tabula Rasa Pt.1“, auf denen FK-Allstars wie Gentleman und Mellowbag Platz finden oder „Esperanto“ mit Déborah immer noch Aushängeschilder für das perfekte Zusammenspiel verschiedener Sprachen und Kulturen auf einem gemeinsamen Track. Nicht nur das weiträumigere Verstehen, auch die Atmosphäre und den Vibe, den Songs wie diese zum Hörer transportieren, ist auf verschiedenen Sprachen einfach ein Besonderer.
Genug der Mehrsprachigkeits-Schwärmerei, kommen wir zur Lyrik und den Inhalten die die Crew zu übermitteln versucht. Zeilen wie „Jetzt hör mal gut zu wenn du’s sonst nicht checkst, das‘ nicht nur Conscious Rap, das ist ein Monstertrack!“ („FK10„) oder auch „Weil wir den Mund nicht halten, galten wir als Revoluzzer“ („FK10„) zeigen unmissverständlich in die Richtung, in der sich Freundeskreis inhaltlich bewegt. Gesellschaftskritik, kluge Manifeste über die Gleichbereichtigung der Geschlechter, der Weltfrieden oder die internationale Verständigung, das alles sind Themen mit denen sich die Band gerne beschäftigt. Sie halten der Gesellschaft einen Spiegel vor’s Gesicht, „Talking“ – Tracy Chapman mäßig „‚Bout The Revolution“ und zeigen, dass sich auch im HipHop andere Bereiche als das Manifestieren des dicksten Wagens und der dicksten Klunker behandeln lassen. „Leg dein Ohr auf die Schiene der Gesellschaft“ ist auch heute, nach 18 Jahren, noch das Paradebeispiel und meiner Meinung nach das Krasseste was es im deutschsprachigen Bereich des Conscious Rap bis heute gibt. Max schafft es, sein eigenes Leben mit bedeutenden geschichtlichen Ereignissen der damaligen Zeit zu verknüpfen wodurch er dem Hörer klar machen möchte, dass man selbst zwar nur ein kleiner, dennoch aber bedeutsamer Teil von etwas viel Größerem ist – ganz einfach gesagt: „You’re just a part of it“. Seine Absicht ist es der Hörerschaft aufzuzeigen „dass jeder, einfach weil er da ist, auch eine politische und geschichtliche Person ist“ und jeder auch dementsprechend handeln sollte.
Auch Werke wie „Nebelschwadenbilder“ bei dem das Trio Verstärkung von Udo Lindenberg bekommt, oder „Mit dir“ mit Joy Denalane als Gesangsfeature vom 1999 erschienenen Album „Esperanto“ sind mittlerweile zu richtigen Klassikern herangereift. Das utopische Weltbild der beiden wird auf „Nebelschwadenbilder“ im Detail beschrieben und neben „lahmgelegten AKW’s“ und einem „schwangeren Papst“ werden auch „Bürgerkriege in Jugo“ für beendet erklärt. Mit Joy Denalane holt sich Herre eine deutsche Soulsängerin ins Boot, mit der er einen Liebesklassiker kreiert, der bis heute als einer der Größten beschrieben wird. Ein Song der von seiner Einfachheit, seiner Leichtigkeit sowie seiner Romantik lebt und auf Dauerschleife mit seinem Mädchen auf der Couch gehört werden kann. Wenn man allerdings kein Bock auf eine endlose Repeatschleife hat, kann man ganz einfach ein paar Tracks weiter skippen, ohne auf Romantik, verkopfte Lyrics und gediegene, jazzige, funkige und soulige Beats verzichten zu müssen. Die Jungs definieren den HipHop als das Esperanto der Jugend. Die Plansprache, durch die sich Gehör verschafft und sich verständigt werden kann.
Kurz nach der Jahrtausendwende einigt sich das Trio darauf, nicht mehr gemeinsam öffentlich in Erscheinung zu treten und sich fokussiert auf die geplanten, einzelnen Karrieren als Solokünstler zu konzentrieren. Allerdings entsteht kurz zuvor noch der Zusammenschluss der FK Allstars, bei dem u.a. Künstler wie Afrob, Sékou, Wasi und Gentleman vertreten sind. Neben Herres späterer Ehefrau Joy Denalane findet auch Brooke Russell seinen Platz bei den Allstars. Auf gemeinsame Live-Auftritte der Gruppe wartet man jedoch noch sieben weitere Jahre vergebens. Erst im Jahr 2007 entsteht neuer, beziehungsweise alter, aufgebesserter musikalischer Content in Form eines Best-Of-Albums, zu dem außerdem verschiedene Festivalauftritte gespielt werden. Der Titel des Albums „FK10“ ist die logische Konsequenz aus der Gründung im Jahr 1997 und der Wiedervereinigung in 2007, genau zehn Jahre später. Jedoch ist die Freude nur von kurzer Dauer und statt gemeinsamer Arbeit wird im gleichen Jahr noch die erneute Auflösung der Gruppe bekanntgegeben. Hierfür wird im September 2007 im Stuttgarter Gazi-Stadion ein Abschiedskonzert veranstaltet. Ein vorerst letztes Mal kann die Crew mit ihrer Live-Performance die Besucher gemeinsam in ihren Bann ziehen. Populär ist vor allem ihre Art mit einer Liveband auf Auftritte zu gehen, es wird nicht wie beim Großteil der Konkurrenz mit „2 Turntables und einem Mic“ versucht, das Publikum zu unterhalten. Bei dem HipHop Open im Jahr 2012 feiert die Kolchose neben ihrem Live-Comeback auch ihr 20-Jähriges Jubiläum und steht erstmals nach über 15 Jahren zu einem großen Teil wieder gemeinsam auf der Bühne.
Auch solo waren die Jungs nicht faul und haben im Laufe der Jahre einiges geleistet. Max Herre kommt auf drei Soloalben, DJ Friction releast mit „Friction vs Volume 2 und 3“ bereits zwei EP’s im ersten Halbjahr 2015 und auch Don Phelippe ist nach der Trennung weiter musikalisch aktiv. Er bringt 2006, 2007 und 2010, jeweils in Zusammenarbeit mit Sängerin Laura Lòpez Castro ein Album an den Start, für das er die Beatproduktionen liefert. Gemeinsam sind die beiden für Herres Label Nesola aktiv. Unter anderem werden Künstler wie Afrob, Marteria sowie Max Herre selbst, der u.a. die A&R Tätigkeiten übernimmt, von dem Label unterstützt.
Gut fünf Jahre nach dem letzten Freundeskreis Album veröffentlicht Maximilian die Arbeiten zu seinem ersten Soloprojekt „Max Herre“. Eine Mischung aus Reggae, Soul, Rock und Hip-Hop entsteht, die auch bei der Hörerschaft gut ankommt und als Neuerscheinung direkt auf Platz 1 der Charts landet (was damals noch ein beachtlicher Erfolg war). Auf seinem zweiten Tape „Ein geschenkter Tag“ schafft er es, inspiriert von den Größten dieser Bereiche ein klassisches Singer-Songwriter-Album, bestehend aus Folk, Funk, Soul und Jazz auszuarbeiten. Der Sound der sich relativ einheitlich durch das Album zieht, wird neben diversen Featurepartnern wie Frank Kuruc, Séko Neblett sowie seinem Label-Kollegen Clueso ebenfalls von einem Quartett aufgewertet, das als „die beste Band, die ich mir für diese Songs wünschen könnte“ von ihm selbst beschrieben wird. Allerdings hat das Ganze mit Hip-Hop nicht mehr viel am Hut. Charakterisieren würde ich es als ein reifes, ehrliches, melancholisches, trotzdem poppiges Konzeptalbum eines Sängers, der versucht, seinen privaten Frust mithilfe von ausgefeilten, authentischen Metaphern und munteren Soundbildern zu verarbeiten.
Auch auf große Tournee geht er mit diesem Album direkt. 17 Dates werden neben Deutschland auch in Österreich und der Schweiz gespielt. Mit „Hallo Welt!“, seinem dritten Soloprojekt, kommt er wieder zurück zu seinen HipHop-Wurzeln. Neben der philosophischen Hitsingle „Wolke 7“, auf der Sänger Philipp Poisel vertreten ist, sind auch verkopft gesellschaftskritische Tracks wie „Einstürzen Neubauen“ mit Samy Deluxe oder Liebessongs wie „Fühlt sich wie Fliegen an“ mit Cro und Clueso Teil der Platte. Auf „Berlin – Tel Aviv“ verarbeitet der Schwabe gemeinsam mit Sängerin Sophie Hunger die Geschichte eines jungen deutschen Mädchens das den jüdischen Glauben vertritt und, aufgrund der Judenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus von Berlin nach Tel Aviv fliehen muss. Dort träumt sie von „Flügeln“, mit denen sie „aus dem Süden, zurück in den Frieden fliegt. Nach Berlin, von den Hügeln des Frühlings.“ Die Gabe nachdenkliches Storytelling mit verträumten, tiefsinnigen Lyrics zu unterstreichen ist ihm also im Laufe der Jahre zum Glück nicht abhanden gekommen.
Jetzt kommen wir allerdings zum entscheidenden Punkt: Max Herre solo ist leider einfach nicht das Gleiche wie der Zusammenschluss mit seinem Freundeskreis. Klar, er ist und bleibt ein brillanter Musiker, dem sowohl Tribut für seine musikalischen als auch seine lyrischen Arbeiten gezollt werden muss. Es bedarf seinerseits nicht vieler Worte, obgleich er die Gesellschaft auf ein soziales Problem aufmerksam machen, oder einen Liebesklassiker für seine Angebetete kreieren möchte.. Kritiker beharren auf dem Punkt, Freundeskreis und eben explizit Max Herre schrieben und präsentieren ihre Songs mit einem ausgestreckten Lehrerfinger. Die musikalische Note komme dadurch des öfteren zu kurz und die Texte seien zu verkopft um die eigentliche Aussage dahinter zu verstehen. Doch genau das ist, was Freundeskreis ausmacht. Ich meine jetzt nicht Texte zu schreiben, die nicht zu verstehen sind, sondern die Fähigkeit, verzwickte Themen so metaphorisch zu verarbeiten, dass oft erst ein mehrmaliges Hören beziehungsweise Befassen mit der Thematik Klarheit in die Aussage bringt. Und ist ein Lehrer denn direkt etwas Nerviges? Untermalt von übertrieben sanften Melodien schaffen sie es mit lehrenden, nicht aufdringlichen Worten, Themenbereiche abzudecken, die heutzutage sowieso bis auf einzelne Ausnahmen gekonnt ignoriert werden.
Gerade wenn es um den Sound geht, bevorzuge ich die Zusammenarbeit im Trio beziehungsweise zusammen mit den FK Allstars. Ein einheitliches Soundbild, die, auch sprachlich perfekte Abstimmung aufeinander und die Tatsache, dass alles talentierte und renommierte Künstler sind, machen das FK Hören vor allem Live zu einem Genuss. Besonders auf Albumlänge ist es viel angenehmer dieses einheitlich zu gestalten.
Soundtechnisch ist es allerdings auch nicht die Art von Musik, die man heute als klassischen Deutschrap bezeichnen würde und 12-Jährige Ghettorapspezialisten würden wahrscheinlich sagen „Dikka, das‘ doch kein HipHop!“ – Falsch. Freundeskreis ist Deutschraps Vater – in mehreren Belangen. Klar fehlt manchen Künstlern und vor allem Max Herre als Hauptprotagonisten vielleicht mittlerweile der Hunger, durch den sie damals vorangetrieben wurden. Aber dieses Projekt nochmal in die Hand zu nehmen und es mit Liebe, nicht der Kohle wegen zu machen, wäre doch schon etwas Feines. Deshalb fordere ich hiermit ein Comeback der Stuttgarter Crew. Lasst die Menschen sich lieben, malt ihnen eindringliche Bilder mit euren Worten und berichtet von sozialkritischen Stories. Kurzum: Geht gemeinsam ins Studio und vor allem: Geht gemeinsam auf Auftritte und zeigt der Welt wieder was Live so geht! Selbst mit altbekannten Klassikern wäre das garantiert! Gänsehaut pur.