Marvel Comics und HipHop: Die fantastischen Zwei (Kommentar)

Seit ich denken kann, bin ich ein großer Fan von Marvel Comics. Mittlerweile habe ich nicht mehr unbedingt die Zeit und das Geld, mich mit haufenweise Comics einzudecken. Aber gerade als Kind und junger Teenager war ich voll im Superhelden-Rausch. Ich hatte einen Kumpel (Shoutout an Felix), der noch etwas mehr auf diesem Film war, eine weit größere Sammlung hatte (von der ich natürlich profitierte) und mir Zusammenhänge erklärte. Dann gab es noch eine zweite Leidenschaft, die Marvel Comics irgendwann vom Thron verdrängte: HipHop – insbesondere Rapmusik, die noch immer alles überschattet. Die Zeit und Liebe, die ich in Comics gesteckt hatte, war nichts gegen den Modus, in dem ich diese Musik studierte. Während der Schulwochen schlug ich mir ganze Nächte um die Ohren, in denen ich nur im Internet nach neuer Musik diggte. Ich hatte niemanden, der mir irgendwelche Rapper zeigte – ich war und bin einfach ein verdammter Nerd. So ist es, so bleibt es. Interessanterweise sind aber gerade diese beiden Leidenschaften eng miteinander verwoben.

Auch wenn das auf den ersten Blick nicht so aussehen mag und auch auf den zweiten Blick höchstens Oberflächlich – Marvel Comics und HipHop standen seit jeher im popkulturellen Austausch. Ich beziehe mich in diesem Artikel nur auf Marvel, nicht weil ich sie stets DC vorzog, sondern weil die Tragweite beim Konkurrenten DC einfach nicht so enorm ist. Okay, Method Man war am Soundtrack für „Batman Forever“ beteiligt, aber sonst? Bestes Beispiel und Anlass für diesen Artikel: Die Alternativ-Cover, die gestern für diverse Marvel-Klassiker präsentiert wurden. Die Auswahl der Alben (bei den gezeigten handelt es sich nur um den ersten Schwung) ist exquisit – da waren richtige Rapfans am Werk. Gleichzeitig wurde aber nicht eins zu eins umgesetzt und ein anderer Charakter eingefügt, sondern die eigene Note, die so hervorragend hineinpasst, nicht vernachlässigt – Stichwort: Deadpools Burrito. Auch wurden die Cover nicht gewählt und dann mit willkürlichen Superhelden bestückt – man merkt, dass Kenner beider Kulturen daran gearbeitet und stets eine bedachte Auswahl getroffen haben. Howard the Duck als ODB – besser geht nicht! Was diese Cover aber eigentlich so besonders macht: Sie zeigen den großen Respekt, den man einander entgegen bringt. Denn nüchtern betrachtet besteht eben keine klare Verbindung zwischen Superhelden Comics und Rapmusik. Doch dieser riesige Konzern verbeugt sich unserem Genre. Ebenso, wie es andersherum geschieht.

Eigentlich wäre es, als Skinny der ja eh immer anti-alles ist, mein Job, nun Kalkül zu unterstellen. HipHop boomt wie nie zuvor, der Markt ist riesig und die Hörerschaft ebenso. Man will sich anbiedern und Profit aus dem Erfolg dieser Musikrichtung schlagen. Mit solchen Vorwürfen schmeiße ich aber generell nicht grundlos um mich – hier wäre es grundlos. Denn erwähnte Verbindung, ebenso der gegenseitige Respekt, bestehen bereits seit grauer Vorzeit. Kleines Beispiel: Der renommierte Marvel-Zeichner und -Inker Alvaro Rio entwarf das Cover von Necros Klassikeralbum „The Sexorcist„. Okay, ein Künstler, der Rap mag. Vielleicht sogar nur eine reine Auftragsarbeit. Was hat das mit Marvel zu tun? Anderes Beispiel? Sagt irgendjemandem „Eminem / The Punisher“ etwas? Nein? Aber das ist genau wonach es klingt. Eminem als Protagonist in einem Marvel Comic. Seite an Seite (nach einem kurzen Missverständnis) mit dem Punisher. Extra für diesen Comic wurde mit dem Barracuda sogar ein eigener, exklusiver Schurke maßgeschneidert – um schlussendlich von Eminem mit einer Kettensäge zerlegt zu werden. Sorry für den Spoiler. Vor Ankündigung des Comics wurde Eminem sogar in einem Punisher-Outfit für das Cover vom XXL Magazin abgelichtet. Das ist keine gegenseite Verbeugung mehr, das ist eine verdammte Metamorphose von Superhelden und Rappern.

Allein von Seiten Marvels gibt es noch so viel: Ein einige Monate altes Foto vom legendären Stan Lee (Erfinder von u.a. Spider-Man, den Fantastic Four, den Avengers, Hulk, den X-Men und das Gesicht des Verlags), auf dem er ein „Bompton„-Cap von YG trägt – im Alter von 92 Jahren. Der (fast) unverwundbare Luke Cage aka Powerman: Aufgewachsen in Harlem, ehemaliges Gangmitglied – und Raphörer. Leider kann ich nicht genau belegen wo, aber aus seinem Radio ertönte (verbildlichte) Rapmusik. Ich glaube es war ein Zitat von NWA, das da stilisiert umher hüpfte. Oder Roxanne Washington aka Bling!, die als Tochter von einem Rapper und einer Rapperin in einigen X-Men Serien auftaucht. Die Liste ist lang. Aber noch viel größer ist der Einfluss von Marvel Comics auf Rapmusik. Man nehme nur einmal MF Doom, der schon seinen Namen von Doctor Doom, dem Erzfeind der Fantastic Four, entliehen hat. Dazu die stählerne Maske, die gravierende Ähnlichkeit mit der des fiktiven Herrschers von Latveria hat (auch wenn sie aus dem Film „Gladiator“ stammt). Dass Doom dafür von Stan Lee verklagt wurde ist übrigens ausgemachter Unfug, ein dummes Gerücht. Für eine re-issue von „Operation Doomsday“ und „Special Herbs„, die beide originale Artworks von Lee auf dem Cover zeigen, wurde die Verwendung derer aber tatsächlich untersagt. Wenn man bedenkt, dass er die Scheiße aus Doom und seinem Label Stones Throw hätte herausklagen können, ist das aber noch verdammt korrekt.

Ebenso die Freigiebigkeit, die Marvel bei der Verwendung von Samples aufweist. Alte Marvel-Filme und vor allem TV-Serien werden bis zum geht nicht mehr gesamplet und häufig einfach herausgechoppt und eingefügt. Kein Thema. Aber nicht nur Samples, insbesondere Referenzen an das Comic-Universum prägen die Raplandschaft. Doom, der quasi der Großmeister der Nerdreferenzen ist, wäre hier ein zu offensichtliches Beispiel. Da wäre ja auch der Wu-Tang Clan. RZA gab im Buch „The Wu-Tang Manual“ zu Protokoll: „Growing up, I used to read comics like a movie“ und präzisiert weiter: „I don’t know if you get comics more growing up in the projects or not, but I know you can relate to a lot of the main stories. Marvel heroes especially: they’re always tragic.„. Zeilen, wie „There’s no place to hide once I step inside the room/ Dr. Doom, prepare for the boom“ auf „Wu-Tang Clan Ain’t Nuthing Ta Fuck Wit“ überraschen daher wenig. Auch Ghostface Killahs Pseudonyme Tony Stark und Iron Man sind nicht zu übersehende Referenzen – genau wie „Iron Man“ als Titel seines Debütalbums von 1996. Der glühende Iron Man Fan erhielt für seine Verehrung sogar eine Minirolle in der Verfilmung. Dann wäre da auch Inspectah Deck, der auf „Protect Ya Neck“ rappt „Swingin‘ through your Town, like your neighborhood Spider-Man„. Oder Lupe Fiascos Zeile auf „Lupe Back„: „Reinforced with hardness of Wolverines arm„. Die Liste ist unendlich lang. Wer Rap hört, der kann Marvel-Helden nicht umgehen. Auch in heimischen Gefilden.

Denn auch hier in Deutschland haben wir einige Rapper, die beinharte Nerds oder zumindest Superhelden-Fans sind. Rockstah etwa, der mit Referenzen um sich wirft, als gäbe es sie im Dutzend billiger. Man nehme nur den Song „Superheldenanzug„. Der ist so vollgestopft mit unzähligen Referenzen, in denen nicht nur dumm Namen gedroppt werden, sondern wirklich bewusst auf sie aufgebaut wurde. Mein absoluter Favorit: „Nerdy Terdy Gang, die sind fast wie die X-Men / Denn deren Anführer ist auch krass behindert„. Ein ebenso bekennender und stolzer Nerd, der leider nicht mehr unter uns weilt: NMZS von der Antilopengang. Der schoss auch ohne Ende mit wundervollen Querverweisen um sich. Genau wie es Sudden von Trailerpark tut. Dann ist da natürlich noch Lance Butters mit seiner Iron Man-Maske.

Warum gerade diese beiden Genres so eng miteinander verwoben sind, ist schwer zu sagen. Beide sind auf eher junge Menschen zugeschnitten, haben dennoch hartgesottene Anhänger im hohen Alter. Beide waren vor einigen Jahren – also vorm Deutschrap-Hype und vor den durchschlagenden Blockbuster-Erfolgen – noch Nischen. Etwas für Sonderlinge, sozusagen. Beide sind in der Lage etwas zu transportieren – etwas, das es im wahren Leben so nicht gibt. Eine Flucht aus der Realität. Beide vermitteln ein gewisses Bild von Coolness und Männlichkeit – Symbole zum Nacheifern. Und beide bringen trotz ihrer Ernsthaftigkeit stets ein gewisses Augenzwinkern mit sich. So stehen sie seit jeher (auch wenn der Verlag fast doppelt so Alt ist wie HipHop) im ständigen kulturellen Austausch. Rapper sind begeistert von Comics, Redakteure, Autoren und Zeichner sind begeistert von Rap. Warum diese Verbindung aber so intensiv ist und gerade zwischen HipHop und Marvel Comics besteht, kann aber wohl keiner so genau sagen. Doch ist ein fanatischer Comicsammler eigentlich etwas anderes als ein besessener Platten-Digger?