Die „Neue Deutsche Welle“ sei da, titelt das, naja, Nachrichtenmagazin „Stern„, und vom Cover grinsen einen Herbert Grönemeyer, Xavier Naidoo, Sarah Connor und eine im Vergleich mit den übrigen überdimensionale Helene Fischer an (und wer die auch nach einem Blick auf dieses Foto noch sexy findet, dem ist echt nicht mehr zu helfen). Ein Deutschrapper? Fehlanzeige.
Die Frage ist: Ist das schlimm? Einige meinen ja. Fler postet das Cover und fragt entsetzt, ob das das deren Ernst sei. „Deutschrap komplett ignoriert„. Ein Skandal. Auch die Kollegen von hiphop.de finden es nicht okay, dass hier kein KC Rebell aus dem Ausschnitt von Helene grüßt, kein Casper, kein Marteria, kein Kool Savas den Mittelfinger recken dürfen.
Euer Ernst? Deutschrap komplett ignoriert. Wie immer!
Posted by Fler on Friday, 10 July 2015
Okay. Klar wünschen wir uns alle, dass Deutschrap ernstgenommen wird. Gründe dafür gibt es schließlich genug, und das beileibe nicht nur aufgrund der immer wieder in diesem Zusammenhang beschworenen Verkaufszahlen. Hölle nein. Deutschrap hat sich zu einer ernstzunehmenden Kunstform entwickelt, die nahezu alle gesellschaftlich relevanten Themengebiete, alle individuellen Gefühlslagen und Stimmungen abdeckt. Auch der von Anfang geäußerte Anspruch, den Stimmlosen der Gesellschaft eine Stimme zu geben, wird heute tatsächlich eingelöst. Das kann, das darf, nein, das muss man ernst nehmen.
Die Frage ist halt, von wem. Von einem Magazin, dass allen Ernstes Xavier Naidoo, Herbert Grönemeyer und Sarah Connor als Speerspitzen einer „Neuen Deutschen Welle“ sieht? Was genau ist an denen denn neu? Gut, Connor hat früher auf eine Art Englisch gesungen, schön. Jetzt folgt sie dem Zeitgeist und probiert’s auf Deutsch. Aber sonst? Keine neue Welle, nirgendwo. Auch das Phänomen Fischer ist bei näherer Betrachtung kein neues. Davor gab es eine gewisse Andrea Berg, die mit ziemlich derselben Masche ungefähr genau so unverschämt viele Alben verkauft hat – und vor der wiederum tausend andere grauenhaft schlechte, grauenhaft erfolgreiche Schlagertrullas. Na und?
Ganz offensichtlich versucht der „Stern“ also, das vielzitierte Sommerloch mit einer schlecht zusammengeschusterten Story über eine angebliche „Neue Deutsche Welle“ stopfen, weil so was immer geht. Die nationale Selbstfindung war bei den Deutschen schon immer eine extrem problematische Angelegenheit, schon lange vor dem Trauma des Nationalsozialismus wusste der Deutsche nicht so recht, wer er ist und ob er sich eigentlich gut findet. Daran hat sich bis heute wenig geändert.
Und von so einer in Wirklichkeit gar nicht existenten „Neuen Deutschen Welle“ möchte Deutschrap ein Teil sein? Beziehungsweise: Von in musikalischen und kulturellen Dingen offenbar nicht sehr kompetenten Leuten möchte man ernstgenommen werden? Wozu? Wenn ich ein richtig geiles Steakrestaurant habe, ist es mir doch auch egal, was Leute, die am liebsten Currywurst essen von meinem Menü halten.
Dann sind wir halt auf dem „Stern„-Cover nicht dabei. Umso besser. Übrigens, an anderer Stelle nimmt man Deutschrap offenbar tatsächlich langsam ernst: Im vielgescholtenen Feuilleton nämlich, wo man bei aller teilweise auch berechtigten Kritik anscheinend doch mehr von Musik und Kultur versteht als beim „Stern„. Das belegen Artikel wie der kürzlich in der „Zeit“ erschienene über Celo & Abdi, der vom Schriftsteller Moritz von Uslar stammt – und in dem Deutschrap sehr, sehr ernstgenommen wird. Fast schon zu ernst.